ADB:Schönfeld, Gregor
Moritz von Hessen, geboren 1559 zu Zahne bei Wittenberg, † am 24. November 1628 in Cassel, ist der Sprosse eines altadeligen Geschlechtes. Den größten Einfluß auf seine geistige Entwicklung übte sein mütterlicher Großvater Joachim v. Arnsdorff aus. Auf der Meißener Fürstenschule erhielt S. seine humanistische Bildung, worauf er die Universität Wittenberg bezog. Nach kurzer Wirksamkeit als Prediger in Delitzsch wurde er auf Empfehlung seines Freundes Dr. Urbanus Pierius nach Dresden berufen, um die dasige Superintendentur und Hofpredigerstelle bei dem Kurfürsten Christian I. zu führen. Hier trat er in intime Beziehungen zu dem später so tragisch endenden Kanzler Crellius, wodurch er, ebenso durch sein Auftreten, er schaffte u. a. den Exorcismus bei der Taufe der Kinder ab, bei den strenggesinnten Lutheranern sich als Kryptocalvinist so verhaßt machte, daß er nach dem Tode des genannten Fürsten, der am 25. September 1591 eintrat, sich gezwungen sah, seine Bedienungen in Dresden aufzugeben. Da Pierius inzwischen ein Unterkommen in der Pfalz gefunden, so schickte er sich an, ebenfalls dahin zu ziehen. Unterwegs wurde er jedoch in Cassel von dem Präsidenten Reudel, dem er seine Aufwartung machte, dem Landgrafen Wilhelm IV. von Hessen empfohlen, der ihn nach Anhörung einer Predigt zu seinem Hofprediger ernannte. Er erwarb sich bald die Gunst dieses seines neuen Landesherrn, welcher unter seinen Trostsprüchen und Gebeten am 25. August 1592 verschied. Der gelehrte Sohn dieses trefflichen Fürsten, der Landgraf Moritz, trug seines Vaters Liebe auf S. über. Durch das Vertrauen der Prediger sah dieser sich nachher zum Superintendenten in Cassel gewählt, und nach Errichtung des Collegium Adolphico-Mauritianum daselbst zum theologischen Professor ernannt. Am meisten wurde aber sein Namen in Hessen und anderwärts bekannt bei der Einführung der Verbesserungspunkte. Die hessische Kirche hatte sich schon im Anfange der Reformation durch die Homberger Kirchenordnung von 1526 der oberdeutschen oder schweizerischen Strömung zugewendet, wie denn auch den ersten reformatorischen Einfluß Lambert von Avignon, ein Zwinglianer, gewann. Die Stellung des Landgrafen Philipp war dieser Richtung förderlich; die Einigung der Protestanten war seines Lebens Streben. Bei solchem konnten auch lutherische Strömungen Eingang finden. Als nach seinem Tode 1557 das Land unter seine Söhne getheilt wurde, kam im Oberfürstenthum, dem heutigen Großherzogthum Hessen, das Lutherthum unter dem streng lutherisch gesinnten Landgrafen Ludwig IV. zur Alleinherrschaft, während in dem Niederfürstenthum reformirte Lehre und Cultusformen immer weiter sich verbreiteten, besonders unter dem Sohne Wilhelm’s IV., dem gelehrten Moritz. Ludwig IV. hatte deshalb in seinem Testamente seinen beiden Vettern als seinen Nachfolgern, den Landgrafen Ludwig V. und Moritz, befohlen, in seinen Ländern ja nicht die lutherische Lehre abzuschaffen. Er starb am 9. October 1604 und Moritz erhielt zu [300] seinem bisherigen Lande von dem Oberfürstenthum den Marburg’schen Antheil. Die Universität Marburg war bisher gemeinschaftlich. Kaum war Moritz Herr dieses Landestheiles geworden, so sann er darauf, überzeugt von der Unzuträglichkeit, welche die Verschiedenheit des Ritus in den einzelnen Gegenden mit sich brachte, eine Uniformität in demselben für sein ganzes Land einzuführen. Eine solche bezweckten seine im Sommer 1605 erschienenen Verbesserungspunkte, welche die Ubiquitätslehre verboten, die reformirte Zählung des Dekaloges, die Abschaffung der Bilder in den Kirchen und das Brechen des Brotes bei dem h. Abendmahle aber anordneten. Dieselben stießen aber auf heftigen Widerstand bei den Oberhessen wie bei den Bewohnern der Herrschaft Schmalkalden und anderen an das lutherische Sachsen und Braunschweig angrenzenden Unterthanen. In Marburg selbst suchte der Landgraf vergeblich die Professoren Heinrich Leuchter und Johann Winkelmann von der Opposition zurückzuhalten, welche gegen diese cäsareopapistischen Vergewaltigungen der lutherischen Oberhessen sich erhob. Jene wurden ihrer Stellen entlassen und Reformirte in dieselben eingesetzt; mit der Verwaltung der Predigerstellen in Marburg aber wurden S. nebst Valentin Schoner von Ziegenhain und Wigand Pfaff von Felsberg beauftragt. Da jedoch die entlassenen Professoren von Gießen aus, wo Landgraf Ludwig eine neue Universität stiftete, aufhetzten, so wuchs die Erbitterung dermaßen, daß trotz persönlicher Beschwichtigungen des Landgrafen Moritz in dem Universitätsgebäude, am 6. August in der Pfarrkirche während der Predigt Schoner’s ein unbeschreiblicher Tumult ausbrach, in welchem sich das Volk in rohester Weise an den reformirten Pastoren vergriff. S. wurde in halb sterbendem Zustande von Studenten auf das Schloß geschleppt. Ein noch vorhandenes Schreiben an seine Frau in Cassel erzählt uns, wie 500 rasende Männer ihn in der Kirche umstanden und schrieen: schlag todt, schlag todt! daß er nicht anders gemeint, als er müsse den Geist aufgeben. Da sie jedoch gesehen, daß er noch lebe, haben sie ihn von der Höhe des Kirchthurmes heruntergestürzt, wobei ihn aber Studenten mit ihren Mänteln aufgefangen hätten. So sei er ein Spott und Verachtung des Volkes, fühle aber in sich eine große Stärke nach dem Geist. Auf die Kunde von der unerhörten Mißhandlung ihres in Cassel so beliebten Hirten reichten die Gilden und Zünfte daselbst an die geh. Räthe des Landgrafen eine Bittschrift gegen die Versetzung Schönfeld’s nach Marburg ein. Offenbar bezweckten sie damit dessen Rückberufung. Diese verschob sich jedoch. Landgraf Moritz zog noch am Tage jener Katastrophe mit einem Fähnlein Reiter in Marburg ein und suchte nun die Bürger, welche zu den Waffen griffen, in Güte zu beschwichtigen. Am Sonntage, den 9. August, einem monatlichen Bettage, mußte S., noch entstellt von den erlittenen Mißhandlungen, über Matth. 5, 44 predigen, worauf der Landgraf eine bewegliche Ansprache an das Volk hielt und die Bilder, als die Hauptursache des Aufruhres, vor dessen Augen hinwegnehmen ließ. Die Rädelsführer aber wurden einige Tage darauf festgenommen und die Stadt mit drückender Einquartierung belastet. Das brach denn den Widerstand der Bürger, welche einige Abgeordnete sandten mit dem Versprechen treuesten Gehorsams. Da der Zorn des Landgrafen bei deren Empfang von neuem ausbrach, trat S. vor und bat für die Bürgerschaft um Gnade. Dieser Edelmuth entwaffnete den Fürsten. Nun wurde die reformirte Lehre ungehindert in Marburg und dem oberhessischen Landesantheile des Landgrafen eingeführt, wobei theologischer Seits S. die Hauptarbeit zufiel. In Gemeinschaft mit Schoner verhandelte er von 1606 an auf Zusammenkünften wie bei persönlichen Besprechungen mit den Predigern, von denen 54 als Renitente entlassen wurden, ein Loos, welches im J. 1624, als diese Erbschaft an die Darmstädter Linie zurückgefallen, ebenso die reformirten Prediger traf. S. suchte im Gegensatze zu [301] den weltlichen Beamten mit aller Milde und Schonung vorzugehen. Die Einführung des Heidelberger Katechismus, welche Moritz am liebsten gesehen hätte, widerrieth er und verfaßte selbst zwei Katechismen, einen für die Schüler, „Christen-Kinderlehre“ genannt, und einen für die Lehrer, „Praxis et medulla catechetica“ betitelt. Seiner Vermittelung ist es auch zu verdanken, daß Landgraf Moritz nunmehr auf dem gesetzlichen Wege das zu erreichen suchte, was er zuvor kraft seines Summepiscopates erzwingen zu dürfen glaubte. Er berief zur Regelung der kirchlichen Angelegenheiten die Generalsynode nach Cassel am 12. bis 20. April 1607. Diese stellte in ihrem Abschiede in sechs Artikeln ein kurzes, aber völlig reformirtes Bekenntniß auf, das auf die Abschiede von 1577 und 1578 sich gründend, welche das Concordienwerk, die lutherische communicatio idiomatum und die Ubiquitätslehre scharf abgewiesen hatten, den Charakter der Kirche Hessen-Cassels als einer rein reformirten außer Zweifel setzt. Angesichts desselben, von der späteren Kirchenordnung von 1657 nicht zu reden, muß auch das Nebelgebilde dieser Kirche als einer sogenannten melanchthonischen, welches Prof. Heppe ersonnen, in sein Nichts zerrinnen. Denn die Augsburger Confession und deren Apologie, auf die sich dieses Bekenntniß am Schlusse beruft, haben auch andere reformirte Bekenntnisse, wie das nassauische von Pezel, 1604 aufgestellt, u. a. anerkannt, natürlich mit dem Vorbehalt ihrer Auslegung vom Abendmahle. Am deutlichsten zeigt das die „Verantwortung der fremden Kirchendiener zu Frankfurt“ vom J. 1556.
Schönfeld: Gregor S., der Aeltere, reformirter Theolog, gewichtiger Vertheidiger der kirchlichen Reformen des LandgrafenWas von dem Bekenntnisse, das gilt auch von dem Katechismus, welchen erwähnte Generalsynode zu Cassel unter der Aufschrift: „Kinder-Lehr, das ist die fünf Hauptstücke christlicher Lehr“ aufstellte. Er ist eine reformirte Bearbeitung des kleinen lutherischen Katechismus mit einer ganzen Reihe neuer Fragen, besonders in Bezug auf die Sacramente. Später wurde der Heidelberger Katechismus hinzugenommen.
S., der am 1. Januar 1608 in Anerkennung seiner Verdienste zum ersten Professor der Theologie in Marburg bestellt wurde und drei Jahre später zum Präsidenten des Consistoriums, vertheidigte inzwischen mit seiner gewandten Feder in einer Reihe von Schriften die kirchlichen Reformen des Landgrafen Moritz, besonders gegen den Gießener Theologen Balthasar Mentzer, welcher dieselben aufs heftigste angriff und verspottete. Vor allen ward folgende Schrift Schönfeld’s von großer Bedeutung: „Spiegel, der Offenbahren, Vnverschämpten Calumnien vnd Lügen, so in einem Zedtel von 24 Artickeln, wider die christliche Verbesserungspuncte der hessischen Kirche hin vnd wider spargirt worden: Sampt beygefügter Widerlegung derselben Calumnien.“ Marburg 1608. Auch in die Herrschaft Schmalkalden wurde er im J. 1613 nebst einigen Beamten geschickt, um die dasigen kirchlichen Verhältnisse zu untersuchen. Von Erfolg konnte aber daselbst nicht die Rede sein, da sich das Volk von verschiedenen Seiten aufhetzen ließ. Seine letzten Lebensjahre verbrachte S. in Cassel. Sein Einfluß auf die kirchliche Entwicklung Hessens ist ein tiefgehender gewesen. Bei Hofe war er gern gesehen und mußte öfters bei fürstlichen Besuchen predigen. Gegen sein Ende ließ ihn der Landgraf, da ein Schlagfluß ihm die rechte Seite gelähmt, auf seine Kosten mehrere Bäder besuchen. Er wurde in der Stiftskirche zu Cassel beigesetzt. Sein einziger gleichnamiger Sohn war schon drei Jahre vor ihm als Consistorialrath in Cassel gestorben.
Außer den genannten Schriften hat S. verschiedene Leichenreden, sowie auch einige dogmatische Arbeiten in lateinischer Sprache: „de resurrectione mortuorum“, „Theses de S. Scriptura“, „Centuriae Thesium theol. explic. universam, quae nobis cum Pontificiis intercedit controversiam“ u. a. und eine deutsche Bibelausgabe hinterlassen, in welcher öfters die Uebersetzung Luther’s berichtigt, der schon im [302] Alterthum angefochtene Spruch 1. Joh. 5, 7 aber ganz ausgelassen ist. Seine Schriften hat Strieder vollständig, die Streitschriften hat Vilmar aufgeführt.
- Christian Schlegel’s Lebensbeschreibungen der Dresdener Superintendenten. Reformirte Kirchenzeitung von 1882, Nr. 24, 25. – Chr. v. Rommel, Geschichte von Hessen VI, 601 ff., 608 ff. – Heppe, Die Einführung der Verbesserungspunkte in Hessen. – Strieder, Hessische Gelehrtengeschichte. – Tilemann Schenk, Vitae professorum theol. Marburg. – Vilmar, Geschichte des Confessionsstandes der evang. Kirche in Hessen (eine Tendenzschrift voll confessioneller Parteilichkeit und willkürlicher Deutung der historischen Facta). – Historischer Bericht der Newlichen Monats Augusti zugetragenen Marpurgischen Kirchen-Händel. Marpurg 1605. – Cuno, Gedächtnißbuch deutscher Fürsten reform. Bekenntnisses, II. – Amtliches Gutachten der theol. Facultät zu Marburg, 1855.