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Artikel „Ritter, Johann Wilhelm“ von Gustav Karsten in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 28 (1889), S. 675–678, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ritter,_Johann_Wilhelm&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 22:00 Uhr UTC)
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Ritter: Johann Wilhelm R., geboren am 16. December 1776 in Samitz bei Hainau in Schlesien, † am 23. Januar 1810 in München. R. war erst Pharmaceut, studirte dann von 1795 ab in Jena und privatisirte daselbst, in Gotha und in Weimar bis 1804, in welchem Jahre er als ordentl. Mitglied der bairischen Akademie nach München berufen ward. R. hat in der kurzen Zeit seiner Gelehrtenlaufbahn eine außerordentliche Thätigkeit entwickelt, und ist als der Entdecker einer Reihe grundlegender Thatsachen, namentlich auf dem Gebiete des Galvanismus und der physiologischen Elektricität, zu nennen. Es ist auffallend, daß die großen wissenschaftlichen Verdienste Ritter’s zu seiner Zeit so wenig allgemeine Beachtung fanden. Dies gilt sowol von denjenigen Entdeckungen, welche R. vor Anderen, denen sie zugesprochen wurden, machte, als solchen Angaben, welche lange Jahre der Vergessenheit anheim fielen und erst spät, zum Theil erst in jüngster Zeit weiter verfolgt und zu wichtigen Zweigen der Physik entwickelt worden sind.

Bereits 1798, also bald nach Abschluß seiner Studienzeit, gab R. eine Schrift heraus („Beweis, daß ein beständiger Galvanismus den Lebensproceß im Thierreiche begleitet“, Weimar, 8°), in welcher er das Gesetz der Wirksamkeit einer aus verschiedenen Körpern aufgebauten galvanischen Kette so angibt, daß darin zwei Jahre vor Erfindung der Volta’schen Säule, das Princip derselben und der Anfang des Spannungsgesetzes erkannt werden muß (s. § 9 ff. obiger Schrift und Beiträge 1, 2, S. 210 ff.). Von 1799 an bis 1805 veröffentlichte R. in verschiedenen Zeitschriften (Gehler’s Journal für Chemie, Gilbert’s Annalen, Crell’s Analen, Voigt’s Magazin) viele auf Galvanismus und Elektrophysiologie bezügliche Abhandlungen, deren größerer Theil, zusammen mit der eben erwähnten Schrift in einem zwei Bände starken Werke zusammengefaßt ist („Beiträge zur näheren Kenntniß des Galvanismus und der Resultate seiner Untersuchung.“ Bd. I, 4 Stücke, Bd. II, 5 Stücke. Jena 1800–1805, 8°). Daran schloß sich im J. 1805 die Schrift „Das elektrische System der Körper, ein Versuch“, Leipzig 1805, 8°, unmittelbar an, und 1806 die „Physisch-chemische Abhandlungen in chronologischer Ordnung“, 2 Bände, Leipzig. In diesen Arbeiten sind die wichtigsten Entdeckungen Ritter’s enthalten, deren einfache Aufzählung genügt, die hohe wissenschaftliche Stellung desselben zu beweisen. Nachdem von Ash 1796 und von A. v. Humboldt 1797 zuerst chemische Wirkungen in der galvanischen Kette beobachtet waren, hat R. 1799 grundlegende Beobachtungen über die Elektrolyse gemacht, den Unterschied der offenen und geschlossenen Kette für die elektrolytischen Wirkungen erkannt (Gilbert’s Annalen 1799, II, 80), die Zerlegung des Wassers und von Metallsalzen in der Kette und an den Poldrähten der Säule nachgewiesen, so daß ihm also die Priorität vor Nicholson und Carlisle zuzusprechen ist. R. bewirkte auch zuerst die Wasserzersetzung durch Reibungselektricität.

[676] Die Theorie Ritter’s über den Vorgang bei der Elektrolyse ist allerdings mangelhaft, er kommt z. B. bei der Zersetzung des Wassers zu der jetzt sehr sonderbar klingenden Behauptung, das Wasser sei ein chemisch einfacher Körper, welcher durch ein außerhalb desselben liegende Ursache theils in Hydrogen, theils in Oxygen verwandelt werde. Ritter’s Anschauung über die elektrischen und chemischen Vorgänge in der galvanischen Kette stehen übrigens den heutigen Ansichten nahe, indem er zeigte, daß eine Erregung der Elektricität nur stattfinde unter gleichzeitig vorhandener chemischer Wirkung. Die besondere Beachtung der chemischen Erscheinungen in der Kette führten R. zur Entdeckung der galvanischen Polarisation (1802 im Journal de physique Bd. 57, S. 345, dann auch in Voigt’s Magazin Bd. VI). Dies leitete ihn zur Erfindung der Ladungssäule, der ersten Vorrichtung dieser Art, welche jetzt in den secundären Elementen oder Accumulatoren eine so große Bedeutung gewonnen hat. R. ist ferner neben Behrens als der Erfinder der trockenen Säule zu nennen (Reichsanzeiger 1802, Nr. 66, später abgedruckt in den physisch-chemischen Abhandlungen II, S. 270), die erst viel später, nach der ihr von Zamboni gegebenen Anordnung, allgemein bekannt wurde und gewöhnlich mit dem Namen des Letzteren bezeichnet wird. Von R. rührt die erste Wahrnehmung der ungleichen Erwärmung der Elektroden her (Gilbert, Anm. 1801, IX). In dem „elektrischen System der Körper“ hat R. eine sehr vollständige Spannungsreihe der Körper angegeben und versucht die galvanische und elektrische Leistungsfähigkeit unter einem gemeinsamen Gesichtspunkte zusammenzufassen. Diesen glaubte er darin zu finden, daß für die galvanische Leitung die Oxydirbarkeit die gleiche Bedeutung habe, wie für die elektrische die Rigidität. Bei Gelegenheit der elektrolytischen Zerlegung des Hornsilbers machte R. die Entdeckung von der chemischen, oxydirenden und Phosphorescenz erregenden Wirkung der ultravioletten Strahlen und der entgegengesetzten reducirenden Wirkung der rothen und ultrarothen Strahlen (Beiträge, 3–5. Stück, §§ 102 ff., 280 ff.). Noch sind hier von Ritter’s Beobachtungen zu erwähnen die Entstehung von Thermoströmen (Gilbert, Ann. 1801, IX, 293) und die unipolare Leitung der Flamme (ebend. S. 335).

Endlich scheint R. auch die Abhängigkeit des Widerstandes von den Dimensionen des Leiters richtig erkannt zu haben (Beiträge, Bd. I, 4. Stück, S. 256), worüber aber die Versuche nicht mitgehtheilt werden. Diese können nur mangelhaft gewesen sein, wie er denn z B. das Eisen als den „ausgemacht besten irdischen Leiter der Electricität“ bezeichnet (Beiträge, Bd. I, 4. Stück, S. 231) und daran eine Reihe speculativer Betrachtungen knüpft. Die bisher erwähnten Entdeckungen Ritter’s erscheinen um so bemerkenswerther, als die ihm zur Verfügung stehenden Mittel zur Messung der Stärke und Richtung der Electricität nur in dem Elektroscope mit Condensator und in den physiologischen Wirkungen bestanden. Infolge theoretischer Ansichten von dem Zusammenhange der Polarität einer galvanischen Säule mit der magnetischen Polarität stellte R. den Satz auf: jede solche Säule sei ein wirklicher Magnet. Die experimentelle Beweisführung gelang ihm aber trotz ausgedehnter Versuche nicht, weil er die Beziehung darin nachzuweisen suchte, daß er den Strom durch Stahl- und Eisendrähte leitete (Beiträge, Bd. II, 1. Stück, S. 57 ff.). Aber für die Vorgeschichte der Entdeckung des Elektromagnetismus ist es nicht ohne Interesse, folgende Bemerkung zu lesen (a. a. O. Ann. S. 76): „Es ist dem Experimentator nicht sehr angenehm, wenn er den Erfolg von Untersuchungen in seiner Einsamkeit allein ohne einen verständigen Zeugen sehen und aufnehmen will. Um so lieber erwähne ich gleich anfangs schon, daß ich bei mehreren der nachfolgenden Versuche diese Unannehmlichkeit nicht hatte. Herr D. Oersted aus Kopenhagen hat Verschiedenes davon mit angesehen und freundlich einen Theil [677] der Geduld mit mir getheilt, ohne den es freilich bisweilen nicht abgehen wollte“. Es ist wol nicht zu bezweifeln, daß der berühmte Entdecker der Ablenkung der Magnetnadel durch den Strom bei dieser Gelegenheit die Anregung empfing, die Versuche fortzusetzen, durch welche der Zusammenhang des Magnetismus und elektrischer Ströme nachgewiesen werden sollte.

Ritter’s Verdienste auf dem Gebiete der physiologischen Elektricität sind in den Untersuchungen über thierische Elektricität von E. du Bois-Reymond ins rechte Licht gestellt worden. Dieser zeigt nämlich, daß es R. gelang, Zuckungen ohne Metall hervorzubringen, was vorher nur von Galvani beobachtet worden war. Besonders aber führt du Bois-Reymond aus, daß R. der Entdecker der „Modificationen der Erregbarkeit durch geschlossene Ketten“ ist und die Ursachen der Nervenerregung durch den elektrischen Strom tiefer erfaßte, als seine Vorgänger und selbst A. Volta. R. entdeckte vor Marianini das Gesetz der Stromschwankungen d. h. das Gesetz, daß die Nervenerregung nicht von der absoluten Intensität der Elektricität, sondern von der Größe in deren Schwankungen abhängig ist. Er zeigte, wie man sich in den Kreis einer zweigliedrigen Kette ohne Schlag „einschleichen“ könne, indem man den Strom durch nach und nach erfolgende Einschaltung einzelner Glieder der Kette verstärkt. Zur Erklärung der auffallenden Thatsache, daß Ritter’s bedeutende Entdeckungen nicht sofort in das Eigenthum der Wissenschaft übergingen, theilweise in Vergessenheit geriethen und Andern zugeschrieben wurden, lassen sich verschiedene Gründe angeben. Hoppe (Zur Geschichte des Volta’schen Spannungsgesetzes, Elektrotechnische Zeitschrift 1888, S. 36) meint in Bezug auf Ritter’s Arbeiten über die Wirkungen der galvanischen Säule, daß die allgemeine politische Lage jener Jahre einerseits, die größere Bestimmtheit andererseits, mit welcher Volta das vorher von R. entdeckte Spannungsgesetz aussprach, der allgemeinen Anerkennung der deutschen Entdeckung hinderlich gewesen sei. Letzteres ist wohl zutreffend, wird aber schärfer auszudrücken und als eine Folge der damals in Deutschland noch herrschenden Naturphilosophie aufzufassen sein. Du Bois-Reymond äußert sich (Untersuchungen über thierische Elektricität I, 263, 317) in besonderer Bezugnahme auf R. in diesem Sinne sehr zutreffend folgendermaßen: „Ungleich tiefer (als Volta) schaute in diesem Punkte (der Nervenerregung) unser R., aber er wußte seine Beobachtungen in ein so wunderbares und undurchdringliches Dunkel zeitgemäßer Philosopheme zu verkleiden, daß viel guter Wille dazu gehört, die darin versteckte Wahrheit zu entziffern und daß sie jedenfalls wirkungslos an seiner Mitwelt und seinen Nachfolgern vorüberging.“ Und an einer andern Stelle: „Wenn bereits die Ueberschrift dieser Abhandlung (betrifft das Gesetz der Zuckungen) davon zeugt, daß ihr Urheber unter dem verderblichen Einflusse der damals in Deutschland herrschenden Philosophie stand, so ist leider der Inhalt wenig geeignet, das dadurch erweckte Mißtrauen wieder einzuschläfern. Man sieht R., anstatt den Methoden zu huldigen, deren Erfolge er in Volta’s Entdeckungen so sprechend vor Augen hatte, als willigen Adepten jener vermeintlich höheren Physik, nach Analogien und Gegensätzen haschen und statt in der mechanischen in der idealistischen Construction der Erscheinungen ihr Verständniß suchen.“

R. ist gerade wegen seiner wirklich großen Bedeutung vielleicht das schlagendste Beispiel dafür, wie weit die Physik in Deutschland durch ihre Unterordnung unter naturphilosophische Speculationen zurückgeworfen wurde und in der Mitarbeit an der Wissenschaft gegenüber den Italienern, Franzosen und Engländern zurückblieb, bei denen die inductive Methode zur vollen Geltung gelangt war. Wie weit ein so begabter Gelehrter wie R. durch vorgefaßte philosophische Ansichten in die Irre geführt werden konnte, zeigt sein Eintreten für den Wasserfühler [678] und Metallfinder Campetti im J. 1807. Auf Ritter’s Veranlassung wurde eine besondere Commission der Münchener Akademie mit der Prüfung der Campetti’schen Behauptungen eingesetzt, welche aber zu keinem Ergebnisse kam. Schelling, Franz Baader, Gehler, Winterl und Buchholz waren auf Ritter’s Seite. Erst eine scharfe Kritik Gilbert’s, dem sich P. Erman, Pfaff u. A. anschlossen, beseitigte den Spuk. R. aber war noch 1809 in einem von v. Salis übersetzten Werke von Amoretti (Phys. u. histor. Untersuchungen über die Rhabdomantie oder animalische Elektrometrie von C. Amoretti, übersetzt von v. Salis, mit ergänzenden Abhandlungen von J. W. Ritter. Berlin 1809) für die sogenannte animalische Elektrometrie eingetreten. Vor seinem Tode aber erklärte er (Annales de Chimie, Bd. 72, S. 336) die Wünschelruthe u. s. w. für Erzeugnisse des Aberglaubens und die dafür angegebenen Erscheinungen für nichtig.

Ein vollständiges Verzeichniß der Schriften und Abhandlungen Ritter’s findet sich in Poggendorff’s biogr.-liter. Handwörterbuch II, 652.