Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Richter, Heinrich“ von Alfred Freiherr Mensi von Klarbach in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 343–346, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Richter,_Heinrich&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 19:09 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 53 (1907), S. 343–346 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Heinrich Richter (Schauspieler) in der Wikipedia
Heinrich Richter in Wikidata
GND-Nummer 116512067
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|53|343|346|Richter, Heinrich|Alfred Freiherr Mensi von Klarbach|ADB:Richter, Heinrich}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=116512067}}    

Richter: Heinrich R., kgl. bair. Hofschauspieler und Regisseur, Ehrenmitglied des kgl. Hoftheaters, kgl. Professor der Schauspielkunst, geboren am 18. October 1820 in Berlin, † am 22. Mai 1896 zu München.

Heinrich Richter’s Familie stammte aus Baiern und war mit der Jean Paul Richter’s verwandt. Heinrich war aber in Berlin als der Sohn eines Finanzministerialbeamten geboren. Sein Urgroßvater war im Markt Ipsheim, in der Nähe von Ansbach, geboren und dort Prediger gewesen. Der Vater war nach Berlin gezogen, als das seit 1791 preußische Ansbach bairisch wurde, nach der Schlacht von Jena. Der junge R. besuchte in Berlin das französische [344] Gymnasium und hat zu jener Zeit die ersten Theatereindrücke empfangen. Sie waren so mächtig in ihm, daß er ihnen alles zu opfern beschloß. Schon bevor er absolvirt hatte, und zwar mit Auszeichnung, war er heimlich zu Eduard Devrient gegangen, der damals als Schauspieler und Sänger am Kgl. Schauspielhause engagirt war, und ließ sich von ihm unterrichten, wie später dann auch in der Ernst’schen Theaterschule, in deren Privattheater er, noch nicht 16 Jahre alt, als Till in Raupach’s „Schleichhändler“ auftrat; ja er wußte sogar als Statist den Weg auf die Bühne des Opernhauses zu finden. Im August 1837 verließ R. heimlich das Vaterhaus, in dem er keine Zustimmung für seine Berufswahl zu hoffen hatte, und ging nach Berlin, um dem Director der genannten Theaterschule nach Frankfurt a. O. zu folgen. In Posen lernte ihn Auguste Crelinger kennen und schätzen. Ihrer Empfehlung verdankte er sein erstes Engagement, das er am 1. Januar 1839 dort antrat. Am 13. desselben Monats trat er zum ersten Male als Eduard in Kotzebue’s „Epigrammen“ auf. Nicht lange blieb er dort, und es begann nun ein ziemlich bewegtes Wanderleben. Nach zwei Jahren sehen wir ihn in Rostock, gleich darauf in Bremen, wo er als jugendlicher Held und Liebhaber bald auch der Liebling des Publicums wurde. Nun wollte er nach Leipzig; da winkte ihm ein Engagement am Wiener Burgtheater. Am 8. Mai 1843 trat er dort als Gast (in Raupach’s „Geschwistern“) auf und zwar mit solchem Erfolge, daß Director v. Holbein gern eine Conventionalstrafe von 100 Louisdor zahlte, um den jungen Mann von seinen bereits eingegangenen Leipziger Verpflichtungen loszulösen. Im Burgtheater, wo er bis zum 30. Juni 1844 117 Mal auftrat, nahmen sich Fichtner, Loewe, Anschütz, La Roche seiner an. Die Eltern hatten sich zwar mit dem jugendlichen Ausreißer, niemals aber mit dessen Beruf ausgesöhnt. Und der später so gemessene Mann von unverkennbar norddeutsch kühlem Temperament muß damals in der That noch ein sehr unruhiger Geist gewesen sein. Auch am Burgtheater litt es ihn nicht lange. Er fand sich zu wenig beschäftigt. Ungern gab man ihm die geforderte Entlassung, und schon am 9. August 1844 trat er als Don Carlos ein Engagement in Leipzig an. An diesem Tage wurde das Stadttheater nach einer völligen Restaurirung wieder eröffnet. In Leipzig war R. auch Albert Lortzing näher getreten. Nun wurde er auch seßhafter, obwohl er bald einsehen mußte, daß er es im sicheren Hafen des Wiener Burgtheaters ruhiger gehabt hätte, denn die Stürme des Jahres 1848 gingen auch über das Leipziger Theater nicht spurlos hinweg. Er wurde mit dem ganzen Personal auf halbe Gage gesetzt und dieses beschloß, „auf Theilung“ weiter zu spielen. Vor diese kritische Zeit fällt ein kurzes erfolgreiches Gastspiel Richter’s in seiner Vaterstadt Berlin, wo er auch zu zwei Vorstellungen im „Neuen Palais vor Sr. Majestät“ befohlen wurde. Im Jahre darauf sollte R. den ruhigen Hafen finden, den sein Lebensschifflein fürderhin nicht mehr zu verlassen brauchte. Wiederholt hatte die Intendanz der Münchener Hofbühne mit R. anzuknüpfen versucht; im Januar 1849 sagte er zu und war bereits gebunden, als sich ihm gleichzeitig auch die Aussicht eröffnete, nach Wien zurückkehren zu können. Am 20. März 1849 trat er als Arthur in „Ein Arzt“ und als Richard in „Richard’s Wanderleben“ zum ersten Male in seinem künftigen Wohnsitz auf. Don Carlos und Mortimer folgten. Der Erfolg dieses Gastspiels führte gleich zum Abschluß des Engagements, das er am 1. August 1849 antrat. Noch vorher hatte er sich in Leipzig eine Gattin geholt, die schöne Tochter des Großkaufmanns Heinrich Mayer.

R. hat München von da an nur mehr zu gelegentlichen, aber damals noch nicht so häufig üblichen Gastspielen verlassen. Am 1. Februar 1851 [345] hatte Dingelstedt, für R. und seine Collegen völlig überraschend, die Leitung der Hofbühne übernommen. Von allen seinen vielen Chefs scheint R. diesem die geringsten Sympathien entgegengebracht zu haben. Im Juli desselben Jahres hatte R. die Freude, mit seinem Lehrer Eduard Devrient, der als Gast kam, zu spielen. Nun fehlte es auch nicht an Ehren mannichfacher Art. Die bairischen Könige Max II. und Ludwig I. waren ihm hold. Am 22. September 1859 wurde er wirklicher Regisseur, nach Dahn’s Abgang sogar der einzige, später auch der künstlerische Beirath des neuen Intendanten Schmitt. Eine schmerzliche Unterbrechung erfuhr seine Thätigkeit durch eine Luxation seines rechten Knies, die er sich als erster Holk’scher Jäger in „Wallenstein’s Lager“ zugezogen hatte und die ihn fast sieben Monate von der Bühne fernhielt. Am 12. Januar 1868 übernahm Karl Frhr. v. Perfall die Leitung der Münchener Hofbühne; unter ihm und seinem König Ludwig II. stand R. auf dem Zenith seines Könnens und seiner Erfolge. Es kam die Zeit der „königlichen Separatvorstellungen“ und der ihnen folgenden königlichen Ehrungen und Geschenke. Denkwürdige Daten waren der 17. Juli 1870, als R. nach der Mobilisirung vor dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm in „Wallenstein’s Lager“ wieder seinen Holk’schen Jäger sprach; der 10. Januar 1873, als er als einer der ersten die neugeschaffene Goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft erhielt; der 1. August 1874, sein 25jähriges Jubiläum als Münchener Hofschauspieler, die „Musterspiele“ des Jahres 1880. Im März 1878 hatte er seine Gattin nach langem Leiden verlieren müssen. Da nahm er die Lehrerstelle an der dramatischen Abtheilung der Kgl. Musikschule an, die später zum Ruheposten für ihn werden sollte, die aber weder er noch ein Anderer zu größerer Bedeutung bringen konnte. Langsam, aber klaglos war er in das ältere Fach übergegangen. Im Jahre der „Musterspiele“ wurde sein 60. Geburtstag gefeiert, und in demselben Jahre, als Lewinsky aus Wien kam, den Franz Moor zu spielen, übernahm er den alten Moor, dem er nun treu blieb. Zu einer rührenden Huldigung gestaltete sich die Feier seines 50jährigen Künstlerjubiläums am 13. Januar 1889: er spielte den Musikus Miller. Langsam, anfangs nur den Vertrauteren bemerkbar, ging es dem Ende zu. Das Gedächtniß begann zu versagen. Ohne es zu ahnen, trat er am 19. Juni 1893 in der kleinen Episodenrolle des Generals v. Klebs in Sudermann’s „Heimath“ zum letzten Male auf. Die Aerzte verboten ihm die Aufregungen eines wirklichen Abschiedsabends, und so ging denn R. nach 45jähriger Dienstzeit am Hoftheater, nach 37jähriger Thätigkeit als Regisseur und 55jähriger als Schauspieler am 1. Januar 1894 mit dem Titel eines kgl. Professors und Ehrenmitglieds der Hofbühne in Pension. Er war an 7455 Abenden in 584 verschiedenen Stücken und 678 verschiedenen Rollen aufgetreten, darunter an 22 Opernabenden. Auch litterarisch war R. thätig gewesen. Seine Bearbeitung von Lope’s Drama „El major Alcalde el Rey“ wurde unter dem Titel „Der beste Richter ist der König“ in den königlichen Privatvorstellungen gegeben. Auch Molière’sche Stücke hat R., der seine französische Schule auch auf der Bühne nicht verleugnete, übersetzt und eingerichtet. Zu jener Zeit war R. auch zu Richard Wagner in Beziehungen getreten. Wagner hielt auf ihn große Stücke, bis er einmal auf dessen Frage, was er von dem eben zum ersten Male aufgeführten Tristan halte, offen eingestand, daß ihm Holländer, Tannhäuser und Lohengrin lieber, weil verständlicher, seien. Wagner hat ihn darauf nie mehr angesprochen. Am 1. November 1895 führte ein Bluterguß ins Gehirn Gehirnerweichung nach sich, und am 22. Mai des nächsten Jahres erlag der greise Schauspieler nach kurzem Siechthum einer Lungenentzündung.

[346] Ein überaus treffendes Wort, das die vornehme Art seiner Kunst am besten bezeichnet, hat einmal von R. gesagt, daß der Titel Hofschauspieler für ihn eigens hätte erfunden werden müssen, wenn er nicht schon früher bestanden hätte. Vornehmheit war das Kennwort für alle Leistungen, sowie für die persönliche Erscheinung dieses echten deutschen Künstlers. Ein bahnbrechendes schauspielerisches Genie von hinreißendem Feuer ist er wohl kaum je gewesen, aber ein Künstler, der jede, auch die kleinste Aufgabe, durch das Medium seiner Persönlichkeit adelte. Selbst als gebrechlicher Greis hat er nie seine Rolle verdorben, und so ist er durch seine nicht blendenden, aber erwärmenden, gediegenen Mittel und durch den Nachdruck seiner edlen Gestaltungskraft der ersten Bühne seiner zweiten Vaterstadt durch Jahrzehnte wirklich das geworden, was man im schönsten Sinne eines viel mißbrauchten Wortes eine Stütze des Repertoires zu nennen liebt.

Ein Sohn Richter’s hat (nicht für den Buchhandel) eine Biographie seines Vaters erscheinen lassen (Heinrich Richter, Erinnerungen aus dessen Leben und Wirken. Eine biographische Skizze nach eigenhändigen Aufzeichnungen, vorgefundenen Briefen und Documenten, sowie mündlichen Ueberlieferungen des Künstlers von Heinrich Richter jun., Darmstadt 1897, 190 S. in gr. 8°), ein gut und pietätvoll gemeintes Sammelwerkchen von allem möglichen interessanten und oft auch recht bedeutungslosem Material, das leider vielfach sich später als sehr unzuverlässige Quelle erwiesen hat. Nach diesem ist mein biographischer Artikel im ersten Bande des von Anton Bettelheim 1897 erschienenen „Biographischen Jahrbuchs und Deutschen Nekrologs“ verfaßt und im nächsten Bande durch einen Nachtrag in einzelnen Angaben berichtigt worden. Außer in der Tagespresse erschienen biographische Artikel über R. noch im Theater-Almanach der Deutschen Bühnengenossenschaft (Achter Jahrgang 1897, S. 176) und in Ludwig Eisenberg’s leider ebenfalls sehr unzuverlässigem Großen Biographischen Lexikon der Deutschen Bühne (Leipzig 1903, S. 831).