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Artikel „Renner, Johann“ von Wilhelm von Bippen in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 28 (1889), S. 228–230, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Renner,_Johannes&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 11:05 Uhr UTC)
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Renner: Johann R., Bremischer Chronist, geboren um 1525 wahrscheinlich zu Tecklenburg in Westfalen. Er begegnet uns zum ersten Male am 1. Januar 1554 als Notar und hat dies Geschäft bis zu seinem Tode ausgeübt. Im Herbste 1554 treffen wir ihn in Speier, später in Livland, wo er wahrscheinlich vom Frühling 1556 bis zum Spätherbst 1560 verweilte. Er trat hier in die Dienste des deutschen Ordens, zunächst als Schreiber des Vogts von Jerven zu Weißenstein, Bernt v. Schmerten, später – von 1559 ab – als solcher des Comthurs zu Pernau, Rotger Wulf. Diese Stellungen gewährten ihm nahe Einsicht in die Verhältnisse und Geschicke des Ordens und Bekanntschaft mit manchen hochgestellten Persönlichkeiten, wie Erzbischof Wilhelm von Riga, Bischof Friedrich von Reval, Meister Gotthard Kettler, dem späteren Herzog von Kurland, Herzog Magnus von Holstein u. A. Er hat das Land vielfach durchreist, wichtigen Verhandlungen als Notar beigewohnt, geheime Correspondenzen als Schreiber kennen gelernt und Abschriften für sich zurückbehalten. Denn schon während seines Aufenthaltes in Livland faßte er den Plan zu einer Darstellung der Geschichte des Landes und führte erhebliche Partien der Arbeit aus. Er hat dabei die ältere historische Litteratur nicht ohne Kritik und ebenso fleißig benutzt, wie die ihm zugänglichen Urkunden und seine persönlichen Erfahrungen und Wahrnehmungen. Zu einer abschließenden Bearbeitung seines Werkes „Liflendischer Historien negen boker“ ist er aber erst ganz gegen Ende seines Lebens gekommen, wahrscheinlich angeregt durch das Erscheinen der Chronik Balthasar Russow’s im J. 1578. Das einzige, ganz von Renner’s eigener Hand geschriebene Exemplar dieser Historien wurde erst im J. 1870 in Bremen aufgefunden und befindet sich jetzt in der dortigen Stadtbibliothek. Es ist 1876 von Rich. Hausmann und Konst. Höhlbaum unter dem Titel „Johann Renner’s Livländische Historien“ (Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht) herausgegeben worden.

Die herannahende Katastrophe des Ordens bestimmte R. wahrscheinlich, [229] Livland, das er „umme versoekens willen“ aufgesucht hatte, wieder zu verlassen. Am 16. August 1561 treffen wir ihn wieder in Deutschland, zu Kniepens im Butjadinger Lande, als Notar thätig. Vielleicht hat er in den folgenden Jahren dem Bremischen Domcapitel als Secretär gedient und zur Belohnung seiner Dienste eine Domvicarie erhalten. Wenigstens bezeichnet ihn der Bremische Bürgermeister Heinrich Meier (s. A. D. B. XXI, 198) im folgenden Jahrhunderte (Assertio libertat. reip. Bremens. p. 722) als Bremischen Thumb-Secretarius und Vicarius. Daraus ist aber nicht zu schließen, daß R. Geistlicher war; das protestantische Capitel verlieh die Vicarie lediglich als Pfründe. R. scheint vielmehr Jurist gewesen zu sein. Vermuthlich zur weiteren Ausbildung in der juristischen Praxis hielt er sich vom Herbste 1564 bis in den Sommer 1566 am Sitze des Reichskammergerichts in Speier auf und erlangte hier auch seine Immatriculation als approbirter Notarius. Gegen Ende des Jahres 1566 kehrte er nach Bremen zurück und nahm hier nun seinen dauernden Aufenthalt. Vom Jahre 1568 an war er bis zu seinem Tode Notar im Dienste des Bremischen Raths mit einem jährlichen „solarium“ von 10 Thlrn. und freier Dienstwohnung. Die städtischen Rechnungsbücher (sog. Rhederbücher), welche dies mit Sicherheit ergeben, zeigen zugleich, daß R. im Auftrage des Raths zahlreiche Dienstreisen ausführen mußte, um in Oldenburg, Vörde, Minden, Verden oder an anderen Orten Mandate, Citationen oder andere Urkunden notariell zu intimiren. Auch zur Protocollführung wurde er verwandt, wie gleich im J. 1568 auf dem wichtigen Deputationstage zu Verden, welcher endlich die langjährigen sog. Hardenbergischen Streitigkeiten (s. A. D. B. X, 558) beendigte. So hatte R. auch in Bremen, wie früher in Livland, vielfältige Gelegenheit, in die öffentlichen Geschäfte der Stadt Einblick zu gewinnen, und dieser Umstand hat ihn hier wie dort zu eingehender Beschäftigung mit der Geschichte der Stadt geführt.

Daraus erwuchs seine zweibändige „Chronica der Stadt Bremen“, deren von Renner’s Hand geschriebenes Originalmanuscript sich gleichfalls in der Bremischen Stadtbibliothek befindet. Die Chronik ist noch nicht gedruckt, aber in zahlreichen Abschriften in Bremen und anderen Orten verbreitet. Für die Darstellung der älteren Zeit hat R. sich im wesentlichen auf eine Wiedergabe der Rinesberch-Schene’schen Chronik (s. den Artikel) und ihrer bis in den Anfang des 16. Jahrhunderts reichenden Fortsetzungen, doch unter Hinzufügung einiger eigenthümlicher Nachrichten beschränkt; für die spätere und namentlich für die von ihm selbst mit durchlebte Zeit aber ist sein Werk von großem Werthe. Im Originalmanuscripte bricht die eigenhändige Niederschrift Renner’s im J. 1580 mitten in einem Satze ab. Eine andere Hand hat es dann, aber ohne Zweifel nach Renner’s Entwurfe, bis in den Februar 1582 fortgeführt und noch zwei Notizen aus dem Jahre 1583 nachgefügt. Auch die livländische Chronik reicht bis in den Februar 1582. Noch ein drittes Werk ist uns von R. erhalten, ein kurzer gereimter Auszug aus seiner Bremischen Chronik. R. hatte bei seinen livländischen Studien den Werth der leicht im Gedächtniß haftenden gereimten Geschichtserzählung kennen gelernt, indeß hatte er bei Benutzung der beiden livländischen Reimchroniken „de rime bliven laten und historischer wise aver gesettet“. In seinem Alter hat er umgekehrt, aber freilich in der allerknappesten Weise, seine historische Prosa in Reime verfaßt. Es ist das werthloseste, aber das einzige bei seinen Lebzeiten und bis in die jüngste Zeit zum Drucke beförderte seiner Werke. Es erschien in seinem letzten Lebensjahre unter dem Titel: „Chronicon der löflichen olden Stadt Bremen in Sassen, so vele de vornemsten Geschichte, de sich im Ertzstiffte vnd der Stadt Bremen togedragen hebben, belanget dem Jar talle nach in dudesche verß [230] veruattet. Joan. Renner“. Gedruckt tho Bremen by Dieterich Glüichstein. 1583. kl. 8°, 87 Seiten. Renner’s Schwiegersohn, Johannes Hannover, hat „ersucht und gebetten“ das Werkchen im J. 1642 in hochdeutsche Reime übertragen nochmals drucken lassen, Bremen bei Joh. Wessels s. Erben. Und zum dritten Male ist es wieder in seiner originalen niederdeutschen Gestalt 1717 von Georg Roth in Stade herausgegeben worden.

Vom Jahre 1580 ab kommt in den Rechnungsbüchern keine Notiz über auswärtige Sendungen Renner’s mehr vor, nur noch seine halbjährige Besoldung ist eingetragen. Die größere, sei es nun Alters- oder Krankheitshalber oder aus andern Gründen ihm vergönnte Muße scheint er zur Durchsicht und Vollendung seiner historischen Arbeiten benutzt zu haben. Bis ganz nahe an seinen Tod muß er mit diesen Arbeiten beschäftigt gewesen sein. Michaelis 1583 wurde ihm zum letzten Male die halbjährige Gehaltsquote ausgezahlt, zu Ostern 1584 geschah die Zahlung des halben „Nachjahrs“ an seine Witwe. Näheres ist uns über die Zeit seines Todes nicht bekannt. Die Witwe und Erben verehrten die große Bremische Chronik dem Rathe, welcher zum Danke dafür im November 1586 der Witwe die Dienstwohnung ihres verstorbenen Mannes für die Zeit ihres Lebens einräumte.

J. G. Kohl, Joh. Renner’s äußere Lebensumstände in den Mitth. a. d. Gebiete der Geschichte Liv-, Est- und Kurlands, Bd. XII, Heft 1, 1872. – Die hauptsächlichste und von Kohl zum ersten Male benutzte Quelle für Darstellung seines äußeren Lebensganges bilden die im Bremischen Staatsarchiv bewahrten drei Bände eigenhändiger Copien der von R. aufgenommenen Notariats-Instrumente; ferner die von Kohl nicht benutzten Rhederbücher des gleichen Archivs. Einige Modificationen der Darstellung Kohl’s, soweit sie den livländischen Aufenthalt betrifft, in Hausmann’s und Höhlbaum’s Einleitung zu den Livländischen Historien, wo zugleich über die Art der Renner’schen Geschichtschreibung eingehend gesprochen ist. – Eine knappe Inhaltsangabe der zweibändigen Bremischen Chronik hat Pratje, Die Herzogthümer Bremen und Verden, 5. Sammlung, S. 7 ff. (1761) veröffentlicht.