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Artikel „Kohl, Johann Georg“ von Wilhelm Wolkenhauer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 16 (1882), S. 425–428, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kohl,_Johann_Georg&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 19:04 Uhr UTC)
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Kohl: Johann Georg K., bedeutender Reiseschriftsteller und Geograph, wurde am 28. April 1808 in Bremen dem Weinhändler P. Kohl geboren. Schon während seiner Schuljahre erwachte in ihm ein ungezügelter Reise- und Wandertrieb und trat seine Anlage und Neigung für geographische und topographische Beschreibung hervor. Den Grund zu diesem Reise- und Wandertrieb haben wir, wie K. selbst schreibt, theils in seiner Individualität, theils in seiner Nationalität und zum größten Theil in seiner Erziehung und seiner ersten Umgebung zu suchen. Der Mann, der Kohl’s ersten Unterricht leitete, war selbst in Nordamerika und in Westindien gewesen; ein alter Verwandter, der in Kohl’s Elternhaus lebte, in Ostindien; einige seiner Vettern, die in seinem Elternhaus aus- und eingingen, in verschiedenen anderen Welttheilen. Nach Absolvirung [426] des Bremer Gymnasiums widmete sich K. 1828 in Göttingen ein Jahr dem juristischen Studium, hörte daneben aber auch eine ethnographische Vorlesung seines berühmten Landsmannes Heeren, die technologischen Vorträge von Hausmann und Mathematik bei Thibaut. Von Göttingen ging er nach Heidelberg, das er bereits nach einem Semester mit München vertauschte. In München verweilte K. nach seinen eigenen Worten „nicht sowohl des guten Bieres oder der Universität oder der Professoren wegen, die ihn hier wenig ansprachen, sondern der Nähe der Alpen und der Anwesenheit der vielen Künstler wegen gern anderthalb Jahre.“ Der Tod seines Vaters zwang ihn seine Studien abzubrechen. Er ging 1830 als Hauslehrer und Erzieher nach Kurland, wo er zuerst in der Familie des Barons von Manteuffel, dann in der des Grafen Medem sechs Jahre thätig war und eine anregende, geistig ihn fördernde Zeit verlebte. Die ersten Erzeugnisse seiner litterarischen Thätigkeit rühren aus jener Zeit; es sind dies drei kleine Schriften: „Deutschen Mundes Laute“ (1833); „Beiträge zur Urgeschichte einiger Erfindungen“ (1834) und „Kindergeschichten und Nichtgeschichten“ (1834). Trotz der ungünstigen Aufnahme dieser Erstlingswerke, worüber er uns in seinem anziehenden Buche: „Aus meinen Hütten, oder Geständnisse und Träume eines deutschen Schriftstellers“ (1850), ausführlich berichtet, ließ sich K. von der Schriftstellerei nicht abschrecken. Die ersten Ersparnisse während seiner Hauslehrerthätigkeit benutzte er um Kurland in seinem ganzen Umfange zu bereisen. Das Ergebniß dieser Reisen war ein zweibändiges Werk über die „deutsch-russischen Ostseeprovinzen“, das ein rühmliches Zeugniß davon ablegt, mit wie raschem Verständniß er die russischen Zustände und die Eigenthümlichkeiten der baltischen Lande erfaßte. Es folgte dann eine Reise nach Livland, in die Hauptstadt des russischen Reiches, St. Petersburg, und in die damals noch außerordentlich unbekannten schwer zugänglichen inneren und südlichen Provinzen Rußlands. Im J. 1838 kehrte K. nach Deutschland zurück und nahm seinen festen Wohnsitz in Dresden. Hier veröffentlichte er seine in Rußland gemachten Reisebeobachtungen in den umfangreichen Schriften: „Petersburg in Bildern und Skizzen“ (1841), „Reisen in Südrußland“ (1841) und „Reisen im Inneren von Rußland und Polen“ (1841). Diese Schilderungen russischer Zustände, besonders St. Petersburgs und Südrußlands, fanden solchen Beifall, daß sie Kohl bewogen, sich ganz dem Berufe eines Reiseschriftstellers hinzugeben. K. durchwanderte nun zwei Jahrzehnte hindurch fast alle europäischen Länder und einen Theil Nordamerika’s. Die Titel von Kohl’s Reisebeschreibungen, die so rasch den Reisen selbst folgten, daß die Worte; „veni, vidi, scripsi“ auf ihn passen, geben das Verzeichniß seiner Wanderungen: wir führen nur die wichtigsten an: „Hundert Tage auf Reisen in den österreichischen Staaten“ (1842); „Reisen in Ungarn“ (1842); „Reisen in Irland“ (1843); „Reisen in Schottland“ (1844); „Reisen in England und Wales“ (1844); „Land und Leute der britischen Inseln“ (1844); „Paris und die Franzosen“ (1845); „Englische Skizzen“ herausgegeben in Gemeinschaft mit seiner Schwester Ida Kohl, nachmals verheirathet mit einem jüngeren Bruder des Grafen Wolf Baudissin (1845); „Reisen in Dänemark und den Herzogthümern Schleswig und Holstein“ (1846); „Marschen und Inseln der Herzogthümer Schleswig und Holstein“ (1846); „Bemerkungen über die Verhältnisse der deutschen und dänischen Nationalität und Sprache im Herzogthum Schleswig“ (1847); die zuletzt genannten Schriften erregten seiner Zeit bei dem jenseits der Elbe entbrannten Nationalitätskampfe allgemeine Aufmerksamkeit. In den folgenden Jahren schlossen sich dann noch an: „Alpenreisen“ (1849 bis 1851); „Naturansichten aus den Alpen“ (1851); „Reisen in den Niederlanden“ (1850) u.s.w. Arbeiten wie „Der Rhein“ (1851) und „Die Donau von ihrem Ursprunge bis Pest“ (1853) zeigen, daß K. bemüht war über die Reiseschriftstellerei [427] hinaus den Zusammenhang historischer und geographischer Erscheinungen zu erfassen. Nachdem K. vom December 1853 längere Zeit in Berlin, wo er mit Karl Ritter in näheren Verkehr trat, dann in Paris und London verweilt hatte, schiffte er sich October 1854 nach den Vereinigten Staaten ein, wo er vier Jahre verblieb. Besonders interessirte K. die Entdeckungsgeschichte der Neuen Welt, und mit einem für den einzelnen Mann ungeheuren Aufwand an Zeit, Mühe und Geld legte er eine umfassende, überaus werthvolle Sammlung aller auf die Entdeckung und den Fortschritt der geographischen Kenntnisse Amerika’s bezüglichen Land- und Seefahrten an. Ein große Reihe werthvoller Arbeiten Kohl’s beziehen sich auf die Entdeckungsgeschichte dieses Erdtheils, so „Kritische Erläuterungen zu den beiden älteren Generalkarten von Amerika aus den Jahren 1527 und 1529“; die „Geschichte der Entdeckung Amerika’s von Columbus bis Franklin“, weiter die im Auftrage der U. S. Court Survey Office abgefaßte „History of the East Coast of Northamerica particulary the Coast of Maine“. With 22 maps (1869) und eine „Geschichte des Golfstromes und seiner Erforschung“ (1868). Die letzte größere Arbeit war eine „Geschichte der Entdeckungsreisen und Schiffahrten zur Magellan-Straße“ (mit 8 Karten 1877). Eine „Geschichte der Entdeckungsreisen zur Auffindung der nordwestlichen Durchfahrt“ ist im Manuscript fertig und wartet nur der Veröffentlichung. Im Jahre 1858 kehrte K. von Amerika nach Deutschland zurück und ließ sich nach einer dreißigjährigen Abwesenheit in seiner Vaterstadt Bremen nieder. Im October 1863 zum Stadtbibliothekar ernannt, ließ er sich mit allem Ernst und größter Treue angelegen sein für die musterhafte Katalogisirung und stete Vermehrung dieses für die litterarischen Interessen einer Stadt so wichtigen Institutes zu sorgen. Bremens Vorzeit und Gegenwart boten dem unermüdlichen Schriftsteller Anlaß zu einer Reihe culturhistorischer Studien. Drei Arbeiten Kohl’s sind im „Bremischen Jahrbuch“ erschienen, der zweite Band der von der historischen Gesellschaft in Bremen herausgegebenen „Denkmale der Geschichte und Kunst der Stadt Bremen“ ist ganz von ihm bearbeitet. Auch durch sonstige Arbeiten: „Der Bremer Rathskeller“ (1866), „Die Geschichte des Hauses Seefahrt“ hat er das Interesse für Bremische Geschichte in weiten Kreisen geweckt und genährt. Von Kohl’s geographischen Schriften sind noch zu erwähnen: „Nordwestdeutsche Skizzen“ (1864), „Die Völker Europas“, „Die natürlichen Lockmittel des Völkerverkehrs“ (1877) und besonders das bereits aus dem J. 1841 stammende Werk: „Der Verkehr und die Ansiedelungen der Menschen in ihrer Abhängigkeit von der Gestalt der Erdoberfläche“ und das 1874 erschienene „Die geographische Lage der Hauptstädte Europas“. Diese beiden zuletzt genannten Schriften Kohl’s haben vielfach anregend gewirkt und hat durch diese K. recht eigentlich die Lehre von der Naturbedingtheit der städtischen Ansiedelungen geschaffen. K. war außerdem während des letzten Abschnitts seines vielbewegten Lebens ein fleißiger Mitarbeiter vieler der angesehensten deutschen Zeitungen und Zeitschriften. K. war kein Gelehrter im pedantischen Sinne des Wortes, kein Specialist, der seine Studien auf ein scharf abgegrenztes Wissensgebiet beschränkte. Er schreibt selbst darüber: „Meine Ohren hatten schon frühzeitig das Wort „Polyhistor“ aufgefangen, und ich hörte mit Entzücken von Menschen, die es versucht hätten, den Umfang des ganzen menschlichen Wissens zu erschöpfen. Obgleich ich bald einsah, daß dies zu dieser Zeit nicht mehr möglich war, so hörte ich doch nicht auf, dem Phantome, das mir vorschwebte, nachzujagen. Denn ich habe mich nie mit einer einzigen Muse so einleben können, daß ich alles, was zu ihrem Fache nicht gehörte, schlechtweg für Allotria erklärt hätte.“ An Anerkennung hat es K. nicht gefehlt. Eine deutsche (Königsberg) und eine amerikanische Universität verliehen ihm honoris causa die Doctorwürde; er war [428] correspondirendes oder Ehrenmitglied zahlreicher wissenschaftlicher Vereine. – K. war nicht verheirathet, aber doch war ihm ein echt häuslicher Familiensinn eigen, den er im Verkehr mit seinen Geschwistern und deren Kindern aufs liebreichste bethätigte. – Ein Rückenmarksleiden erschwerte K. in den letzten Jahren das Gehen sehr; nur Kopf, Hand und Auge ließen ihn bis kurz vor seinem Tode nicht im Stich. In der Frühe des 28. Octbr. 1878 verschied er sanft.

Aus meinen Hütten, oder Geständnisse und Träume eines deutschen Schriftstellers von J. G. K. (1850). Aus allen Welttheilen, 5. Heft 1879; Weserzeitung vom 13. Februar 1879; Weber’s Illustrierte Zeitung, Nr. 1848, 1879; Beilage d. Augsb. Allg. Ztg. Nr. 190, 1879; Archiv für Post und Telegraphie 1879; Arendts’ deutsche Rundschau für Geographie und Statistik, Februarheft 1879; Massachusetts Historical Society, Dec. 1878.