ADB:Pratje, Johann Hinrich (Historiker)

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Artikel „Pratje, Johann Hinrich“ von Karl Ernst Hermann Krause in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 26 (1888), S. 510–512, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Pratje,_Johann_Hinrich_(Historiker)&oldid=- (Version vom 2. November 2024, 13:20 Uhr UTC)
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Pratje: D. Johann Hinrich P., † am 1. Februar 1791 als Generalsuperintendent der Herzogthümer Bremen und Verden (d. h. des jetzigen Regierungsbezirks Stade), war 1710 in Horneburg bei Stade aus niederem Stande geboren, wurde 1734 in seinem Heimathsorte zweiter Prediger und 1743 zweiter Pastor zu St. Wilhadi und zugleich „Etatsprediger“ in Stade; 1745 rückte er in das Hauptpastorat ein. Hier erkannte der hannoversche Geheimrath Philipp Adolph v. Münchhausen seine wissenschaftliche und verwaltungsamtliche Tüchtigkeit und beförderte ihn in rascher Folge 1746 zum Consistorialrath und 1749, nach dem Tode von Lucas Bacmeister (2. December 1748) zum Generalsuperintendenten; er trat sein Amt, dem er bis zum Tode vorstand, 1750 an. Ein körperlich und geistig durchweg gesunder Mann, arbeitstüchtig und arbeitslustig bis zum Ende, klaren Verstandes und praktischen Blickes, ausgerüstet mit umfänglichem theologischen und philologischen Wissen, vollständig bekannt mit den geistlichen Bedürfnissen seiner Provinz in Kirche und Schule, aber auch mit der Lebenslage seiner Gemeinden hat er überall tiefe Spuren segensreichen Wirkens hinterlassen. Vermittelnd und bessernd, mehr mahnend als strafend griff er mit humaner Hand, eher zu gelinde als zu hart, überall ein; in seine z. Th. wenig gebildete, vom Aberglauben überwucherte Geistlichkeit, in das bei Bacmeisters Kränklichkeit herabgekommene Synodalwesen, in die höchst ungenügenden Gehaltsverhältnisse der Prediger und namentlich in das Volksschulwesen. Dieses lag arg darnieder; das Lehrermaterial, mit dem er zu thun hatte, bestand größtentheils aus früheren Bedienten, pensionirten Soldaten und Handwerkern, deren Geschäft [511] nicht gegangen war. Sie hatten selten nur die vorhergehende Einübung durch einen älteren Lehrer genossen. Hier griff P. durch die „Schulordnung für die Landschulen“ vom 10. Februar 1752 ernergisch ein; aber erst sein späterer College im Consistorium, der Consistorialrath und Garnisonsprediger Albrecht Anton Watermeyer (seit 1778, † 1809) begann mit gründlicher Besserung durch Errichtung eines Lehrerseminars, einer Privatanstalt, in der er unentgeltlich eine Anzahl junger Leute vorbildete. In seinem Glauben stand P. auf dem orthodoxen Boden vom Anfange des 18. Jahrhunderts, aber er neigte der Nicolaischen Aufklärung immer mehr zu und machte sich selber den Glauben zum Gegenstande des Verstandes; ein Freund tadelt in einem Nachrufe, daß er für den Prediger mehr die Orthodoxie als die Fähigkeit Morallehre zu treiben gefordert habe. Jedenfalls war er duldsam im höchsten Grade. Dennoch legte die kurfürstliche Regierung in Hannover seinen Entwurf einer Kirchenordnung 1788 als zu orthodox zu den Acten, „weil sie in gegenwärtigen Zeiten weder rathsam noch nothwendig sei“. Dagegen wurde seine langjährige und mühsame Arbeit „das Gesang- und Gebetbuch für die Herzogthümer Bremen und Verden“ am 10. December 1788 auf Veranlassung der Regierung und mit Genehmigung der Stände eingeführt; ein seinerzeit hochgepriesenes, nachher als rationalistisch von den Eiferern unter König Georg V. mit Füßen getretenes Werk. Es hat allerdings in Umänderung, auch Verwässerung alter Lieder sein Möglichstes geleistet. Von P. selbst sind 29 Gesänge aufgenommen; sie sind trocken, in Verse gegossene Prosa ohne allen Schwung. Auf dem Gebiete der praktischen Theologie war P. ein eifriger Schriftsteller, mehr noch auf provinzial-geschichtlichem. Hier war er ein unermüdlicher litterarischer Sammler und hat dadurch der heutigen Wissenschaft eine Menge sonst wahrscheinlich zerstörten Materiales gerettet. Seine Kritik war ohne Voreingenommenheit und scharf und unterscheidet sich daher äußerst vortheilhaft vor der Masse der Localforschung, wenngleich sie natürlich nicht auf heutigem Boden steht. Ein „Neues theologisches Magazin“ begann er 1766; ein „Liturgisches Archiv“ erschien von ihm 1786–88 in 5 Bänden, „Einführungsreden“ in 2 Bändchen, eine „Bremen-Verden’sche Schulgeschichte“, ebensolche „Katechismusgeschichte“ und eine „Religionsgeschichte“ der Herzogthümer. Zum Theil kamen diese Sachen allmählich als Begleitworte seiner Synodalausschreiben heraus und waren darauf berechnet, der Instruction seiner Prediger zu dienen; so auch die „Stadesche“, die „Buxtehudische Schulgeschichte“ und die Geschichte der „Bremer Domschule und des Athenäi“. Eine Reihe Zeitschriften hat er Jahrelang in fast beständiger Folge herausgegeben, die z. Th. zur Aufnahme wissenschaftlicher Arbeiten den Geistlichen der Provinz dienen sollten; so die 4 Bände der „Bremen-Verdenschen Bemühungen in Predigten“ (1763), die „Predigten nach dem Vorbilde der heilsamen Lehre“ (1776), die 3 Bände „Bremen- und Verden’sches Hebopfer“, die 4 Bände „Br.- und Verd. Bibliothek“. Während schon diese beiden letzten Sammlungen immer mehr historische Arbeiten brachten, sind die „Herzogthümer Bremen und Verden, 1.-6. Sammlung“ (1757–62), und die 12 Bände „Altes und Neues aus den Herzogthümern Br. u. V.“ (1769–81), geradezu ein Magazin für Local- und Personalforschung geworden. In Nicolai’s „Allgemeiner deutscher Bibliothek“ freilich wurden diese Veröffentlichungen einer sehr absprechenden Kritik unterzogen, und es scheint, daß P. es darum aufgab, seine reichen Sammlungen weiter im Druck bekannt zu geben. Trotzdem wurden jene Schriften im Bereich der Provinz und für alle, die sich mit deren Geschichte, Verwaltung und Recht zu beschäftigen hatten, bald unentbehrlich und sind es noch heute. Eine nicht immer glückliche Auslese aus diesen Zeitschriften ließ der Stader „Vaterländische Verein“ unter dem Titel Joh. Hinr. Pratje’s „Vermischte historische Sammlungen“ 1842 in [512] 3 Bänden erscheinen, welche oft fälschlich als von P. selbst herausgegeben angeführt werden. 1753 hatte P. in Hamburg (Brandt) auch „Historische Nachrichten von Joh. Chr. Edelmanns, eines berüchtigten Religionsspötters Leben, Schriften und Lehrbegriff“ herausgegeben, womit er sich an dem Swedenborgianerstreite betheiligte. Auch kleine, in die Landwirthschaft einschlagende Aufsätze schrieb er, wie eine große Zahl anderer Abhandlungen; auch Predigten und Reden erschienen in Einzeldrucken, über die P. selbst gelegentlich in seinen Werken Uebersichten gab; so „Herzogt. Br. und Verden“ 6, Reg. IV., „Altes und Neues“ 9, S. 54, 254, 358 f. Dagegen ist die von P. unter seinem Namen herausgegebene „Verdensche Schulgeschichte“ vom Landrath und Syndicus Christian Gustav Rehboom in Verden verfaßt, der aber seinen Namen nicht genannt wissen wollte. P. war verheirathet mit Anna Gerdrut, Tochter des Landrats und Bürgermeisters Henken zu Buxtehude; von den Söhnen hieß der älteste Johann Hinrich P. (s. u.); der jüngere, Hinrich Wilhelm P., war Postschreiber in Hannover, dann seit 1769 Postverwalter in Stade, † am 2. März 1771. Noch als Achtundsiebziger verheirathete sich P. zum zweiten Male am 3. Juli 1788 mit der 63 Jahre alten verwittweten Landrentmeister Abbenseth, Sophie Juliane, geb. Plate († Juli 1796). Zu Pratje’s fünfzigjährigem Kirchendienstjubiläum am 14. April 1784, hatten die Pastoren und Lehrer seines Sprengels eine jetzt sehr selten gewordene Denkmünze prägen lassen, welche das Brustbild des Jubilars zeigt. Ein Exemplar befindet sich im Stader Museum.

S. (H. Schlichthorst), Nachrichten von dem Leben, Charakter und Schriften des Gen.-Sup. Pratje, Stade 1791. 8. – H. Schlichthorst, Beyträge etc. 2, S. 320 und 337. – Annalen der Braunschweig-Lüneburgischen Churlande VIII. (1794), Stück 2 S. 226–236. – D. Friedr. Koester, Geschichte des königl. Consist. der Herzogthümer Bremen und Verden (Stade 1852) S. 40 bis 48. – Ueber Rehboom s. Ch. G. Pfannkuche, Aeltere Geschichte des vorm. Bisth. Verden S. XXII. Anm. 23.