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Artikel „Philipp der Schöne“ von Wilhelm Maurenbrecher in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 25 (1887), S. 754–757, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Philipp_der_Sch%C3%B6ne&oldid=- (Version vom 21. Dezember 2024, 13:18 Uhr UTC)
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Philipp der Schöne, Erzherzog von Oesterreich, König von Castilien. P. war der Sohn des Erzherzogs Maximilian von Oesterreich (sp. deutschen Kaisers Max I.) und der Maria von Burgund, geboren am 22. Juli 1478 in Brügge. Nach dem frühen Tode seiner Mutter (27. März 1482) ging die Erbschaft der burgundischen Niederlande auf den dreijährigen Knaben über; für den Sohn unternahm es der Vater, Maximilian, die Vormundschaft und Regentschaft zu führen. Aber Gent und andere Städte und Stände fügten sich nicht; der feindselige Einfluß Frankreichs stärkte diese Opposition. Erst nach langem Ringen gelang es Max, den von ständischer Seite gebildeten Regentschaftsrath zu überwinden und seine Anerkennung als Vormund des Landesherrn durchzusetzen (1485), dann ließ er den Sohn in Mecheln Wohnung nehmen und übertrug seine Erziehung der Aufsicht der alten Herzogin Margarethe von York, der Wittwe Karls des Kühnen. Wechselvoll war das Geschick der vormundschaftlichen Regierung, die sich zwischen den Angriffen der Franzosen und der Opposition der Niederländer in eine böse Lage eingeklemmt fand. Friedensschlüsse wechselten mit Kriegserhebungen ab; die Stadt Brügge hielt einmal Monate hindurch den Regenten Max in ihren Mauern gefangen. Zuletzt kam Max auf den Gedanken, den Sohn schon sehr frühzeitig für großjährig erklären zu lassen und damit einen Schein selbständiger Regierung und eigener Politik den Niederlanden zu gewähren. Dem Fünfzehnjährigen wurde darauf im Laufe des Jahres 1494 von den verschiedenen Provinzen gehuldigt. Der neue Herrscher knüpfte in seiner Regierung an die Traditionen seines Großvaters Karl des Kühnen an; er bestätigte das seiner Mutter abgerungene sog. Große Privilegium der Stände nicht; er stellte den höchsten Gerichtshof, die höchste Landesbehörde in dem Großen Rathe wieder her, dem er Mecheln als Sitz anwies. Sehr erwünscht und förderlich war der Handelsvertrag, welchen P. am 12. Februar 1496 für seine Niederlande mit England abschloß; er gewährte dem niederländischen Handel ansehnliche Vortheile. Die kurze Regierungszeit ist im ganzen ruhig, ohne erhebliche Störungen oder Anstöße verlaufen; ihre eigentliche Bedeutung für die allgemeine Geschichte beruht darin, daß sie den Grund gelegt zu dem Verhältnisse zwischen Habsburg und Spanien, welches dem nächsten Jahrhundert seinen historischen Charakter aufgeprägt hat. Der Gegensatz zwischen der französischen Macht und den Bestrebungen des Hauses Habsburg, wie Max I. sie verfolgte, hatte zu der Absicht einer engen Familienverbindung der Habsburger mit Spanien geführt: eine Doppelehe sollte dem politischen Bündniß der Mächte gegen Frankreich den festesten Kitt verleihen: P. sollte eine spanische Prinzessin, die zweite am 6. November 1479 geborene Tochter Ferdinands und Isabella’s Johanna (Juana la loca), der spanische Kronprinz sollte Philipp’s Schwester Margaretha heirathen. So wurde in dem Vertrag vom 5. November 1495 festgesetzt. Im August 1496 verließ die spanische Braut ihre Heimath, [755] am 21. October fand die Hochzeit statt. Darauf ging auch im Februar 1497 Margaretha nach Spanien; aber sehr schnell wurde sie Wittwe. Die spanische Ehe des niederländischen Fürsten trug noch ganz andere Früchte, als man von ihr gefordert. In Spanien war schon im October 1497 der Kronprinz Juan gestorben, auch Margarethe’s Söhnchen hatte nur wenige Stunden gelebt: die älteste Tochter der spanischen Könige, die mit dem Könige von Portugal verheirathet, starb bald nach der Geburt eines Knaben, dem nur einige Monate Lebensfrist gegönnt waren: an Johanna kam daher schon im Sommer 1500 der Anspruch, Erbin der spanischen Länder dereinst zu werden. Diese Aussicht der spanischen Erbschaft wurde seitdem der bestimmende Gesichtspunkt für alle Schritte des niederländischen Herrscherpaares; diese Hoffnung erfüllte vollständig ihr Denken. Es galt zunächst, sich in Spanien vorzustellen; sobald Johanna’s Zustand nach ihrem dritten Wochenbett es gestattete, machte man sich auf den Weg. Zu seinem Vertreter bestellte P. den Grafen Engelbert von Nassau. Die Erzherzoge verließen am 4. November 1501 Brüssel; sie reisten durch Frankreich, wo ihnen König Ludwig XII. glänzende Feste gab; im Mai 1502 langten sie in Spanien an; sie empfingen am 22. Mai in Toledo und am 27. October in Barcellona die Huldigung als Erben der Kronen Castilien und Aragon. Im Winter aber verlangte P. heimzukehren; da seine Frau wegen ihrer erneuerten Schwangerschaft ihn nicht begleiten konnte, ließ er sie bei den Eltern zurück, obwohl sie heftig sich gegen diese Trennung sträubte. Das Verhältniß der Gatten hatte schon eine eigenthümliche Färbung angenommen. Von leidenschaftlicher Liebe und Zärtlichkeit war Johanna erfüllt, in einem solchen Grade, daß ihr Benehmen oft an Wahnsinn grenzte. Spuren geistiger Störung traten schon damals an den Tag und nahmen seitdem in immer bedenklicherer Weise zu. P. dagegen war ein sehr schöner Mann, der auch anderen Weibern als der eigenen Gattin gefiel und allerlei Liebesabenteuer aufzusuchen nicht verschmähte; sein Leichtsinn entfachte in der Gattin Ausbrüche rasender Eifersucht. P. machte seine Rückreise aus Spanien 1503 durch den Süden von Frankreich, dann durch Tirol und Oberdeutschland; erst im November 1503 war er wieder daheim in den Niederlanden. Im Frühjahr 1504 beeilte seine Gattin sich, ihn dort wieder aufzusuchen. Im Herbst 1504 rüstete P. einen neuen Kriegszug gegen Geldern, dessen Herzog Karl von Egmond der gefährlichste Nachbar und unermüdlichste Ruhestörer der Niederlande war; er brachte im Juli 1505 eine scheinbare Unterwerfung desselben zu stande; aber gesichert waren diese Verhältnisse noch keinswegs. P. wurde damals durch seine spanischen Absichten von der niederländischen Aufgabe abgerufen.

Königin Isabella von Castilien war am 26. November 1504 gestorben; nun mußte Castiliens Krone an die Gemahlin Philipp’s fallen. Zwar hatte die alte Königin vor ihrem Tode noch angeordnet, daß während der Abwesenheit Johanna’s und für den Fall einer Verhinderung derselben – daß die geistige Störung ihre Tochter zur Regierung unfähig machen würde, stand für Isabella fest – König Ferdinand wie bisher die Regierung weiterführen sollte. Ferdinand selbst war bereit, die Regierungsweise, die den spanischen Staat ins Leben gerufen, fortzusetzen; er behielt die Zügel in der Hand. Aber auf eine solche Abtretung oder Theilung der Gewalt ließ P. sich nicht ein; er betrachtete sich selbst als den natürlichen Vormund oder Vertreter, jedenfalls als den nicht abzuweisenden Mitregenten seiner Frau. Er hatte schon 1502 in Castilien allerlei Beziehungen angeknüpft, insbesondere zu jenen Großen, welche mit Ferdinands Regiment zerfallen waren. Ihm war in den Niederlanden einer der Politiker aus Ferdinands Schule, Don Juan Manuel, der als spanischer Gesandter bei [756] Kaiser Maximilian gewesen und als solcher auch P. kennen gelernt, nahe getreten; nachdem derselbe mit Ferdinand völlig gebrochen hatte, arbeitete er auf Ferdinands Sturz mit allen Mitteln hin. Es begann ein eifriges Spiel diplomatischer und politischer Intriguen um die Herrschaft über Castilien; der Landesadel war in eine habsburgische und eine ferdinandeische Partei gespalten; die Gegenstellung der europäischen Mächte wurde in diesen Zwist hineingezogen. Anfangs behauptete trotz aller Wühlereien der niederländischen Agenten in Castilien Ferdinand sich im Besitz der Macht; dann schloß er mit dem Vertreter seines Schwiegersohnes in Salamanca am 24. November 1505 einen Vergleich dahin ab, daß die Regierung über Castilien gemeinschaftlich von Johanna, Philipp und Ferdinand geführt werden sollte; daß dem erfahrenen Staatsmann dabei die Entscheidung zufallen mußte, schien selbstverständlich. Darauf erst machten sich die niederländischen Herrscher selbst auf den Weg; sie waren Monatelang durch die wiederholte Schwangerschaft, dann durch die fünfte Entbindung der Königin in den Niederlanden zurückgehalten. Erst am 10. Januar 1506 stachen sie von Middelburg aus in See, nachdem P. zum Generalstatthalter Wilhelm von Croy, Herzog von Chievres, bestellt. Die Reise ging nicht ohne Hindernisse vor sich. Widriger Wind verschlug die Schiffe an die englische Küste. Heinrich VII. empfing zwar höflich und gastlich den Herrscher der Niederlande, mit dem er schon 1500 einmal in Calais eine Begegnung gehabt hatte; aber nicht ohne Zugeständnisse an die englischen Handelsinteressen ließ er ihn wieder abziehen. Die Gastfreundschaft sah bisweilen wie eine Art Gefangenschaft aus. Erst am 26. April gelangte P. mit seinem Gefolge nach La Coruña. Nun traten aus den Reihen des castilischen Adels immer mehr Personen auf seine Seite: der habsburgische Anhang wuchs zusehends: freigebig wurden die Gaben königlicher Gunst den Anhängern gespendet ohne jede Rücksicht auf das bleibende Interesse des Landes oder die Dauerhaftigkeit des neuen Zustandes. Schamlose und regellose Vergeudung einerseits und harte beutegierige Erpressung andererseits charakterisiren den Einfall der niederländischen Abenteurer auf spanischen Boden. Und doch sah Ferdinand sich zu einem Verzicht auf seine Stellung in Castilien genöthigt; im Vertrag von Villafafila am 27. Juni 1506 räumte er P. unbedingt die Regentschaft über Castilien ein. Mit abwartender List zog er zunächst überhaupt aus Spanien weg; er glaubte sich keineswegs an den Vertrag gebunden zu halten, aber er ließ für den Augenblick P. gewähren. Unordnungen und Unruhen erwartete er demnächst ausbrechen zu sehen, die ihm den Anlaß zur Rückkehr und Einmischung wiederum verschaffen sollten. So weit kam es nicht. P. selbst erkrankte plötzlich am 19. September an einem heftigen Fieber, das im Lande herrschte; schon am 25. September erlag er der Krankheit – im Alter von 28 Jahren. Wenn die Niederländer von Gift gesprochen, als der Ursache seines Todes, so liegt doch gar nichts vor, derartigen Verdacht zu begründen; die sinnlichen Ausschweifungen, in denen er seine Tage verlebte, erklären vollständig den Tod an einem durch Ansteckung hervorgerufenen Fieber. Wenig rühmlich ist das Andenken, das P. in Spanien und den Niederlanden hinterlassen; seine einzige Bedeutung beruht darin, daß er der Vater Karls V. gewesen. In der Ehe hatte ihm übrigens die Spanierin sechs Kinder geboren: 1) Leonor, geb. am 30. November 1498 in Brüssel, 2) Karl, geb. in Gent am 24. Februar 1500, 3) Isabella, geb. in Brüssel am 27. Juli 1501, 4) Ferdinand, geb. in Alcala am 10. März 1503, 5) Marie, in Brüssel geb. am 13. September 1505 und 6) Katharina, nach dem Tode des Vaters geboren in Torquemada am 14. Februar 1507. – Die Königin Johanna ist nach dem Tode ihres Gatten mehr und mehr der Nacht des Wahnsinnes verfallen. Ihr Name blieb an der Spitze aller officiellen Regierungsacte stehen, auch in der [757] Zeit, in der ihr Sohn Karl schon die Krone trug. Erst am 12. April 1555 wurde sie aus diesem Leben erlöst.

Ueber Philipp’s niederländ. Regierung geben die gleichzeitigen Autoren Aufschluß: Molinet, Chronique und Macquerau, Traité de la Maison de Bourgogne; auf ihnen beruht Heuterus, Rer. belg. historia (1598). – Lalaing, Voyage de Phil. le Bel en Espagne und Deuxième Voyage de Phil. – beides in Gachard, Voyage de Souverains des Pays-bas I. (1876). – Ueber die spanischen Ereignisse, in die Philipp verwickelt vgl. die gleichzeitigen Berichte von Petrus Martyr, Carvajal, Alcocer, Padilla, Vernaldes und die etwas jüngeren Darstellungen von Gomez und Zurita. Auch die Relation des Venetianers Quirini von 1506 ist sehr lehrreich. Actenstücke in Chmel, Urk. z. G. Max. I. (1845), in Leglay, Negociations diplomatique (1845), in Bergenroth, Spanish Calendar. Supplement (1868). – von neueren Darstellungen genügt es auf Prescott und Hefele, Henne und Wenzelburger zu verweisen. Vgl. auch Häbler, Streit Ferdinands des Kathol. und Philipp I. (Leipzig, Diss. 1882).