ADB:Maria (Königin von Ungarn und Böhmen)

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Artikel „Maria, Königin von Böhmen und Ungarn“ von Wilhelm Maurenbrecher in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 20 (1884), S. 374–378, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Maria_(K%C3%B6nigin_von_Ungarn_und_B%C3%B6hmen)&oldid=- (Version vom 7. Oktober 2024, 20:16 Uhr UTC)
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Maria, Königin von Böhmen und Ungarn, war eine Tochter des Erzherzogs Philipp von Oesterreich, des Herrschers der Niederlande, und seiner spanischen Gemahlin Juana der Wahnsinnigen, eine Schwester also der Kaiser Karl V. (vgl. XV, 169) und Ferdinand I. (vgl. VI, 632); sie war in Brüssel [375] am 13. Septbr. 1505 geboren und wurde dort und in Löwen unter der obersten Aufsicht ihrer Tante, der Erzherzogin Margarethe einige Jahre hindurch mit ihren Schwestern Leonor und Isabella erzogen. Nach dem Tode ihres Vaters (25. Septbr. 1506) war die Mutter in Spanien geblieben. Die Sorge um die Zukunft der in den Niederlanden geborenen und dort belassenen Sprossen seines Sohnes übernahm Kaiser Maximilian; er hatte auch schon über die Hand der kleinen Enkelin verfügt, als sie noch in der Wiege lag, indem er sie dem noch gar nicht geborenen Sohne des Königs Wladislaw von Böhmen und Ungarn am 20. März 1506 zusprach. Ludwig, Maria’s zukünftiger Gemahl, erblickte erst am 1. Juli das Licht der Welt. Einige Jahre später ließ der Großvater M. nach Wien bringen, ihre Erziehung und Ausbildung zu vollenden. Die frühere Verlobung wurde auf dem Fürstencongreß in Wien, zu dem Kaiser Maximilian und die Könige von Böhmen-Ungarn und Polen zusammengekommen, am 20. Mai 1515 feierlich bestätigt; ja es wurde eine zweite Verlobung zwischen des jungen Ludwig Schwester Anna und Einem der kaiserlichen Enkel hinzugefügt, das Band zwischen Oesterreich und den östlichen Nachbarländern möglichst eng und fest zu schlingen. 1516 trat Ludwig, noch ein Knabe, aber frühreifen Wesens, die Regierung an; 1521 kam seine Braut zu ihm; am 11. Dec. 1521 wurde sie zur Königin gekrönt und am 13. Jan. 1522 die Ehe vollzogen. Die jungen Eheleute hatten herzliche Zuneigung und Liebe zueinander gefaßt; so war es für M. ein schwerer Schlag, daß im Türkenkrieg ihr Gemahl, König Ludwig, bei Mohacs am 29. August 1526 eine schwere Niederlage erlitt und selbst das Leben verlor. Noch nicht ganz 21 Jahre alt war sie Wittwe geworden; sie faßte den Entschluß, unvermählt zu bleiben und ihrem ersten Gemahl über das Grab hinaus die Treue zu bewahren; und energischen festen Sinnes hielt sie ihr Gelübde und wies alle Freier, die sich meldeten (unter ihnen war Pfalzgraf Friedrich, der auch um die Liebe der älteren Schwester Maria’s, Leonor, so hitzig geworben, eine etwas eigenthümliche Erscheinung) unerhört ab. Ihre Brüder Karl und Ferdinand mußten sich in den unbeugsamen Willen der Schwester finden. Das Verhältniß zwischen ihr und Ferdinand war übrigens ein recht inniges; sie hatte es verstanden in den Reichen ihres Gemahls eine habsburgische Partei zu sammeln; sie bot jetzt allen Einfluß auf, Ferdinands Nachfolge in beiden Kronen zu sichern; in tiefer Trauer leitete sie im December 1526 den Reichstag zu Preßburg, auf dem Ferdinand gewählt wurde; in seinem Namen führte sie für ihn die Landesverwaltung; überhaupt ihrer Arbeit verdankte Ferdinand das, was er dort 1526 und 1527 erzielte (vgl. VI. 635). Darauf verlegte sie ihre Residenz nach Oesterreich; in Linz oder in Passau verlebte sie die nächsten Jahre in stiller Zurückgezogenheit, ohne eigenen Wunsch nach neuer öffentlicher Wirksamkeit. M. war eine Erscheinung, der weibliche Reize nur in sehr geringem Grade eigneten, aber ein thatkräftiges, energisches, nie ermüdendes, auch körperlichen Anstrengungen sich leidenschaftlich hingebendes Weib; sie hatte viel Verstand und ganz entschiedene politische Begabung. Wie ihre Geschwister so war auch sie stets bereit, im Interesse der Größe des Hauses Habsburg sich dem Willen des ältesten Bruders Karl unterzuordnen und seiner Staatskunst in vollster Ergebenheit mit allen Kräften zu dienen; eine wärmere gemüthliche Färbung aber hatte ihr Verhältniß zu Karl nicht, wohl aber ihr Verkehr mit Ferdinand. In der großen geistigen und religiösen Frage ihrer Zeit war ihre Haltung eine eigenartige. Wenn man allerdings in vielen historischen Büchern von einer Art von Hinneigung Maria’s zum Protestantismus oder gar zum Lutherthum liest, so ist dafür kein Beweis erbracht worden. Alles was wir wissen, läßt vielmehr nur den Schluß zu, daß wir M. zu den großen, durch ganz Europa sich ausdehnenden Kreis der religiös empfindenden [376] humanistisch denkenden Verehrer und Anhänger des Erasmus zählen dürfen; seiner reformatorischen Richtung huldigte sie, mit ihm stand sie in Verkehr, aus seinen Schülern wählte sie mit Vorliebe sich ihre Geistlichen, Prediger und Beichtväter. Zwar hatte auch Luther 1526 ihr eine seiner exegetischen Schriften gewidmet und damit den Schein erregt, als ob sie seine Gesinnungsgenossin; aber M. lehnte mit allem Nachdruck diesen aus der Widmung hergeleiteten Schluß ab; sie betheuerte ihrem Bruder Ferdinand, der sie bei diesem Anlaß über ihre religiöse Stellung interpellirte, ihre Zugehörigkeit zur römischen Kirche, ihre unverbrüchliche Treue auf Seiten des alten Glaubens. Unter den deutschen Protestanten hielten Viele dafür, daß sie im Herzen dem „Evangelium“ geneigt; auf ihre Unterstützung und Fürsprache bei dem Kaiser und seinen Staatsmännern wagten Viele zu hoffen. Und das ist in der That begründet, daß M., wie Erasmus und die Erasmianer, die Nothwendigkeit reformatorischer Maßregeln in der Kirche ihrer Tage zugab, daß sie also allen Schritten gewaltsamer Unterdrückung reformatorischer Tendenzen abgeneigt und bis zu einem gewissen Grade – soweit eben Erasmus’ und Luther’s Absichten sich miteinander vertrugen – zu den Gönnern Luther’s gerechnet werden durfte. Erasmus huldigte der Fürstin 1529 durch sein köstliches Buch „Vidua christiana“, dessen Widmung und ganzer Inhalt die directeste Beziehung auf M. nahm; hocherfreut war sie über diese Bezeugung geistiger Übereinstimmung zwischen Erasmus und ihr selbst; aus ihrer Umgebung ist vielleicht geradezu das Büchlein bei Erasmus angeregt worden. M. erschien im Juni 1530 auf dem Reichstag in Augsburg; sie gehörte dort zu denjenigen, denen eine Annäherung des Kaisers zu den Protestanten am Herzen lag, die sich für einen Ausgleich der kirchlichen Gegensätze ernstlich interessirten. Durch ihren Prediger ließ sie sich von protestantischer Seite über manche Frage Aufklärung verschaffen; sie lud sogar Protestanten zu sich ein, sie versuchte wiederholt einzelne Personen zu gegenseitiger Annäherung zu bewegen. Dabei aber entsprach es durchaus ihrer ganzen Stellung, daß sie gleichzeitig ihren kaiserlichen Bruder Karl aufrichtig und eindringlich ihrer katholischen Gesinnung versicherte. Karl klopfte im Gespräch mit ihr schon einmal an, ob sie – wenn er ihrer demnächst bedürfen würde – eine große verantwortliche Stellung in seinem Dienst übernehmen wollte; sie wies damals alles zurück und verlangte vielmehr nach Spanien gehen zu dürfen, in der Stille sich dort ausschließlich der Pflege ihrer geisteskranken Mutter zu widmen. Bei jener eventuellen Anfrage hatte Karl die aller Wahrscheinlichkeit nach bald zur Erledigung gelangende Statthalterschaft über die Niederlande im Auge. Erzherzogin Margaretha starb in der That schon am 1. December 1530 und sofort wurde ihr Posten der Königin M. übergeben, die jetzt auch kein erhebliches Sträuben mehr entgegensetzte. Am 14. März 1531 begrüßte Karl in Löwen seine Schwester, die ihren bisherigen Hofstaat und Beichtvater auf Karls Wunsch gegen andere, niederländische Personen eintauschte. Die Geschwister verweilten mehrere Monate zusammen und besprachen die politische Lage der Niederlande miteinander: am 5. Juli stellte Karl M. als die neue Regentin den Ständen in Brüssel vor; am 27. September übernahm sie die Verwaltung, am 7. October wurden ihre Vollmachten den Ständen vorgelegt. Reiflich durchdacht war die Neuordnung der niederländischen Zentralverwaltung. Auf größere Einheitlichkeit und Gemeinsamkeit der sehr verschiedenen Landestheile, aus denen Karls Besitz zusammengewachsen war, hatte sich die Absicht des Kaisers gerichtet; grade diesen Gesichtspunkt faßte auch M. mit Geschick und Glück ganz besonders ins Auge.

24 Jahre lang hat M. an der Spitze der Niederlande gestanden, als Vertreterin der universalen Politik ihres Bruders immer bemüht die speciellen Interessen der Niederlande bei Karl zur Geltung zu bringen und [377] andererseits in den Niederlanden selbst Macht und Gewalt der Regierung gegenüber den ständischen Elementen unter schonender Berücksichtigung ständischer Formen allmählich und unausgesetzt zu erhöhen und zu steigern. Eine glänzende Periode niederländischer Geschichte darf man diese Zeit nennen, an welche spätere Generationen mit Stolz und Freude sich zu erinnern pflegten. Und in allem Wesentlichen gebührt M. und ihrer Regentenweisheit das Verdienst an der allgemeinen Blüthe und dem allseitigen Aufschwung der ihr anvertrauten Provinzen. Die Organisation der niederländischen Verwaltung von 1531 hatte der Regentin den Staatsrath zur Seite gestellt, der die allgemeinen Angelegenheiten, militärische und diplomatische Dinge, Krieg und Frieden zugewiesen erhielt und für die Verwaltungsämter Vorschläge zu machen hatte. M. gelang es der Regel nach ohne Befragen des Staatsrathes zu regieren. Daneben hatte der Geheime Rath die Aufsicht über Justiz und Polizei im Lande zu führen; dem Finanzrathe waren die Geldsachen, Domänen- und Steuerwesen zugewiesen. Mit Eifer arbeitete man daran, eine Rechtseinheit aller verschiedenen Gebiete anzubahnen; dem Gerichtshof in Mecheln als dem höchsten Tribunal wurden die anderen Gerichte untergeordnet. Die Regentin dachte an Einführung eines stehenden Heeres auf Landeskosten; am Widerspruch der Stände scheiterte der Gedanke. Sehr zurückhaltend waren die Generalstaaten mit Geldbewilligungen; sehr unlustig waren meist die Länder, für den stets neu auflodernden Krieg mit Frankreich Aufwendungen zu machen oder Mittel zu liefern. Die allgemeinen europäischen Interessen des kaiserlichen Landesherren fanden hier nur geringen Anklang.

Allbekannt ist der Widerstand, welchen Gent seit 1537 der Regierung geleistet; er führte zu offener Widersetzlichkeit hin. Das wurde der Anlaß zu Karls eiliger unerwarteter Reise durch Frankreich im Winter 1539 auf 1540. Mit zornigem Nachdruck erschien er im Februar 1540 in Gent; ein strenges Strafgericht hielt er über die Empörer; es sollte dazu dienen, überhaupt den Geist niederländischer Opposition zu brechen. Und es that die gewünschte Wirkung. Von da ab flossen reichlicher die ständischen Bewilligungen; und gehorsamer fügte man sich dem Ansinnen der Regentin. Regen Eifer entfaltete auch die niederländische Regierung auf kirchlichem Boden; es galt jede protestantische und lutherische Regung niederzuhalten, Strafgesetze gegen etwaige Ketzer aufzustellen und auszuführen. Eine Reihe solcher Edicte („Placarde“) ergingen seit 1521, 1522; besonders 1531, 1535, 1540, 1546, 1549 und 1550; eines immer strenger als das andere; die Leidenschaft der Ketzerverfolgung steigerte sich mit den Jahren. M. leistete keinen Widerstand; sie that, was Karl ihr auferlegte; sie unterschrieb alle Gesetze und Verordnungen und Befehle; höchstens daß sie in einigen Fällen durch die Finger sah, Schuldige oder Angeklagte entweichen ließ, einige Male abschwächte oder milderte. 1548 gelang es, das gegenseitige Verhältniß der Niederlande zum deutschen Reich neu zu regeln; durch den Vertrag vom 26. Juni wurde die niederländische Quote bei deutschen Reichssteuern normirt, den Niederlanden der Schutz des Reiches gesichert, sonst aber vor allen Eingriffen und Einmischungen Deutschlands die Autonomie der niederländischen Provinzen gewährleistet. Sehr wichtig war die einheitliche Festsetzung der Erbfolge in allen den verschiedenen Landesteilen, welche durch die pragmatische Sanction vom 4. Novbr. 1549 erzielt war. Und als Erbe des Kaisers huldigten alle die einzelnen Gebiete damals dem Sohne, dem spanischen Prinzen Philipp, der seine persönliche Erscheinung auf niederländischem Boden damals machte. Königin M. hatte an diesen Maßregeln lebhaften Antheil; sie berieth überhaupt die großen Fragen der Politik regelmäßig mit ihren Brüdern Karl und Ferdinand. Sowohl 1540 als 1545 übte sie auf die gewählte Richtung der allgemeinen Politik entscheidenden Einfluß aus. 1550 hatte sie, als damals [378] die Ansichten und Wünsche der Brüder getrennte Wege einschlugen, ihnen als Vermittlerin zu dienen; zweimal kam sie nach Augsburg zum Familienrath; sie bewog endlich März 1551 Ferdinand nachzugeben und den Familienpakt über die Succession, den Karl verlangte, anzunehmen. Mit Besorgniß erfüllte sie die Wendung der Dinge 1551, 1552, die von allen Seiten neue Gefahren für Karls Stellung sich erheben sah. Große Anstrengungen machte M., alles Erforderte im französischen Kriege zu leisten; unglücklich verlief dieser Krieg; die Last der Schulden erdrückte fast die Regierung in Brüssel. Wiederholt hatte M. schon verlangt zurücktreten zu dürfen; nur mühsam hatte Karl sie zu einstweiligem Ausharren überredet. Aber als er selbst im Herbst 1555 die Niederlande dem Sohne abtrat, ließ auch M. sich nicht mehr halten. In jener feierlichen Scene, in welcher Karl seine Abdankung in Brüssel vollzog, erschien auch M. und empfahl mit bewegten Worten sich dem Andenken der bisher von ihr regierten Niederländer (25. Octbr. 1555). Darauf begleitete sie ihren Bruder nach Spanien, im September 1556. Dort schlug sie unweit der Residenz Karls ihren Sitz auf, gemeinsam mit ihrer Schwester Leonor, der Königin-Wittwe von Portugal und Frankreich. Karl richtete übrigens noch einmal das Verlangen an sie, daß sie einer politischen Aufgabe dienen sollte; um ihre Mitregentschaft über Spanien neben ihrer Nichte Johanna handelte es sich; aber es kam nicht dazu. Dann setzte auch Philipp 1558 ihr zu, daß sie als Regentin in die Niederlande zurückkehren sollte; sie schwankte; eben stand sie im Begriff, nach Karls Tod (21. Septbr. 1558) nachzugeben, als sie von einem heftigen Fieber ergriffen wurde, dem sie schon am 17. Octbr. 1558 erlag. Ihre Leiche hat Philipp II. 1574 im Escurial beisetzen lassen.

Vgl. Henne, Histoire du règne de Charles V en Belgique. 10 vol. 1858. – Juste, Les Pays-bas sous Charles-Quint. Vie de Marie de Hongrie, 1855 (Nouv. éd. 1861)Wenzelburger, Geschichte der Niederlande, I. Bd. (1879). – Vgl. den sehr lehrreichen Aufsatz des niederländischen Kirchenhistorikers Christ. Sepp, „De bibliotheek eener koningin“ in Bibliographische Mededeelingen (1885) S. 110–182.