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Artikel „Obrecht, Georg“ von Johann August Ritter von Eisenhart in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 24 (1887), S. 114–116, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Obrecht,_Georg_(Jurist)&oldid=- (Version vom 9. Oktober 2024, 00:48 Uhr UTC)
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Obrecht: Georg O., Rechtslehrer und juristischer Schriftsteller, geb. zu Straßburg am 25. März 1547, † daselbst am 7. Juni 1612. Als der flüchtige Glanz Wittenbergs zu erbleichen begann, übernahm Straßburg die geistige Führung des protestantischen Deutschlands. Hier war es neben Giffen und Gothofredus hauptsächlich O., welcher den Ruhm der Straßburger Akademie begründete, der sich unter deren Schülern und Nachfolgern J. Meier, Bitsch, Lokamer, Tabor u. a. bis etwa zum Tode Böcler’s († 1711) erhielt. – Thomas O. aus einer rathsfähigen Familie Schlettstadt’s hervorgegangen, war Syndikus der Reichsstadt Straßburg und hatte vier Söhne, von welchen zwei Medicin, zwei, Heinrich, nachmaliger Consulent Straßburgs, und unser Georg die Rechte studirten. Letzterer empfing seinen ersten Unterricht in seiner Vaterstadt und besuchte dann 1565 die Tübinger Hochschule. Dort hörte er nach Vollendung eines dreijährigen philosophischen Cursus juristische Vorträge und wandte sich dann (1570) nach Frankreich, um in Besançon, Dole und Orleans – hier unter Molinäus, (s. A. D. B. XXII, 96) – die begonnenen Studien fortzusetzen. Durch die Verfolgungen, von welchen die Protestanten unmittelbar nach der Bartholomäusnacht (vom 23. auf 24. August 1572) in ganz Frankreich bedroht waren, gerieth O. zu Orleans in dringende Lebensgefahr und mußte mit Zurücklassung seiner werthvollen Büchersammlung nach der Heimath flüchten. Niedergeschlagen dort angelangt, trug er sich mit dem Gedanken die kriegerische Laufbahn einzuschlagen. Allein seine Vorliebe zu den Wissenschaften behielt die Oberhand. Nach Anschaffung einer zweiten Büchersammlung bezog er 1574 Basel, promovirte dort am 13. Mai desselben Jahres mit mehreren Candidaten als Doctor beider Rechte und wurde im August des folgenden Jahres in Straßburg Professor der Rechte, welches Amt er bis an sein Lebensende (1612) volle 37 Jahre ehrenvoll bekleidete. Am 12. Mai 1577 wurde er außerdem Canonicus, am 11. März 1589 Propst bei St. Thomas, 1595 Rector der Akademie, 1598 städtischer Advocat und Cousulent, am 7. September 1604 erfolgte durch Kaiser Rudolph II. dessen Erhebung in den erblichen Adelstand des Reiches, endlich am 19. November 1609 die Verleihung der Pfalzgrafenwürde. Obrecht’s erste Gattin Barbara war eine Tochter des Straßburger Theologen Marbach, wodurch er mit Giphanius (Hubrecht v. Giffen) verschwägert wurde, welcher 1573 Barbara’s Schwester Margaretha geheirathet hatte; in zweiter Ehe nahm O. Ursula, eine Tochter des Arztes Ulrich Gesius[1], eine verwittwete Winter, zur Frau. Während Obrecht’s Lehrthätigkeit nahm der Besuch Straßburgs in erfreulicher Weise zu und fanden sich insbesondere häufig junge Leute aus vornehmen Ständen des nördlichen Deutschlands ein, um unbeirrt vom Kriegslärme die Wissenschaften zu pflegen. Einfluß auf die erhöhte Frequenz mag auch die neue Lehrart, welche sich dort Bahn brach, geäußert haben, nach welcher statt der bisherigen, rein exegetisch-dogmatischen Behandlung des Stoffes die Schüler zu selbstthätiger [115] systematischer Quellenbearbeitung angehalten wurden, woran sich erläuternde Prüfungen reihten. – In Folge seiner umfassenden Gelehrsamkeit stand O. bei mehreren Reichsfürsten, bei Herzog Julius von Braunschweig, bei den Herzögen von Sachsen-Weimar, Würtemberg und Mecklenburg, wie auch dem Kurfürsten Ludwig von der Pfalz in hohem Ansehen. Letzterer trug ihm deshalb eine Assessorstelle am Reichsgerichte zu Speyer an, welche O. jedoch gleich früheren Anerbietungen nach Heidelberg und Helmstädt dankend ablehnte.

O. hat seine vieljährige Lehrthätigkeit auch zu schriftlichen Arbeiten benutzt und durch zahlreiche gediegene Abhandlungen über Gegenstände des Civilrechts, der römischen Rechtsgeschichte und des Lehenrechtes in der juristischen Litteratur einen Namen von gutem Klange erworben, zugleich durch seine volkswirthschaftlichen Arbeiten das Interesse der Nationalökonomen auf sich gezogen. Zu seinen frühesten Arbeiten gehört die „Oeconomica tit. C et D de trasactionibus“ (Argent. 1579 4°), eine aus sieben Capiteln bestehende, systematische Abhandlung über den Vergleich; dann die „Methodica tractatio tit. C. et D de acquir. poss. etc.“ (Argent. 1580), welche Savigny in seinem Rechte des Besitzes (7. Aufl. S. 11) sowohl wegen der natürlichen Anordnung als wegen der richtigen Ansichten eine sehr brauchbare Schrift nennt. Indeß hat O. zu Lebzeiten nur einige kleinere Arbeiten veröffentlicht, Disputationen und Tractate. Einiges wurde wider seinen Willen nach seinen Dictaten herausgegeben, so z. B. „Disputationes“, Ursellis 1604 4° und „Tractatus feudalis“, Francof. 1606; indessen soll letzterer nach Erklärung des Sohnes, Joh. Thomas O., gar nicht von seinem Vater verfaßt sein. – 1579 gab der Jurist Stephan Berchthold mit Obrecht’s Genehmigung „Exercitium juris practicum etc.“ (Argent. 1585. 4°), ein eigenthümliches Schriftstück heraus, weil in demselben zum besseren Verständnisse der Studirenden die actio commodati mit dem betreffenden Theile des römischen Processes in dramatischer Form verhandelt wird. In dem vorgedruckten Programme ladet der Universitäts-Rector unter genauer Aufzählung der Mitwirkenden die Studirenden zur Vorstellung des processualen Exercitium am Tage nach Georgi Morgens Uhr (also am 25. April 1585) feierlich ein. Um dieselbe Zeit schrieb O. ein zweites exercitium unter dem Titel „exercitium juris antiqui ad intellectum l. un. C. de pedaneis judicibus“, worin das altrömische Proceßverfahren genau nach den Quellen dramatisirt ist. Aus der Vorrede der Weber’schen Ausgabe entnehmen wir, daß dieses exercitium unter Obrecht’s Leitung von 10 meist adeligen Studenten in auditorio juridico gegeben wurde. Gelegentlich einer Neuauflage des exerc. juris pract. im Jahre 1597 fügte O. ein weiteres hinzu: „de poena militis qui exubias in castro parum diligenter egit“, das am Johannistage 1597 Morgens 8 Uhr im „neuen Auditorio“ von 21 Studenten gespielt wurde, deren Namen angegeben sind. Diese exerc. waren ihrer Zeit beliebt, und wurden öfters gedruckt. So veranstaltete Imm. Weber )Gissae et Francof. 1722) eine neue mit Erläuterungen versehene Ausgabe des exerc. juris antiqui und Dr. J. de Wal erwähnt in seinen „Beiträgen“ S. 77 bezüglich des exerc. jur. pract. eine Ausgabe des hamburger Advocaten Joh. Heinr. Rassor (1726), welche wegen ihrer gründlichen Noten im vorigen Jahrhundert sehr geschätzt gewesen. Die exercitia gelangten an mehreren Hochschulen zu wiederholter Aufführung; so wissen wir, daß noch am 19. Jan. 1737 zu Rostock im Hause des Prof. Mantzel eine solche Aufführung stattfand, wobei der nachmalige Prof. D. Nettelblatt (s. A. D. B. XXIII, 461) die Beklagtenrolle spielte. Nach Obrecht’s Tode gab dessen Sohn, Johann Thomas, (Rechtsgelehrter und kaiserl. Pfalzgraf zu Straßburg,) mit Druckerprivileg und Dedicationen dortselbst 1617 in Quart vier Tractate seines Vaters heraus: „Tractatus feudalis; de jurisdictione; de juramento calumniae; de litis contestatione“. Beide erstere sind ausführlichere Bearbeitungen von Abhandlungen, [116] welche schon früher theilweise gegen den Willen Obrecht’s veröffentlicht worden waren. Obgleich nun Joh. Thomas O. sofort nach dem Ableben seines Vaters sich ein kaiserliches Privilegium für dessen Druckschriften erwirkt hatte, so erschien trotzdem ohne seine Genehmigung: „Oeconomia Institutionum Obrechtiana“ Rostock 1617 4°, welches Werk der Sohn ausdrücklich für incorrect erklärte.

Auch Obrecht’s volkswirthschaftliche Hauptarbeiten wurden sub secreto, von seinem Sohne gesammelt, 1617 zu Straßburg in Druck gegeben: „Fünff underschiedliche secreta politica von Anstellung, Erhaltung und Vermehrung guter Policey und von billicher, rechtmäßiger und nothwendiger Erhöhung eines jeden Regenten jährlichen Gefällen und Einkommen. Allen hohen und niederen Obrigkeiten besonders des Heyligen Römischen Reichs Ständen in diesen letzten und hochbetrengten Zeiten zum besten gestellt.“ Die Sammlung zerfällt in fünf, zu verschiedenen Zeiten verfaßte Schriften, die jedoch in ihrem Inhalte wesentlich zusammenhängen und läßt der häufige Hinweis auf das corpus juris einen römischen Civilisten als Verfasser erkennen. Von älteren Fachmännern wird hauptsächlich der geistreiche Johannes Bodinus citirt. Die Sprache ist breit, schwülstig und werden in die langen Perioden ohne Grund lateinische Sätze eingeflochten. Die erste Abhandlung: „Discursus bellico-politicus etc.“ ist ein vom Kaiser in Folge einer 1590 gehaltenen akademischen Disputation, 1604 verlangtes Gutachten. Prof. Roscher hat in einem längeren Aufsatze in den historisch-philologischen Abhandlungen der königlich sächsischen Gesellschaft IV. 1865. S. 277 u. f. (welcher Aufsatz im Wesentlichen in dessen „Geschichte der National-Oekonomik in Deutschland“ überging, S. 152 u. f.) Oberg’s Arbeiten unter kurzer Inhaltsangabe einer genauen kritischen Beleuchtung unterworfen, und gelangt bezüglich der wissenschaftlichen Bedeutung dieser Schriften (S. 157 u. 58) zu dem Ergebnisse, daß O. zu jenen geschichtlich bedeutenden Männern gehörte, „in denen die Eigenthümlichkeit ihrer Zeit mit besonderer Schärfe entwickelt, gleichsam personificirt ist. Und haben namentlich zwei Hauptrichtungen jener Zeit in ihm Gestalt gewonnen; die Anlehnung des westlichen – zumal reformirten Deutschlands an Frankreich und England, sowie damit zusammenhängend der wälsche Regalismus und Realismus in der Staatshaushaltung.“ Ein reiches, allerdings nicht vollständiges Schriften-Verzeichniß bei Lipen und Adam. J. Brunn hat Oberg’s Brustbild (8°) in Kupfer gestochen; auch bei Freher findet sich pag. 979 ein solches. –

Marcus Florus, oratio parentalis, welchen alle späteren, Adamus, Sincerus, Jöcher, Leipz. allg. Lex. etc. benützten. – Stintzing, Gesch. d. deutsch. Rechtswissensch. I. 672–76. – Roscher a. a. O. S. 152–158.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 114. Z. 7 v. u. l.: Chesius (st. Gesius). [Bd. 24, S. 788]