Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Molinaeus, Carolus“ von Johann August Ritter von Eisenhart in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 22 (1885), S. 96–105, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Molinaeus,_Carolus&oldid=- (Version vom 21. Dezember 2024, 17:02 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Molhem, Gielis van
Nächster>>>
Molinaeus, Petrus
Band 22 (1885), S. 96–105 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Charles Dumoulin in der Wikipedia
Charles Dumoulin in Wikidata
GND-Nummer 118681206
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|22|96|105|Molinaeus, Carolus|Johann August Ritter von Eisenhart|ADB:Molinaeus, Carolus}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118681206}}    

Molinaeus: Carolus M. (auch Charles Du Molin, Du Moulin), Rechtslehrer und juristischer Schriftsteller, geb. zu Ende 1500 in Paris, † am 27. Dezember 1566 daselbst. M. entstammt einem angesehenen, begüterten Edelsgeschlechte der Isle de France, dessen protestantische (von Dionys, früherem Erzbischofe zu Toulouse gegründete) Linie aus den beiden Zweigen: „de Mignaux und de Lorme Grenier“ besteht. Das Haupt des ersteren, Jean Dumoulin, heirathete nach glaubhafter Ueberlieferung eine Verwandte der unglücklichen Anna Boleyn, Mutter der Königin Elisabeth. Einer von dessen Söhnen, der gleichfalls den Namen Jean führte, besaß die Herrschaften Villefavreuse, Goyencourt, de Mignaux, und war ein sehr geachteter Parlamentsadvocat zu Paris; dessen älterer Sohn Charles ist unser Gelehrter, welcher, damaliger Sitte folgend, sich beim Gebrauche der lateinischen Sprache „Molinäus“ nannte, außerdem aber Du Molin unterzeichnete. M., eine Hauptzierde der französischen Rechtswissenschaft und einer der größten Juristen des 16. Jahrhunderts, ein Mann von durchdringendem Verstande, staunenswerthem Wissen und glühender Vaterlandsliebe, ein geistvoller Schriftsteller von glänzender Darstellungsgabe, widmete den Haupttheil seiner nie ermüdenden Thätigkeit seinem Vaterlande Frankreich; auf Deutschland fallen nur vier – allerdings vielbewegte Jahre reiferen Alters.

M. begann die humanistischen Studien an der Hochschule seiner Geburtsstadt, besuchte von 1517 bis 1521 die damals blühenden Rechtsschulen von Orleans und Poitiers, hielt an ersterem Orte 1521 juristische Vorträge, wurde im folgenden Jahre nach glänzend abgelegter Prüfung Anwalt, und plaidirte unter Leitung seines geschäftskundigen Vaters drei Jahre beim „Grand chastelet“, damals dem größten Pariser Gerichtshofe erster Instanz, dann beim Parlamente; beschränkte sich jedoch später wegen eines angeborenen Sprachfehlers auf consultative Praxis und juristische Schriftstellerei. Behufs ununterbrochener Pflege der Wissenschaft mied er jede Zerstreuung; ja er ließ sich sogar – entgegen der herrschenden Mode – den Bart rasiren, weil ihm dessen Pflege zu viel der kostbaren Zeit kostete. Aus dem gleichen Beweggrunde faßte er den Entschluß, ehelos zu bleiben und übergab deshalb 1531 den größten Theil seines hübschen Vermögens seinen vier Geschwistern, namentlich seinem jüngeren Bruder Ferry. [97] Ein höchst übereilter Schritt! Denn trotz dieser Schenkung führte M. zu Anfang des Jahres 1538 eine Gattin heim, Louise de Beldon, Tochter Jean de Beldon’s, „secrétaire du Roy“ und „greffier du Parlament“. Die Wahl erwies sich als eine recht glückliche. M. selbst rühmt die Geistes- und Charaktervorzüge seiner Gattin; er schildert sie als treffliche Mutter und Hausfrau, als treue Gefährtin seiner Studien, welche durch ihre Eigenschaften die bescheidene Mitgift vielfach aufzuwiegen im Stande war. Louise gebar zwei Söhne (Charles und Louis) und eine Tochter (Anne); dieser Kindersegen nöthigte das Familienhaupt, bei dessen knappen Mitteln die dem unwürdigen und undankbaren Bruder (Ferry) zugewandte Schenkung in einem siegreichen Processe (1547–50) zu widerrufen. – Nach dreizehn Jahren anstrengender und angestrengter Vorarbeiten (1523–1535) und nach vier Jahren ununterbrochener Ausarbeitung (1536–1539) veröffentlichte M. im September 1539 den ersten, von den Lehen („de fiefs“) handelnden Haupttheil seines aus drei Partien bestehenden Commentars über die verschiedenen Titel der Rechtsgewohnheiten der Stadt Paris („Commentariorum in Consuetudines Parisienses Pars I.“, Paris 1539 fol.). Trotz solch langwieriger Studien bezeichnete später der Verfasser selbst die Ausgabe als eine übereilte, und besorgte 1558 eine neu geordnete und wesentlich vermehrte Auflage, welcher 1564 eine dritte, abermals verbesserte folgte. Dieses Werk, König Franz I. gewidmet, vom Barreau des Parlamentes sehr anerkennend aufgenommen, zuletzt von Denis Godefroy (Dionysius Godefredus) mit Noten neu aufgelegt (Frankf. 1597, Fol.), durch Henrion de Pensey’s geistvolle „Analyse de Fievs“ etc. (Paris 1773, 4°) meisterhaft erläutert und sofort nach seinem Erscheinen als außergewöhnliche Leistung begrüßt, – dieses Werk hat den Verfasser rasch zum Ruhm und zu einer glänzenden Stellung in der Literatur des französischen Rechtes geführt.

Als Commentator der Rechtsgewohnheiten von siebzehn weiteren Municipien wurde M. Frankreichs berühmtester Schriftsteller dieser Gattung, zugleich einer der Gründer und Vertreter der sogenannten „coutumiären“ oder nationalfranzösischen Richtung, weshalb er neben Cujas (Cujacius), dem Vater der romanistischen Schule, heute noch bei den französischen Juristen in gefeiertem Andenken steht.

Wollte man jedoch in M. wegen dessen langjähriger exegetischer Arbeiten einen trockenen, einseitigen Büchergelehrten vermuthen, würde man sehr fehl gehen. Von lebhaftem, offenem Wesen, geradem Sinne und begeisterter Vaterlandsliebe nahm er an den großen, kirchenpolitischen Fragen, welche die Geister des 16. Jahrhunderts so gewaltig bewegten, unmittelbar regsten Antheil. König Heinrichs II. Verbot der Geldsendungen nach Rom wegen Pfründenverleihungen und dergl. (1550, das sogen. Edictum Henrici contra parvas datas) erweckte in unserem Forscher das Verlangen, bei Heilung der Schäden der Kirche mitzuwirken, und so griff er in seinem Commentar zu diesem Edicte (wie schon aus dessen Titel erhellt: „Comment. ad edict. Henr. II contra parvas datas et abusus curiae Romanae et in antiqua edicta, contra annatarum et id genus abusus, multas novas decisiones juris et praxis continens“, Lugd. 1552. 4°) die verrotteten Mißbräuche und Geldoperationen Roms bei Ertheilung von Dispensen, Beneficien und Aehnlichem mit vieler Schärfe an. – Das Werk wurde öfters verlegt, zuerst in Leyden 1552, 4° – dann in Paris 1552, 8° – in Basel 1552, 4° – ebend. 1605 und 1610, 8°; – ferner von M. selbst unter dem Titel: „Les commentaires analytiques tant sur l’edict des petites dates et abus de la cour de Rome“ etc., Lyon 1554, 4° (sehr vermehrt, ebenda 1564) ins Französische übertragen; dann in Italien zur Täuschung der Inquisition unter dem Pseudonym [98] Gaspar Caballinus de Cingulo nachgedruckt, und in Deutschland von Scherzer noch 1677 (Lips. 4°) in seine bibliotheca pontificia aufgenommen. Das Werk war somit in mehreren tausend Exemplaren in der ganzen gebildeten Welt von Oxford bis Lissabon, von Neapel bis Upsala verbreitet, und es gab wol keinen Gelehrten des 16. Jahrhunderts, der nicht Molinaei commentar. contra parvas datas gekannt hätte! Mit Recht durfte daher Molinäus’ mächtiger Gönner, der Herzog von Montmorency und nachmalige Connetable Frankreichs, im Schlosse zu Fontainebleau die Ueberreichung des dem Könige zugeeigneten Werkes mit den bekannten Worten begleiten: „Sir, was Euere Majestät mit 30 000 Mann nicht vermocht, den Papst zum Frieden zu nöthigen, das hat dieser kleine Mann mit dieser kurzen Schrift vermocht!“ Denn in der That hat dieser Commentar zur Friedensliebe des Papstes Julius III. wesentlich beigetragen; die Schlußworte jener Anrede aber enthalten eine Anspielung auf den unansehnlichen Wuchs des M. und auf den nur dreißig Artikel zählenden Umfang der Brochüre. M. konnte indes seine Triumphe nicht lange genießen. Bald gesellte sich zum Lorbeerkranze die Dornenkrone. Beständigen Anfeindungen ausgesetzt, war er zu einem unsteten, ruhelosen Leben wie kaum ein zweiter Gelehrter verurtheilt; einem Leben, an dem er durch schroffes Wesen theilweise selbst Schuld trug. – Er sollte alsbald erfahren, was es heißt, in Rom zu den „bestgehaßten“ Personen zu gehören. Clemens VIII. übergab dessen Schriften den Flammen und setzte sie auf den Index jener Werke, welche nur mit päpstlicher Genehmigung gelesen werden dürfen, und selbst diese wurde in der Regel bei „Machiavelli und dem gottlosen M.“ versagt! Aber auch in Paris ging es ihm nicht besser. Obwol der Commentar mit Privilegium des Königs erschien, diesem gewidmet war, und der Krone wesentliche Dienste leistete, ließ letztere es doch geschehen, daß die Anhänger des Papstes am 2. Mai 1552 durch die königl. Fiscale wider den Verfasser des Commentars und dessen Zueignungsschreiben vor dem Parlamente peinliche Anklage erhoben, und die Sorbonne (die Pariser Theologenfacultät) – vertreten durch 73 Doctoren und den Doyen – beeilte sich, schon am 9. Mai über die „ketzerische, schismatische, gotteslästerliche und staatsgefährliche“ Schrift das Verdammungsurtheil auszusprechen. Da trotzdem der Proceß den von Molinaeus’ Gegnern gewünschten Fort- und Ausgang nicht zu nehmen schien, wurde die Menge aufgewiegelt und Molinaeus’ Haus geplündert, was ihm noch dreimal (1552, 1556 und 1562) widerfuhr. Er selbst in Lebensgefahr mußte sein Heil in der Flucht suchen.

Es ist für die Entwickelung unseres Rechtes eine beachtenswerthe Erscheinung, daß im zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts eine Reihe der tüchtigsten französischen Juristen als Hugenotten in der Heimath verfolgt, sich an protestantische Fürstenhöfe und Hochschulen Deutschlands wandten, und daß auf diesem Wege die deutschen Gelehrten und Praktiker mit der hochentwickelten französischen Jurisprudenz vertraut wurden. Unter solch’ Halbverbannten finden wir: Franciscus Hotomanus (Hotman) aus Paris; (geb. 1524, † 1590), – Matthäus Gribaldus aus Quiers (geb. nach 1500, † 1564), – Hugo Donellus (Doneau) aus Chalons s./S. (geb. 1527, † zu Altdorf 1591), – Franc. Balduinus (Baudouin) aus Arras (Dumoulin’s begabtester Schüler, dessen unstätes Leben an jenes des Meisters erinnert, geb. 1520, † 1573), – Dion. Gothefredus (Godefroi) aus Paris (geb. 1549, † 1622), – Petrus Loriotus oder Laureolus (Loriot) aus Evernay bei Salins (geb. nach 1500, † 1573), – Michel Bignon (der zu jener Zeit in Wittenberg lehrte) und einige Andere.

In ähnlicher Lage wie die genannten sah sich M. Er eilte zu dem jungen Landgrafen von Hessen, dem durch seine Verdienste um die Astronomie später bekannt gewordenen Wilhelm IV., dem ältesten Sohne des damals in kaiserlicher [99] Gefangenschaft befindlichen Philipp des Großmüthigen. M. hatte für jenen Ende 1550 in Paris wegen des Verlustes von Katzenellenbogen und anderer Herrschaften vier Beschwerdeschriften gefertigt (consult. XVIII–XXI in Bd. II, S. 861 ff. der Gesammtausg. von 1681) und erwirkte nun nach seiner Angabe durch persönliche Bemühung beim Reichskammergerichte zu Speyer in jener verwickelten Angelegenheit für seinen hohen Clienten einen günstigen Ausspruch. Allein es zog ihn mächtig nach der Heimath; von heißem Verlangen erfüllt, seine Sache selbst vor dem Könige Heinrich zu führen, begab er sich auf die Nachricht von dessen Rückkehr nach Paris Ende Juli 1552 dorthin, und traf nach kurzer Rast in Basel (wo man ihm eine Rechtsprofessur, – jedoch vergeblich – anbot) über Lausanne und Genf Mitte September in Paris ein. Jedoch schon am dritten Tage seiner Ankunft brach ein Aufstand wider ihn los, das Haus wurde abermals geplündert und M. mußte abermals die ihm theuere Hauptstadt verlassen. Er floh zunächst nach Genf, dem damaligen Hauptsitze der französischen Hugenotten, lebte seit Ostern 1553 in Neuenburg (wo er im Namen der dortigen Fürsten den Vorsitz bei einer Synode führte) und zog nach einjährigem Aufenthalte in der Schweiz im September 1553 nach Straßburg, woselbst er durch Vermittlung des aus der Stadtgeschichte wohlbekannten Johannes Sturm den Lehrstuhl der Rechte mit dem Rathstitel erhielt. Doch war dort seines Bleibens nur kurze Zeit. Sein Gönner Sturm starb unerwartet noch in demselben Monat; M. trachtete deshalb, seinen Aufenthalt mit einem anderen zu vertauschen. August, Herzog zu Sachsen, Friedrich Pfalzgraf bei Rhein, (Heinrich – Otto) Christoph, Herzog von Württemberg und Wilhelm, Landgraf zu Hessen ließen ihm auch sofort günstige Anerbietungen zugehen, in Folge deren er mit städtischem Urlaube nach damaliger Reiseweise zu Pferd nach Heilbronn ging, wo die Genannten (Verbündete Heinrichs II.) eben tagten, und dem Ankömmlinge in seiner dreifachen Eigenschaft als hervorragendem Juristen, eifrigem Hugenotten und französischem Unterthanen einen sehr huldvollen Empfang bereiteten; doch gediehen die eingeleiteten Unterhandlungen noch nicht zum Abschluß. M. begleitete den Landgrafen nach Cassel, besuchte mit dessen Unterstützung den Dresdener Hof, an dem er während acht Tage sehr ehrenvolle Aufnahme fand, besprach sich in Marburg mit Joh. Oldendorp (dem größten deutschen Juristen jener Zeit) und mit Jakob Lersner über die Rechtsangelegenheiten des Landgrafen, lehnte jedoch deren Vorschlag: in Marburg an der Hochschule zu bleiben, gleich dem früheren Rufe nach Leipzig, ab, weil er sich mittlerweile für Tübingen entschieden hatte. Nach dem im September 1552 dort erfolgten Tode Sichardts von Bonifaz Amerbach dem Herzoge Christoph neben mehreren Andern empfohlen, griff der Herzog sofort nach M., der mit dem Titel eines herzoglichen Rathes und einer gegenüber seinen Vorfahren namhaft erhöhten Besoldung als Primarius an die Spitze der Juristenfacultät in Tübingen trat. Er verabschiedete sich in Straßburg, wo er Bücher, Schriften und Gepäck gelassen hatte, und traf am 1. December 1553 zur Eröffnung seiner Vorlesungen über Stuttgart an der württembergischen Hochschule ein. – (Die Straßburger Professur bekam sein vorgenannter Schüler Franc. Baudouin, welcher dort und von 1556–61 in Heidelberg mit glänzendem Erfolge wirkte.) M. benützte nach kurzem Aufenthalte an seinem neuen Wirkungskreise die Weihnachtsferien, um seinem Versprechen gemäß den Baseler Freunden, an deren Spitze Jakob Foulquer stand, einige juristische Vorträge zu halten. Nur ungerne ließ man ihn dort wieder ziehen, und M. begann nun am 26. Februar 1554 mit einer berühmt gewordenen, solennen Antrittsrede seine regelmäßigen öffentlichen Vorträge zu Tübingen, indem er an den Vormittagen die ersten sechs Titel des Codex, an den Nachmittagen den Pandektentitel: de verborum obligationibus erklärte. [100] Diese „lectura Tubingensis“ erschien später im Drucke. Die nachmittäglichen Vorlesungen führen den Titel: „Nova et analytica explicatio rubricae de V. O.“ (Lugd. 1562 Fol.Jenae 1588), die vormittäglichen: „Commentarius in sex primos libros Codicis“, 1604; beide sind in Vol. III, p. 5–88 und 547–752 der Gesammtausgabe von 1681 abgedruckt.

Angezogen von dem Rufe, dem eleganten Vortrage, der zierlichen Latinität und der neuen Methode des Meisters, welche in „analytischer“ Ermittlung des „novus ac sincerus intellectus legis suo sensui restitutae“ bestand, – angezogen von diesen Umständen, fanden sich nun in Tübingen zahlreiche Schüler ein, Rechtscandidaten und reifere Männer, Doctoren und Praktiker, welche den berühmten Juristen und dessen Methode kennen lernen wollten. Der Andrang war so groß, daß die gewöhnlichen Privatwohnungen zur Aufnahme der Hörer nicht ausreichten, weshalb die später Angekommenen in Gasthäusern und Herbergen Unterkunft suchen mußten. – Erwähnte Antrittsrede „de dignitate, potestate et usu legum civilium et imperalium, de praecellentia sacrosanctae theologiae, et utriusque differentia, corruptione etc.“ ist wol der schärfste wissenschaftliche Tadel, der jemals von solcher Stelle gegen Rom geschleudert wurde. – Die Rede war daher von der Curie streng verpönt, und erschien auch in Frankreich erst in der mehrgenannten Gesammtausgabe (Bd. V, S. IV ff.). In Deutschland veröffentlichte sie mit einer Vorrede an die studirende Jugend (Tübingen im Mai 1554) der bekannte Paul Vergerio, früher Bischof in Capo d’Istria, der einzige italienische Kirchenfürst, der zur Reformation übertrat. (Ueber letztern siehe: Sixt, Das Leben des Reformators P. Vergerio.)

Häufige Einmischung theologischer Controversen in die Pandekten-Vorträge führte bald zu Reibungen mit den Theologen, später auch zu Beschwerden, welche Letztere sogar beim Herzog selbst anbrachten.

Zur Verantwortung aufgefordert bricht M. in einer umfassenden Denkschrift ad serenissimum in bittere Klage aus, daß bei diesen „factions avaricieuses, hypocritiques et envieuses“, bei solcher Ketzerriecherei, Heuchelei und geheimer Angeberei die Universität, welche sonst sehr blühend sein könnte, zu Grunde gehen müsse. Er führte zu diesem Zwecke Beispiele an, wie unschuldige Aeußerungen beim Mahle, wo man damals gerne religiöse Streitfragen berührte, geflissentlich zur Verdächtigung ausgebeutet wurden. – Der Herzog, dem Angegriffenen gewogen, mahnte ihn laut Zuschrift vom Mai 1555 seine Vorträge fortzusetzen und guten Muthes zu sein; befahl ihm indeß, mit seinen Räthen und Theologen Frieden zu halten und bei seinen Vorträgen stets bei der Sache zu bleiben!

Zu diesen Streitigkeiten Molinaeus’ gesellten sich bald Differenzen über die Bedingungen seiner Anstellung und Mißhelligkeiten mit einzelnen Facultätsgenossen, welche wohl mit Scheelsucht auf den bevorzugten Neuling blickten, der als primarius den ersten Rang einnahm, den höchsten Gehalt bezog, die meisten Zuhörer hatte und sich der Huld des Herzogs erfreute. Die fortgesetzten Intriguen der Gegner machten die Stellung des Berufenen allmählich immer unhaltbarer und führten zuletzt, im Frühiahre 1555, zu dessen Entlassung. Die Angabe Brodeau’s (des Hauptbiographen Molinaeus’), welche alle späteren französischen Biographen getreulich nacherzählen: M. sei als Ubiquist (Anhänger der Lehre von der Allgegenwart des Leibes Christi) von den Tübinger Theologen verdrängt worden, diese Angabe hat bereits Hugo in seiner Litterärgeschichte (Bd. VI, S. 260 Aufl. 3) durch die richtige Bemerkung widerlegt, daß sich unter letzteren selbst mehrere Ubiquisten befunden hätten.

An Stelle des Entlassenen trat auf Empfehlung Vergerio’s der Piemontese Matthäus Gribaldus Mopha, zuletzt Rechtslehrer in Valence, das er wegen religiöser [101] Anfeindungen verließ. Aber auch aus Tübingen mußte er schon 1557 wegen „abscheulicher, unchristlicher errores“ schleunigst fliehen, und wurde zu Bern des Socinianismus (Läugnung der Göttlichkeit in der Person Christi) verdächtig, verhaftet. – M., angewiesen, die Stadt sofort zu verlassen, reiste unverzüglich nach Straßburg, verweilte hierauf bei dem Landgrafen Wilhelm in Worms, leistete ihm in der früher erwähnten Katzenellnbogen’schen Streitsache weiter ersprießliche Rechtshilfe, und machte sodann dem seit 1552 aus der kaiserlichen Gefangenschaft befreiten Kurfürsten Philipp, Wilhelm’s Vater, zu Cassel seine Aufwartung. Am Hoflager mit großer Auszeichnung behandelt, blieb er, mit Rechtsgutachten beschäftigt (consil. No. XXIII der Consil.-Sammlung), zwei Monate. Ende August ging er im Gefolge des Landgrafen Ludwig von Hessen, eines jüngeren Sohnes Philipps, und des ersteren Schwester, Barbara, nach dem Städtchen Richwiller (Reichweiler), wo deren Vermählung mit dem Grafen Georg von Montbelliard (Mömpelgard) mit fürstlichem Gepränge gefeiert wurde. Mittlerweile hatten die verbündeten protestantischen Fürsten Deutschlands und der einflußreiche Herzog von Montmorency bei Heinrich für M. die Erlaubniß zur Rückkehr nach Frankreich erwirkt. M., hierüber hoch erfreut, schlug voll Sehnsucht nach der theuern Heimath die ihm eben zugegangene Aufforderung: für den verstorbenen Zasius in Freiburg im Breisgau den Lehrstuhl der Pandekten zu übernehmen, aus, und machte sich sofort auf den Heimweg. Da ihn dieser durch die Grafschaft Mömpelgard führte, sprach er aus Höflichkeit bei dem Grafen Georg vor, der ihn einige Zeit bei sich festhielt, weil er in theilweise faule Rechtshändel verwickelt, dessen Rechtsbeistand wünschte. – Endlich gelang unserem Gelehrten vor Mitte November nach Dôle aufzubrechen, wo ihm ein Empfang zu Theil wurde, wie er sonst nur bei gekrönten Häuptern üblich. Die Parlamentsmitglieder der Franche-Comté mit ihrem Präsidenten Claude Montfort, die Professoren der Universität, geführt vom Rector Nicol. Foucher, die Spitzen der städtischen Behörden, sie beeilten sich, in feierlichem Aufzuge dem hohen Gaste ihren Willkomm zu bringen und baten ihn zugleich um einen Cyklus juristischer Vorträge, wofür sie ihm die Summe von 25 Ecusd’or (beiläufig 275 M.) anboten. Solch’ ehrende Aufforderung konnte M. nicht ablehnen, er hielt somit vom November 1555 bis Mitte Juni 1556 fünf größere Vorträge über verschiedene Pandektenstellen unter bisher unerhörter Betheiligung, denn die lernbegierigen Hörer strömten massenhaft auch aus ferneren Gegenden – selbst bis von Tübingen her zusammen. Auch hier war es die neue, von M. durch besondere Anschläge angekündigte „Methode“, welche das Interesse der Fachmänner erregte. (Die Vorträge finden sich unter dem Titel „quinque solennes lectiones Dolanae“ in B. III. S. 387 u. ff. d. Ges.-Ausg. von 1681.) Während dieser Zeit wurde unser Gelehrter als Rechtsconsulent und Berather von Graf Georg öfter nach Mömpelgard gerufen; M. ging nur widerwillig, weil zwischen seinen Rechtsanschauungen und jenen des Grafen häufig eine unüberbrückbare Kluft bestand. Als M. nach der vierten, am 9. Januar 1556 gehaltenen Lection auf ergangene Einladung abermals sich zum Grafen begab, wurde er zu seiner nicht geringen Ueberraschung auf gräflichem Gebiete von dessen Leuten unter dem Vorwande der Prävarication verhaftet, in Wahrheit aber, um ihn für die Pläne und Ränke des Grafen gefügiger zu machen. Behufs besserer Ueberwachung brachte man ihn unter starker Escorte nach dem festen Blamont. Allein M., ein ehrenhafter Charakter von strengen Rechtsgrundsätzen ließ sich durch solche Gewaltacte nicht einschüchtern, sondern beharrte mit Entschiedenheit auf seiner Meinung. Er führte Beschwerde beim Reichskammergericht, und ließ seine Frau aus Paris kommen. Louise von Beldon, nach ihres Gatten Zeugniß eine ebenso geistvolle als thatkräftige Dame, ritt obwohl vom Wechselfieber geplagt, [102] mit ihrem der Wiege kaum entwachsenen Töchterchen spornstreichs nach Montbelliard, und schlug dort gegenüber den Winkelzügen des Grafen und dessen Helfershelfer solchen Lärm auf, daß dieser den Gefangenen nach beschworener Urfehde gleichwohl Ende Mai frei gab. Demungeachtet konnte M. die Stadt noch nicht verlassen, da er wegen seiner Weigerung: dem Ansinnen des Grafen gemäß, noch zwei Jahre im gräflichen Gebiete wohnen zu wollen, unter strenge Polizeiaufsicht gestellt wurde … Aber schon nach wenigen Tagen – am 5. Juni – gelang ihm, nach einer Prophezeiung seiner Gattin während eines belebten Marktes am hellen Nachmittage in Verkleidung eines begleitenden Dieners aus dem Weichbilde der verhaßten Stadt zu entkommen. Die zechenden Häscher bemerkten die Entweichung der Flüchtlinge, welche außerhalb der Stadt bereit gehaltene, flinke Rosse bestiegen, erst Abends, weshalb Letztere Dôle unbehelligt erreichten, wo M. als „Wiedererstandener“ begrüßt, und seine Rückkehr als städtisches Fest gefeiert wurde. M. schickte nun seine Frau mit dem Töchterchen voraus nach Paris; er selbst hielt am 12. Juni 1556 in überfülltem Hörsaale seine fünfte Vorlesung und reihte hieran auf inständige Bitten seiner Verehrer noch einige Lectionen über L. 2–5. D. de verborum obligationibus, wofür ihn seine dankbaren Schüler im Juli in die großartigen Sud- und Salz-Werke von Salins führten. Zur selben Zeit fanden sich aus Gent Abgesandte Philipp II. ein, sie zogen M. nach dessen Vorlesung zur Tafel und trugen ihm den ersten juristischen Lehrstuhl dort oder zu Löwen an, welche Mittheilung mit Rücksicht auf den folgenden Vorfall etwas befremdend klingt, indeß von M. selbst herrührt. So schmeichelhaft nun auch diesem gewesen sein mag, neuerdings zwischen zwei Hochschulen des Reiches als Professor zu wählen, so überwog doch die Sehnsucht nach der theuern Heimath und die Abgeordneten kehrten unverrichteter Dinge nach Hause.

Es verstrichen einige Monate, da erhielten „die lieben und hochgetreuen (très-chiers et féaulx) Unterthanen von Dôle aus Gent, den 12. October 1556, eine vertrauliche Königsbotschaft, in welcher sie angewiesen wurden, einen zu Dôle weilenden Ausländer, den Magister Charles M., dessen Benehmen und Werke nicht frei vom Verdachte der Ketzerei und dessen Unterricht nicht zuträglich für die Jugend sei, in höflichster Form und ohne Aufsehen aus der Stadt zu entfernen. Der Vollzug solch unliebsamen Befehls hatte für die Behörden von Dôle gerade keine Eile! Endlich, am 13. November 1556, fand sich ein Hauptmann mit nöthiger Executionsmannschaft bei M. mit der Aufforderung ein, binnen drei Tagen den Platz zu verlassen und wurde jede Bitte um weiteren Aufschub abgeschlagen. Die Nachricht von diesem Ausweisungsbefehle rief namentlich unter den Studenten große Aufregung hervor. Lärmend und tobend zogen sie vor das Stadthaus, dann die Universität; sie zertrümmerten Bänke und Tische; ja es drohte weiterer Unfug, zu dessen Abwendung M. rasch eine Abschiedsvorlesung in seiner Privatwohnung anzeigte, welche er nach eigener Erzählung „petasatus et ocreatus“ (gestiefelt und gespornt) unter unerhörtem Zudrange hielt.

Als er geendet empfing er hundertfältige Scheidegrüße aber auch schriftliche Huldigungen in Prosa und Versen, in französischer und lateinischer Sprache, (welche dem Bd. III der Gesammtausgabe, den erwähnten „Fünf Vorlesungen“ beigegeben sind). M. beabsichtigte nun auf kürzestem Wege heimzukehren. – Allein von dem reichsfreien Besançon (dem ehemaligen Vesontium), welches eine aufblühende Hochschule besaß, auf das Dringendste eingeladen, reiste er am 16. November dorthin, zumal ihm die Väter der Stadt den Rückersatz seiner in Montbelliard gelassenen Schriften und Bücher, die er schmerzlich vermißte, ganz bestimmt zusicherten. Zahlreiche Studenten mit flottem Federbarette, junge [103] Doctoren, den Degen an der Seite, protestantische Geistliche, Anwälte und ergraute Rathsherrn, auch reiche Einwohner von Dôle mit ihren Dienern, wol an 80 Mann, hoch zu Roß bildeten das prächtige Geleite, mit dem M. in der alten Reichsfeste einritt, gastlich begrüßt von dem Senator Humbert Jeantet, welcher ihn zu seiner Wohnung neben der „école de Grandvelle“ führte. Nach Ankündigung seiner Vorlesung (einer Fortsetzung der in Dôle begonnenen Erklärung einiger Gesetze des Pandektentitels de verb. obligationibus) erhielt er am späten Abend des 6. Januar 1557 die Kunde von dem zu Weihnachten erfolgten Ableben seiner Gattin in Paris. Obwol hierdurch tief erschüttert, glaubte er doch seinen Schmerz verbergen und pflichtgemäß das gegebene Wort einlösen zu müssen. An den drei folgenden Tagen bestieg er den Katheder zu mehrstündigen Vorträgen, welchen über tausend Personen mit gespanntester Aufmerksamkeit folgten, die nach beendeter Vorlesung, von dem Trauerfalle unterrichtet, zahlreiche Beweise aufrichtigster Theilnahme für M. an den Tag legten. Aber auch für die Hochschule wollte man ihn gewinnen und bot ihm neben anderen Vortheilen einen für die damaligen Verhältnisse geradezu unerhört hohen Jahresgehalt von 2000 écus d’or (beiläufig 7400 Thaler oder 22 000 Mark), und als er trotzdem unaufhaltbar fortreiste, begleitete ihn eine große Anzahl von Verehrern und Freunden weit über die Thore der Stadt und versprach ihm für den Fall der Wiederkehr Alles zu thun, was die Stadt nur immer zu leisten vermöge. Hätte unser Gelehrter dieser herzlichen Bitte Folge gegeben, wäre ihm manche Widerwärtigkeit, manche Kränkung der späteren Jahre erspart geblieben!

Mit dem Abzuge aus Besançon, das sammt der „Freigrafschaft“ zum burgundischen Kreise, somit zum deutschen Reiche gehörte, findet Molinaeus’ Thätigkeit in Deutschland ihr Ende. Der Rest seiner Jahre gehörte Frankreich; es sollen daher die Folgenden Zeilen nur dazu dienen, das begonnene Lebensbild zum Abschluß zu bringen. –

Am 21. Januar 1557 in Paris eingetroffen, fand M. sein Haus seit der Gattin Tod verwaist und von Pöbelhaufen zum dritten Male geplündert. Nach dessen Einrichtung waren ihm endlich vier Jahre der Ruhe gegönnt. Innerhalb dieses Zeitraumes (am 30. Juni 1558) schritt er zu einer zweiten Ehe mit Johanna du Vivier, welche Ehe kinderlos blieb. Die ersehnten Jahre der Ruhe waren leider nicht von langer Dauer! Schon im Frühjahre 1562 brachen die Hugenottenverfolgungen aufs neue los; M. sah sein Haus zum vierten Male plündernden Rotten preisgegeben; er selbst floh mit den Seinen am 3. Juni aus Paris und ließ sich nach unstätem Umherirren am 30. Juni zu Orleans nieder, wo er binnen Kurzem den Verlust seines jüngeren Sohnes Ludwig zu betrauern hatte. Oeffentlich gehaltene theologische Vorträge verwickelten ihn alsbald in ernste Streitigkeiten mit den reformirten Predigern. Genöthigt Orleans zu verlassen, wählte er Allone in Beausse, dann Villereau zum Wohnort, wo er einen kleinen Katechismus in lateinischer und französischer Sprache verfertigte, welcher später von Ludwig de Villereau ins Griechische übersetzt wurde. Von herumstreifenden Soldknechten des Herzogs von Guise bedroht und belästigt, kehrte er nach Orleans zurück; nach aufgehobener Belagerung dieser Stadt nach dem erwähnten Allone, und lebte zuletzt behufs größerer persönlicher Sicherheit in Lyon, wo er mehrere druckfertige Arbeiten, darunter seinen Katechismus, in die Presse gab. In Lyon begannen die religiösen Verfolgungen aufs Neue. Wegen des letzteren auf Andringen der unduldsamen Reformirten am 15. Juni 1563 gefänglich eingezogen, jedoch nach zwanzigtägiger Haft wieder freigegeben, ließ er sich im Januar des folgenden Jahres in Paris nieder. Hier schrieb er sein bekanntes Werk: „Conseil sur le faít du concile de Trente réception ou reiect d’icelui“ (Lyon 1564. 8°), worin er in 100 Artikeln Inhalt, [104] Bedeutung und Tragweite dieser Concilsbeschlüsse zergliedert und beleuchtet und dringend vor deren Annahme warnt, da er (ein Gegner der Jesuiten) eine Unterdrückung der Freiheiten der gallikanischen Kirche und eine bisher nicht gekannte Machtentfaltung der römischen Curie befürchtete. Es ist leicht begreiflich, daß in jener Zeit eine polemische Schrift Molinaeus’ über die Tridentiner Beschlüsse die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich lenkte, und daß diese Schrift, überall mit Interesse gelesen, den Weg in die fernsten Theile der gebildeten Welt fand. In der Heimath trug sie dem Verfasser schlimme Früchte, da er beim Parlamente in Anklagestand versetzt, am 7. Juni verhaftet wurde. Indessen war es seinem nach Lyon, an das Hoflager, geeilten Schwiegersohne, dem Amtsrathe Simon Bobé aus Coulemmiers, gelungen, durch einflußreiche Persönlichkeiten am 21. Juni einen königlichen Gnadenbrief zu erwirken, kraft dessen die Haft am 5. Juli gemildert, dann in Hausarrest, später in Confinirung umgewandelt und zuletzt ganz aufgehoben wurde. –

1566 bedenklich erkrankt, beschäftigte sich M. wie in gesunden Tagen lebhaft mit religiösen Fragen. Der Einwirkung des von M. hochgeschätzten Claude d’Espence wird es zuzuschreiben sein, daß er noch auf dem Todtenbette in feierlicher Weise in den Schooß der katholischen Kirche zurückkehrte. M. starb am 27. December 1566, 66 Jahre alt und wurde ohne jedes Gepränge auf dem Andreas-Kirchhofe seiner Pfarrei bestattet. Er wurde von seinem Sohne Carl, Herrn v. Allone, beerbt, welcher jedoch schon 1570 seinem Vater folgte, und von seiner Tochter Anna, der Gattin des vorerwähnten Simon Bobé, welche in der Sonntagsnacht des 19. Februar 1572 mit ihren zwei Töchtern und zwei Mägden in Abwesenheit ihres Mannes von unbekannter Mörderhand in geheimnißvoller Weise ums Leben kam.

M., offen und ehrenfest, ein Jurist von seltener Geistesschärfe, ein hinreißender Lehrer von unübertroffenem Wissen, besaß ein stark entwickeltes Selbstgefühl, welches durch die vielfachen Auszeichnungen, die er in Deutschland empfing, wesentlich genährt wurde. Namentlich steigerte der ehrenvolle Empfang, welchen er an Fürstenhöfen und in Reichsstädten fand, und die glänzenden Berufungen an elf Hochschulen des Reiches (nach Basel, Straßburg, Heidelberg, Leipzig, Marburg, Tübingen, Freiburg, Döle, Besançon, Gent und Löwen), dessen Selbstgefühl zur persönlichen Ueberhebung, welche sich in verletzender Geringschätzung des wissenschaftlichen Gegners äußerte; denn schonungslos geißelte er ohne Rücksicht auf die Person jeden, der nicht seiner Ansicht huldigte.

M. nannte sich ursprünglich „Ictus Parisiensis“; seit dem Tübinger Aufenthalte (1555) „J. U. Dr. antiquus Franciae, nunc Germaniae quoque Ictus, consiliarius et primarius Juris Professor“.

Die Gutachten der letzteren Jahre pflegte er mit dem hochtrabenden Satze zu bekräftigen: „Et ita fateor ego, Carolus Molinaeus, J. U. Doctor, qui nemini cedo, et qui a nemine doceri possum!“ eine Behauptung, welche selbst in dem Munde eines M. aufgeblasen und prahlerisch klingt. Eine Schattenseite des an Lichtpunkten so reichen Charakters unseres Gelehrten bildet auch dessen schwankende Haltung in Glaubenssachen. Katholisch geboren und erzogen, wandte er sich 1542 dem Calvinismus zu, trat während seines Aufenthaltes in Deutschland zum lutherischen Bekenntniß über und kehrte kurz vor seinem Tode in den Schooß der katholischen Kirche zurück; – Wandlungen, welche die Zahl seiner Gegner empfindlich mehrten!

In Anbetracht der unstäten Lebensweise und der mannigfachen Beschäftigungen ist die Zahl der hinterlassenen Schriften (das Verzeichniß führt über 40 Nummern auf), eine erstaunlich große, deren Umfang noch dadurch wächst, daß M. alle namhafteren Arbeiten in französischer und lateinischer Sprache veröffentlichte [105] und sie bei Neuauflagen überdies wesentlich bereicherte. 1618 erschien zu Paris die erste noch ziemlich lückenhafte Gesammtausgabe seiner Werke in 3 Foliobänden, welcher 1624 und 25 die zweite in 3, 1657 die dritte in 4 Bänden folgte; die vollständigste und sorgfältigste ist die vierte von 1681, welche der Parlamentsadvocat Franz Pinsson mit einigen Collegen unter dem Titel: „Caroli Molinaei Franciae et Germania celeberrimi Jurisconsulti, et in supremo Parisiorum Senatu antiqui advocati omnia quae extant opera etc. etc., editio novissima auctior et emendatior“ (Parisiis sumptibus C. Osmont, in aula regii Palatii magna) herausgab. Das sehr sorgsam redigirte und mit vielem Geschmack ausgestattete Werk erfreute sich eines königlichen Schutzbriefes und umfaßt fünf ansehnliche Folianten, von denen die beiden ersten neben Brodeau’s Biographie die Schriften des französischen Rechtes, der dritte jene des römischen, die beiden letzten endlich die des canonischen Rechtes nebst den bezüglichen Vorreden, Einleitungen, Widmungen und Huldigungen zum Gegenstande haben. –

Seit Molinäus’ Auftreten in der französischen Rechtsliteratur waren nahezu hundert Jahre verflossen, bis eine erschöpfende Biographie desselben ans Licht trat.

Der Parlamentsadvocat Jul. Brodeau war es, der aus den Quellen unter Angabe derselben mit vielem Fleiße ein umfassendes Lebensbild des Gefeierten herstellte (Paris 1654. 4°) (Gesammtausgabe von 1681 Bd. I S. 1–60), welches allerdings durch dessen Briefe, namentlich durch die zahlreichen in der Basler Museumsbibliothek aufbewahrten, muthmaßlich auch durch Documente in den Archiven von Marburg, Straßburg, Paris und anderen Aufenthaltsorten Molinäus’ in einzelnen Punkten noch bereichert und vervollständigt werden könnte. M. selbst hat über seinen Aufenthalt in Deutschland am Ende seiner Glossen (§ 15) zum dritten Titel des Commentars über die alte Pariser Coutüme in lateinischer Sprache nähere Angaben gemacht, die sich im Bd. I S. 840 mehrgenannter Gesammtausgabe von 1681 finden. – Ein nach einem Oelgemälde gefertigter Stich in klein 8° zeigt M. in vorgerückten Jahren mit starkem Vollbarte in der Gelehrtentracht jener Zeit. –

Die ältere Litteratur über Molinaeus ist sehr reichhaltig; das Hauptwerk ist die bereits angeführte Biographie von Jul. Brodeau. Von neueren Arbeiten sind hervorzuheben: Eug. et Em. Haag, la France protestante tome IV. p. 411 u. f. Dort findet sich ein genaues Verzeichniß der Schriften mit sorgfältiger Aufzählung aller Ausgaben (S. 416 u. ff.). Villequez, les écoles de droit en Franche-Comté et en Bourgogne in Laboulaye, Revue de législation (Année 1872 p. 288–305). – Klüpfel, Geschichte und Beschreibung der Universität Tübingen S. 78 und 79. – M. Michaud, biogr. univers. T. II. p. 538. – Warnkönig, Französ. Staats- und R.-Geschichte Bd. II S. 116. – Stintzing, Gesch. d. deutschen Rechtsw. 1. Abtheil. (im Namensverz. voce Molinaeus).