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Artikel „Neß, Rupert“ von Paul Beck in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 442–445, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ne%C3%9F,_Rupert&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 15:47 Uhr UTC)
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Neß: Rupert N., hervorragender Reichsprälat und Erbauer des (in der bairischen Provinz Schwaben gelegenen) Benedictinerstiftes Ottobeuren, so wie dasselbe jetzt noch steht, geb. am 24. Januar 1670 zu Wangen i. A., nicht dem geringsten ehemaligen oberschwäbischen Reichs-, jetzt württembergischen Oberamtsstädtchen, welches dem geistlichen bzw. Ordensstande eine Reihe von Würdenträgern, so St. Gallen den berühmten „rothen Uhli“ und Ottobeuren allein drei Aebte etc. gegeben, besuchte die Ottobeuren’schen Klosterschulen, darauf die Benedictineruniversität Salzburg und empfing, nachdem er schon im J. 1688 zu Ottobeuren die Ordensgelübde abgelegt, im J. 1695 die Priesterweihe, wurde darnach Pfarrverweser zunächst in der zum Priorat St. Johann zu Feldkirch gehörigen Pfarrei Tisis, später Stiftsökonom, bis er im J. 1710 als Nachfolger des ebenfalls aus Wangen stammenden Abtes Gordian Scherrich und als 52. seiner Würde unter dem Titel Rupert II. zum Prälaten seines damals reichsunmittelbaren Stiftes erwählt wurde. Als solcher hatte er nun nicht blos die Oberaufsicht über das Kloster als geistliche Anstalt, sondern auch die weltliche Regierung über ein Gebiet von gegen fünf Quadratmeilen mit etwas über 20,000 Einwohner zu führen. Außer vielen Erlassen und Verwaltungsmaßnahmen zum Nutzen der Herrschaft war eine seiner ersten Sorgen die vollständige Ablösung des im J. 1359 an das Hochstift Augsburg gekommenen höchst lästigen Schutzvogteirechtes um die baare Summe von 30,000 fl. Bald darauf im J. 1712 wurde dem Reichsstift durch Kaiser Karl VI., welchem sich der Abt das Jahr zuvor in Füssen vorgestellt, die hohe Auszeichnung zu Theil, daß fortan und erstmals bei Rupert II. in Wirkung tretend mit der Ottobeuren’schen Prälatur die Würde eines wirklichen kaiserlichen Rathes und Erbkaplans verbunden sein sollte. Im Sommer 1713 hatte der Prälat zu Mindelheim eine Begegnung mit dem Herzog von Marlborough als dieser sein dortiges, im J. 1704 ihm von Kaiser Leopold verliehenes, an das Stiftsgebiet angrenzendes Reichsfürstenthum besuchte; und das Jahr darauf im Herbste zu Memmingen eine solche mit dem Prinzen Eugen. Was aber ihm zum größten und unvergänglichen Nachruhme gereicht, war die im J. 1711 nach einem großartigen – von einem eigenen Conventualen, dem kunsterfahrenen Stiftsarchitekten P. Christoph Vogt aus Dietenheim unter seiner Mitwirkung gefertigten – Plane unternommene vollständige Neuerbauung und Erweiterung des Klosters mit allen Nebengebäuden [443] auf dem bisherigen Platze, wozu er selbst am 5. Mai den Grundstein legte. Obwol schon die Fundamentirung ein ungeheures Stück Arbeit erforderte, stand bereits im J. 1713 ein Theil des Conventgebäudes gegen Morgen unter Dach und Ende des Jahres 1714 auch die westliche Seite, so daß nunmehr der wirkliche Einzug in dasselbe vor sich gehen konnte. Nach und nach wurden auch die beiden Seitenflügel und der Zwischenbau des Klostergebäudes fertig, unter dessen vielen herrlichen Räumen das Refectorium, das Archiv, der Bibliothek- und sogenannte Kaisersaal hervorgehoben sein mögen. Dann wurden alle die vielen Oekonomie- und Nebengebäude, ein kleines Dorf für sich, in Angriff genommen. Ueber die Ausführung des Ganzen spricht sich der verdiente Stiftsannalist P. Maur. Feyerabend folgendermaßen aus: „So lange Rupert II. lebte, baute er und zwar alles meistentheils im großen Stil. Alle seine Gebäude empfehlen sich durch Licht, Ordnung, Schönheit und Dauer; alle Verzierungen stehen an ihrem Platze; allenthalben gehen Thüren auf Thüren, Fenster auf Fenster, und selbst die entfernteren Bedienstetenwohnungen stehen in Symmetrie mit dem Ganzen.“ Als nunmehr Alles in der Hauptsache wohlgerathen hergestellt war, kam der von dem baulustigen Abte schon länger gehegte Plan, zur Krönung des Ganzen noch einen großartigen neuen Tempel an Stelle des im J. 1558 durch Abt Kaspar Kindelmann erbauten aufzuführen, an die Reihe und mit der Zeit auch zur Ausführung. Nach langen Vorbereitungen und nachdem man sich für einen aus fünf – nebst Modellen, u. a. von den Architekten Maini aus Lugano und Dominik Zimmermann aus Landsberg – vorliegenden Grundrissen combinirten Bauplan entschieden, legte der Abt selbst am 27. October 1737 unter dem Haupteingang gegen die Nordseite den ersten Stein zu der neuen (jetzt noch stehenden) Kirche. Hand in Hand mit dem Außenbau ging die innere Einrichtung und Ausschmückung, an welcher nichts gespart wurde; eine Menge Künstler und Handwerker, von welchen hier nur die aus München gekommenen venetianischen Maler Jak. Amiconi und Ruffini, Bellandeli, Hier. Hau von Kempten, Joh. Georg Bergmüller etc. genannt sein sollen, wurden nach und nach in der langen Bauzeit nach Ottobeuren gezogen und daselbst schließlich zum Theil selbst herangebildet, wie z. B. der talentvolle Franz Ant. Erler, ein Schüler Amiconi’s, und Arbogast Thalheimer etc.; und es mag an diesem Platze die Thatsache nicht unerwähnt bleiben, daß der nachmalige bekannte Maler und Kupferstecher Joh. Gottlieb Prestel in Frankfurt a. M., der Ahnherr einer ganzen Künstlerfamilie, in der Jugend als einfacher Dorfjunge und Schreinerlehrling, von seinem Heimathdorfe Groenenbach, wenn es ihm zu Hause zu enge wurde, oftmals wie von einer idealen Anwandlung getrieben, nach dem nahen Ottobeuren wandelte, sich unter das fröhliche Künstlervölkchen mischte und so, in das Anschauen der hier entstehenden Kunstschöpfungen immer und immer wieder versunken, an dieser Stätte (namentlich bei dem Maler Joh. Jak. Zeiler) die erste Anregung zu seinem künstlerischen Berufe fand. Ebenso ist der Ottobeurer Tempelbau auf die nicht lange darauf erfolgte Errichtung der großartigen Klosterkirche zu Neresheim mit von Einfluß geworden. – Trotz des kolossalen Aufwandes für alle diese Bauten wußte es der Prälat als kluger Haushalter doch durch ausgezeichnete Verwaltung, weise Eintheilung und geschickte Finanzoperationen fertig zu bringen, daß die Leistungsfähigkeit seines Stiftes nicht übermäßig in Anspruch genommen und von demselben die Gefahr der Anhäufung von Schuldenmassen abgehalten wurde. Ebensowenig erlitt unter diesen steten Bauangelegenheiten der klösterliche und wissenschaftliche Geist eine Einbuße; gleich zu Anfang seiner Regierung hatte er sein Hauptaugenmerk auf den Zustand, bzw. die Verbesserung der öffentlichen Landschulen, namentlich – in Befolgung einer an alle deutschen Ordinariate ergangenen kaiserlichen Verordnung – des Religionsunterrichtes gerichtet und im J. 1713 eine neue Schulordnung erlassen. Seinem alten Rufe als Pflanzschule [444] der Wissenschaft, welchen das Reichsstift Ottobeuren von jeher durch Voranstehen bei allen vom Benedictinerorden ausgegangenen wissenschaftlichen Unternehmungen, wie bei der Gründung der Hochschule zu Salzburg, durch Stellung beinahe der meisten Lehrkräfte an die von den Benedictinern unterhaltenen Lehranstalten, so nach Salzburg, an die Akademie in Fulda, das Lyceum zu Freising und an verschiedene Gymnasien, bethätigt und welchem es den Besuch Mabillons und Germains im 17. Jahrhundert zu verdanken hatte, blieb es auch in dieser Periode getreu; nicht nur waren die Hausschulen mit Männern wie Beda Braunmiller, den Theodor Schülz und Albert Kretz, unter dessen vielen Werken die große Benedictinerlegende mit 367 Kupfern und das merkwürdige Manuscript „Die weite Welt im engen Kreise“ hervorzuheben wären, aufs beste besetzt, sondern eine Reihe von Conventualen wirkte in der ehrenvollsten Weise auswärts, so zu Salzburg vor allem als langjähriger Universitätsrector und Docent der Rechte, der hochgelehrte Franz Schmier, dessen Bruder Bened. Schmier als Lehrer der Philosophie, Seb. Textor als Prokanzler und Exegetiker, Pontian Schütz u. a.; in Freising Gall Sindlin etc. und zu Fulda Ans. Erb als Professor des Kirchenrechts. Die Universität Salzburg anerkannte dankbar die vielen Verdienste des Abtes um die Pflege der Wissenschaften und erwählte ihn in Würdigung dessen bei ihrer ersten Jubelfeier im J. 1718 zu ihrem Präses. Zu eigener litterarischer Thätigkeit blieb ihm, der sich früher nur in einer Schrift „Vindiciae de existentia Dei et immortalitate animae contra Atheos“ versucht, freilich bei der ausgedehnten Verwaltung so gut wie keine Zeit; doch hat er wenigstens ein über seine ganze Regierungszeit sich erstreckendes für die Stifts- und auch die Localgeschichte nicht unwichtiges ausführliches Tagebuch hinterlassen. Weniger glücklich war er als Präses der schwäbischen Benedictinercongregation mit seinen vielen Bemühungen, dieselbe von aller bischöflichen Gerichtsbarkeit unabhängig und unmittelbar unter die des heiligen Stuhles zu stellen. Zwar erhielt er im J. 1727 das Exemtionsbreve von Rom, hauptsächlich durch Vermittlung des Cardinals Lambertini, nachmaligen Papstes Benedict XIV., allein dasselbe brachte die Bischöfe und geistlichen Kurfürsten dermaßen in Harnisch, zu Drohungen mit Schritten beim Kaiser sowie mit Repressalien, nämlich Sperrung aller Regalien, daß man von der Sache wieder abstand und alles beim Alten ließ. Auch mußte dieser verdienstvolle, gewiß kirchlich gesinnte Mann es erleben, daß er im J. 1714 von dem bischöflichen Ordinariate Augsburg unter dem geistesschwachen Sigmund Alexander Pfalzgraf bei Rhein und Herzog zu Neuburg angeblich wegen gegenüber dem Benedictinerinnenklösterchen St. Anna zu Wald verletzter Kirchenfreiheit, hauptsächlich auf Betreiben des ihm persönlich sehr feindselig gesinnten und früher in Ottobeuren’schen Diensten gestandenen Kanzlers Phil. Kögel, wenn auch nur auf ganz kurze Zeit, mit dem öffentlichen Kirchenbann belegt wurde. Die Vollendung des neuen, von ihm in Angriff genommenen Prachttempels, eines ihm ans innerste Herz gewachsenen Werkes, durfte der am 20. October 1740 nach 30jähriger vorzüglicher Regierung Dahingegangene, welcher eigentlich ein ganz neues Ottobeuren schuf und an welchem dasselbe, wie Feyerabend schreibt, seinen zweiten Stifter verlor, freilich entfernt nicht mehr erleben und mußte er es in den ersten Baustadien seinem aus Ravensburg gebürtigen Nachfolger Ans. Erb überlassen; und auch unter diesem wurde der Riesenbau mit seinen zwei, je 286 Fuß hohen Thürmen erst im J. 1766 nach Vornahme einer nochmaligen gründlichen Baurevision im J. 1744 durch den bairischen Baudirector Effner und nachdem auf denselben weit über eine halbe Million Gulden aufgewandt worden war, fertig gestellt. Ist auch der Stil der in Kreuzesform aufgeführten 312 Fuß langen, 210 Fuß breiten Kirche gewöhnlich als der der Spätrenaissance bezeichnet, genauer bestimmt innen wie außen der des feinsten, aber auch viel geschmähten Rococo’s, so darf man, um [445] nicht ungerecht zu sein, der genialen Conception des ganzen Baues, seinen kühnen Dimensionen und wirksamen Verhältnissen die Anerkennung nicht versagen; diese architektonischen Maße, wie man sie hier zu schauen bekommt, sind so glücklich gewählt, daß sie selbst Gegner dieser Bauart zur Bewunderung hinreißen. Die Façade bietet von außen geradezu einen prachtvollen Anblick; und tritt man durch das Hauptportal in das Gotteshaus, so macht das Innere durch seinen Umfang, Höhe, durch seine in lebendiger Composition, vollendeter Technik und Farbenpracht gehaltenen Decken- und Wandgemälde, durch seine Bildsäulen und alle übrigen so reichen Verzierungen einen überwältigenden Eindruck. Nicht minder ist das auf einer kleinen Anhöhe und ganz freistehende, in einem Vierecke und in 3–4 Stockwerken aufgeführte, im Prachtstile (oder, wie auch schon gesagt wurde, im Prälatenstile) des 18. Jahrhunderts gehaltene Klostergebäude innen und außen von wahrhaft fürstlichem Ansehen. Will man sich eine richtige Vorstellung von einem echten Reichsstifte ersten Ranges aus dem vorigen Jahrhundert machen, so muß man sich Ottobeuren, „Schwabens Escurial“, wie man es nicht ohne Grund schon genannt hat, ansehen; und solange Kirche und Kloster, von welchen einst der Linzer Bischof Greg. Thom. Ziegler an König Ludwig I. von Baiern schrieb, daß erstere in ihrer Art noch nirgends erreicht, viel weniger übertroffen worden sei und letzteres ein Muster der Baukunst nicht blos in Deutschland, sondern auf dem ganzen Erdkreis bilde, noch stehen, werden sie für den Erbauer und das Stift selbst ein rühmliches Zeugniß bleiben und zu den großartigsten Denkmälern der Spätrenaissance in Deutschland zählen.

Feyerabend, Sämmtliche Jahrbücher von Ottobeuren etc., III u. IV (Ottobeuren 1815 u. 1816). – Ottobeuren von P. Mag. Bernhard (ebendas. 1864) u. eine Reihe von handschriftlichen Aufzeichnungen etc.