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Artikel „Rösch, Ulrich (VIII.), Fürstabt von St. Gallen“ von Johannes Dierauer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 29 (1889), S. 161–163, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ulrich_VIII.&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 21:44 Uhr UTC)
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Rösch: Ulrich R. (Ulrich VIII.), Fürstabt von St. Gallen, geboren am 4. Juli 1426, † am 13. März 1491. R. war ein Bäckerssohn aus Wangen im Allgäu. Er kam früh in das Kloster St. Gallen, diente dort zuerst als Küchenjunge, konnte sich dann aber, unterstützt vom Abt Eglolf (1426–42), der seine Talente erkannte, den Studien widmen und fand Aufnahme in den Convent. Unter Abt Kaspar von Breitenlandenberg (1442–57) machte er sich mit den Geschäften vertraut und gewann rasch hervorragenden Einfluß. Er stellte sich an die Spitze einer Oppositionspartei, welche gegenüber diesem herrschsüchtigen, sorglosen und verweltlichten Herrn die Interessen des Klosters mit allem Nachdruck zu wahren suchte. Es gelang ihm denn auch, den bereits eingeleiteten Verkauf der fürstlichen Landeshoheit an die Stadt St. Gallen und die geplante Umwandlung der Benedictinerabtei in ein Chorherrenstift zu hintertreiben. Als die Zustände unleidlich geworden waren, wandte er sich direct nach Rom und erwirkte, daß durch einen Spruch des Cardinals Aeneas Sylvius die Verwaltung dem Abte entzogen und ihm selbst als „Pfleger“ übertragen wurde (9. Nov. 1457). Nach Kaspar’s Tode (24. April 1463) ernannte ihn Pius II., indem er dem Stifte eine Wahl verbot, zum Abt.

In dieser Stellung entfaltete nun Ulrich R. 28 Jahre lang eine höchst bedeutende Thätigkeit. Seit den Tagen des Abtes Kuno von Stoffeln (A. D. B. XVII, 384), der durch sein hartes Regiment die Appenzeller zum Abfall getrieben hatte, war das Kloster unaufhaltsam einem tiefen Verfall entgegengegangen. Ganz besonders unter Abt Kaspar hatten sich alle Bande einer gesetzlichen Ordnung bei den Gotteshausleuten gelockert. Die Gerichte waren außer Thätigkeit, die Rechtsverhältnisse unsicher, das Klostergut vernachlässigt oder verschleudert, Sitte und geistliche Zucht verdorben. Mit energischer Hand griff der neue Abt in diese Mißstände ein. Er war ein Mann von seltenen Geistesgaben, ein geborner Herrscher und scharfsichtiger Politiker, seiner Pflicht mit ganzer Seele hingegeben, unermüdlich in der Arbeit und zähe bis zur Rücksichtslosigkeit, wo es sich um die Rechte und den Vortheil seines Stiftes handelte. Vor allem nahm er darauf Bedacht, dem Kloster eine stärkere Stellung zu verschaffen und die materiellen Grundlagen seiner Existenz zu sichern. Er kaufte 1468 von dem Walliser Freiherrn Petermann von Raron, einem Erben des 32 Jahre früher ausgestorbenen toggenburgischen Dynastengeschlechtes, um die Summe von 14500 Gulden die Landeshoheit über die Grafschaft Toggenburg und brachte durch diese Erwerbung sein unmittelbares Herrschaftsgebiet beinahe auf den doppelten Umfang. Von allen Unterthanen ohne Ausnahme forderte er die Huldigung, die beinahe in Vergessenheit gerathen war. Nach Möglichkeit beseitigte er die in seinen Territorien bestehenden fremden Gerichtsbarkeiten und Hoheitsrechte. Gestützt auf ein noch von König Wenzel den Aebten ertheiltes Privilegium, löste er innerhalb seines Gebietes die vom Reiche versetzten Vogteien zu Handen des Stiftes ein. Zahlreiche Güter und Zinse, die seit hundert und mehr Jahren verpfändet waren, erwarb er, oft genug zur peinlichen Ueberraschung der Inhaber, zurück. Bei strenger Sparsamkeit und kluger Wirthschaft war er immer geldbereit. Die reinen Einkünfte, die bei seinem Antritt nicht über 1300 Gulden betragen hatten, stiegen von Jahr zu Jahr. Man hat nachgerechnet, daß er [162] für nützliche Bauten 28 000 Gulden verwenden konnte. So wuchs auch die Klosterfamilie, die zur Zeit des Abtes Kaspar beinahe ausgestorben war, wieder an; er brachte sie auf 20 Mitglieder und erneuerte in ihr, wenn nicht eine strenge Askese, so doch die alte, gute Zucht des Benedictinerthums. Mit der Eidgenossenschaft, der die Abtei seit dem Jahre 1451 infolge eines Bündnisses mit den vier „Orten“ Zürich, Luzern, Schwiz und Glarus als „zugewandtes“ Glied angehörte, unterhielt er fortwährend gute Beziehungen. Gewissenhaft stellte er in den Burgunderkriegen seine Contingente, und 1478 ließ er auf den Ruf der Eidgenossen die St. Gallische Mannschaft auch gegen Bellenz ziehen. Nicht minder sorgfältig erfüllte er seine Verpflichtungen gegenüber dem Kaiser: sein Fähnlein fehlte z. B. nicht in jenem Reichsheer, das sich 1475 von Köln aus gegen das burgundische Lager vor Neuß in Bewegung setzte. Sein geschicktes und erfolgreiches Walten verschaffte ihm in weiten Kreisen Achtung. Friedrich III. verwendete ihn wiederholt als Commissär, und die Päpste übertrugen ihm wichtige politische und kirchliche Geschäfte. Während der Kämpfe Sixtus’ IV. gegen die Republik Venedig leitete er Verhandlungen zwischen der Curie und den Eidgenossen (1483). Der Papst hatte sogar die Absicht, ihn zum Cardinal zu erheben; doch lehnte er diese Würde ab.

Das steigende Ansehen des Klosters und seines Vorstehers erregte nun aber, wie nicht anders zu erwarten war, den Neid und die Besorgniß der Nachbarn in der Stadt St. Gallen und im Lande Appenzell, die in langer Anstrengung sich von der Abtei losgelöst hatten und jetzt ihre Errungenschaften durch den kecken, streitbaren Fürsten auf Schritt und Tritt bedroht sahen. Mit den Appenzellern war er schon im Anfang seiner Regierung wegen ihrer Herrschaft Rheinthal und wegen des Restes ihrer Verpflichtungen gegenüber dem Kloster in verdrießliche Händel gerathen. Besonders unfreundlich gestaltete sich sein Verhältniß zur Stadt. Das räumliche Ineinandergreifen von Competenzen führte hier zu immer neuen Reibungen, und jede Zumuthung der einen Partei erweckte die mißtrauische Eifersucht der anderen. Der Abt, dessen Kloster ganz von städtischem Gebiet umgeben war, konnte seinen sehnlichen Wunsch, ein eigenes Thor durch die Ringmauer anlegen zu dürfen, nicht in Erfüllung bringen, da die Bürgerschaft entschiedene Einsprache gegen das Project erhob.

In dieser Lage faßte Ulrich einen doppelten Entschluß. Um für alle Wechselfälle eine feste Stütze zu haben, zog er die Eidgenossen aufs engste in sein Interesse und scheute sich nicht, ihnen sogar einen Theil der Selbständigkeit seines Stiftes zum Opfer zu bringen. Am 8. November 1479 ging er mit den vier verbündeten Orten einen Schirmvertrag ein, nach welchem diese wechselweise je für zwei Jahre ein Rathsmitglied als Hauptmann zu verordnen hatten, der, auf Kosten des Gotteshauses, seinen Wohnsitz in der fürstlichen Landschaft nehmen und dem Abte mit Rath und That in weltlichen Geschäften beistehen sollte. Hierauf traf er Anstalten, sich der lästigen Nachbarschaft der Stadt St. Gallen zu entziehen und in Rorschach am Bodensee, unweit der Grenze des Rheinthals, ein neues Kloster zu bauen. Nachdem er sich mit kluger Umsicht die päpstliche und kaiserliche Zustimmung zu diesem Plan erwirkt hatte, bereitete er das Unternehmen in aller Stille vor, und am 21. März 1487 konnte er den Grundstein legen.

Sein Vorgehen erregte aber den stärksten Widerspruch in seiner ganzen Umgebung. Die Gotteshausleute in der alten fürstlichen Landschaft besorgten neue Steuern und Einbuße an Verdienst. Die Stadt St. Gallen, in welcher dem Abte ein ebenbürtiger Gegner, Ulrich Farnbühler, gegenüberstand, hegte Befürchtungen für ihren Markt und ihren Handel, und die Appenzeller sahen ihre rheinthalische Herrschaft durch die Nähe eines befestigten Klosters bedroht. Umsonst [163] wurde dem Abte von allen Seiten die Einstellung der Bauten nahe gelegt: er blieb unerschütterlich bei seinem Entschlusse. Da glaubten die St. Galler und Appenzeller auch ihrerseits jede Rücksicht fallen lassen zu dürfen. Sie zerstörten am 28. Juli 1489 die begonnenen Bauten und setzten sich mit den zum Abfall geneigten demokratischen Elementen rings um die Abtei in Verbindung. Abt Ulrich war aber nicht der Mann, diesen offenbaren Friedensbruch ungerächt zu lassen. Er entfaltete die ganze Energie seines Wesens und wandte sich unverzüglich an die Eidgenossen, um vor ihrem Forum sein Recht zu verfolgen. Nachdem alle Vermittlungsversuche an der schroff abweisenden Haltung seiner Gegner gescheitert waren, erreichte er, daß die vier Schirmorte im Februar 1490 mit überlegener Macht zur kriegerischen Execution schritten. Stadt und Land ergaben sich ohne erheblichen Widerstand und mußten sich dann dem demüthigenden eidgenössischen Spruche unterziehen, der ihnen – und voran der Stadt – nicht nur die Bezahlung schwerer Summen an die Geschädigten, sondern auch die Preisgebung verschiedener territorialer Interessen auferlegte (März und Mai 1490). Bürgermeister Farnbühler sah sich zur Flucht genöthigt.

Wenn nun auch der Abt auf die förmliche Verlegung der klösterlichen Verwaltung nach Rorschach verzichtete und den Schirmorten in der Ausübung landeshoheitlicher Rechte auf seinem Gebiete weitere Zugeständnisse machen mußte, so hatte er doch die Genugthuung, seine verhaßten Gegner in empfindlichster Weise getroffen zu haben. Indeß konnte er sich seines Sieges nicht mehr lange freuen. Schon ein Jahr nach diesen Ereignissen überraschte ihn der Tod während eines Aufenthaltes in seiner Stadt Wil. Seine Leiche wurde mit großem Gepränge nach St. Gallen gebracht und dort auch von der Bürgerschaft „schön“ empfangen. Denn, wie Vadian sich ausdrückt, man war geneigter, dem Todten Ehre zu erweisen, als dem Lebenden. Die Inschrift auf seinem Grabe in der Klosterkirche deutete treffend an, daß er Mönch und zugleich Herrscher war, daß er unter der Kutte den stolzen Sinn des Fürsten trug. – In der Stadt St. Gallen konnte man die Unbill, die man um seinetwillen, wenn auch nicht ohne eigene Schuld, hatte erleiden müssen, lange nicht vergessen. Im Kloster aber bewahrte man dem ausgezeichneten Verwalter mit Recht ein dankbares Andenken. Aus tiefster Versunkenheit hatte er das Stift wieder zu mächtiger Stellung emporgehoben, sodaß es in der Folge auch die Stürme der Reformationszeit zu überwinden vermochte. – Er war ein großer, stark gebauter Mann. Das Volk nannte ihn wegen der Farbe seiner Haare „den rothen Uli“.

Vgl. Eidgenössische Abschiede, II und III. – Denkschrift wegen des Klosterbaues zu Rorschach (von Abt Ulrich selbst verfaßt), abgedruckt in den St. Galler Mittheilungen zur vaterländ. Geschichte II (1863). – R. v. Liliencron, Histor. Volkslieder II, Nr. 159, 175–177. – Vadian, Chronik der Aebte des Klosters St. Gallen, 2. Hälfte (Deutsche historische Schriften, herausgegeben von Ernst Götzinger, II St. Gallen 1877), eine Darstellung, die noch unter dem Einfluß der in der St. Gallischen Bürgerschaft anhaltenden, leidenschaftlichen Erregung geschrieben worden ist und daher mit Vorsicht benutzt werden muß, aber zu den bedeutendsten Leistungen deutscher Historiographie des 16. Jahrhunderts gehört. – Ild. v. Arx, Geschichten des Kantons St. Gallen II (1811). – Zellweger, Geschichte des appenzellischen Volkes II (1834), mit Urkunden. – R. Kaufmann, Klosterbau und Klosterbruch in Rorschach unter Abt Ulrich VIII. (Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung II, 1870). – (Dierauer), St. Gallens Antheil an den Burgunderkriegen (1876).