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Artikel „Meister, Jakob Heinrich“ von Heinrich Breitinger in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 21 (1885), S. 256–259, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Meister,_Jakob_Heinrich&oldid=- (Version vom 3. November 2024, 07:52 Uhr UTC)
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Meister: Jakob Heinrich M., französischer Schriftsteller, Sohn des zürcherischen Theologen Johann Heinrich M. (dit Le Maître) und Geschwisterkind mit Leonhard M., wurde den 6. August 1744 zu Bückeburg (Schaumburg-Lippe) geboren, woselbst sein Vater französischer Hofprediger war. Mit diesem zog er 1747 nach Erlangen, 1757 nach Küsnacht am Zürichsee. Auf seinem Stammbuche vom J. 1757 nennt er sich „Jacobus Henricus Meisterus al. Le Maitre dictus, natione Guestphalo-Buckeburgicus, civitate Helvetio-Thuricensis, studiorum acad. initiatione Erlango-Francus“. Von seinem gelehrten Vater gründlich vorbereitet, wurde M. am 16. December 1760 in die theologische Klasse des Züricher Carolinum aufgenommen und 1763 ordinirt. Nachdem er einige Zeit im Vaterhause verlebt und „Vier Predigten auf dem Lande gehalten“ 1766 publicirt hatte, begab er sich in die französische Schweiz, sodann mit Empfehlungen des Genfers Moultou nach Paris, wo der Banquier J. Necker ihm eine Hauslehrerstelle bei der geistvollen und schönen Frau von Vermenoux verschaffte. Der Dichter Bodmer richtete in dieser Zeit an den Sohn seines intimen Freundes eine Epistel seiner Apollinarien („An Heinrich Meister in Paris“, 1766), worin er ihn auffordert, das verdorbene Paris an die ländlichen Reize seiner Heimat zurückzutauschen. Anfangs 1768 kehrte M. in der That ins Vaterhaus zurück. Aber die Verbindung mit den „Philosophen“, besonders mit Diderot und Grimm, hatte ihn bereits zum Jünger ihrer Ideen gemacht. In einem Verein junger Zürcher las er einen französischen Aufsatz, den er im Mai 1768 unter dem Titel „De l’origine des principes religieux“ ohne Namen des Autors und des Verlegers bei R. Füßli in Zürich drucken ließ. Diese Schrift veranlaßte die dortige theologische Censur einzuschreiten. M. entzog sich ihrer Strenge durch die Flucht und wurde am 21. Juni 1769 vom Rathe der Republik Zürich „contumaciter dahin verurtheilt, daß wenn er in hiesiger Stadt oder Immediat-Landen betreten würde, er alsbald angehalten und in den Wellenberg gesetzt werde“. Bodmer tröstete den Vater mit den Worten: „Ein gütiges Urtheil müssen wir allein von den Freunden und von den Nachfahren erwarten, und diese Nachfahren sind in potentia schon da, wiewohl nicht in potestate.“ Verbannt aus seiner Heimat, begab sich M. nach Paris, wo er bis 1792 verblieb. Ueber sein ferneres Verhältniß zu Frau von Vermenoux hat der Graf d’Haussonville in seinem 1882 erschienenen Buche „Le Salon de Mme Necker“ (I, 97–110 und 209–216) interessante Aufschlüsse gegeben. Meister’s schriftstellerische Arbeiten bis zum Ausbruche der Revolution bestehen in einer Uebersetzung von Salomon Geßner’s Dichtungen, in kleineren philosophischen Versuchen, besonders aber in seinen Beiträgen zur „Correspondance littéraire etc. par le Baron de Grimm et par Diderot“, deren neuester Herausgeber, Maurice Tourneux (besonders X, 208 und XVI, 209 ss. des bei Garnier 1877–1882 publicirten Werkes) nachgewiesen hat, daß Meister’s Antheil an dieser Correspondenz weit bedeutender war als man bisher angenommen. M. hat auch den ersten Nekrolog über Diderot und über Grimm geschrieben (beide in seinen Mélanges wieder abgedruckt). Im Sommer 1789 brachte M. einige Wochen in London zu, und 1792 sah er sich im Falle, wider seinen Willen ein halbes Jahr in England zu verbleiben. Seine englischen Reisen erzählt er in einem [257] besonderen Buche. Nach einem Aufenthalte in Genf, Coppet und Bern kehrte M. 1794 in seine Vaterstadt Zürich zurück, wo er sich zunächst mit neuen Ausgaben früherer Publicationen beschäftigte. Im September 1795 besuchte er für einige Wochen Paris, „wohin ihn Vermögensinteressen, Neugier und das Bedürfniß lockten, alte Freunde aufzusuchen“. Auch diese Reise hat M. zum Gegenstande einer Publication gemacht. Sein Büchlein fixirt einen interessanten Moment in der Geschichte Frankreichs und seiner Hauptstadt und besitzt als getreue Schilderung eines orientirten Augenzeugen historischen Quellenwerth. 1800 gab M. seine philosophischen Gespräche und den kleinen Roman „Betzi“ heraus. Letzterer ist eine übrigens bescheidene Concession an den Geschmack der Directoriallitteratur. Es ist die Geschichte einer Grisette, die auch in Meister’s Gedichten eine Spur zurückgelassen: eine Erinnerung an persönliche Erlebnisse im J. 1784. Die Schicksale seines Vaterlandes lenkten Meister’s Aufmerksamkeit nun wieder auf seine nächste Umgebung, und 1801 veröffentlichte er sein Schriftchen: „La Suisse à la fin du 18me Siècle“. Von den elf Stücken dieser Sammlung ist ein einziges in deutscher Sprache abgefaßt: ein satyrisches Zwiegespräch zwischen der Stiefmutter Rasconia und ihrer armen Tochter Heutelia (Frankreich und die Schweiz). Die böse Stiefmutter schneidet dem Mädchen erst den Zopf ab und reißt ihm dann unter wechselnden Liebkosungen und Drohungen die Kleider Stück für Stück vom Leibe. Den launigen Dialog schließt Heutelia mit den Worten: „Ja ich lache, weil Sie so unaussprechlich mich lieben, – Und ich weine, weil mir’s dennoch so übel behagt“. In den folgenden zwei Jahren verfaßte M. einen Almanach, den colorirte Costümbilder aus der Directorialzeit zieren. Hier erschien ein Nekrolog auf Lavater, Meister’s intimen Freund. Schon in seiner Schrift über die Schweiz am Ende des 18. Jahrhunderts hatte M. sich über die politische Lage seines Landes ausgesprochen. Bonaparte ernannte ihn zum Präsidenten der Commission, welche die Mediationsverfassung im Canton Zürich einzuführen hatte. Am 18. April 1803 eröffnete M. den ersten großen Rath seiner Republik mit einer Rede, die den schroffen Parteien vor allem Mäßigung empfahl. Nach Beendigung seiner Mission kehrte M. zu seinen litterarischen Arbeiten zurück. In der Art Labruyère’s faßte er in dem Buche: „Etude sur l’homme“ etc. seine Erfahrungen über die Gesellschaft und den Menschen zusammen; sodann (zwischen 1805 und 1810) ließ er seine fünf Schweizernovellen, seine Gespräche über die Unsterblichkeit und seine Briefe über das Alter drucken. In diesen letzteren berührt er seine 1806 erfolgte späte Verehelichung mit den Worten: „Nachdem ich bereits das siebente Jahrzehend meines Lebens angetreten, hat es das Schicksal so geleitet, daß der Gegenstand meiner ersten Liebe, die Freundin meiner Kindheit und meines Alters, – daß sie mit mit mir verbunden ward, die ich schon als fünfzehnjähriger Jüngling geliebt“ (Lettres sur la viellesse, p. 114). Bei Anlaß des Wiener Congresses, im Februar 1815, schrieb M. eine Flugschrift, in welcher er den Restaurationsgelüsten der Aristokratenpartei mit kluger Warnung entgegentrat. Die letzten zehn Lebensjahre Meister’s beschäftigten religiöse Gedanken. Nach dem Vorgange Heinrich Zschokke’s schrieb auch er seine: „Heures, méditations religieuses“. Dieselben sind dem Kaiser Alexander von Rußland gewidmet, der ihm mit einem Brillantringe dankte. Er gab auch religiöse Gedichte heraus, deren Grundgedanken Gottes Güte und der Unsterblichkeitsglaube sind. Indessen die Fragen der Zeitgeschichte und der Litteratur behielten für Meister’s lebhaften Geist ihren Reiz bis zu seinem Tode. Als Fortsetzung der 1815 vollendeten Ausgabe der oben erwähnten Correspondance littéraire von Grimm und Diderot ließ M. 1818 unter dem Titel: „Esquisses europénnes“, politische Betrachtungen [258] über die Lage Europas, erscheinen; seine Aufsätze sammelte er in den Mélanges, und in kleinen Arbeiten schilderte er das damalige Bern und Zürich, seine Ausflüge nach den oberitalienischen Seen, seine Lebensweise als Greis etc. M. starb 1826 in seinem dreiundachtzigsten Jahre in der Nacht vom 8. auf den 9. November. David Heß widmete ihm einen Nekrolog, der am 11. November 1826 in der neuen Zürcher Zeitung erschien. Meisters Nachlaß kam erst nach Genf, 1847 nach Winterthur an die Familie Reinhard-Sulzer. Derselbe enthält u. a. Briefe berühmter Personen und eine fragmentarische Autobiographie. Die Stadtbibliothek Zürich bewahrt in den Escherpapieren die Privatacten der Preßaffaire von 1769. Sie besitzt auch das Manuscript eines Theiles der Correspondance littéraire von Grimm und Diderot, schöne Copie eines Secretärs, welche als Druckmanuscript bei der ersten Ausgabe gedient haben muß. Mit Ausnahme der vier Predigten, der Satyre Rasconia und der Eröffnungsrede von 1803 hat M. alle seine Schriften französisch abgefaßt. Seine Mutter war eine Hugenottin aus Loudun; Französisch war somit seine Muttersprache. Meister’s Diction ist glatt und klar und besitzt alle Wahrzeichen des 18. Jahrhunderts. Obgleich ein Autor zweiten Ranges, wußte M. sich ein Publicum zu erobern, mit seiner Feder ökonomische Unabhängigkeit zu erringen. Einige von seinen Schriften haben mehrere Auflagen erlebt und deutsche Uebersetzer gefunden. M. hat zwar kein Werk geschaffen, das seinen Namen in der Litteratur fixirte. Gleichwol läßt sich aus der Vielheit seiner Schriften eine Einheit herauslesen. Er zählt zu derjenigen Gruppe, welche die Franzosen Moralisten nennen, scharfe Beobachter von Gesellschaft, Menschen und Sitten. M. besitzt weniger Phantasie als Gemüth. Was ihm an Erfindungsgabe abgeht, weiß er durch Erfahrung und Beobachtung zu ersetzen. Sein Geschmack hat sich an den französischen Classikern gebildet, auch er stellt Racine über Shakespeare und Virgil über Homer. In religiösen Dingen blieb er beim Deismus, aber sein Herz durchwärmte sein Bekenntniß. Der rastlose Thätigkeitstrieb seines Vaters war und blieb sein Erbtheil. – Werke: „De l’origine des principes religieux“, Zürich 1768; abgedruckt in dem Recueil philosophique, Amsterdam 1770 chez Michel Rey (Voltaires Urtheil lautet: „Notre Zuricois ira loin. Il a mangé hardiment de l’arbre de science dont les sots ne veulent pas que l’on se nourrisse, et il n’en mourra pas“). – „Logique à mon usage“, Amsterdam 1772; „Oeuvres de Salomon Gessner, contes moraux et idylles, trad. de l’allemand“, 2 vols., Zürich 1773 und 1777. Dieselben 1779 – 1795 in illustrirter Prachtausgabe bei Barbier in Paris; „De la morale naturelle“, Paris 1787 (übersetzt von Wieland, Leipzig 1787); „Aux mânes de Diderot“, London et Paris 1788; „Souvenirs d’un voyage en Angleterre“, Paris 1791; „Premiers principes du système social appliqués à la Révolution présente“, Paris 1791; „Conversations patriotiques“, Paris 1791; „Lettres sur l’imagination“, Zürich 1794, Paris 1799; „Souvenirs de mes voyages en Angleterre“, Zürich 1795; „Souvenirs de mon dernier voyage à Paris vers la fin de 1795“, Paris l’an 5; „Poésies fugitives“, Londres 1798; „Entretiens philosophiques et poétiques suivis de Betzi“, Hambourg 1800; „Sur la Suisse à la fin du 18. Siècle“, Luneville 1801; „Almanac américain pour l’année 1802“, à Philadelphia (Zürich); Le mème pour 1’année 1803, à Paris 1803; „Étude sur l’homme dans le monde et dans la retraite“, Paris 1804; „Cinq nouvelles helvétiennes“, Paris 1805; „Euthanasie, mes derniers entretiens avec elle sur l’immortalité des âmes“, Paris 1809; „Lettres sur la vielleisse“, Paris 1810; „Encore un pamphlet, plût à dieu le dernier!“ 1815; „Heures, méditations religieuses“, 3 vols. Zürich 1816–19; „Esquisses européennes“, Paris et Genève 1818; „Voyage de Zurich par un vieil habitant [259] de cette ville“, Zürich 1818; „Ma promenade au-delà des Alpes“, Berne 1819; „Berne et les Bernois“, Zürich 1820; „Essai de poésies religieuses“, Paris 1822; „Mélanges de philosophie, de morale et de littérature“, 2 vols., Paris et Genève 1822; „Derniers loisirs d’un malade octogénaire“, Zürich 1825.

Papiere des Staatsarchivs und der Stadtbibliothek Zürich, sowie des winterthurer Nachlasses. – Mein Aufsatz: „H. Meister’s Preßaffaire von 1769“, N. Zürcher Zeitung 1883. Nr. 106 etc.