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Artikel „Müller, August Eberhard“ von Robert Eitner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 22 (1885), S. 515–517, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:M%C3%BCller,_August_Eberhard&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 22:48 Uhr UTC)
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Müller: August Eberhard M., Cantor an der Thomasschule und Musikdirector an den beiden Hauptkirchen zu Leipzig, ist geb. den 13. Decbr. 1767 zu Northeim, wo sein Vater Organist war, doch bald darauf nach Rinteln versetzt wurde. Hier erhielt er den ersten Musikunterricht vom Vater und zeigte eine so große Begabung, daß er schon im achten Jahre sich öffentlich hören ließ und seinen Vater im Amte vertrat. Bei solcher Gelegenheit hörte ihn auch Joh. Christoph Friedr. Bach, ein Sohn Seb. Bach’s (Bd. I, S. 746) und entschloß sich, ihn zur Ausbildung zu sich zu nehmen. Rochlitz in seiner Biographie über M. sagt hierbei, daß zu damaliger Zeit das Musikstudium mehr handwerksmäßig betrieben wurde und so ein Junge aushalten mußte bis er ausgelernt hatte, setzt dem aber gleich hinzu (1817): jetzt reißt der jugendliche Trieb ohne vieles Kosten und Wählen alles frisch an sich. – Mit vierzehn Jahren hatte M. ausgelernt und zog in die weite Welt, da der Vater bei vielen Kindern und geringen Einnahmen für ihn nicht sorgen konnte. Von der Natur innen und außen wohl bedacht, an wenige Bedürfnisse gewöhnt, fand er überall mehr als sein bescheidenes Gemüth erwartete. So reiste er von Ort zu Ort, ließ sich als Flötist öffentlich hören und suchte ein Amt was ihn ernährte, wie er es endlich 1789 in Magdeburg fand, indem er zugleich die vom Vorgänger hinterlassene Tochter, eine gute Clavierspielerin, als Braut heimführte. In Magdeburg war damals, besonders durch Rolle’s Einfluß, ein reges und kunstverständiges Musikleben; M. fand daher reichlich Gelegenheit sein Talent zu entfalten, sowohl als Dirigent, wie als Lehrer, Organist und Virtuose. Bei den öffentlichen und privaten Musikaufführungen fand er an seiner Frau eine treffliche Stütze und [516] er ließ es sich besonders angelegen sein, die Haydn’schen und Mozart’schen Werke öffentlich aufzuführen. Als M. 1792 Berlin besuchte und Concerte gab, lernte er auch Reichardt kennen, der ihn bald darauf in Leipzig als Organist für die Nicolaikirche empfahl. M. wurde vom Bürgermeister von Leipzig, Geh. Kriegsrath Müller zum Besuche eingeladen und sein einnehmendes Wesen, die Begeisterung für seine Kunst, verbunden mit dem vielseitigen und tüchtigen Können, nahm Alle, die ihn kennen lernten, in hohem Maße für ihn ein, sodaß er ohne Probe und formelle Bewerbung jene Organistenstelle mit erhöhtem Gehalte erhielt. Im J. 1794 trat er sie an und bald war er für das Leipziger Musikwesen der treibende Impuls. Rochlitz, der mit ihm innig befreundet war, kann nicht genug das liebenswürdige Wesen, verbunden mit einem einnehmenden Aeußeren, seine Gewandtheit im Dirigiren und die Art wie er die Orchestermitglieder zu begeistern wußte, hervorheben. Als Hiller, der Cantor der Thomasschule (Bd. XX S. 420), durch körperliche Hinfälligkeit in seinem Amte behindert wurde, bat er sich vom Magistrate der Stadt Leipzig M. zur Unterstützung aus, was ihm auch gewährt wurde (1800), und als Hiller 1804 starb, trat M. in dessen Posten ein. Hier war aber das Gesangsfach und lateinische Lehrstunden auf dem Gymnasium die Hauptbeschäftigung und zu beiden Fächern fühlte er nicht die gleiche Hinneigung wie zum Instrumentalfach; deshalb muß auch Rochlitz eingestehen, daß er nicht an seinem Platze stand. Wohl erfüllte er nach Möglichkeit seine Pflicht, aber nicht aus innerem Drange, sondern aus Gewissenhaftigkeit. Er nahm deshalb im J. 1810 mit Freuden den Antrag seiner ehemaligen Schülerin, der Frau Erbprinzessin von Weimar, als großherzoglicher Capellmeister und Musikmeister nach Weimar zu kommen, an, wo er wieder in altgewohnter Weise Sinfonien und Concerte dirigiren und spielen konnte. Lange sollte er aber dieses Glück nicht genießen, denn schon in den ersten Jahren seines dortigen Aufenthaltes kränkelte er, und schließlich ging sein Leiden, was ihm die letzten Lebensjahre verbitterte, in Wassersucht über. Noch nicht 50 Jahre alt starb er am 3. Dec. 1817. – M. hat sich in der mannigfachsten Weise in der Musik verdient gemacht, und wenn er auch als Componist nichts Aufsehenerregendes geschaffen hat, so huldigte er stets der ernsten Seite der Musik und trug dadurch indirect dazu bei, das Publikum zum Verständniß der großen Meister vorzubilden. Dieses letztere Verdienst zieht sich überhaupt vorzugsweise durch sein ganzes Leben. Immer und überall ist er bemüht, für unsere Classiker, die so schwer Eingang beim Publikum, selbst bei den Musikern fanden, Bahn zu brechen, theils durch das Wort, theils und hauptsächlich aber durch unausgesetztes Aufführen ihrer Werke. Im J. 1797 gab er in Leipzig eine Schrift heraus: „Anleitung zum genauen und richtigen Vortrage der Mozart’schen Clavierconcerte in Absicht richtiger Applicatur“. Man kann sich heute kaum vorstellen, wie weit man damals noch in der Pädagogik des Clavierunterichts zurück war. Bedenkt man aber, daß im J. 1759 Karl Philipp Emanuel Bach seinen „Versuch über die wahre Art das Klavier zu spielen“ herausgab und in dem Versuch immer noch die alte Fingersetzung: 2 3 2 3 2 3 oder 3 4 3 4 3 4 bei Läufen festgehalten, und dann wieder ein dem unsrigen ähnlicher Fingersatz aufgestellt wurde, so ist es wohl begreiflich, wie gerade die Mozart’schen Clavierwerke mit ihren Tonleiterfigurationen beim Publikum auf großen Widerstand stießen. Bis sich also der neue Fingersatz, den Daumen abwechselnd nach dem 3ten und 4ten Finger unterzusetzen, einbürgerte, bedurfte es solche energische und für die Kunst begeisterte Männer, wie M. einer war, die nicht müde wurden, dasselbe so oft zu predigen, bis man es endlich glaubte und befolgte. M. muß sich auch als Pädagoge ausgezeichnet haben, denn wir haben mehrere Lehrbücher, Clavierschulen von ihm, die sich noch lange nach seinem Tode als [517] bewährtes Lehrmaterial erwiesen haben und es ist noch gar nicht so lange her, daß seine „Instructiven Uebungsstücke“ aus dem Musikhandel verschwunden sind. Von seinen Compositionen ist besonders eine „Grande sonate pour Pianoforte“, op. 26, Lipsic chez Kühnel zu erwähnen, die vielfach als eine Mozart’sche Sonate nachgedruckt worden ist; so hatte sich M. in sein Vorbild hineingearbeitet, daß er ganz in seinem Sinne musikalisch dachte und empfand. Außer zahlreichen Werken für Clavier, Flöte, Orgel: Sonaten, Concerte, Variationen und anderes enthaltend, hat er auch mehrere Werke für Chor und Orchester geschrieben. Sie sind zwar alle dem fortschreitenden Zeitgeist zum Opfer gefallen, haben aber ihrer Zeit die Hörer hoch erfreut, angeregt und fortgebildet und sein Streben und Wirken ist nicht vergeblich gewesen.

Theodor Amadeus M., sein Sohn, zeichnete sich ebenfalls als tüchtiger Musiker aus. Am 20. Mai 1798 in Leipzig geboren, genoß er im väterlichen Hause eine vorzügliche musikalische Bildung. Da er die Violine zu seinem Hauptinstrumente wählte, so schickte ihn der Vater zu Spohr. Die Freiheitskriege ließen ihn aber Studium und Violine vergessen und begeistert vertauschte er den Bogen mit dem Schwert. Glücklich zurückgekehrt, erhielt er an der großherzoglichen Hofcapelle in Weimar eine Kammermusikusstelle als Violinist und hat den Posten bis zu seinem Ende, 11. März 1846, bekleidet. – Seine Frau, eine geborene Riemann, war eine gute Clavierspielerin und Sängerin, die aber später zum Schauspiel überging. Mit ihr vereint hat er Weimar viel anregende und den guten Geschmack fördernde Genüsse bereitet. – Als Componist wurde er einst sehr geschätzt. Nicht nur zahlreiche Violinsoli und Duette für 2 Violinen hat er veröffentlicht, sondern auch Orchesterwerke, und der Biograph in Schilling’s Musiklexikon hebt besonders eine Hummel dedicirte Ouvertüre hervor, die er eine sehr schätzbare Arbeit nennt und die das Verlangen erregt, den Verfasser als Componisten auch in andern Werken näher kennen zu lernen.