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Artikel „Lucas von Leyden“ von Joseph Eduard Wessely in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 19 (1884), S. 338–342, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lucas_von_Leyden&oldid=- (Version vom 7. Dezember 2024, 17:21 Uhr UTC)
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Lucas von Leyden, berühmter Maler und Kupferstecher, geb. zu Leyden Ende Mai oder Anfang Juni 1494, gest. ebend. 1533. L. war ein rechtes Wunderkind, das in frühester Lebenszeit sich geistig entwickelt hat und in den 39 Jahren, die ihm beschieden waren, Kunstwerke schuf, die stets die Bewunderung der Welt erregen werden. Sein Vater Hugo Jacobszoon war sein erster Lehrer; schon als Kind that L. nichts, als zeichnen; er kannte kein anderes Kinderspielzeug als Kohle, Kreide, Pinsel, Federn, Grabstichel, sagt Sandrart. Sein Vergnügen bestand im Verkehr mit Künstlern; sein Fleiß war grenzenlos, die hellen Tage genügten ihm nicht, er durchwachte ganze Nächte, um beim matten Schein einer Kerze seine Leidenschaft für die Kunst zu befriedigen. Diese Nachtwachen blieben nicht ohne Wirkung auf seinen Körper; der Wuchs wurde zurückgehalten, und sein Aussehen im Alter von 15 Jahren war das eines ältlichen Mannes. Bei Engelbrechtsen lernte er malen; dieser Unterricht muß sehr früh begonnen haben und konnte nicht lange dauern, denn L. malte 1506 (da er 12 Jahre zählte) die Geschichte des h. Hubertus mit Wasserfarben, die allgemein bewundert wurde. L. copirte nie fremde Compositionen; Erfindung wie Ausführung ist stets sein Eigenthum. Wie alle Wundermenschen, hatte auch L. seine Eigenthümlichkeiten. Man verlobte ihn mit einer reichen Braut aus der Familie Boschhuizen – er selbst hätte keine Zeit gefunden, sich nach einer Braut umzusehen – und als die Hochzeit (etwa 1515) gefeiert werden sollte, ärgerte sich L. über die ganze Heirathsgeschichte, die ihm die kostbare Zeit raube. In seiner Kunst ist L. Naturalist; dazu führte ihn die angeborene Anlage wie der Charakter seiner Zeit und seines Landes. L. zeichnet Alles nach der Natur, wie er es gesehen hat. Durch seinen Lehrer wird er auf das Studium der Gemüthsbewegungen hingewiesen. Das Natürliche in eine höhere Sphäre zu erheben, zu idealisiren, war ihm nicht gegeben, auch machte [339] er keine Reise nach Italien, um sich von klassischen Kunstwerken beeinflussen zu lassen. Es soll dies nicht als Vorwurf gelten, denn, beschränkt auf seine Vaterstadt, wahrt er seine volle Originalität. In seiner Kunst ist nur er zu finden, nichts Unwahres oder Fremdes mischt sich in dieselbe ein. – Da seine Gemälde selten Jahreszahlen tragen, so ist die chronologische Folge derselben, so wie seine Entwickelung schwer zu bestimmen. Viele seiner Bilder gingen verloren, die Zahl der erhaltenen ist darum nicht groß. Auch in seinen Kirchenbildern erscheinen die Köpfe als Bildnisse lebender Personen. L. hatte wohl Mangel an solchen Modellen, weshalb sich die Köpfe oft wiederholen. Dennoch ist die Personenzahl seiner Dramen sehr groß; wir begegnen Heiligen des Himmels, Göttern des Olymps, Adeligen und Bettlern, Landsknechten und Bauern, Edelfräulein und zahnlosen alten Weibern, Mönchen, Narren und Pilgern. In Amsterdam war das Bild: „Tanz der Israeliten um das goldene Kalb“. Der ausgelassene Tanz, das Gelage der Juden soll meisterhaft geschildert gewesen sein. Leider ist das Bild verschollen. Verloren ging auch das Bild mit Rebecca am Brunnen, die dem Eliezer zu trinken giebt; es befand sich in Leyden im Besitz eines van Sonneveldt. Es kommen oft Bilder unter seinem Namen vor, denen Stiche von der Hand des Meisters zur Seite stehen. Solche Bilder sind fast durchgängig nach diesen Stichen von L. von fremder Hand ausgeführt. Wir kennen bis jetzt nur einen einzigen Fall, daß L. dieselbe Composition gemalt und auch gestochen hat; es ist „der h. Hieronymus“ des Berliner Museums. Der Stich war früher entstanden, das Bild muß bedeutend später gemalt worden sein, da der Maler die Mängel des Stechers verbessern konnte. Das Bild ist übrigens eine freie Wiederholung des einen Gedankens. Der Zahnarzt in Devonshirehouse zu London, den Waagen für Original hält, wird es kaum sein, da er vollkommen mit dem gleichnamigen Stich des Meisters übereinstimmt. Verschollen ist auch eine Darstellung Christi, die noch im vorigen Jahrhundert im Besitz des Flaminio Cornaro in Venedig war. Von erhaltenen Bildern der frühesten Zeit des Meisters nennen wir (nach Waagen) das Altarwerk mit Flügeln im Museum zu Antwerpen. Das Mittelbild zeigt die thronende Madonna mit dem Kinde, von Engeln umgeben; auf den Flügeln sieht man den heiligen Georg und Christoph. In der Gallerie Liechtenstein in Wien sind zwei Bilder: die „h. Anachoreten Paulus und Antonius in der Wüste“ und eine Kreuzigung, die hier dem Hans v. Kulmbach zugeschrieben wird. Beim Kunsthändler Laneville in Paris sah Waagen eine Errichtung der ehernen Schlange und hielt sie für das bedeutendste Werk des Künstlers. Im J. 1522 malte L. ein Diptychon für Hoogstraet in Leyden. Vorn ist Maria mit dem Kinde, der die h. Magdalena den betenden Stifter vorstellt, in tergo ist die Verkündigung der Maria. Das Bild besaß später Kaiser Rudolph II. in Prag, jetzt ist es in der Pinakothek in München. Das Porträt des Stifters ist besonders lebensvoll gegeben. – Aus dem Nachlasse unseres Künstlers erwarb H. Goltzius ein bedeutendes Oelbild vom J. 1531, dessen Gegenstand die Heilung des Blinden von Jericho war. Unzähliges Volk strömt herbei, um den Wunderthäter von Nazareth zu sehen. Hier war L. in seinem Elemente, hier konnte er die Volksmenge, wie sie sich zu allen Zeiten charakterisirt, nach lebenden Mustern schildern. Das Bild befindet sich jetzt in St. Petersburg, es war eines seiner letzten Werke. – Im Rathhaus von Leyden malte er das jüngste Gericht. Dieses 1532 vollendete Bild hängt noch an derselben Stelle, die es ursprünglich einnahm. Es hat leider durch die Restaurirung stark gelitten. L. soll auch mehrere Bilder mit Leimfarben auf die Leinwand gemalt haben. Ein solches befindet sich in der Gallerie der Akademie zu Wien; es stellt die tiburtinische Sibylle vor, die dem Kaiser Augustus die h. Jungfrau in den Wolken zeigt. Ueber die [340] Originalität desselben herrschen Zweifel; während von Lützow diese bestreitet, scheint Woermann geneigt zu sein, sie anzuerkennen. L. hatte denselben Gegenstand auch für ein Glasbild gezeichnet (von Dolendo gestochen). In der Turiner Gallerie wird L. ein umfangreiches Bild zugeschrieben: „der französische König heilt Kranke durch Auflegen der Hände“, welcher Gebrauch an den höchsten Feiertagen üblich gewesen ist. Das Bild trägt nicht des Künstlers Monogramm und ein Zweifel an dessen Echtheit ist aus mehr als einem Grunde berechtigt. – Von eigentlichen Sittenbildern dürfte L. nur ein Bild angehören, das sich im Besitz des Grafen Pembroke befindet und Männer und Frauen um einen Spieltisch vorstellt. Um so reicher ist die Anzahl der trefflichen Genrescenen in dem gestochenen Werke des Meisters. Bei der oben bezeichneten Kunstrichtung des L. ist seine Meisterschaft als Portraitmaler selbstverständlich. Von erhaltenen Bildnissen nennen wir das eines jungen Ritters mit schwarzem Barett in der Liverpool-Institution, des Philipp von Bourgogne, Grafen von Holland in gesticktem Oberkleide mit dem goldenen Vließ in Amsterdam, das Selbstbildniß des Künstlers in den Uffizien zu Florenz. Ob Letzteres wirklich den Meister selbst darstellt, ist zu bezweifeln. Ein sicheres Selbstbildniß, von des Künstlers Hand ausgeführt, besitzt das Museum in Braunschweig. So einfach in der Auffassung, so lebendig und charaktervoll ist es in der Ausführung. Daß die Gesichtszüge alt erscheinen, darf uns nicht befremden, L. hatte so zu sagen gar keine Jugend. Darnach ist der Stich, den man bislang für ein Bildniß des Meisters ausgab, aus dieser Reihe auszuschließen. Das Bildniß des Kaisers Maximilian im Belvedere zu Wien ist nicht echt, obgleich ein solches vorhanden gewesen ist, da Suyderhoef ein solches im Stich wiedergab. L. hatte auch Zeichnungen für Glasmaler geliefert, ja er selbst hatte sich in die Geheimnisse dieses Kunstzweiges einweihen lassen. Einzelne Glasbilder, die L. auch selbst gebrannt, besaß H. Goltzius, der ihre Composition durch seinen Schüler Saenredam stechen ließ. Es ist schließlich höchst wahrscheinlich, daß die neun runden, von ihm selbst gestochenen Blätter mit der Passion Christi vom Jahre 1509, ursprünglich als Vorlagen für Glasmaler dienten, worauf schon die prächtigen Ornamentbordüren, welche die Darstellungen einfassen, hindeuten. Wir würden kaum das halbe Verdienst der Kunstthätigkeit unseres Meisters hervorheben, wenn wir ihn nur als Maler würdigen wollten. Nicht minder, ja fast noch größer erscheint uns L. als Kupferstecher und dieser letzteren Thätigkeit hat er zumeist seinen hohen Künstlerruf zu danken, denn seine Bilder waren nur an einen beschränkten Raum angewiesen, während seine Kunstblätter, über die Grenzen seines Vaterlandes hinweg, sich im ganzen civilisirten Europa verbreiteten und den Ruhm des Meisters in die weitesten Kreise trugen. Woher L. die Anregung zur Thätigkeit mit dem Grabstichel oder der Radirnadel erhielt, wissen wir nicht, ebenso wenig, bei wem er das Stechen gelernt habe. Es ist wahrscheinlich, daß ihn die Blätter des sogenannten anonymen Amsterdamer Meisters beeinflußten. Diese verrathen bei der Unbeholfenheit der Arbeit den Charakter des Dilettantismus; bei L. ist die Führung des Grabstichels bereits auf erprobten festen Regeln ruhend. Das älteste Datum auf seinen Blättern ist 1508. Es ist zum Staunen, daß L. mit vierzehn Jahren eine eigene Composition, wie es das Blatt mit Mahomed und Sergius ist, in dieser Weise ausführen konnte, und zwar in einer Zeit, wo das Kupferstechen kaum noch 70 Jahre alt war. Diesem seltenen Hauptblatte sind sicher schon mehrere undatirte vorangegangen, so daß die im ersten Augenblick fabelhaft klingende Nachricht des van Mander, L. hätte bereits mit neun Jahren Kupferstiche nach eigener Erfindung herausgegeben, doch auf Wahrheit beruhen mag. Das gestochene Werk des Meisters ist sehr reich, Bartsch beschreibt über 170 Blätter. [341] Die Stoffe entlehnte er der Bibel, der Heiligenlegende, der Mythologie wie der profanen Alltagsgeschichte; auch Bildnisse kommen vor. Zu den Hauptblättern, die heutzutage sehr hohe Preise haben, gehören aus dem alten Testament ein Sündenfall (1530), „Lot mit seinen Töchtern“ (1530), Gegenstück zum Vorigen, die sogenannte „Große Hagar“ (weil er auch eine in kleinerem Format stach), eine große Seltenheit, von der ein Exemplar in der Gegenwart mit 13 200 M. bezahlt wurde; ferner „David vor Saul die Harfe spielend“ (1508), „Esther vor Ahasver“, „Triumph des Mardochaeus“. Aus dem neuen Testamente sind hervorzuheben: „Anbetung der Weisen“ (1513), die figurenreichen Compositionen mit dem „Ecce homo“ (1510), und dem „Calvarienberg“ (1517). Aus der Geschichte der Heiligen eine „Bekehrung des Paulus“ (1509), der sogenannte „Magdalenentanz“, eine Darstellung, deren Sinn noch nicht genügend aufgeklärt ist, da wir nicht wissen, aus welchem Buche er die Idee geschöpft haben mag (1519). Den Mahomed haben wir bereits erwähnt und nennen noch eine Illustration zu Eyb’s Margarita poetica, den „Zauberer Virgil im Korb“ (1525). Dieser war dem Künstler nur Nebensache; in der Gruppirung und Charakterisirung der Zuschauer hat er aber die Vollkraft seiner Kunst leuchten lassen. In den Schilderungen des Alltagslebens ist L. ein vollkommener Meister, der in dem beschränktesten Raume ein Motiv aus seiner Umgebung zu einem typischen Sittenbilde zu erheben versteht. Wir brauchen nur auf die beiden Blättchen: „Der Wundarzt“ (1524) und „Der Zahnarzt“ (1523) hinzuweisen. Hieher ist auch die Familie des Eulenspiegel einzubeziehen; das Blatt gehört zu den seltensten des Meisters, wahrscheinlich ging die Platte verloren. Der kleine Eulenspiegel schreitet mit der Eule auf der Schulter voran und sieht ganz vergnügt in die Welt hinaus, ihm folgen die Eltern mit sechs Kindern. Es ist eine rechte Landstreicherfamilie, der man, wegen der humorvollen Ausführung nicht gram werden kann. Köstlich ist auch das alte Pärchen aufgefaßt, das sich mit Musik seinen Lebensabend erheitert; er spielt die Mandoline, sie die Geige und der Frohsinn lagert sich wie heller Sonnenschein über ihre durchfurchten Gesichter. Auch das Land mit seinen Bewohnern entging nicht der Aufmerksamkeit des Meisters; wir erblicken bei einer Hütte drei Kühe, bei denen links der Bauer steht und ein Phlegma zeigt, wie es oft bei Leuten anzutreffen ist, die ohne viel nachzudenken ihre tägliche Arbeit verrichten. Erfreulicher ist das Bauernmädchen, das rechts mit dem Milch- oder Wasserkübel herbeikommt. Mit solchen einfachen Genrebildchen hat der Meister stark seine späteren Landsleute, die holländischen Genremaler beeinflußt, er ist in dieser Richtung so zu sagen ein Pfadfinder gewesen. Von seinen Porträtstichen haben wir bereits ein Blatt erwähnt, jenes, das irrthümlich als ein Eigenbildniß genommen wird; es ist sogar wahrscheinlich, daß das Blatt überhaupt ihm nicht angehört und etwa hundert Jahre später entstanden ist. Aber ein Hauptblatt dieser Richtung ist das kostbare und seltene Porträt Kaiser Maximilians. Ueberdies hat L. auch für den Holzschnitt einige Zeichnungen geliefert; doch wird er selbst kaum auch den Schnitt ausgeführt haben. Daß L. sehr wohl ahnen mochte, wie einst seine Kupferstiche mehr noch als seine Gemälde, seinen Ruhm sichern werden, ersehen wir aus dem Umstande, daß er nur tadellose Abdrücke aus der Hand gab. Die vielen schwachen Abdrücke, die jetzt den Markt überschwemmen[WS 1], sind erst nach seinem Tode, als die Platten in andere Hände übergingen, fabrizirt worden. Will man die Kunst des berühmten Kupferstechers würdigen, so muß man sich dessen Blätter in kostbarsten frühesten Abdrücken ansehen. Wir haben noch einige biographische Notizen nachzutragen. Im J. 1521 befand sich L. in Antwerpen, wohin er zufällig oder aus Begierde gekommen war, Dürer persönlich kennen zu lernen; denn die Stiche desselben wird er sicher bereits gekannt haben. Er lud den deutschen [342] Meister zu sich ein und Dürer berichtet darüber in seinem Tagebuche: „Mich hat zu Gast geladen Meister Lucas, der in Kupfer sticht. Ist ein kleines Männchen und bürtig von Leyden in Holland“. Die Reise Dürer’s nach den Niederlanden scheint auch den Meister bewogen zu haben, eine Erholungsreise zu unternehmen. Er miethete 1527 eine Barke, die er reich ausrüstete und auf den Canälen Zeeland, Flandern und Brabant besuchte. Wo er hinkam, lud er die Künstler zu einem Gastmahl ein. Aber die Reise bekam ihm nicht wohl; aus Zeeland holte er sich eine Art Fieber, die kein Arzt zu heilen verstand. Längere Zeit mußte L. das Bett hüten; aber auch jetzt noch konnte er die Arbeit nicht lassen und noch einige Tage vor seinem Tode arbeitete er an einer Platte mit der Pallas, die unvollendet blieb. Der Grabstichel entfiel der schwachgewordenen Hand, und als er nicht mehr arbeiten konnte, schloß er für immer die Augen.

Siehe: Van Mander, van Sandrart, Bartsch, Michiels.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Mark tüberschwemmen