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Artikel „Litfaß“ von Emil Bauer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 18 (1883), S. 779–781, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Litfa%C3%9F&oldid=- (Version vom 27. November 2024, 06:00 Uhr UTC)
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Litfaß, Buchdrucker und Buchhändler zu Berlin. Die noch heute in Berlin unter der Firma „E. Litfaß’ Erben“ bestehende Buchdruckerei und Verlagshandlung wurde im Jahre 1795 durch Ernst Gregorius L. ins Leben gerufen, und zwar in demselben Hause, in welchem sie sich jetzt noch befindet: Adlerstraße 6. Der lokale Charakter der Druckerei trat schon bald nach der Gründung hervor; nebenher wurde der Verlag von Volksbüchern, Katechismen, Bilderfibeln u. s. w. betrieben. Bekannter wurde der Name L. während der Befreiungskriege durch den Druck und die Ausgabe der Extrablätter mit den Siegesberichten. Inmitten wachsender geschäftlicher Wirksamkeit wurde der Begründer der Firma im J. 1816 durch den Tod abgerufen. Der jüngste Sohn des Verstorbenen, Ernst Theodor Amandus L., war beim Tode des Vaters acht Tage alt. In seinem Stiefvater, dem Buchdrucker und Buchhändler Leopold Wilhelm Krause, einem thätigen und unternehmenden Mann, erwuchs dem bereits in gutem Ansehen stehenden Geschäfte ein kräftiger Förderer. Es gelang ihm, den witzsprühenden, genialen Saphir, der um jene Zeit mit großen Plänen und Hoffnungen, aber leerer Tasche nach Berlin gekommen war, zu fesseln, und dieser gab im Verein mit Angely, Ludwig Rellstab, Zedlitz, Cosmar, Gubitz u. A. in seinem Verlag die „Berliner Schnellpost“ heraus, ein Blatt, welches durch [780] sein frisches keckes Auftreten in der damaligen reaktionsschwangeren Zeit sich rasch viele Freunde erwarb. Ein auserlesener Kreis von Schriftstellern, als Oettinger, Adami, die Gebrüder Markgraff, Leopold Schweitzer, Friedrich von Sallet u. s. w. wurden durch die Mitarbeiterschaft dem Geschäfte näher gebracht; die Frucht dieser Verbindungen war neben anderen Unternehmen die Herausgabe des „Norddeutschen Frühlingsalmanachs“ und die Begründung des „Berliner Figaro“. Der junge L., welcher sich nach vollendeter Schulbildung dem Buchhandel gewidmet hatte, wurde durch die Regelung seiner Militärverhältnisse von einer größeren Reise zurückgerufen und übernahm im J. 1846 die alleinige Leitung der Druckerei. Er begann, den Anforderungen der Neuzeit entsprechend, mit einer vollständigen Reform in seiner Officin durch Aufstellung von Schnellpressen an Stelle der alten hölzernen, Beschaffung neuer Schriften u. s. w. Die Erfahrungen wiederholter Reisen nach Paris, London und Wien wurden benutzt und der Herstellung von Placaten schon in jener Zeit besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Durch Gründung des „Berliner Tagestelegraph“ (1851), welcher in Verbindung mit der „Zwischenaktszeitung“ noch heute ein beliebtes Hülfsmittel für Einheimische und Fremde ist, kam L. einem dringenden Bedürfnisse für die aufblühende Hauptstadt entgegen. Im folgenden Winter wurde sein Name noch bekannter durch eine Reihe glanzvoller Ballfeste, die er seinen Freunden gab, den sogenannten „Telegraphenbällen“. Daß ihm neben dieser vielseitigen Thätigkeit noch Zeit zu ernsterer Beschäftigung verblieb, zeigt die Vollendung der Krünitz’schen Encyclopädie, jenes Riesenwerkes, von dem bereits 1856 der letzte, 248. Band versandt werden konnte. Es war im April 1854, als bei dem nimmer rastenden Manne die Idee entstand, an Stelle der die Häuser, Wände etc. verunzierenden Plakate an geeigneten Orten Anschlagsäulen von architektonischer Form aufzustellen, eine Idee, die nach ihrer Verwirklichung seinen Namen mit einem Schlage zu dem populärsten Berlins machte und ihm für immer einen Ehrenplatz in der Geschichte der Stadt sichert. Mit unermüdlichem Eifer arbeitete er unter Zuziehung von Sachverständigen an der Ausführung seines Plans; bereits im Januar des folgenden Jahres konnte eine ausführliche Skizze dem Polizei-Präsidium eingereicht und am 20. April das erste Fundament zu den Säulen gelegt werden. Der Tag der Uebergabe der zunächst in Aussicht genommenen 100 Säulen und 50 Brunnen-Umhüllungen zur öffentlichen Benutzung, der 1. Juli 1855, war für den Begründer des Unternehmens ein wahrer Ehrentag. Am frühen Morgen wurde er von einem Musikkorps begrüßt, die vor den Fenstern seiner Wohnung stehende Säule war reich bekränzt und Beweise der Anerkennung und Dankbarkeit kamen von allen Seiten. Bereits 1865 veranlaßte die fortwährende Vergrößerung der Stadt die Aufstellung von weiteren 50 Säulen. Im J. 1856 errichtete L. eine Centralkanzlei für Künstler jeden Genres, mit Ausnahme der dramatischen, in der Absicht, Engagements zu vermitteln, Kontrakte abzuschließen, geeignete Lokale nachzuweisen, kurz in derselben Weise wirksam zu sein wie die Theater-Bureaus für die dramatischen Künstler. Der wachsende Umfang der Druckerei veranlaßte ihn indessen bereits 1859 trotz des lebhaften Anklangs, den das Unternehmen fand, dasselbe aufzugeben. In den folgenden Jahren wurde dem Plakat- und Affichenwesen die größte Aufmerksamkeit gewidmet; die Zahl der Besteller mehrte sich von Tag zu Tag, selbst Aufträge von auswärts gingen regelmäßig ein und neue, größere Anschaffungen für die Druckerei waren die Folge der fortwährenden Ausdehnung des Geschäftsbetriebs. Vom J. 1856 ab, wo L. vom Prinzregenten von Preußen, dem jetzigen Kaiser Wilhelm, zum Ehrenmitgliede der allgemeinen Landesstiftung zur Unterstützung der vaterländischen Veteranen und invaliden Krieger ernannt wurde, datirt seine umfassende Thätigkeit auf dem Gebiete werkthätiger Menschenliebe, [781] die ihm zur höchsten Ehre gereichte und ihm bei seinen Mitbürgern für immer unvergessen bleiben wird. Der durch seinen Beruf fast überlastete Mann versäumte nie eine Gelegenheit, wo es galt Gutes zu stiften und Leiden zu mildern, und so sehr er bemüht war, im Stillen zu wirken, so wurde der edle Geber doch oft genug erkannt und durch Anerkennung jeder Art gefeiert. Die großartigen Festlichkeiten, welche er bis kurz vor seinem Tode im Kroll’schen Etablissement bei jeder Gelegenheit veranstaltete, wo es galt schnell Hilfe zu schaffen, und bei denen er stets in uneigennützigster Weise sämmtliche Kosten auf sich nahm und den Reinertrag an die betreffenden Comités abführte, sind noch in Manches Erinnerung. Erwähnt mögen hier nur sein: die Todtenfeier für den verunglückten Feuerwerker Dobermont (1857) und die Feste zum Besten der Opfer des dänischen, des böhmischen und des französischen Kriegs. Der Wirkungskreis der Druckerei wurde zu Ende der fünfziger Jahre durch ein großartiges Formular-Magazin erweitert; die 1859 begründete und schnell beliebt gewordene „Theater-Zwischenaktszeitung“ wurde mit dem „Tagestelegraph“ verbunden. Im Sommer 1859, bei seinem Aufenthalte zu Loschwitz bei Dresden, ließ L. auf seine Kosten an der Schillerlinde des nahen Blasewitz einen Gedenkstein errichten. Die Enthüllung fand am 1. September bei Concert und Feuerwerk und im Beisein einer ungeheuern von nah und fern herbeigeströmten Menschenmenge statt; den Reinertrag von fast 500 Thalern verwandte er für Feuerbeschädigte im sächsischen Voigtlande und für die Blasewitzer Ortsarmen. Sein industrielles und privates Wirken fand jetzt auch an höchster Stelle gebührende Anerkennung; im J. 1861 wurde er zum Commissionsrath, 1863 zum königlichen Hofbuchdrucker, 1865 zum Ritter des Kronenordens, endlich 1867 zum Geheimen Commissionsrath ernannt. Im J. 1861 bereits wurde das Haus in der Adlerstraße 6, in dem die Officin sich nun seit 87 Jahren befindet, käuflich erworben; bei dieser Gelegenheit erfolgte außer dem Umbau des Hauses eine abermalige großartige Umgestaltung und Erweiterung der Geschäftsräume. Neben der Einführung des Buntdruckverfahrens wurde im Jahre 1868 eine lithographische Anstalt der Druckerei beigegeben. Am 16. Januar 1871 feierte L. unter außerordentlicher Theilnahme der berliner Bevölkerung das 25jährige Jubiläum seiner Geschäftsleitung. – Der unermüdlich thätige Mann starb am 27. December 1874 in Wiesbaden, wo er sich zur Kur aufhielt; seine Leiche wurde nach Berlin übergeführt und auf dem Werder’schen Kirchhofe beigesetzt. Zu seinen Erben hatte er seine minderjährigen Enkelkinder eingesetzt, für welche das Geschäft gegenwärtig unter Leitung des bisherigen Geschäftsführers und des Direktors der Buchdruckerei verwaltet wird. Am 1. Juli 1880 endete die Concessionsdauer für die Plakatsäulen; der berliner Magistrat schrieb eine Concurrenz für dieselben aus, und die Firma Litfaß’ Erben wurde mit ihrem Gebote von 35 000 Mark jährlichem Pacht überboten. Seitdem liefert das Geschäft von seiner einstigen Specialität regelmäßig nur noch die Zettel für die königlichen und einige andere Theater, für den Cirkus Renz und für einige Ball-Lokale. Ernst L. war einer von jenen Männern, die nie rasten können, die, ein höchstes Ziel vor Augen, unentwegt vorwärtsschreiten und durch unermüdliche Ausdauer alle Hindernisse zu überwinden wissen. In seiner Vaterstadt wird sein Andenken für alle Zeiten ein gesegnetes bleiben.

Fr. Tietz, Ernst Litfaß’ industrielle u. priv. Wirksamkeit. (Berlin 1871).