ADB:Henkel, Heinrich (Jurist)

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Artikel „Henkel, Heinrich (Jurist)“ von Karl Wippermann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 11 (1880), S. 756–760, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Henkel,_Heinrich_(Jurist)&oldid=- (Version vom 26. November 2024, 08:51 Uhr UTC)
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Henkel: Heinrich H., Rechtsanwalt und kurhessischer Abgeordneter, geb. 9. Jan. 1802 zu Schmalkalden, † 26. Juni 1873 zu Kassel. Sohn des Bergraths, späteren Justizbeamten Joh. Ludw. H. zu Jesberg, studirte er seit 1817 die Rechte zu Marburg, wo er als Sprecher der Burschenschaft auftrat, wurde 1823 Advocat in Kirchhain, 1825 Obergerichtsprocurator in Marburg, trat im Novbr. 1830 von dieser Stellung zurück, um sich als Privatdocent an der dortigen Universität nieder zu lassen, wurde aber bald nach einer anderen Richtung hin in Anspruch genommen. Er erregte nämlich Aufsehen durch eine von ihm als Vorsitzenden von einer Versammlung von Zunftvorstehern und [757] Bürgern Marburgs an den Kurhessischen Landtag gerichteten Eingabe vom 30. Decbr. 1830. Dieser, zur Vereinbarung einer zeitgemäßeren Verfassung gegen Ende des Jahres 1830 in Kassel versammelt, erhielt aus dem Lande viele hierauf bezügliche Vorschläge; die Henkelsche Eingabe enthielt aber viele nach damaligen Vorstellungen sehr radicale Vorschläge, welche in Verbindung mit ihrer abstracten Fassung und wegen barocker Forderungen, wie Beseitigung des Schulzwanges, der indirecten Steuern, des Berg- und Salzregals und des Verfügungsrechts des Erblassers, sowie Herstellung der Gemeinde-Autonomie wie im Mittelalter, Freiheit der Eheschließung und -Trennung u. s. w. ihn in den Verdacht St. Simonistischer Richtung brachte und vielfach Unwillen hervorrief, im Landtage dermaßen, daß derselbe eine Untersuchung gegen Drucker und Verleger der auch unter dem Titel: „Die Stadt Marburg an den Landtag in Kassel“ erschienenen Schrift verlangte. Die solchergestalt hervorgetretenen Eigenschaften Henkels als Idealist und Gefühlsmensch waren entscheidend für sein hiernach beginnendes politisches Wirken. 1833 trat H. als Abgeordneter Marburgs in den zweiten nach Vereinbarung der Verfassung von 1831 gewählten Landtag, der ihn nebst seinem gleichzeitig eingetretenen radicalen Freund Anwalt Scheffer von Treysa zum Secretär bestellte. Im folgenden Landtage desselben Jahres wurde er als Mitglied mehrerer Ausschüsse, besonders des Rechtspflege-Ausschusses thätig, war jedoch beim Beschluße vom 17. Septbr. 1833, gegen den Vorstand des Ministeriumes des Innern, Hassenpflug, wegen Sistirung des Rekrutirungsgesetzes Anklage beim Staatsgerichtshofe zu erheben, nicht auf Seiten der liberalen Mehrheit und erregte bei der bald folgenden Berathung über neue Beschwerden gegen Hassenpflug, Aufmerksamkeit durch die nüchterne Art, wie er nach einer eindrucksvollen Rede, in welcher der Landtagspräsident Schomburg in erhabenen Worten der Entrüstung über das Verfahren des Ministers Ausdruck gegeben, in rücksichtslosen Ausdrücken die verfassungsmäßige Anwendung der Ministeranklage als verkehrtes, erfolgloses und das Ansehen des Landtages herabsetzendes Mittel schilderte. Auch im folgenden, von Novbr. 1833 bis April 1835 versammelten Landtage trennte sich H., trotz seiner radicaleren Richtung, von der liberalen Opposition, namentlich trat er bei Berathung der Gemeindeordnung von 1834 mit Wärme für einen Vorschlag Scheffers auf, der später für Hassenpflug Anlaß zu einer das Wahlrecht der Gemeinden schwer schädigenden Auslegung des Gesetzes wurde; im März 1835 ging jedoch H. gegen ein neues verfassungswidriges Verfahren Hassenpflugs bezüglich des Lyceums zu Cassel voran, indeß wurde er 1836, während Scheffer Landtagscommissar der Regierung wurde, sowie in die nächsten Landtage nicht wieder gewählt. H. war zwar ein eifriger, scharfsinniger, ehrenhafter Rechtsmann und tapferer Kämpfer im Landtage, als solcher auch in den verschiedenen Verfassungsstreitigkeiten oft genannt; es ging ihm jedoch eine feinere, behutsame Behandlung der Dinge ab und seine durch ein biderbes Wesen überdeckte Plumpheit erregte oft Anstoß, wie er auch stets als das enfant terrible seiner Partei galt. Seit 1834 Rechtsanwalt in Cassel, gab er hier 1839 und 40 „Bemerkenswerthe Rechtsfälle und gerichtliche Entscheidungen“ heraus und trat dann als Vorkämpfer gegen die vom späteren kurhessischen Justizminister Bickell erhobene Forderung einer förmlichen Verpflichtung der evangelischen Geistlichen auf die symbolischen Bücher des 16. Jahrhunderts auf. Eine von ihm nach Cassel berufene „protestantische Versammlung wider die Feinde des Lichts“, richtete an den Prinz-Regenten die erfolglose Bitte um Berufung einer Synode. Gleichzeitig suchte H. in einer Schrift: „Die neue und die alte Kirche oder der Phönix und die Asche“ (Cassel 1839,), das Unchristliche der Orthodoxie zu zeigen und forderte nach dem Auftreten von Joh. Ronge in einer Schrift: „Die Kirchenreform“ [758] (1845), die Protestanten auf, sich über Das, was man das reine, wohlverstandene Christenthum nenne, zu verständigen. 1845 zum Abgeordneten der Diemel-Städte in den Landtag gewählt, stellte er 1846 Namens des Rechtspflege-Ausschusses die von seinem früheren Genossen Scheffer als Vorstand des Ministeriums des Innern veranlaßten Verfolgungen der Deutschkatholiken im Hanau’schen als verfassungswidrig dar und entwarf ein Bild der durch Scheffer begründeten Polizeiwillkür. Wegen einer dabei gethanen beleidigenden Aeußerung, ließ Scheffer gegen H. Anklage wegen frechen Tadels der Staatsregierung erheben, infolge dessen dieser bis zur Freisprechung vom Landtage von 1847 ferngehalten wurde. Dann trat er in demselben bei verschiedenen Anlässen muthig für die Landesrechte ein und brachte den von den Ständen schon 1831 gefaßten Beschluß wegen Errichtung eines Standbildes für Kurfürst Wilhelm II. als den Begründer der Verfassung in Erinnerung. 1848 gehörte H. zu Denen, welche sich um den Thron des Kurfürsten schaarten; er verfaßte die am 6. März von Casseler Bürgern letzterem überreichten Beschwerden, betheiligte sich im Landtage eifrig an der Bearbeitung der Gesetzentwürfe der Märzminister, wollte sich aber über die Verfassung nicht hinaus drängen lassen und zeigte sich als Gegner des Wahlgesetzes vom 5. April 1849, welches, neben Einführung directer Wahlen, den Großgrundbesitz und die Gewerbtreibenden an Stelle des Adels zur Vertretung berief. H. gab kurze Zeit eine „kurhessische Volkszeitung“ heraus, verbreitete seine politischen Ansichten in Flugblättern, unterzeichnete das erste derselben mit „Der Henkel“, worüber er jahrelang von gegnerischen Parteien aufgezogen wurde und überraschte in anderen durch die Derbheit seines plötzlichen Angriffs auf Parteigenossen. Von zwei kurhessischen Wahlbezirken (dem 4., Fritzlar und dem 11., Gelnhausen) in die deutsche Nationalversammlung gewählt, stellte er als Vertreter des ersteren am 17. Juni einen fulminanten Antrag auf allgemeine Volksbewaffnung, verlangte auch die rascheste Errichtung einer mit Heeresmacht ausgerüsteten Deutschen Centralgewalt, legte aber aus Ueberdruß an den unfruchtbaren Arbeiten der Versammlung am 3. Juli 1848 das Mandat nieder, ging jedoch, am 1. März 1849 an Stelle des ausgetretenen v. Baumbach-Kirchheim für den 1. kurhessischen Wahlbezirk gewählt, wieder nach Frankfurt, wo er als Mitglied des linken Centrums für die Reichsverfassung von 1849 auftrat. Im Volkshause zu Erfurt stimmte er als Abgeordneter für den Wahlbezirk Fritzlar für Enbloc-Annahme der Dreikönigsverfassung. Im hessischen Verfassungskampfe von 1850 war H. als Mitglied des bleibenden Ständeausschusses thätig, welcher durch seine Erlasse die Anordnungen der Regierung, insbesondere der militärischen Oberbefehlshaber bis zum Einrücken der Bundesexecutionstruppen illusorisch machen half. Den Versuchen des Oberbefehlshabers von Haynau, ihn wegen eines offenen Briefes verhaften zu lassen, entging er; am 25. Juni 1852 aber wurde er von der zweiten Instanz des Militärgerichts zu Cassel theils wegen dieses Briefes, theils als Mitglied jenes Ausschusses, entgegen den Gutachten der Juristenfacultäten zu Göttingen und Heidelberg, wegen Anreizung zum Ungehorsam gegen die Verordnungen vom Septbr. 1850 und zur Unzufriedenheit gegen die Staatsregierung zu 1 Jahr und 10 Monaten Festungshaft verurtheilt, welche er in Spangenberg verbüßte. Ende 1853 von dort zurückgekehrt, gelang es ihm, seine inzwischen verlorene Anwaltspraxis rasch zu heben. Von der 1859 entstandenen Bewegung für Herstellung der Verfassung von 1831 hielt H. sich lange zurück, was die Leiter der Agitation nicht ungern sahen, weil sie in den damaligen subtilen Fragen Henkels Eifer für schädlich hielten. Gleichwohl wurde seine Wahl in dem Stadtrath zu Cassel 1860 regierungsseitig auf Grund einer Verordnung, durch welche die Gemeindeordnung einseitig geändert war, nicht bestätigt. Als die Regierung für die [759] provisorische Verfassung von 1860 zu gewinnen suchte, demonstrirte H. (Aug. 60) durch öffentliche Ankündigung einer Schrift: „Mit Speck fängt man Mäuse“ und half im Decbr. 1861 die sogenannte Riesenadresse an den Bundestag um Herstellung des Landesrechts in Scene zu setzen. H. gehörte nicht zu den Anhängern des strengen Rechtsprincips, welche die Herstellung auch des Wahlgesetzes von 1849 forderten und durchsetzten. Nach Herstellung der Verfassung erklärte er öffentlich seine Zustimmung zu dem betreffenden Bundesbeschluß, wodurch er im Gegensatz zu liberalen Genossen kam, die letzteren für incorrect hielten. In den Landtag von 1862 zum Vertreter der Diemel-Städte gewählt, ließ er sich bewegen, zum Zeichen der Continuität des Verfassungsrechts von 1831 als Rest des bleibenden Ständeausschusses vom Jahre 1850 aufzutreten, namentlich präsidirte er als solcher seit 27. Octbr. 1862 den vorbereitenden Sitzungen dieses Landtags. An den Arbeiten, welche den ferneren Landtagen bis 1866 zur Herstellung des in langer Zwischenzeit gestörten Rechtszustandes oblagen, betheiligte sich H. eifrig, nahm aber in der zur Beseitigung der Bundeswidrigkeiten zu erledigenden Wahlgesetzfrage eine von den übrigen Liberalen (für volle Herstellung der 1849 beseitigten Vorschriften) abweichende Stellung ein. 1863 bat er als Anwalt eines durch Eingriffe des Kurfürsten lange an der Ausführung eines Baues widerrechtlich gehinderten Privatmanns den Kurfürsten, nicht länger durch Vorenthaltung der Akten den Lauf des Rechts zu hemmen, wurde aber wegen einer dabei gebrauchten derben Aeußerung zu 8 Wochen Festungshaft verurtheilt, vor deren Verbüßung ihn die Ereignisse von 1866 bewahrten. Zur deutschen Reformfrage sprach sich H. am 3. Juni in einem Flugblatte „Henkel zur Tagesfrage“ entschieden für Preußen aus und als der Landtag am 16. Juni Hessens Neutralität wünschte, erklärte H. sofortiges Waffnen für Preußen als das allein Richtige. Er war Mitglied des bleibenden Ständeausschusses, welchem am 20. Juni 1866 der Befehlshaber der eingerückten preußischen Truppen mit dem Versprechen der Erhaltung der Landesverfassung „die Hand reichte“, er unterzeichnete am 5. Sptbr. mit elf bisherigen hessischen Abgeordneten die Erklärung an das preußische Abgeordnetenhaus, daß sie die Vereinigung Kurhessens mit Preußen als eine durch die geschichtliche Entwicklung gegebene Nothwendigkeit anerkannten und gehörte zu den bisher hessischen Abgeordneten, welche am 19. Septbr. 1866 um Berufung der hessischen Landesvertretung während der Uebergangszeit, sowie am 12. Mai 1867 um Belassung des seitherigen kurhessischen Staatsschatzes für Hessen baten und in den ersten Jahren nach der Einverleibung Kurhessens in Preußen von Seiten der Volkspartei und der kurfürstlich Gesinnten als „Todtengräber des kurhessischen Landesrechts“ angefeindet wurden. In den norddeutschen Reichstag wünschte H. wegen der Diätenlosigkeit nicht gewählt zu werden; er habe schon 1850 um politischer Fragen große pekuniäre Opfer gebracht. Unter die Zahl der hessischen Vertrauensmänner, welche im Septbr. 1867 wegen der Neuordnung der hessischen Verhältnisse nach Berlin berufen wurden, nahm die Regierung H., obwohl er vorgeschlagen war, nicht auf. Nach 1870 gab er seiner Sympathie für die Neuordnung Deutschlands Ausdruck in einer Schrift: „Rückblick auf das Jahr 1813“. Er erhielt den Titel Justizrath und feierte am 26. Mai 1873 sein 50jähriges Anwaltsjubiläum, wozu er von der Stadt Kassel das Ehrenbürgerrecht, vom König den rothen Adlerorden erhielt. Einen Monat später schied er aus dem Leben.

C. W. Wippermann, Kurhessen seit den Freiheitskriegen (Kassel 1850); Neue Hess. Ztg. 1848 Nr. 176, 179; Gräfe, Der Verfassungskampf in Kurhessen (Leipzig 1851); Der permanente landständ. Aussch. in Kurh. vor dem Kriegsgerichte (Kassel 1851); Vertheidigung des O.-G.-Anwalts Henkel zu Kassel vor dem kurf. hess. perman. Kriegsgericht (Kassel 1851); Urtheil des kurf. Gen.-Auditoriats vom 25. Juni 1852 (Kassel 1852); Hess. Morg.-Ztg. [760] 1863 Nr. 1314 und 1322; Kurhessen seit 1860 in Unsere Zeit, neue Folge, Bd. 2 (Leipzig 1866); Staatslex. 3. Aufl. Bd. 8 (Leipzig 1863); Die Todtengräber des kurhess. Landesrechts (Leipzig 1866); Fr. Oetker, Lebenserinnerungen, Bd. 2 (Stuttgart 1878); Fr. Müller, Kassel seit 70 Jahren, zugleich Hessen unter 4 Reg. Bd. 2 (Kassel 1878); Nachruf: Hess. Morg.-Ztg. Nr. 5535; Augsb. Allg. Ztg. 1873 Nr. 201, Beil. u. Deutsch. Allg. Ztg. Nr. 149 vom 29. Juni 1873.