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Artikel „Haupt, Friedrich“ von Herman Haupt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 50 (1905), S. 71–74, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Haupt,_Friedrich&oldid=- (Version vom 2. November 2024, 19:22 Uhr UTC)
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Haupt: Friedrich H., hessischer Theologe. Einer aus Thüringen eingewanderten Familie entstammend, wurde H. am 3. October 1805 in König im hessischen Odenwald geboren. An der Universität Gießen, wo er der Burschenschaft beitrat, studirte er Theologie und war nach bestandenem Examen zunächst an der Weitershausen’schen Erziehungsanstalt in Darmstadt, von 1826–1830 an dem Progymnasium in Michelstadt als Lehrer thätig. Im J. 1830 folgte er einer Berufung als Vicar nach Queck bei Schlitz, 1832 einer solchen als Rector der Knabenschule zu Schlitz und zugleich als Pfarrer zu Frau-Rombach. Das Jahr 1835 führte ihn nach der Schweiz, wo er sich auf längere Zeit ganz dem Lehrberufe zuwandte. Nach kurzer Thätigkeit an der Secundarschule zu Andelfingen im Kanton Zürich (1835–36) und an der Kantonsschule zu Aarau (1836–37) wurde er 1837 als erster Lehrer und Stellvertreter des Directors an das Lehrerseminar des Kantons Zürich in Küßnacht berufen, 1840 als Oberlehrer der deutschen Sprache an die Kantonsschule zu Zürich. Von seiner rückhaltlosen Hingabe an den Lehrberuf, aber auch von Haupt’s außergewöhnlicher didaktischer Begabung legen zahlreiche in Zürich verfaßte pädagogische Abhandlungen und Schriften Zeugniß ab. Wir nennen von ihnen die „Mustersammlung der Beredsamkeit“ (Aarau 1848), die „Weltgeschichte, nach Pestalozzi’s Elementargrundsätzen und von christlicher Lebensanschauung aus bearbeitet“ (1. Aufl. Hildburghausen 1840; 2. Aufl. 1841), ferner die als „Elementarwerk für das Volk und seine Schule“ bezeichnete kürzer gefaßte „Weltgeschichte“ (Abthlg. 1 und 2, Zürich 1843) und deren Anhang: „Grundzüge der Staatsverfassungen der Schweiz, oder des Schweizerbürgers Rechte und Pflichten“ (Zürich 1843), die „Bibelkunde“ (Heft 1, Zürich 1839), endlich die von H. verfaßten Anthologieen „Deutsche Sprache und Literatur, christlichen Schulen und Familien gewidmet“ (Theil 1, Deutsche Poesie, Zürich 1860; 2. Aufl. 1865; Theil 2, Deutsche Prosa, 1841; 2. Aufl. 1865).

Im Frühjahr 1845 zog es ihn wieder in die Heimath und den geistlichen Beruf zurück. Elf Jahre lang bekleidete er das Pfarramt in dem Odenwalddörfchen Rimhorn, von 1856–1878 war er Pfarrer in dem nahe bei Bensheim gelegenen Gronau. Eifrig widmete er sich den Aufgaben seines neuen Amtes, fand dabei aber noch Muße, um eine ausführliche Geschichte seines Pfarrdorfes Rimhorn zu bearbeiten, aus der vor kurzem von J. Moser ein den Volksaberglauben des Odenwalds behandelnder Abschnitt veröffentlicht worden ist (Zeitschrift f. Kulturgeschichte Bd. IV, 1897, S. 213 ff.). Der Armuth des Dörfchens wußte er erfolgreich durch Errichtung einer Flecht- und Strickschule zu steuern. Für Haupt’s innere Entwicklung wurde es entscheidend, daß er sogleich bei seiner Rückkehr nach der Heimath dem damals noch sehr kleinen Kreise von hessischen Geistlichen sich anschloß, in welchem der Gegensatz gegen den Rationalismus des herrschenden kirchlichen Systems sich aufs schärfste ausprägte, und von dem die bis auf die Gegenwart wirksam gebliebene „kirchliche Erweckung“ in Hessen ausgegangen ist. In diesem Kreise, dessen Mittelpunkt die Conferenzen auf dem Sandhofe bei Frankfurt waren, und der sich später zu dem „Evangelisch-kirchlichen Verein des Großherzogthums Hessen“ erweiterte, nahm H. bald eine führende Stelle ein. Seinen ersten litterarischen Vorstoß gegen den Rationalismus und gegen die mit ihm enge verbundene officielle hessische Kirchenpolitik unternahm er mit seinen zwei Streitschriften „Theses Ruppianae“ (Frankf. a. M. 1846) und „Herr Rupp im hessischen Odenwald“ (Frankf. a. M. 1847), die die Ausschließung des freigeistigen Königsberger Divisionspfarrers Rupp aus dem Gustav-Adolf-Verein forderten und zugleich auf das entschiedenste für die rechtliche Gültigkeit [72] der Symbole in der Kirche eintraten. Als dann im März des Sturmjahres 1848 eine hessische Kirchenversammlung unter Professor Credner’s Vorsitz zu Darmstadt zusammentrat und über die Einführung einer an das kirchliche Bekenntniß nicht gebundenen demokratischen Synodalverfassung verhandelte, trat H. als Redner der positiv-kirchlichen Partei diesem Antrage aufs schärfste, allerdings erfolglos, entgegen. Auch die von der streng kirchlichen Partei im Herbst 1848 eingereichte Rechtsverwahrung gegen den Entwurf einer bekenntnißlosen Unionsverfassung hatte H. zum Verfasser. Von weittragender Bedeutung auch für die außerhessische kirchliche Entwicklung sollte der zuerst von H. gefaßte und der Sandhofsconferenz vorgetragene Plan einer Zusammenfassung aller auf dem Boden des Bekenntnisses stehenden Glieder der deutschen Landeskirchen werden. Er führte zur Berufung des ersten deutschen evangelischen Kirchentags in Wittenberg im September 1848, der zwar die beabsichtigte kirchliche Einigung nicht erreichte, aber infolge des Auftretens J. H. Wichern’s zum Ausgangspunkt einer ungemein raschen Verbreitung der Gedanken und Bestrebungen der innern Mission wurde, die nun wieder in H. einen ihrer eifrigsten Vorkämpfer fanden. Die Stürme des Jahres 1849 hatten inzwischen H. auch zu politischer Bethätigung gedrängt. Anfänglich allein, dann in Gemeinschaft mit Eichhorn und Schiller gab er den „Deutschen Volksfreund“ (Jahrg. 1849, 52 Nrn.) heraus, welcher den conservativen und positiv kirchlichen Standpunkt in der denkbar schroffsten Weise vertrat. Einer friedlicheren Thätigkeit finden wir H. in den folgenden Jahren zugewandt. Im J. 1850 erschien die erste Auflage seiner „Evangelischen Kirchenlieder nach alter Lesart und Singweise“, eine später in vielen Auflagen verbreitete Sammlung, die für die Wiederherstellung und Wiedereinbürgerung der fast verschollenen alten Texte, für das Verständniß des rhythmischen Chorgesanges und für die liturgische Gestaltung der Gottesdienste bedeutungsvoll geworden ist. Im J. 1852 folgte seine Ausgabe von Luther’s kleinem Katechismus nebst Spruchbuch, die es gleichfalls zu zahlreichen Ausgaben brachte und auch in nordamerikanischen Gemeinden Verbreitung fand. In seinem „Evangelischen Seniorenbüchlein“ (Darmst. 1851) trat er energisch für die Ausübung einer rigorosen Kirchenzucht seitens der Kirchenältesten ein. Auch ein „Lesebuch für die deutsche Volksschule“ (1. Aufl. 1853, 2. Aufl. Darmst. 1863) ließ er im Auftrag des Evangelisch-kirchlichen Vereins erscheinen.

An den im Großherzogthum Hessen seit dem Jahre 1869 mit neuer Heftigkeit entbrennenden kirchlichen Verfassungskämpfen sehen wir H. wieder den feurigsten Antheil nehmen. Die von der bekenntnißtreuen Geistlichkeit erhobenen Proteste gegen die von freisinniger Seite beantragte Synodalverfassung hatten großentheils H. zum Verfasser; mit drei anderen Gesinnungsgenossen zusammen hat er ferner den „Verfassungsentwurf der evangelisch-lutherischen Kirche im Großherzogthum Hessen in ihrer conföderativen Verbindung mit der unirten und reformirten Bekenntnißkirche daselbst“ (Frankf. 1869) ausgearbeitet. Aber auch in einer Anzahl von Flugschriften hat er zum hessischen Verfassungskampf das Wort ergriffen („Pro und contra über unser lutherisches Verfassungspanier“, Frankf. 1870; „Gedanken über die gegenwärtige Verfassungskrisis unserer lutherischen Kirche“, Frankf. 1872; „Offener Brief an das Gesammtministerium des Großherzogth. Hessen, ein Synodalbedenken“, Frankf. 1873), am streitbarsten aber in der Schrift über die „Grundstürzenden Irrthümer unserer Zeit in Bezug auf die Kirche und ihre Verfassung“ (1. Aufl. Frankf. 1870; 2. Aufl. 1872). Auch mit dem Mainzer Bischof v. Ketteler, der Haupt’s Katechismus angegriffen, hat er damals eine Fehde ausgefochten (Hessisches Kirchenblatt Jahrg. 15, 1868, Nr. 18–20).

[73] Mit Haupt’s publicistischer Thätigkeit waren eifrige historische Studien über die kirchliche Verfassungsentwicklung Hand in Hand gegangen. Mehr und mehr bestärkten ihn diese Studien in der schon in zwei Jugendaufsätzen („Dr. M. Luther’s Ansichten über Kirchenregiment“ und „Die schottische Nationalkirche“, in der Quartalschrift „Die christliche Kirche in der Idee“, Jahrg. 1835) vertretenen Auffassung von den Schäden des damaligen Staatskirchenthums und der Nothwendigkeit einer Selbständigmachung der Kirche unter geistlichem Regimente durch Wiederherstellung des Episcopats. Sein historisches Werk „Der Episcopat der deutschen Reformation“ (Heft 1 und 2, Erlangen u. Frankf. 1863–1866) sollte den Nachweis führen, daß die Reformatoren an keine andere Verfassung als an die bischöfliche gedacht hätten. Neben sehr entschiedener Gegnerschaft hat Haupt’s These damals doch auch in weiten Kreisen theils bedingte, theils rückhaltlose Zustimmung gefunden. Nach der politischen Einigung Deutschlands unter preußischer Führung, für die er bereits 1867 in der Flugschrift „Der norddeutsche Bund und Süddeutschland“ (2. Aufl. Berlin 1868) eingetreten war, hielt er die Zeit für die Verwirklichung seines Verfassungsideals für gekommen. In einer umfangreichen Denkschrift, einem „Offenen Brief an Se. Majestät den deutschen Kaiser Wilhelm I. und an die sämmtlichen Königlichen Majestäten und Fürstlichen Hoheiten des deutschen Reichs als Summepiscopi der deutschen evangelischen Kirche“ (Frankf. a. M. 1871, auch abgedruckt in der 2. Aufl. der „Grundstürzenden Irrthümer unserer Zeit“), beantragte H. die Aufhebung des landesherrlichen Summepiscopats und die Wiederherstellung der „nach dem Evangelium geläuterten bischöflichen Verfassung, temperirt und gekräftigt durch Synoden und Presbyterien, unter Herstellung der bekenntnißmäßigen Organisation der Gemeinde“. Der Appell blieb erfolglos, erfuhr aber in einer Streitschrift aus altlutherischem Lager „Wider Dr. Haupt“ (Berlin 1871) heftigen Widerspruch. Trotzdem blieb H. seinem mit feuriger Begeisterung ergriffenen Verfassungsideale bis zu seinem Lebensende treu, wie unter anderem seine Aufsätze über „die amerikanische Episkopalkirche“ (Volksblatt f. Stadt u. Land, hsg. v. Nathusius, Jahrg. 33, 1876, Nr. 6–15) und die Artikel des damals Fünfundachtzigjährigen über „die bischöfliche Frage und Kirche deutscher Reformation“ (in Stöcker’s Deutscher evangel. Kirchenzeitung, Jahrg. 4, 1890, Nr. 19 und 21) bekunden. Im J. 1878 trat H. in den Ruhestand und siedelte nach Gießen über, um seine Muße fortan vorwiegend liturgischen und kirchenmusikalischen Studien und Bestrebungen zu widmen. Sein liturgisches Reformprogramm, bei dessen Aufstellung er stark von anglikanischen Vorbildern beeinflußt war, legte er in der Schrift „Zur Reform des Deutsch-evangelischen Kirchengesangs“ (Wiesbaden 1878) nieder. Durch sie, wie durch die von ihm 1884 begründete liturgisch-musikalische Conferenz hat H. nochmals bedeutsamen Antheil an der auf die Reform der Liturgie und des Kirchengesangs gerichteten Bewegung genommen. Im J. 1885 von der theologischen Facultät zu Gießen zum Ehrendoctor ernannt, arbeitete H. bis in seine letzten Tage in unverminderter geistiger Frische an einer bisher ungedruckt gebliebenen Darstellung der Verfassungsgeschichte der hessischen Kirche. Am 6. Januar 1891 ist der unermüdliche Kämpfer und Schriftsteller, dem die hessische Kirche die vielseitigste Förderung verdankt, im 86. Lebensjahre zu Gießen gestorben.

Zöckler’s Nekrolog in der Evangelischen Kirchenzeitung, Jahrg. 1891, Nr. 7, Sp. 117 ff. – Deutsche evangel. Kirchenzeitung, Jahrg. 1891, S. 27. – Allgem. evangel.-luther. Kirchenzeitung, Jahrg. 1891, Sp. 63. – C. Naumann, Festpredigt zu Haupt’s 50jähr. Amtsjubiläum (Gießen 1880) sowie [74] dessen Nekrolog im Hessischen Kirchenblatt, Jahrg. 1891, S. 25 ff., ferner das oben erwähnte nachgelassene verfassungsgeschichtliche Werk.