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Artikel „Halbsuter“ von Jakob Bucher in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 10 (1879), S. 405–406, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Halbsuter,_Hans&oldid=- (Version vom 12. November 2024, 14:17 Uhr UTC)
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Halbsuter (für die Schreibung „Kalbsuter“ finden sich keine Belege). Das Liet von dem strît ze Sempach hat den Namen Halbsuter’s für immer in die deutsche Litteraturgeschichte eingetragen. Welcher von den zwei urkundlich nachgewiesenen anzunehmen sei, läßt sich heutzutage kaum mehr bezweifeln. Der ältere, der um 1382 in Luzern lebte, kann zwar persönlich an der Sempacher Schlacht (9. Juli 1386) theilgenommen haben, aber kein zuverlässiger Anhaltspunkt weist darauf hin, daß das durch den Chronisten Ruß überlieferte volksthümliche Lied auf die genannte Schlacht (s. Uhland, Volkslieder, S. 404) von ihm herrühre. Dagegen erwähnt ein offenbar viel später entstandenes kunstmäßiges Epos über denselben Stoff in der Schlußstrophe ausdrücklich einen H. als Urheber. Alles legt die Vermuthung nahe, daß der jüngere constatirte Träger dieses Namen gemeint sei. Schon die Lebenszeit desselben stimmt vortrefflich zu der Hypothese. Das 15. Jahrhundert, in welchem der Meistergesang rüstig aufstrebte, war für Luzern nicht blos eine heroische, sondern auch eminent sangeslustige Periode. Die heitere, ideal-schwungvolle Bürgerschaft machte sich damals zum ersten Male an die Aufführung geistlicher Schauspiele, und aus dem fröhlichen Handwerkerstande gingen zwei bekannte Schlachtliederdichter hervor, nämlich Hans Ower (um 1446) und Hans Viol (um 1476). Zu den Beiden gesellte sich als Dritter Hans der Schreiner Halbsuter. „Hansli H. von Rot“ (einem Dorfe zwei Stunden nordöstlich von Luzern) wohnte schon im J. 1431 in Luzern und wurde 1435 Bürger dieser Stadt. Im Züricher Kriege (1440) diente er als Schütze. 1444 war er in seiner Vaterstadt Schützenmeister, später Gerichtsweibel, Pfleger der Herren- und Schützenstube (ein ehrenvolles Amt!) und auch Mitglied des Großen Rathes. Uebrigens muß er sich keineswegs glänzender Verhältnisse erfreut haben. Im J. 1442 versteuerte er nur 162 rheinische Gulden; seine Frau brachte ihm nicht viel dazu. 1453 wurde er zu zehn Schilling Buße verurtheilt, „weil er Pfaff Hansen Wib geschlagen“. Als er 1454 in einem Injurienprocesse zwei Pfund Strafe dictirt erhielt, konnte er dieselben nicht entrichten, setzte eine silberne Schale als Pfand ein und mußte infolge des Handels auf zwei Monate in die Verbannung (1455). Im J. 1456 verkaufte er sein Haus an den Rath. Im vorgerückteren Alter sank er immer tiefer in Armuth; vom Samstag nach Johann Baptist 1476 bis Samstag nach Bartholomäus 1480 bezog er sogar vom Staate eine wöchentliche Unterstützung, wahrscheinlich in Anwendung des Rathsbeschlusses von 1476, wonach die Kinder derjenigen, welche in der Schlacht umkamen, sowie die armen Verwundeten von der Stadt unterstützt werden sollten. Wahrscheinlich wurde H. bei Granson oder Murten arbeitsunfähig und deshalb jener Vergünstigung würdig erklärt. Das Aufhören der Staatshülfe im J. 1480 dürfte wol einen Anhaltspunkt zur Festsetzung des Todesjahres liefern, viel eher als zu der Vermuthung, der Greis sei [406] nachher wieder vollständig erwerbsfähig gewesen. Ueber seinen Charakter gibt die letzte Strophe des großen Sempacher Liedes einige Aufschlüsse, die um so bedeutungsvoller sind, wenn dieselbe ihre Entstehung einer anderen Hand und einer späteren Zeit verdankt, worauf der Satz: er was ein froelich man und ganz besonders der Ausdruck unvergessen deutlich genug hinzuweisen scheinen. Im Steiner’schen Texte des Liedes wird H. mit dem vielsagenden Lobe eines bidermans beehrt, während die Lesart bei Tschudi nur den fröhlichen Luzerner betont. Es ist wahrscheinlich, daß die Abfassung des großen Liedes von dem Strit ze Sempach etwa ins Jahr 1476 fällt, und die Stelle: „als er ab der schlacht ist kan“ dürfte wol auf die Schlacht bei Granson oder Murten, wo H. höchst wahrscheinlich dabei war, zu beziehen sein. Denn es besteht doch wol keine absolute Nothwendigkeit, schlechthin an die Sempacher Schlacht zu denken. Auch über den Einwurf: „Warum besang er denn nicht lieber den Kampf, welchem er selbst beiwohnte?“ läßt sich ohne Gewaltthätigkeit hinwegkommen. Die eigenen Erlebnisse hatten seine poetische Begabung einmal auf kriegerische Stoffe hingelenkt, und was lag nun dem patriotischen Luzerner näher als diejenigen Thaten, welche für seine Vaterstadt so ruhm- und folgenreich gewesen waren wie keine anderen, zu verherrlichen? Das reichlich vorhandene Material mußte ihn eigentlich dazu einladen. Alte Lieder fand er bereits vor (das von Ruß mitgetheilte, welches er als fröhlicher Mann gewiß selbst oft gesungen hatte, verwob er bekanntlich in sein Werk); die mündliche Ueberlieferung bot ihm ferner sehr ausgiebigen Stoff, ja er konnte leicht noch von solchen Berichte erhalten, welche selbst gegen die Oesterreicher gekämpft hatten. Die Abhängigkeit von den Quellen ist dem Gedichte deutlich eingeprägt: er fügte Bild an Bild mit der Objectivität eines alten Volkssängers, ohne irgendwie auf eine künstlerische Gliederung hinzuarbeiten. Er gab sogar der ziemlich weitgehenden Gereiztheit, welche sich augenscheinlich unmittelbar nach der Schlacht der Gemüther seiner Landsleute bemächtigt hatte und durch die Tradition getreulich fortgepflanzt worden war, einen unzweideutigen Ausdruck und erwies sich, nach den zugänglichen Anzeichen zu schließen, überhaupt als echten Dolmetscher der Anschauungsweise und Stimmungen, welche in Hinsicht auf die behandelten Ereignisse noch zu seiner Zeit vorherrschten. Freilich kann eine Würdigung aller Einzelnheiten keineswegs auf unbedingte Zuverlässigkeit Anspruch machen, denn wir kennen die Schicksale des von dem Dichter selbst herrührenden Textes nicht. Zwischen der Entstehungszeit und den auf uns gekommenen schriftlichen Fixirungen (bei Steiner, Tschudi, und in Abschriften von Schodeler’s Chronik) liegen mehrere Decennien und damit ist auch die Möglichkeit bedeutsamer Aenderungen gegeben. Immerhin darf man wol das als feststehend betrachten, daß H. uns ein Gedicht geschaffen hat, welches zu den interessantesten seiner Art zählt; und sollte man ihm den Ruhm des besten von allen geschichtlichen Schweizer Liedern bestreiten wollen, so bleibt es doch wenigstens das bekannteste und populärste.

R. v. Liliencron, Die historischen Volkslieder der Deutschen, 1. Bd. – Dr. A. Lütolf, Luzerns Schlachtliederdichter im 15. Jahrhundert (Geschichtsfreund, 18. Bd.). – Dr. Th. v. Liebenau, Der Liederdichter Hans Halbsuter von Luzern. – Dr. Rudolf Rauchenstein, Winkelried’s That bei Sempach ist keine Fabel. – Ottokar Lorenz, Die Sempacher Schlachtlieder (Pfeiffer’s Germania, 6. Jahrg.) und „Leopold III. und die Schweizer Bünde“ (in Drei Bücher Geschichte und Politik).