ADB:Groote, Gerhard
[731] der Vision eines Eremiten zu Prag, welcher G. von feurigen Ketten gefesselt geschaut hatte, war so fruchtlos geblieben, wie die ernsthaften Ermahnungen zur Weltentsagung von Seiten eines Geistlichen, als G. einst zu Köln einem öffentlichen Schauspiel beiwohnte. Eine schwere Krankheit, welche ihn zu Deventer dem Tode nahe brachte, bewog ihn zwar, auf Aufforderung des Priesters, seine Zauberbücher zu verbrennen; aber, wieder genesen, blieb er auf dem alten Wege. Im J. 1374 aber, als er sich zu Utrecht aufhielt, begegnete ihm Heinrich Eger aus Kalkar, damals Prior des Karthäuserklosters Munnikhuyzen bei Arnhem, mit welchem er schon in Paris befreundet gewesen war; dieser bewirkte eine Umkehr seines ganzen Wesens. Auf seine reichen Pfründen verzichtete er freiwillig, kleidete sich fortan schlicht und ärmlich und richtete sein Haus in der Baginenstraße zu Deventer zur Aufnahme einiger frommer und hülfsbedürftiger Leute ein. Unter diesen lebte er selbst einige Jahre in großer Demuth fort, hielt sich aber dabei vom Verkehr auch mit Anderen, wo er ihnen durch seine Kenntnisse oder seinen Rath dienen konnte, nicht fern. Vielleicht schon in dieser Periode seines Lebens verweilte er dann und wann bei Johann Ruysbroeck im Kloster Grünenthal bei Brüssel, dessen Einfluß gewiß auch dabei im Spiel war, daß sich G. 1377 in das Karthäuserkloster Munnikhuyzen zurückzog, um sich völlig dem Klosterleben zu widmen, ohne sich doch den Gelübden zu unterwerfen. Nach zwei Jahren strenger Entsagung und harter Ascese, war es den Wünschen der Karthäuser ganz entsprechend, daß G. seine außerordentlichen Geistesgaben durch Wort und Predigt dem allgemeinen Besten widmen wollte und zu diesem Ende nach Deventer zurückkehrte. Durch eine Urkunde vom 23. Juli 1379 bestimmte er jetzt seine alte Wohnung für Jungfrauen, welche ohne geistliches Gewand und Klostergelübde ein gemeinschaftliches Leben führen, und, nur zur Keuschheit und zum Gehorsam verpflichtet, sich mit Handarbeiten ernähren sollten. Aus diesen kurzgefaßten Bestimmungen für das sogenannte „Meester-Geerts-huis“, der ersten Stiftung der Brüder und Schwestern des gemeinsamen Lebens erkennt man den praktischen Geist Groote’s; weder für sich noch für andere wollte er unfruchtbare Ascese und Contemplation, sondern ein wirksames religiöses Leben. Aber auch in weiterem Kreise wünschte er solche Zwecke zu fördern. Um in öffentlicher Predigt gegen die Verderbniß der Geistlichkeit wie der Laien in sittlicher wie religiöser Hinsicht auftreten zu können, erwarb er sich das Diaconat. Die Priesterweihe hat er nie erhalten. Er erhielt vom Bischof Floris von Wevelinckhoven eine besondere Vollmacht, welche ihm die Predigt in der Diöcese von Utrecht, ohne weitere Erlaubniß der Parochialgeistlichen gestattete. Um 1380 fing er seine Rundreise als Prediger an, und trat zu Zwolle, Kampen, Deventer, Utrecht, Zutphen, Amersfoort, Harlem, Leyden, Delft, Gouda, Amsterdam und in mehreren Städten und Dörfern auf. Bei seinen Predigten, welche öfters zwei oder drei Stunden dauerten und deren er manchmal zwei an einem Tage hielt, bediente er sich durchweg der Landessprache wenn er vor dem Volke auftrat, der lateinischen aber, wo er vor Geistlichen predigte, wie zu Utrecht in seinen Reden wider die Focaristen. Diese Predigten scheinen in freien, wenn auch meditirten Vorträgen bestanden zu haben. Mächtig hallte sein Wort in den Herzen des Volkes wider und erschütternd wirkten seine ernsten Drohungen mit den kommenden Höllenstrafen. Keine Sünde beim Clerus oder Volke schonte er; unerschrocken verdammte er den Müssiggang der Bettelmönche, das Concubinat der Geistlichen (focaristae) und den Privatbesitz der Klosterleute (proprietarii). Auch wider Ketzer, wie den Augustiner Bartholomäus von Dordrecht, welcher der Secte des freien Geistes angehörte, den Lollharden Matthäus, den Gerbrand von Kampen und Andere trat er kräftig auf, was ihm den [732] Namen des „Ketzerhammers“ verschaffte. Der Beifall des Volkes war ein ungewöhnlicher. Oft hatten die Kirchen nicht Raum genug für die Zahl der Zuhörer. Doch nicht allen konnte eine solche Bußpredigt genehm sein; besonders erweckte sie vielfach den Zorn der so heftig gegeißelten Geistlichen. Manchmal führte er deswegen einen Notar mit sich, um diejenigen, welche seine Predigt etwa zu stören versuchten, beim kirchlichen Gerichte zu verklagen. – Kaum hatte er seine Arbeit als Wanderprediger drei Jahre lang fortgesetzt, als er durch die Verdächtigung seiner Gegner die Gunst seines Bischofs verlor, welcher nun ein Verbot gegen alles außerordentliche Predigen erließ. Unverkennbar war diese Maßregel ausschließlich wider G. gemünzt, indem fast alle anderen Prediger alsbald eine neue Erlaubniß erhielten, G. aber umsonst sich deswegen beim Bischof und Papst bemühte. Seine Gegner hatten gesiegt. Aber der Mann, dessen Wirkungskreis von nun an beschränkt war, wendete jetzt um so mehr seine besten Kräfte im stillen Kreise an, zum Ausbau seiner jungen Stiftung der Brüderschaft des gemeinsamen Lebens. Schon seit länger nämlich hatte er mehrere Jünglinge der Capitelsschule um sich gesammelt, deren er sich zum Abschreiben wissenschaftlicher Schriften bediente. Diesen hatte sich der ehemalige Canoniker der St. Peterskirche zu Utrecht, Florens Radewynß, damals Vicar zu Deventer, angeschlossen, und da der von diesem 1381 oder 1382 ausgehende Vorschlag dieser Jünglinge sich der Zustimmung Groote’s erfreuete, war auf solche Art die Brüderschaft des gemeinsamen Lebens begründet worden. Seinem Rathe folgten die Brüder bei der weiteren Einrichtung ihres Gesammtlebens, es wurden die zur Arbeit, zu Gebet, Lectüre und Ruhe bestimmten Stunden festgestellt und die Brüder ordneten sich, wenn auch ohne bestimmte Gelübde des Gehorsams dem Florens Radewynß unter. Ihnen, die den Bettelmönchen von Anfang an verhaßt waren, blieb G. ein treuer Freund und Förderer, da er von dem heilsamen Einflusse solcher Brüderschaft zur Entwicklung des religiösen Lebens im Volke tief überzeugt war. Daher wendete er fortan all seine Thätigkeit dem Ausbau dieser Stiftung zu. Selbst an der freien Predigt gehindert, hoffte er durch die Brüder seinen Gedanken von Gottesverehrung Eingang und Verbreitung zu sichern. Da er aber für eine solche freie Vereinigung die Feindschaft der Bettelmönche fürchtete, faßte er den Plan, ein Kloster einzurichten, in welchem Einige von ihnen sich der leichten Regel der regulirten Canoniker unterwerfen und danach für die übrigen eine sichere Zufluchtsstätte bilden sollten. Der Tod gestattete ihm indessen die Ausführung dieses Planes nicht mehr. Doch fragt es sich, ob nicht der Befehl zur Klosterstiftung ausdrücklich noch von ihm in seiner Todesstunde gegeben sei. Thomas a Kempis zwar im Chronicon montis s. Agnetis weiß nichts davon. Johann Busch dagegen im Chronicon Windesemense gibt eine ausführliche Erzählung von einem solchen Befehl, den der sterbende G. seinem Freunde Florens Radewynß im Namen Gottes ertheilt habe. Wie dem aber auch sei, so ist wol jedenfalls nicht zu verkennen, daß die spätere Erbauung des Klosters Windesheim dem ursprünglichen Plane Groote’s entsprach. Ihn selbst entriß der Tod seinem Werke am 20. August 1384. Die Pest, welche damals zu Deventer wüthete, hatte ihn am Krankenbette seines Freundes Lambertus Stuurman ergriffen. Seine reiche Bibliothek vermachte er den Brüdern des Fraterhauses zu Deventer. Seine Bestattung in der Marienkirche erfolgte unter großer Trauer seiner zahlreichen Freunde. Und diese Ehrerbietung war eine wohlverdiente. G. war ein vortrefflicher und außerordentlicher Mann, dessen Gelehrsamkeit und Frömmigkeit einen tiefen Eindruck bei seinen Zeitgenossen hinterließ. Doch nicht seine umfassende, im Vortrag oft freilich auch weitschweifige Gelehrsamkeit, noch seine tiefe aber auch von Ueberängstlichkeit nicht freie Religiosität genügt, um den [733] mächtigen Einfluß, den er ausübte, zu erklären; ebensowenig seine brennende Begeisterung für einen streng sittlichen Lebenswandel. Seine Bedeutung für Mit- und Nachwelt erklärt sich vielmehr daraus, daß ein allgemeiner Zug seiner Zeit in ihm zum schärfsten und vollkommensten Ausdruck kam, jener Zug, den man wohl als die moderne Devotion zu bezeichnen pflegt: ein mit freiwilliger an keine Klosterregeln gebundener Ascese gepaarter praktischer Mysticismus, wie er in ihm selbst unleugbar in imponirender Hoheit zur Erscheinung kommt. – Eine Gesammtausgabe seiner Schriften fehlt leider noch. Seine zahlreichen Briefe und anderen Werke sind meistens nur handschriftlich vorhanden und sehr zerstreut. Einige Briefe sind durch Nolte, de Ram und Acquoy veröffentlicht, andere durch Heribert Rosweyde in seiner Ausgabe des Chronicon Windesemense et montis s. Agnetis, Antw. 1621. Dort finden auch die „Conclusa et proposita Gerardi Magni“. Sein „Sermo contra focaristas“, wie auch einige Tractate sind von Clarisse abgedruckt im Archief voor kerkel. gesch. van Kist en Royaards Dl. I–III, VIII, und seine „Zedelyke toespraak“ von van Vloten im Nieuw Archief Dl. II; von demselben auch „Huwelykslessen van Geert Groote“ in seiner „Versameling van Nederl. prozastukken“. Weiter veröffentlichte Moll (Stud. en Bydr. Dl. II) de Groote’s „Sermo in festo palmarum de paupertate“, und darf man von Dr. Nolte die Ausgabe der dritten uns bekannten Predigt Groote’s „De septem verbis domini, pendentis in cruce“ erwarten.
Groote: Gerhard G., richtiger vielleicht Gerrit de Groote, welcher, wie es im alten Memorienbuche eines Nonnenklosters zu Weesp heißt, „mit seinem heiligen Leben, lebendigen Exempel und feuerigen Predigten wie ein Apostel des Herrn, das ganze Christenthum von Utrecht erleuchtete und von vielen Irrthümern zurückbrachte“, ward im October 1340 zu Deventer als Sohn angesehener Eltern, des Werner de Groote und der Helwich van der Basselen, geboren. Den ersten Unterricht erhielt er an der Capitelschule seiner Geburtsstadt und wie es scheint, später zu Aachen und Köln. 1355 bezog er die Pariser Universität und studirte dort während seines dreijährigen Aufenthaltes unter Nicolaus Orème, Johann de Ymenhusen, Jacob de Altavilla und Johann Buridanus Philosophie, Theologie, Canonisches Recht und Medicin, welche letztere damals mit Astrologie und Magie enge verbunden war. Rühmlichst erhielt er dort den Magistertitel und brachte das Lob großer Gelehrsamkeit nach Deventer mit heim. In den folgenden Jahren, etwa um 1360 verweilte er an der neugestifteten Prager Universität, wo seine große Disputirkunst seinen Ruhm nicht wenig erhöhte. Vielleicht war es der Ruf seiner Wohlredenheit, der den Magistrat von Deventer veranlaßte, ihm 1365 oder 1366 eine Mission an den päpstlichen Hof zu Avignon anzuvertrauen. Nach seiner Heimkehr finden wir ihn zu Köln, wo er unter großem Beifall seiner zahlreichen Zuhörer öffentliche Vorträge über Philosophie und Theologie hielt. Glänzenden Geistes bei großer körperlicher Schönheit, im Genuß zweier Canonicate an der St. Martinuskirche zu Utrecht und der Marienkirche zu Aachen, führte er damals ein sehr weltliches Leben, liebte die Vergnügungen und den Kleiderprunk und buhlte um die Gunst der Zeitgenossen. Es soll im J. 1374 geschehen sein, daß eine vollständige Sinnesänderung in ihm eintrat. Schon früher hatte es ihm an Ermahnungen zur Bekehrung nicht gefehlt, aber die Mittheilung- Vgl. Moll, Kerkgesch. van Nederl. II 2. St. bl. 164 ff., besonders aber bei G. H. M. Delprat, Broederschap van Geert Groote, Arnh 1856 und J. G. R. Acquoy, Het klooster te Windesheim en zijn invloed, Dl. I. bl. 13–58, Utrecht 1875.