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Artikel „Gräffe, Karl Heinrich“ von Moritz Cantor in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 9 (1879), S. 572–574, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gr%C3%A4ffe,_Karl_Heinrich&oldid=- (Version vom 10. Oktober 2024, 23:32 Uhr UTC)
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Gräffe: Karl Heinrich G., Mathematiker, geb. am 7. November 1799 zu Braunschweig, gest. am 2. Decbr. 1873 zu Zürich. G. konnte erst spät seiner Neigung folgen, welche ihn den Wissenschaften zuführte. Er war der Sohn eines aus Bremen stammenden Juweliers, Dietrich Heinrich G., eines geschickten Arbeiters, welcher in dem Knaben seinen Nachfolger erzog, so wenig gewinnreich ihm selbst sein Gewerbe sich erwies. Der dreizehnjährige Knabe wurde als Lehrling der Goldarbeiterkunst nach Hannover gebracht, vollendete dort eine dreijährige Lehrzeit, begann darauf die übliche Wanderschaft, auf welcher er in Leipzig erkrankte, und kehrte nach 1816 in die Heimath zurück im Innern entschlossen das Handwerk aufzugeben, äußerlich genöthigt das von dem nach Amerika ausgewanderten Vater verlassene Geschäft im Gang zu erhalten, [573] um die verarmte Familie ernähren zu können. G. erfüllte diese ihm auferlegte Pflicht mit rastloser Thätigkeit, die Abende zu Privatstudien verwendend, bei welchem sein das Braunschweiger Carolinum besuchender gleichalteriger Freund Friedrich Wilhelm Spehr ihn anleitete, namentlich ihm die Mathematik als liebste Wissenschaft eröffnete. Am 1. Mai 1821 wurde er als Freischüler in das Carolinum aufgenommen und durfte nun mit aller Anstrengung, deren seiner durch die frühere Doppelarbeit angegriffene Gesundheit ihn fähig ließ, den Studien sich ergeben. 1824 ging G. mit glänzenden Zeugnissen und Empfehlungen zur Universität Göttingen ab, wo er der aufmerksame und geliebte Schüler von Gauß, Joh. Tob. Mayer d. J., Friedr. Stromeyer und insbesondere von Thibaut wurde. Am 4. Juni 1825 wurde seine Bearbeitung der von der philosophischen Facultät gestellten Aufgabe „die Geschichte der Variationsrechnung vom Ursprunge der Differential- und Integralrechnung bis auf die heutige Zeit zu schreiben“, mit dem Preise gekrönt, eine Bearbeitung, welche weniger bekannt wurde, als sie es verdient zu haben scheint, und in den besten neueren Schriften ähnlichen Inhaltes unberücksichtigt geblieben ist. Nachdem G. am 9. Septbr. 1825 gleichfalls in Göttingen doctorirt hatte, verweilte er zwei Jahre wieder in Braunschweig bis er auf Thibaut’s warme Empfehlung eine Berufung an das eben gegründete technische Institut in Zürich erhielt, der zufolge er seit Neujahr 1828 den Unterricht in reiner Mathematik und Mechanik, später auch in praktischer Geometrie und Physik ertheilte, in welchem er zahlreiche und dankbare Schüler heranzubilden mit großer Lehrbegabung verstand. Als Hülfsmittel bei diesem Unterrichte verfaßte er einige schätzbare Lehrbücher. Die Stellung Gräffe’s in der Geschichte der Mathematik wird aber durch seine Abhandlung „Die Auflösung der höheren numerischen Gleichungen“, Zürich 1857 bezeichnet, zu welcher schon 1833 ein Anlauf von ihm genommen war (Crelle’s Journal Bd. X), während ein Nachtrag 1839 als Programm der Züricher Cantonschule erschien. Diese Abhandlung, in welcher G. den Gedanken durchführte, jede Gleichung in eine andere von gleich hohem Grade umzuwandeln, deren Wurzeln verhältnißmäßig hohe Potenzen der Wurzeln der ursprünglichen Gleichung sind, und deren Coefficienten somit die numerisch größten Wurzelwerthe der neuen Gleichung, gegenüber von welchem die numerisch kleinen Wurzeln nahezu verschwinden, leichter finden lassen, sollte zur Lösung einer von der Berliner Akademie gestellten Preisfrage dienen. Leider hatte G. übersehen, daß satzungsmäßig gedruckte Abhandlungen von der Bewerbung ausgeschlossen waren, und so konnte die Akademie, auch nachdem G., welchem jene Bestimmung nachträglich auf besonderem Wege durch Encke, den Secretär der Akademie, mitgetheilt worden war, einen Nachtrag in vorgeschriebener anonymer Form einsandte, nichts anderes zu seinen Gunsten beschließen, als daß sie mit Belobung des Anonymus „der das Gräff’sche Princip schärfer begründet und dessen Methode zur Bestimmung der imaginären Wurzeln vervollkommnet habe“, die Preisaufgabe für das folgende Jahr 1839 neu ausschrieb. Leider erlaubten es Gräffe’s Gesundheitsverhältnisse nicht, daß er dieser mittelbaren Aufforderung auf der beschrittenen Bahn weiterzugehen hätte Folge leisten können. Er zog sich von der Bewerbung zurück, und andere, namentlich Encke, vervollkommneten noch seine Methode. Zur Untergrabung von Gräffe’s Gesundheit hatte neben früher Ueberarbeitung auch vielleicht mancherlei Mangel an Anerkennung beigetragen, der ihn in unverdientester Weise traf, so z. B. 1836, wo eine Professur der Mathematik an der seit 1833 bestehenden Hochschule in Zürich gegründet und mit Uebergehung von G. und von Jos. Ludw. Raabe, der beiden verdienstvollen Privatdocenten der jungen Anstalt, an den weit weniger bedeutenden Ant. Müller vergeben wurde. G. beschloß seine [574] Thätigkeit an der Industrieschule im Herbste 1868 und lebte von der Zeit an in einer durch körperliche Leiden vielfach getrübten Ruhe.

Karl Heinrich Gräffe, ein Lebensbild entworfen von Rudolf Wolf, Separatabdruck aus der Neuen Zürcher Zeitung, Zürich 1874.