ADB:Gilm zu Rosenegg, Hermann von

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Artikel „Gilm, Hermann von“ von Anton Schlossar in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 49 (1904), S. 359–364, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gilm_zu_Rosenegg,_Hermann_von&oldid=- (Version vom 5. Oktober 2024, 22:20 Uhr UTC)
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Gilm: Hermann von G., deutsch-österreichischer Dichter, wurde am 1. November 1812 zu Innsbruck als Sohn eines Stadtgerichtsassessors geboren. Leider starb dessen Gattin, die Mutter Hermann’s, schon im J. 1816 und der Vater verehelichte sich 1818 zum zweiten Male. Die erste Erziehung erhielt der Knabe im Gymnasium zu Feldkirch in Vorarlberg, später in Innsbruck, und zwar waren es nach der damaligen Einrichtung zumeist geistliche Lehrer, welchen die Ausbildung Hermann’s anvertraut erschien. Die Art dieser vorwiegend geistlichen Erziehung aber war für das junge Gemüth eine recht abstoßende, wie G. selbst vielfach in veröffentlichten Briefen aus späterer Zeit berichtet. Für die Schönheiten der Dichtung zeigte G. schon zu jener Zeit eine besondere Empfindung und namentlich machte die Lectüre des übrigens „verbotenen“ Schiller auf ihn einen tiefen Eindruck. Im J. 1830 begann G. zunächst die sogenannten „philosophischen“ Studien und wandte sich dann an der Innsbrucker Hochschule der Rechtswissenschaft zu, welches Studium er mehr aus Pietät für seinen Vater als aus Berufsfreudigkeit gewählt hatte, denn schon zu jener Zeit entstanden die ersten seiner Lieder, welche allerdings vorläufig abschriftlich aufbewahrt blieben, nur ein Abschiedspoem an seinen bei den Studirenden sehr beliebten Professor Wessely, welcher 1836 nach Prag versetzt wurde, erschien gedruckt in einem Tiroler Blatte. Im Juli desselben Jahres wählte sich G. den Lebensberuf, indem er in Innsbruck als Rechtspraktikant beim Gericht eintrat, später zur politischen Behörde, dem Gubernium, übersetzt und October 1838 zum unbesoldeten Conceptspraktikanten bei diesem Amte ernannt wurde. Als solcher wurde er 1840 nach Schwaz versetzt. Bezeichnend für die Zeit seines Beamtenaufenthaltes in Innsbruck ist die Liebe zu der von G. so glühend verehrten Josefine Kogler, welcher Neigung, nachdem schon 1836 der reizende Liedercyklus „Märzenveilchen“ entstanden war, eine ganze Reihe die Geliebte verherrlichender Gedichte zu verdanken ist, insbesondere die mit „Sommerfrische in Natters“ bezeichnete Liederreihe. Der Titel bezieht sich auf den schön und hoch gelegenen Gebirgsort Natters, wo das verehrte Mädchen mit ihren Eltern im Sommer weilte und von G. auch öfter besucht wurde. Allerdings zeigt sich in den Herzensneigungen Gilm’s eine gewisse Vorliebe für Abwechslung, denn schon 1839 besingt er die Innsbruckerin Amalie Adam und von den Gefühlen für Josefine ist nicht mehr die Rede. Die Eltern des Mädchens scheinen übrigens eine Verbindung desselben mit dem einer vorläufig kaum sehr aussichtsreichen Zukunft zusteuernden Praktikanten nicht gewünscht zu haben. Als G. im October 1840 nach Schwaz kam, war er schon als ein poetisch begabter Geist bekannt, seine gesellschaftliche Unterhaltungsgabe führte ihn in die besten Kreise des kleinen Ortes ein und machte ihn zumal in Damenkreisen sehr beliebt. Er wurde bei seinem Vorgesetzten, Kreishauptmann v. Gasteiger auch im Hause freundlich aufgenommen und fand in der schönen Nichte desselben, Theodolinde, welche oft in Schwaz weilte, eine neue Persönlichkeit seiner Verehrung. Obgleich G. anfangs auch Gegenliebe gefunden zu haben scheint, so war doch auch hier wieder die Aussichtslosigkeit Gilm’s in Bezug auf seine Zukunft der Grund, daß die Angehörigen des Mädchens einer Bewerbung des Dichters um dasselbe nicht günstig gestimmt waren, auch Theodolinde selbst erschien später durch die „Leidenschaftlichkeit“ seiner Liebe „fürchterlich beunruhigt“, und da sie überaus bigott erzogen, wol auch in religiöser Beziehung keine Uebereinstimmung mit G. ersehen konnte, so kam es bald zwischen ihm und diesem Mädchen wieder zur Trennung. Die schöne Liedergruppe [360] „Theodolinde“ aber ist unter dem Eindruck seiner Leidenschaft entstanden und gibt Zeugniß von seinem Gefühl, das er hier in glänzenden Versen ausgesprochen hat, ebenso der Cyclus „Lieder eines Verschollenen“, welche die herrlichsten lyrischen Blüthen enthalten. Damals setzte sich in dem Dichter der allerdings schon während seiner Studienjahre im Keim begründete Haß gegen die finsteren geistlichen Gewalten fest, welche ihm in Schwaz hauptsächlich dadurch entgegentraten, daß sie ihm das ohnehin stolze Herz der Geliebten abwendig machten.

Aber ein froheres Leben sollte dem jungen Manne erblühen, als er im December 1842 nach dem Städtchen Bruneck versetzt wurde. Sein amtlicher Chef daselbst, Kreishauptmann Josef Kern wurde ihm dort auch Freund und Gönner und die poetische Begabung Gilm’s in dem fortschrittsfreundlichen Orte voll und ganz gewürdigt, gern lauschte man den von ihm verfaßten Gedichten, die er hier in Gesellschaften vortrug oder die vorgetragen wurden, er war die Seele der Unterhaltung in allen Kreisen und kam sogar auf die Idee ein Theater zu arrangiren, auf dem er selbst in einer Reihe von großen Rollen classischer Stücke mitspielte. Das Casino in Bruneck gab Gelegenheit zu den verschiedensten Vergnügungen und geistvolle declamatorische und musikalische Unterhaltungen wechselten mit Tanzabenden und anderen heiteren Veranstaltungen ab. Nicht nur eine ganze Reihe von Gelegenheitsgedichten Gilm’s entstand in den Jahren seines Aufenthaltes in Bruneck von 1843 bis 1845, sondern auch zahlreiche andere inhaltlich und formell vollendete Stücke fanden hier ihren Ursprung. Hatte schon früher die Austreibung der Zillerthaler Protestanten aus Tirol des Dichters Herz empört, so war dies noch mehr der Fall, als in Tirol die Einwanderung der Jesuiten 1843 stattfand, welche jede freiheitliche Regung und jedes freie, geistige Streben zu unterdrücken berufen schienen. Wie andere gerade damals im Lande aufstrebende, begabte Talente, so gab auch G. der gegen solche Bestrebungen gerichteten Gesinnung in machtvollen Strophen begeisterten Ausdruck. Es entstanden zu jener Zeit die berühmten „Jesuitenlieder“, welche, wenn auch nur handschriftlich, rasch im ganzen Lande verbreitet waren. In Bruneck ist aber auch entstanden der eigenartige kräftige „Sonettenkranz“, die glänzenden, mächtige politische Töne anschlagenden „Zeitsonette aus dem Pusterthale“, die kühnen, patriotischen und echt volksthümlichen „Tiroler Schützenlieder“ und endlich die „Sophienlieder“ an die Geliebte Sophie Petter, ein liebenswürdiges Mädchen, welches des Dichters Neigung herzlichst erwiderte, gerichtet. Ein kurzes Liebesverhältniß mit Kathi Kochberger, einer Brauerstochter, das sich vorher entspann, aber bald wieder löste, sei hier nur angedeutet. Dagegen hatte Sophie auf G. so mächtig eingewirkt, daß die an sie gerichteten Gedichte zu den herrlichsten Schöpfungen nicht nur Gilm’s, sondern der deutschen Poesie überhaupt gehören. Auf Sophie beziehen sich auch die jedoch poetisch den ebengenannten an Werth nicht gleichkommenden „Schartellieder“, deren Namen auf das Gebirgsbad Schartel bei Bruneck deutet, wo das Mädchen mit ihren Angehörigen im Sommer einige Wochen zubrachte und von dem liebeglühenden Poeten häufig aufgesucht wurde. Die dramatischen Versuche: „Verena“ und „Oswald“, welche ebenfalls in Bruneck entstanden sind, beanspruchen weniger Aufmerksamkeit und Beachtung. Erst im J. 1843 in Bruneck war es G. gelungen, durch die Förderung seines humanen Chefs ein jährliches Adjutum von 300 Gulden zu erlangen, welches seinen finanziellen Bedrängnissen, denen ein kleines Vermögen fast ganz zum Opfer gefallen war, wenigstens einigermaßen ein Ende machte. Aber G. mußte im October 1845 den von ihm so verehrten Ort und seine Freunde verlassen, denn er wurde nach Rovereto in Südtirol versetzt, wo er allerdings ein südliches Klima mit [361] allen Schönheiten der Natur vorfand, die gewohnten Alpen des Nordens aber schmerzlich vermißte. Viel Verdruß machte ihm zu jener Zeit die Denunciationslust des einstigen Freundes Beda Weber, welcher geistvolle aber nicht charakterfeste Schriftsteller ganz in das geistliche Lager übergegangen war. Von den übrigen Freunden Gilm’s, mit welchen er schon in der Brunecker Periode verkehrt hatte, sind namentlich Ludwig Steub und J. F. Lentner zu nennen, mit ihnen stand G. in schriftlichem Verkehr. Daran schlossen sich noch mehrere Vertreter des damaligen „Jungtirol“, für deren dichterische Bestrebungen 1846 Adolf Pichler den Almanach „Frühlieder aus Tirol“ herausgab. G. war in demselben durch eine Zahl seiner herrlichsten Schöpfungen vertreten. In Rovereto lebte der Dichter sehr zurückgezogen, dichtete eifrig und führte seine reiche Correspondenz zumal mit der Geliebten, Sophie. Es entstanden daselbst die Stimmungsbilder: „Lieder von den italienischen Grenzen“ und später die „Sonette an eine Roveretanerin“, an die schöne Gräfin Festi, eine geborene Italienerin mit deutscher Ausbildung, gerichtet. Diese Sonette gehören zu den bemerkenswerthesten Stücken der Poesie Gilm’s. Liebesgluth und Landschaftsbilder sind in den formschönen Strophen zu wunderbarer Wirkung vereinigt. Trotzdem scheint in seinen Beziehungen zu Sophie in Bruneck vorläufig keine Aenderung eingetreten zu sein, ja einmal machte G. sogar einen Besuch in dem ihm so lieb gewordenen Alpenstädtchen. Im Mai 1847 wurde G. Hofkanzleipraktikant in Wien und vertauschte nun den Aufenthalt in Tirol mit dem in der Residenz. Die Schönheiten derselben und das bunte Leben machten einen bedeutenden Eindruck auf ihn, aber seine poetische Thätigkeit war daselbst sehr gering. Dagegen liegen viele Briefe an die Angehörigen und Freunde aus dieser Zeit vor, und als die berühmten Märztage des Jahres 1848 hereinbrechen, ist er voll Begeisterung für die errungene Freiheit. Er trat in die Nationalgarde ein und vertheidigte mit Eifer die freiheitlichen Bestrebungen. Als die Sturmzeit vorüber war, besuchte er häufig das Theater, machte Ausflüge in die schönen Umgebungen Wiens und genoß alles Schöne, was ihm die österreichische Residenz bot.

So war es dem Dichter beinahe unangenehm als er, allerding in der Stellung eines Statthaltereisecretärs, im Frühlinge 1854 nach Linz versetzt wurde. Dort aber lebte er, wie er bald schrieb, „wie Gott in Frankreich“; 1856 wurde er Vorstand des Präsidialbureaus und hatte eine sehr angenehme Stellung. Hier und da besuchten ihn wohl auch alte Bekannte und Freunde, so unter Anderen sein einstiger Mitschüler Feßler, welcher sogar den Posten eines Bischofs erreicht hatte. An Poesien entstand hier Manches, namentlich dichtete G. in dieser Zeit schöne Balladen. Auch das „Rosaneum“, ein poetischer Cyclus, der sich auf Rosa Dierzer in Linz bezieht, ist dem Aufenthalte in Linz zu verdanken, zählt aber nicht zu den besten lyrischen Poesien Gilm’s. Was das Verhältniß mit Sophie in Bruneck betrifft, so hatte auch dieses, allerdings durch freiwilligen Rücktritt beider Theile, sein Ende im J. 1850 gefunden und Sophie sich vermählt. Der Dichter G. aber ehelichte in Linz erst 1861 Marie Dürenberger. Als die 500jährige Gedenkfeier der Vereinigung Tirols mit Oesterreich 1863 in Innsbruck stattfand, nahm auch G. an derselben dort Theil und wurde vielfach als Tirols großer Dichter ausgezeichnet und bejubelt. Leider trat ein ihn schon längere Zeit peinigendes Leiden nach der Rückkehr von den Innsbrucker Festlichkeiten in Linz heftiger auf. Im Frühjahr 1864 dachte er daran, wieder sein geliebtes Tirol aufzusuchen, er hatte manche Unterstützung erlangt, auch eine Anerkennung des Staatsministers für seine poetischen Bestrebungen machte ihm große Freude. Aber leider trat nun seine Krankheit immer heftiger auf, bald war alle Hoffnung auf Rettung [362] vergeblich und am 31. Mai 1864 verschied der Dichter, die Gattin und einen Sohn Hermann Rudolf zurücklassend. In Innsbruck wurde 1868 Gilm’s Geburtshaus mit der Büste des Dichters geschmückt und eine Straße nach seinem Namen benannt.

Hermann v. G. ist ein Dichter, welcher trotz seines großen, gewaltigen Talentes, das ihn in die erste Reihe der deutschen Lyriker stellt, bei Lebzeiten fast nur dem engeren Kreise seiner Tiroler Landsleute bekannt und von diesen gewürdigt worden ist. Erst nach seinem Tode erschien eine Ausgabe seiner Gedichte, deren manche bis dahin in verschiedenen Journalen einzeln abgedruckt worden sind, und zwar zumeist in Journalen, die auch nicht für weitere Kreise bestimmt waren. Allerdings ist G. fast ausschließlich Lyriker, womit übrigens durchaus nicht gesagt ist, daß seine wenn auch nur wenigen Balladen und erzählenden Gedichte nicht auch den werthvollen Stücken der neueren Dichtung zur Seite gestellt werden können. Wenig Anderes als die eigentlichen Gedichte liegt übrigens aus Gilm’s Feder gedruckt vor und sei von seinen Schöpfungen der Vollständigkeit wegen hier etwa noch jene Novelle erwähnt, welche in den von V. Zingerle 1868 herausgegebenen „Herbstblumen zu Gunsten der Abbrändler von Terres“ (Innsbruck) erschienen ist.

Daß der Dichter in den älteren Poesien Spuren seiner Jugendlectüre Schiller, Goethe, Heine aufweist ist nicht zu leugnen, aber schon in den „Märzenveilchen“ beginnt er eigene Wege, von der Natur und ihren Schönheiten ausgehend weiß er das scheinbar eintönige Thema „die Veilchen“ in einer ganzen Reihe von Liedern zum Mittelpunkt der Betrachtung zu machen und ihm die schönsten, wechselreichsten Seiten abzugewinnen, er weiß fromme und weltliche Liebesgedanken mit diesen duftenden Blüthen zu verbinden, und seine Lieder sind gleichsam selbst ein schöngewundener duftiger Strauß. Das eigentliche Liebeslied ertönt zuerst in dem Cyklus der „Sommerfrische in Natters“ diese „Lieder eines Mädchens“ sind so zart und innig gedacht und so fein poetisch ausgearbeitet, daß sie den schönsten deutschen Liedern solcher Gattung zur Seite gestellt werden können; auch hier geht G. oft von einem der Natur entnommenen Bilde aus und weiß sinnige Gedanken des liebenden Mädchenherzens daran zu knüpfen. Auch ernste, selbst religiöse Gedanken steigen in des liebenden Mädchens Seele auf, welche uns der Dichter hier wie ein Spiegel zeigen will, und manches kleine Bild, wie etwa z. B. der Besuch in der ärmlichen Hütte bei einem todten Mütterlein, ergreift das Herz des Lesers. Wenn sich hier noch etwa leise Heine’sche Anklänge zeigen, so erscheinen die prächtigen Strophen an Theodolinde ganz selbständig, die stolzen Apostrophen an die Geliebte, die glänzenden Bilder, die klangvollen Verse und Reime, die Innigkeit, welche oft hervorbricht, z. B. wenn der Dichter seiner sterbenden Mutter gedenkt, weisen hier schon den großen Dichter, welchem alle, auch die gewaltigsten Töne zur Verfügung stehen und der in einem Guß seinen Gedanken kunstvollen und doch scheinbar so natürlichen Ausdruck zu geben versteht. Womög1ich noch höheren Werth besitzen die „Sophienlieder“. Sophie Petter genießt den Ruhm durch ihren Namen mit den herrlichsten dichterischen Schöpfungen Gilm’s, welche der Liebe zu dem Mädchen ihre Entstehung verdanken, für immer verbunden zu sein. Hier finden sich die so tief Herz und Sinn ergreifenden Gedichte wie „Geduld! sagst du und zeigst mit weißem Finger – auf meiner Zukunft festverschlossne Thür“ – „Laß an der Wimper nicht die Thräne hangen“, sowie die heute wohl schon allüberall bekannten „Allerseelen“ („Stell auf den Tisch die duftenden Reseden“) und „Die Georgine“ („Warum so spät erst, Georgine?“), Stücke, welche ganze Bände von Gedichten anderer Poeten aufwiegen. Und würdig diesem Cyklus zur Seite zu stellen sind die „Sonette“, [363] welche G. an die Roveretanerin richtet, der er zuletzt in Tirol auf südlichem Boden seine Liebe geweiht hat. Die süßesten Klänge in der kunstvoll und meisterhaft gehandhabten Form des Sonetts verbindet G. hier mit der Freude an der Natur des Südens, er fordert die Geliebte auf ihm das Haupt mit Mandelblüthen zu kränzen, während er ihr Waldgeschichten von seinen Bergen erzählt, er schildert seiner Liebe Leid und wieder die Seligkeit, wenn er auf ihren Wangen liest, daß ihn die Schöne liebt, sie ist sein Licht, und wenn ihm ihr Angesicht fehlt, ist es stumm und dunkel um ihn her. So entsprudeln Bilder und Gedanken dem Dichter wie ein frischer, klarer Gebirgsquell seiner Heimath dem Herzen des Berges, bis ein Schlußsonett der traurigen Scheidestunde geweiht erscheint.

Einer anderen Richtung gehören die „Schützenlieder“, die „Lieder eines Verschollenen“, die „Jesuitenlieder“, zum großen Theile auch die „Lieder von den italienischen Grenzen“, die Sonette an Kernburg und viele der übrigen nicht unter einen bestimmten Sammeltitel zu registrirenden Gedichte und Lieder an. Als in den Jahren 1839 und 1845 in Tirol wieder das altgewohnte Waffenrecht freigegeben wurde und hierdurch das Schützenleben einen mächtigen Aufschwung nahm, entstanden nach und nach jene von hohem patriotischen und dem edelsten Heimathsgefühl eingegebenen Schützenlieder Gilm’s, durch welche es wie Fahnenrauschen und Flintengeknatter zieht und in denen der Dichter seinen Landsleuten in höchster Begeisterung zuruft, dem Vaterlande ihren Muth und ihre Kraft zu weihen, der Heuchelei entgegenzutreten und ihres deutschen Stammes zu gedenken. Auch Stücke epischen Charakters finden sich darunter, wie die ergreifende Geschichte des Pfarrers von Völs aus den Kampfjahren der Franzosenzeit, „Der alte Schütze am Pragser See“, die „Schützenromanze“ („Im Heimwald an die Edeltanne“) u. A. m. Die ganze Gruppe bildet eine in höchster Begeisterung flammende Verherrlichung der muthigen, sangesfreudigen Tiroler, ihrer Treue zum Vaterlande und Kaiser und ihres herrlichen Berglandes. Auch in den Liedern des „Verschollenen“ ist dem Preise der Heimath manch kräftiger Sang gewidmet, erscheint die Natur in herrlichen Bildern gepriesen, findet sich auch wol zartes Liebessehnen, aber auch so mancher Kampfruf gegen Unterdrückung des geistigen Strebens durch die geistliche Macht. Welche Macht der Dichter meint, spricht er in dröhnenden Worten aus in den „Jesuitenliedern“, von der berühmten Schilderung des „Jesuiten“ („Es geht ein finstres Wesen um“) und von den Gedichten: „Das Wort ist todt, das freie Lied gebettet“ oder „Ihr habt im Herzen längst die Scham getödtet“ (zur Grundsteinlegung des Innsbrucker Jesuitencollegiums) an bis zu den warnenden Feuersonetten an den Tiroler Landtag mit ihrer scharfen Ironie. In kräftigen Tönen geht G. auch in den „italienischen Grenzliedern“ der Heuchelei, der Dummheit und Verzagtheit zu Leibe, preist seine grünen Tannenwälder und Berge und die Freiheitsideen Jung-Tirols. Seiner schönen Heimath sind auch die Sonette an Kernburg gewidmet, welche in origineller Weise die Schönheiten einzelner Orte des Pusterthales hervorheben und des edlen Waltens gedenken, das Kernburg selbst, der politische Vorstand jenes Kreises, demselben und dem Volke jener Gegend angedeihen ließ. Von edlem, selbst frommem Sinne legen manche der übrigen Poesien Gilm’s beredtes Zeugniß ab, so namentlich der wieder eine dichterische Perle bildende Festgruß an den Bischof Galura zu Brixen.

Wie trefflich der Poet auch das epische Gedicht, die Ballade zu beherrschen weiß, tritt uns in den herzergreifenden Stücken: „Jakob Steiner“, „Ein Krankenbett“, in dem patriotischen „Solferino“ und in der schon in der letzten Zeit vor seinem Tode entstandenen herrlichen Naturallegorie „Der Traunstein“ [364] sowie im „Adoptivkind“, der allerletzten Schöpfung Gilm’s entgegen. So hat G. Lieder geschaffen, die unvergänglich bleiben und sein Name nimmt jetzt von Jahr zu Jahr eine höhere Schätzung an. G. ist ein Dichter, wie der vielbelesene ausgezeichnete Litterarhistoriker Anton E. Schönbach sagt: „dem Stücke gelungen sind, welche wir dem Besten und Schönsten beizählen, was unsere deutsche Lyrik seit Goethe hervorgebracht hat“.

Sehr beachtenswerth erscheinen die von G. hinterlassenen Briefe, deren manche, jedoch bei weitem nicht alle veröffentlicht worden sind. Sie lassen uns aus früherer Zeit einen tiefen Einblick thun in das litterarische Leben Tirols, aber auch in des Dichters Gemüthsleben und bieten höchst werthvolle Beiträge zu seiner Biographie und zu den verschiedenen Phasen seines dichterischen Schaffens. Es wäre zu wünschen, daß diese Briefe gesammelt vorgelegt würden.

Von Gilm’s „Gedichten“ ist die erste Ausgabe 1864/65 zu Wien in 2 Bänden erschienen, sie entbehrt aber noch der Jesuitenlieder. „Ausgewählte Dichtungen“ hat Arnold von der Passer 1889 in Leipzig herausgegeben. Eine weitere Leipziger Ausgabe „Gedichte“ liegt vom Jahre 1894 vor. Eine recht gute, mit vielen Stücken vermehrte Gesammtausgabe edirte R. H. Greinz, mit einem kurzen biographischen Vorworte versehen, 1895 in Ph. Reclam’s Universalbibliothek zu Leipzig. Endlich liegt von Hugo Greinz herausgegeben, ebenfalls mit biographischer Einleitung, der schön gedruckte, mit Buchschmuck versehene Band „Hermann von Gilm’s Gedichte“ aus dem J. 1902 (Innsbruck) vor. Immerhin ist, da noch so Manches ungedruckt sein dürfte und die Untersuchung über die einzelnen in verschiedenen Fassungen vorliegenden Dichtungen noch nicht abgeschlossen erscheint, eine etwa kritische Gesammtausgabe von Gilm’s Gedichten sehr wünschenswerth, zumal der Poet seine Schöpfungen häufig ganz umgeformt hat und daher ältere und neuere Versionen oft sehr von einander abweichen.

Für die Litteratur über Gilm erscheint beachtenswerth: Ludwig Steub, Sängerkrieg in Tirol. Stuttgart 1882. – Hermann Sander, Hermann v. Gilm in seinen Beziehungen zu Vorarlberg. Innsbruck 1887. – Liederfrühling aus Tirol. Hsg. v. Rud. H. Greinz. Leipzig 1889, worin namentlich in der Einleitung auf S. 29, 30 eine gute Zusammenstellung der bis dahin erschienenen Gilm-Litteratur verzeichnet erscheint. – Arnold von der Passer, Hermann von Gilm. Leipzig 1889, bietet die beste Biographie und auch zahlreiche Briefe Gilm’s von großem Werthe. – Anton E. Schönbach, Hermann v. Gilm in: Deutsche Dichtung. Hsg. v. K. E. Franzos VI, 1889, S. 413–421. – Winder, E., Hermann v. Gilm, seine Gedichte und Einführung in die Litteratur. Innsbruck 1889, Sep.-Abdr. – Hugo Greinz, Hermann v. Gilm. Linz 1897, Sep.-Abdr. – J. E. Wackernell, Beda Weber 1798–1858 und die tirolische Litteratur 1800–1846. Innsbruck 1903. – Wurzbach, Biogr. Lexikon V. 1859. – Kurz, Geschichte der deutschen Litteratur IV. Leipzig 1872. – Brümmer, Lexikon der deutschen Dichter und Prosaisten des 19. Jahrh. I. – Gottschall, Die deutsche Nationallitteratur des 19. Jahrh. 6. Aufl., Breslau 1892 II, III u. s. w. Manche Litteraturgeschichten kennen merkwürdigerweise Gilm’s Namen gar nicht.