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Artikel „Gümbel, Wilhelm (von)“ von August Rothpletz in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 49 (1904), S. 623–627, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:G%C3%BCmbel,_Wilhelm_von&oldid=- (Version vom 10. Dezember 2024, 03:03 Uhr UTC)
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Gümbel: Wilhelm (von) G. wurde am 11. Februar 1823 zu Dannenfels in der Rheinpfalz geboren.[1] Sein Vater, Großvater und Urgroßvater sind Förster gewesen und von seinen zehn Brüdern, unter denen er der drittjüngste war, widmeten sich die meisten wiederum diesem Berufe. Sein um 11 Jahre älterer Bruder Theodor, ein bekannter Bryologe, kam als Lehrer nach Zweibrücken, während Wilhelm dort das Gymnasium besuchte. Durch ihn ist er schon zu einer Zeit mit den Naturwissenschaften genauer bekannt geworden, [624] in welcher seine Altersgenossen am Gymnasium davon noch keine Ahnung hatten. Wie seinen Bruder, so zog auch ihn eine starke Neigung zur Botanik, als er aber 1842 den geistvollen und originellen Karl Schimper kennen lernte und durch ihn von erratischen Blöcken und der Eiszeit hörte, da war sein Entschluß rasch gefaßt, Geologie zu studiren.

Nach Absolvirung des Gymnasiums bezog er 1843 die Universität München. Doch fand er dort gerade in seinen Specialfächern nicht die genügende Förderung und so ging er noch für ein Semester nach Heidelberg, um bei Blum, Bronn und C. v. Leonhard seine Kenntnisse zu erweitern. Im J. 1848 bestand er das bergmännische Staatsexamen, beschloß damit seine Studienzeit und wurde Berg- und Salinenpraktikant. Schon vorher und während dieser Zeit hat er mehrere kleine aber vielversprechende Arbeiten über die Geologie der Pfalz veröffentlicht, und so kam es, daß er 1851 als „leitender Geognost“ nach Münnchen an die General-Bergwerk- und Salinen-Administration berufen wurde, der die geognostische Durchforschung Baierns seit 1851 unterstellt worden war, nachdem die 1849 an der Akademie der Wissenschaften eingesetzte Commission zur naturwissenschaftlichen Untersuchung Baierns sich mit Bezug auf Geologie als unzulänglich erwiesen hatte.

Mit dieser Berufung war der erst 28jährige in diejenige Stellung gekommen, zu der er gewissermaßen geschaffen war, die seinem Können und Wollen am meisten entsprach und in der er bis zu seinem Tode, also 47 Jahre lang, geblieben ist. Zunächst allerdings bedeutete diese Gunst des Schicksals für ihn eine elfjährige Periode anstrengender Arbeit und aufregender Kämpfe. Als Vertreter der Geologie fand er in München seinen ehemaligen Lehrer Schafhäutl vor, dessen wissenschaftliche Anschauungen mit den seinen vielfach in directem Gegensatz standen. Das führte zu einer persönlichen Gegnerschaft, aber obwol der junge Bergpraktikant einem o. ö. Professor und Akademiker gegenüber bedeutend im Nachtheil war, so gelang es seinem ausdauernden Fleiß in der Arbeit und seiner schneidigen Dialektik doch über seinen Gegner den Sieg davonzutragen. Dieser Kampf mußte über seine persönliche Stellung und Zukunft entscheiden, aber er hatte eine viel weitergehende Bedeutung; denn es war der Kampf zweier Principien, einer außerhalb Baierns längst schon zur Herrschaft gelangten Richtung gegen den Neptunismus. Sein Ausgang bedeutete jenachdem Rückständigkeit oder Fortschritt in der Entwicklung der Geologie. Der Verlauf dieses Zweikampfes ist äußerlich markirt dadurch, daß 1853 Schafhäutl die administrative Aufsichtsstelle genommen und gleichzeitig G. zum pragmatischen Bergmeister ernannt wird, ferner daß, als G. 1861 als erste reife Frucht seiner geologischen Aufnahmen die Beschreibung des bairischen Alpengebirges veröffentlicht hatte, er im folgenden Jahre von der Universität Jena zum Ehrendoctor und von der Münchener Akademie der Wissenschaften zum a. o. Mitglied ernannt wurde. Weiter erhielt er 1863 den Titel eines Bergrathes und an der Universität eine Ehrenprofessur für Geologie und Markscheidekunst, während Schafhäutl zwar bis zu seinem 1890 erfolgten Tode o. ö. Professor der Geologie blieb, aber schon bald seine Lehrthätigkeit fast ganz einstellte.

Nun begann für G. eine neue Lebensperiode, in der er als „der anerkannte Geologe Baierns“ bezeichnet werden kann. Ein eigenthümlicher Zufall fügte es, daß dieses große Land für jene Zeit keinen anderen ihm ebenbürtigen Geologen erzeugt hatte. Friedrich Pfaff in Erlangen war der praktischen Geologie abgewandt und die anderen Vertreter der Geologie an den Universitäten Würzburg und München, Sandberger, Oppel und Zittel, waren „Ausländer“. Sie beschränkten sich mit Bezug auf Baiern zumeist nur auf paläontologische [625] Studien und überließen die eigentliche geologische Erforschung Baierns G. so ziemlich allein. Anfangs war es auch wirklich so, daß er allein fast alle geologischen Aufnahmen selbst machen mußte, da die vom Staate bewilligten Mittel nur 5000 fl. betrugen und somit die dauernde Anstellung erprobter Hülfsarbeiter so gut wie ausgeschlossen war. Gleichwohl schritten die Arbeiten rüstig vorwärts, wenn schon sie G. verschiedene Male an die Grenze seiner außergewöhnlich großen körperlichen Leistungsfähigkeit brachten. Bereits 1861 konnte er fünf große geologische Uebersichtskarten (1:100 000) und dazu die „Geognostische Beschreibung des bairischen Alpengebirges und seines Vorlandes“ im Druck erscheinen lassen. Dieses voluminöse und fundamentale Werk nimmt ohne Zweifel unter allen seinen so zahlreichen wissenschaftlichen Leistungen die oberste Stellung ein. In meisterhafter Weise hat er darin die bis dahin ganz verworrenen stratigraphischen Verhältnisse zur Darstellung gebracht und die Fundamente zur Gliederung der Trias-, Jura-, Kreide- und Tertiärformation in diesem Theile der Alpen gelegt, die sich dann auch für den ganzen übrigen Theil der Ostalpen als höchst brauchbar erwiesen haben. Die Größe des Arbeitsgebietes, das beinahe 170 Quadratmeilen umfaßt, die Kürze der Zeit von nur vier Sommern für die Aufnahmen in den Jahren 1854–59, und die Vielseitigkeit des Themas lassen es jedoch begreiflich erscheinen, daß sich später manches als verbesserungsbedürftig herausgestellt hat. Er selbst hat diesem Gedanken am Schlusse des Vorwortes mit den Worten Ausdruck verliehen: „das vorliegende Werk soll und kann daher nur eine Grundlage geben, auf welcher die Kenntniß der geognostischen Verhältnisse unseres Alpengebirges sich nach und nach erweitern und vervollständigen wird“. Zunächst hatte er sein Augenmerk anderer Gegend zuzuwenden, und so sehen wir in gleich voluminöser Form und mit entsprechender geologischer Kartenbegleitung 1868 die „Geognostische Beschreibung des ostbairischen Grenzgebirges oder des bairischen und oberpfälzischen Waldgebirges“, und 1879 die „Geogn. Beschr. des Fichtelgebirges mit dem Frankenwalde und dem westlichen Vorlande“ im Druck erscheinen.

Im Gegensatz zu dem Alpengebirge hatte G. es hier hauptsächlich mit paläozoischen Ablagerungen und den krystallinen Massen und Schiefergesteinen zu thun. Mit Bezug auf erstere bewährte sich von neuem sein stratigraphisches Talent, das Verständniß der letzteren versuchte er durch seine Theorie der Diagenese zu erleichtern. In neuerer Zeit ist diese allerdings in den Kreisen der Specialisten durch die Annahme von Regional- und Contactmetamorphose fast gänzlich verdrängt worden, aber ob sie dadurch dauernd beseitigt ist, läßt sich vorerst noch nicht behaupten.

Neben diesen drei großen Publicationen liefen noch eine Reihe kleinerer nebenher, die zum Theil die geologische Kenntniß Baierns bedeutsam förderten. Es sind von diesen besonders zu nennen: „Die Dachsteinbivalve und ihre alpinen Verwandten“, 1862; „Ueber Clymenien in den Uebergangsgebilden des Fichtelgebirges“, 1863; „Ueber das Knochenbett und die Pflanzen-Schichten in der rhätischen Stufe Frankens“, 1864; „Die geognostischen Verhältnisse des fränkischen Triasgebietes“, 1866; „Die geogn. Verh. der Rheinpfalz“, 1867; „Ueber den Riesvulkan“, 1870; „Die paläolithischen Eruptivgesteine des Fichtelgebirges“, 1874 und „Abriß der geogn. Verh. der Tertiärschichten bei Miesbach mit 2 geol. Karten“ (1:50 000), 1875. Auffällig mag es erscheinen, daß in dieser ganzen Zeit die Mitarbeiter an der geologischen Landesaufnahme so gut wie gar nicht zum Worte gekommen sind. Das lag an dem eigenthümlichen Dienstverhältniß, das sie zwang, die wissenschaftlichen Ergebnisse ihrer dienstlichen [626] Arbeiten dem Director abzuliefern. Wie weit dieselben in den drei obengenannten großen amtlichen Publicationen Verwendung gefunden haben, läßt sich zwar heute nur noch in wenigen Fällen erkennen, aber immerhin dient diese Thatsache zum besseren Verständniß der enormen Productivität Gümbel’s, der die ihm auf diese Weise zugebrachten Materialien bei der Herstellung des Bildes, das er von dem geologischen Baue Baierns entwarf, mit zu verwerthen verstand.

In diesem Verhältniß trat erst mit den achtziger Jahren langsam ein Wechsel ein, als jüngere Kräfte in dem unter Zittel’s Leitung stehenden geologischen Institute der Universität eine selbständige Thätigkeit zu entfalten begannen und so eine Art gesunden Wettbewerbes auch in der geologischen Erforschung Baierns entstand. Längst hatte es sich ergeben, daß die Aufgabe, welche sich G. gesetzt hatte, für ihn allein zu groß sei, und so war, während er sich anderen Gebieten Baierns zuwendete, die von ihm selbst 1862 geforderte Erweiterung unserer geologischen Kenntnisse der bairischen Alpen fast zum völligen Stillstande gekommen. Man kann nicht sagen, daß G. diese freie Mitarbeit gerne sah oder besonders zu fördern bereit war. Seine ausgedehnten Kenntnisse und seine amtliche Stellung gaben ihm zeitlebens gegenüber diesen jüngeren Kräften ein unverkennbares Uebergewicht, von dem er zuweilen solchen Gebrauch machte, daß es wol nur Zittel’s versöhnlichem Einflusse zugeschrieben werden muß, wenn sich daraus keine wissenschaftlichen Kämpfe von der Art entwickelten, wie sie in jener früheren Lebensperiode Gümbel’s sich abgespielt haben. Für seine amtlichen Mitarbeiter entsprang daraus aber der Vortheil, daß er ihnen in den 1888 gegründeten Geognostischen Jahresheften ein Publicationsorgan schuf, in denen sie nun eigene wissenschaftliche Ergebnisse veröffentlichene konnten. Und ebenso hat er in seiner vierten und letzten großen amtlichen Publication, der Geognostischen Beschreibung der fränkischen Alb, 1891, auch seine Mitarbeiter in einzelnen Abschnitten selbständig zu Wort kommen lassen.

Immer deutlicher sah er bei dem langsamen Fortgang der geologischen Specialaufnahmen ein, daß es ihm nicht mehr vergönnt sein werde, die geologische Beschreibung des ganzen Landes in der begonnenen Weise zu Ende zu führen und so entschloß er sich zu einer ausführlichen Schilderung der geologischen Verhältnisse des ganzen Landes, in der er all seine in dem Zeitraume von über 40 Jahren erworbenen Kenntnisse zu einem Gesammtbilde zusammenfaßte und das er 1894 im zweiten Bande seiner „Geologie von Baiern“ vollendete. Es trägt durchaus den Stempel seiner Persönlichkeit und wird allen späteren Forschern ein unentbehrliches Hülfsmittel und eine reiche Fundgrube bleiben. Es ist neben seiner Beschreibung des bairischen Alpengebirges das Bedeutendste, was er auf dem Gebiete der Geologie Baierns geleistet hat.

Gümbel’s Thatkraft wurde durch die Arbeit, welche die geologische Landesaufnahme von ihm verlangte, keineswegs erschöpft. Seine lebhafte Natur verlangte nach Lehrthätigkeit. Auch hierin stand ihm Schafhäutl im Wege, aber dieses Mal gelang es ihm nicht, dieses Hinderniß zu überwinden und so mußte er sich mit einer Honorarprofessur begnügen, zu der später der Lehrauftrag an der technischen Hochschule kam. So groß nun auch in diesem Fache sein Eifer war, so hat er es doch nicht zu einem ebenso großen Erfolge gebracht. Sein Vortrag war nicht glänzend und in der Auswahl des Stoffes legte er sich zu wenig Enthaltsamkeit auf. Anfänger wurden von der Fülle des eifrig Gebotenen leicht übersättigt und so kam es, daß G. eigentliche Schüler nie groß gezogen hat. Und als 1880 Zittel an der Universität seine anziehenden Vorträge über Geologie eröffnete, da minderte sich Gümbel’s Lehrerfolg [627] noch mehr. Doch hat er erst Ende des Jahres 1895 die Vorlesungen über Geologie eingestellt und nur noch über enger begrenzte Themata gelesen. Den Inhalt seiner Vorlesungen gab er 1888 als ersten Band seiner Geologie von Baiern unter dem Titel „Grundzüge der Geologie“ heraus. Dieser 1142 Druckseiten große Band enthält nicht nur eine ausführliche und sorgfältige Darstellung aller Theile der Geologie, sondern auch recht eingehende mineralogische, petrographische und paläontologische Excurse. Wir erkennen daraus sehr gut seine Lehrmethode, die Fülle seines eigenen Wissens, aber auch seinen Hang, den pädagogischen Erfolg durch Stoffhäufung zu erschweren. Für Anfänger oder Laien sind diese Grundzüge nicht geschrieben.

Indessen hatte seine Lehrthätigkeit für ihn selbst und die Entwicklung der geologischen Wissenschaft einen anderen großen Nutzen gehabt. Sie lenkte seine Aufmerksamkeit vielfach auf Gegenstände, die außerhalb Baierns lagen. Frühzeitig wandte er das Mikroscop nicht nur auf die Untersuchung der Eruptivgesteine, sondern mit Vorliebe auch auf die Erforschung der Sedimentgesteine unnd deren Versteinerungen an. So hat er eine Reihe von Arbeiten über Tiefseeschlamm, das Eozoon, Foraminiferen und Kalkalgen veröffentlicht, unter denen insbesondere diejenigen über die Nulliporen und Daktyloporiden (1871) das allgemeine Interesse für diese Gegenstände geweckt haben. Und wenn auch seine Ergebnisse durch spätere Forschung bedeutend modificirt worden sind, so haben sie doch zu ihrer Zeit einen großen Fortschritt bedeutet. Besonders gilt dies auch für seine Untersuchung „Ueber die Texturverhältnisse der Mineralkohle“ (1883), durch die er das Studium der Kohlenbildung in neue Bahnen gelenkt hat.

Den Alpen auch außerhalb Baierns hat er dauernd seine Aufmerksamkeit geschenkt und seit 1855 ist fast kein Jahr vergangen, in dem er nicht über irgend einen wichtigen Gegenstand aus dem weiten Gebiet der Ostalpen oder der schweizerischen Alpen eine Untersuchung veröffentlicht und neue Thatsachen auf Grund eigener Beobachtung bekannt gegeben hätte. Durch seine „Kurze Anleitung zu geologischen Beobachtungen in den Alpen“ (1878) verpflichtete er sich auch weitere Kreise insbesondere des deutschen und österreichischen Alpenvereins zu Dank. An Zeichen öffentlicher Anerkennung fehlte es ihm nicht. Im J. 1869 wurde er ordentliches Mitglied der Akademie, 1879 Oberbergdirector, 1882 erhielt er den Kronenorden, 1889 verlieh ihm die Stadt München das Ehrenbürgerrecht, in Anerkennung seiner großen Verdienste um das Zustandekommen der Wasserversorgung, und ein Jahr vor seinem Tode wurde ihm der Titel eines königl. Geheimen Rathes verliehen.

Das Verzeichniß aller seiner Werke weist über 200 Nummern auf und so kann er wol als der fruchtbarste geologische Publicist gelten. Freilich umfaßt seine Thätigkeit auch die lange Dauer von 54 Jahren. Bewundernswerth war die Schärfe seiner Beobachtung und der Feuereifer, mit dem er die verschiedenartigsten Arbeiten auf dem Gebiete der Mineralogie, Petrographie, Paläontologie, Stratigraphie und Tektonik in Angriff genommen und durchgeführt hat. Auch in praktischen Fragen des Bergbaues, der Wasserversorgung u. s. w. war er eine geschätzte Autorität. Er gehörte eben zu den seltenen, weitveranlagten Naturen. Zuverlässigkeit des Gedächtnisses, Schärfe des Blickes und Schnelligkeit in Auffassung und Urtheil waren in dem kleinen, unansehnlichen Manne vereinigt, dessen Thatkraft und Schaffensfreudigkeit erst mit seinem letzten Athemzuge erloschen.

C. Voit, Nekrolog auf Wilhelm Gümbel, Sitz.-Ber. d. Akad. d. Wissenschaften, München 1899. – L. v. Ammon, Nekrolog mit vollständigem Schriftenverzeichniß. Geognost. Jahreshefte 1898.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. Gümbel, Wilh. v. XLIX 623 Z. 6 v. u. l.: † zu München am 18. Juni 1898. [Bd. 56, S. 397]