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Artikel „Bronn, Heinrich Georg“ von Wilhelm von Gümbel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 3 (1876), S. 355–360, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bronn,_Heinrich_Georg&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 21:41 Uhr UTC)
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Band 3 (1876), S. 355–360 (Quelle).
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Bronn: Heinrich Georg B., unter Deutschlands Paläontologen einer der ersten und größten, geb. 3. März 1800 zu Ziegelhausen bei Heidelberg, † 5. Juli 1862, war der Sohn eines Försters und fand in der seinem Geburtsorte benachbarten Universitätsstadt alle Hülfsmittel, um seinen Drang zum Studium der Naturwissenschaft zu befriedigen. Schon seine Erstlingspublication, eine Dissertation zur Erlangung des Doctorgrades: „U. d. primitiven und abgeleiteten Formen der Hülsengewächse“, 1822, verräth durch lichtvolle und kritische Behandlung des Stoffes den künftigen großen Naturforscher. B. wendete sich später mit entschiedener Vorliebe der Zoologie und der Erforschung von Thierversteinerungen zu, wobei der Einfluß seines Lehrers, des berühmten Geognosten C. v. Leonhard, nicht unbetheiligt war. Aus der Zeit dieser paläontologischen Studien stammen die beiden ersten Schriften Bronn’s über Versteinerungen: „System der urweltlichen Conchylien“, 1824 und „System der urweltlichen Pflanzenthiere“, 1825, beide von anerkanntem Werthe. B., welcher bis dahin kaum die Schwelle seiner Heimath überschritten hatte, fühlte das dringende Bedürfniß, seinen Gesichtskreis durch Reisen zu erweitern. Hierzu wählte er zunächst den durch den Reichthum an Versteinerungen berühmten Theil von Oberitalien, den er zweimal besuchte und eifrigst durchforschte. Als Frucht dieser Reisen erschienen [356] 1827–1831: „Ergebnisse einer naturhistorischen und ökonomischen Reise durch die Schweiz, Italien und Südfrankreich“ in den Jahren 1824–27 und „Geognostische Beschreibung der Apenninen“, 1828. (Zeitschr. f. Mineralogie.) Die paläontologisch-geognostischen Resultate dieser Reisen faßte er in einer 1831 erschienen Schrift: „Italiens Tertiärgebilde“ zusammen, in welcher er sich als ein ebenso umsichtiger praktischer Geognost, wie scharfsehender Paläontologe erwies. Dieser Versuch warf bereits in das damals noch sehr wirre Gebiet der beschreibenden Versteinerungskunde durch sorgfältige Kritik ein helles Licht. Eine „Gaea Heidelbergensis“ die 1833 erschien, schildert die natürlichen Verhältnisse der Umgegend von Heidelberg in klarer und erschöpfender Weise, sodaß das Büchelchen sich als „Führer“ lange Brauchbarkeit sicherte. Immer mehr concentrirte B. seine ganze Kraft auf paläontologische Studien und entwickelte eine wissenschaftliche Thätigkeit, welche bei seinem unermüdlichen Fleiße und der gewissenhaftesten Gründlichkeit mehr und mehr die Lösung großer und ganzer Aufgaben ins Auge faßte, indem er vermied, sich an kleineren und heterogenen Stoffen abzuarbeiten. So reiste der umfassende Geist, der nicht, wie es so häufig der Fall ist, sich mit dem trockenen Systematisiren allein zufrieden gibt und nur in der Speciesbestimmung die letzte, höchste Aufgabe der Forschung erblickt, sondern weitausschauend in echt philosophischem Sinne das im Einzelnen richtig Erkannte in harmonischen Zusammenhang mit der ganzen Natur zu bringen strebt und die mannigfachen Naturerscheinungen auf große allgemeine Gesetze zurück zu führen bemüht ist. Doch blieb B. vor allem Morpholog und Systematiker und daraus erst entwickelte sich der geistvolle Naturphilosoph im besten Sinne des Wortes, dem die neuere Naturwissenschaft soviel zu verdanken hat. Manches trug zu der Vielseitigkeit seines Wissens der anregende geistreiche Umgang mit seinen Freunden C. v. Leonhard und dem bekannten Mineralogen Blum und die praktische, wie litterarische Thätigkeit, zu welcher ihn das in Heidelberg errichtete „Mineralien-Comptoir“, insbesondere noch die Theilnahme an der Redaction des schon seit einer langen Reihe von Jahren durch C. v. Leonhard herausgegebenen „Taschenbuches für Mineralogie“, bei. Von dieser seit dem Jahre 1830 unter dem Titel: „Jahrbücher für Mineralogie, Geognosie und Petrefactenkunde“ erschienenen weltberühmten Zeitschrift übernahm er gemeinschaftlich mit C. v. Leonhard die Redaction mit einer Gewissenhaftigkeit, Eifer und Hingebung, welche dieses Journal zu der ersten und besten Fachschrift erhoben haben. Mehr als 30 Jahre lang war es B. vergönnt, zum größten Nutzen für die Wissenschaft und zum hohen Ruhme für deutsche Gründlichkeit hierin der Entwicklung der gesammten Zweige der geognostischen Wissenschaft auf allen ihren so weit verästelten Wegen unermüdlich zu folgen, durch zahlreiche Abhandlungen selbst fördernd einzugreifen, durch gewissenhafte, aber scharfe Kritiken fast sämmtlicher, selbst unbedeutenderer Publicationen den Fortschritt genau zu registriren und auf diese Weise der Zeitschrift den Werth eines unentbehrlichen und unerschöpflichen Quellenwerkes zu verleihen. Schon 1833 überraschte B., bereits Professor der Natur- und Gewerbswissenschaft an der Universität Heidelberg, die gelehrte Welt mit einem umfangreichen Werke von Epoche machender Bedeutung für die Paläontologie: „Lethaea geognostica“ 2 Bde. mit vielen Tafeln, Abbildungen, 1833–1838 (3. Aufl. in 3 Bden. und Atlas, 1850–1856). Durch die gründliche, klare, kritische und streng systematische Behandlung eines noch wenig entwirrten Stoffs in einer bis dahin noch nicht erreichten Vollständigkeit erwarb sich damals bereits der Verfasser den Ehrenplatz unter den ersten Naturforschern Europa’s. Was vor ihm in der Schilderung einzelner Abtheilungen und Zweige der organischen Welt früherer Zeitperioden, seit Cuvier von diesem, von Brongniart, Lamarck, Defrance, Deshayes, Will. Smith, Parkinson, Sowerby, Lindley, Buckland, Schröter, Schloiheim, Goldfuß [357] u. Anderen geleistet wurde, das alles umfaßte, ordnete, sichtete B. und verband es mit seinem reichen eigenen Wissen zum ersten Mal zu einem abgeschlossenen Ganzen. Dieses Werk, in welchen der weitschichtige Stoff in zweckentsprechender Weise nach den verschiedenen großen Zeitabschnitten der Entwicklungsgeschichte der Erde und innerhalb dieser nach zoologischen Principien gegliedert erscheint, muß von da an als die Grundlage der eigentlichen Paläontologie, sowie der auf diese sich stützenden Formationslehre betrachtet werden. Selbst nach den bedeutenden Fortschritten, welche die Paläontologie in neuerer und neuester Zeit gewonnen hat, sind die Grundzüge, welche B. in seiner „Lathaea“ gelegt hat, immer noch für so maßgebend und praktisch erachtet worden, daß bei der erneuerten Auflage des Werkes, welche eben jetzt von einem Kreise der hervorragendsten Fachmänner beabsichtigt wird, nichts zweckentsprechender erschien, als den Umbau auf dem alten Fundamente der Bronn’schen Arbeit vorzunehmen. Während indeß B. in streng systematischer Weise sich in der „Lethaea“ darauf beschränkte, die Species als solche festzuhalten und ihre geognostische Stellung genau zu fixiren, zugleich die mühevolle Arbeit der sicheren Artbestimmung zu erleichtern, fühlte sein speculativ angelegter Geist das Bedürfniß, die aus diesen systematischen Arbeiten gewonnenen Anschauungen von der Harmonie und dem Gesetzmäßigen, welches in der organisirten Welt der verschiedenen Erdbildungsperioden Ausdruck gefunden hat, darzulegen. Das „Handbuch einer Geschichte der Natur“ in 3 Bden. (1841–1848) zeigt in seinen zwei ersten Bänden, wie vollständig es dem Verfasser gelungen ist, in einer bis dahin von keinem Forscher vor ihm erreichten Vollständigkeit die gesammte einschlägige Litteratur benutzend und gestützt auf rein thatsächliche Beobachtungen ohne vorgefaßte Theorien die Gesammterscheinung des tellurischen Seins organischen, wie unorganischen Ursprungs in ihrem inneren Zusammenhang zu erfassen, systematisch zu ordnen und wissenschaftlich zu beleuchten. In großartigen, mit sicherer Hand gezeichneten Umrissen gibt uns hier B. ein aus den astronomischen, physikalischen, geographischen und chemischen Feststellungen über die Natur der Erde geschöpftes Bild, welches, wie Humboldt’s „Kosmos“ im Großen, so im Kleinen die Erde in ihren Beziehungen zum Weltall, zum Sonnensystem, in ihren flüssigen und festen Hüllen vor Augen führt. Ist B. in diesen ersten Abschnitten gleichsam nur ein heller, richtig zeigender Spiegel, so macht sich erst in der Darstellung des zweiten Bandes der volle Glanz seines umfassenden Geistes geltend. Eine erstaunliche Menge von Thatsachen, welche sich auf das organische Leben, auf die Entstehung Entwicklung und Verbreitung der früheren und jetzigen Schöpfungen, sowie auf die Gesetze bezüglich ihrer geologischen Aufeinanderfolge und ihre Betheiligung an der Veränderung der Erdoberfläche beziehen, sind in so klarer und logischer Weise aneinander gereiht, daß wir dadurch einen vollständigen Ueberblick über das Erdenleben, wenn man sich so ausdrücken darf, gewinnen. Ganz besonders wichtig sind die Abschnitte über die Entstehung der Art, in welchen B. gleichsam das Feld der Darwin’schen Frage vorbereitend, seit Lamarck zum ersten Mal wieder die Entwicklungstheorie durch Anpassen an äußere Lebensbedingungen und Ausbilden zweckdienlicher Organe gleich gründlich wie erschöpfend behandelt. Bezüglich des Begriffs der Art und deren Beständigkeit hält er an der Anschauung Cuvier’s fest, und versucht durch zahlreiche Beispiele den Nachweis zu liefern, daß durch den Einfluß von äußeren Lebensbedingungen, vorzüglich von Klima und Nahrung zwar Varietäten und Unterarten, die durch ungehemmte Kreuzung rasch wieder zur alten Form zurückkehren, nicht aber gute Arten entständen, letztere vielmehr analog dem erstmaligen Schöpfungsacte immer fertig durch neue Schöpfungsacte hervorgebracht würden. Erregen die beiden ersten Bände durch die Fülle geistiger Arbeit unsere gerechte Bewunderung, so gesellt [358] sich zu dieser noch das Erstaunen über die Unermüdlichkeit einer vielfach mechanischen Arbeit, welche in der zweiten Abtheilung des dritten Bandes: „Index palaeontologicus“ im Verein mit Göppert und H. v. Meyer (1848) und im vierten Band: „Enumerator palaeontologicus“ (1849) sich zu erkennen gibt. Hier stellt nämlich der Verfasser alle bisher bekannten, beschriebenen und benannten Arten von Versteinerungen aus den Werken aller Länder mit einem beispiellosen Fleiße und mit Handhabung der schärfsten Kritik, die bis dahin im höchsten Grade verworrene Synonymik klärend einmal in alphabetischer und dann in geologisch-geognostischer Ordnung registerartig zusammen und schuf damit ein bei allen paläontologischen Arbeiten unentbehrliches und bis jetzt auch selbst nicht versuchsweise ersetzte Quellenwerk. Um Bronn’s volle Thätigkeit zu kennzeichnen, müssen wir aus dieser Periode noch einige monographische Publicationen erwähnen, nämlich eine mit Kaup bearbeitete Abhandlung: „Ueber gavialartige Reptilien der Lias“, 1842, nebst Nachträgen, 1843; dann „Paläontologische Collectaneen“, 1843, Monographien von bleibendem Werthe. Kaum war das mühevolle Werk der Geschichte der Natur beendigt, wendete sich dessen Verfasser sofort wieder einer fast noch größeren Aufgabe zu, der Herausgabe einer Zoologie nämlich, in welcher gleichheitlich mit den lebenden Formen auch die vorweltlichen an ihrer richtigen Stelle zur Ergänzung der in der jetzigen Lebewelt lückenhaften Reihe in ein geschlossenes System zu bringen der glückliche Versuch gemacht wurde. Das Werk erhielt den Titel: „Die Classen und Ordnungen des Thierreichs“ und erschien, mit den niedersten Thierclassen beginnend, 1850 in einer ersten Abtheilung. Auch dieses Riesenwerk, auf welches die deutsche Wissenschaft stolz sein darf, war aus einem tiefgefühlten Bedürfnisse der Zoologie wie der Paläontologie, die bisher ziemlich unvermittelt neben einander arbeiteten, entsprungen. Indem es die schwierige Aufgabe mit vielem Geschick löste, wurde dadurch die Paläontologie auf neue, festere und sichere Bahnen hingeleitet, auf welchen sie nicht mehr getrennt, sondern aufs engste mit der Zoologie verbunden, ihre Forschungen anzustellen angewiesen wurde. Der nur langsame Gang, zu welchem allein schon die mechanische Arbeit dieses colossalen Unternehmens nöthigte, hat es leider verhindert, daß das Werk von B. selbst weiter als bis zur Behandlung der Mollusken durchgeführt wurde. Doch ist für die Fortsetzung der classischen Arbeit Vorsorge getroffen. Die speculative, naturphilosophische Richtung, welche die Ergebnisse der auf directen Beobachtungen fußenden Erkenntnisse in irdischen Dingen fest im Auge behält, und uns schon in der „Geschichte der Natur“ entgegenleuchtet, trieb aus Bronn’s reichem Wissen eine weitere edle Blüthe in den 1857 erschienenen: „Untersuchungen über die Entwicklungsgesetze der organischen Welt“, als die mit dem Preise gekrönte Beantwortung einer von der Pariser Akademie gestellten Preisfrage. B. geht auch in dieser Abhandlung aus von einer kritischen Prüfung der bis dahin bekannten und sicher ermittelten Thatsachen in Bezug auf Vertheilung, Höhenstufe der Organisation und den Zeitpunkt des successiven Auftretens der früheren Thier- und Pflanzenwelt in Arten und Sippen innerhalb der verschiedenen geologischen Perioden, um daraus das Gesetzmäßige für die Aufeinanderfolge organischer Wesen auf der Erde abzuleiten. Er gelangt bei diesen Untersuchungen auf Grundgesetze, die er schon in der „Geschichte der Natur“ früher angedeutet hatte, nämlich auf das Gesetz 1) der systematisch progressiven Entwicklung und 2) des Anpassens an die äußeren Existenz-Bedingungen gleichzeitig mit dem terripetalen Fortschritte in der Bildung der Erde selbst. Die intensiv und extensiv fortwährend sich steigernde progressive Entwicklung wird als eine innere Nothwendigkeit der Schöpfungskraft selbst bezeichnet, welche wie in der Entwicklung des Individuums, so auch in der gesammten organischen Welt vom Niederen [359] und Einfacheren zum Höheren und Zusammengesetzeren voranschreite, jedoch nur da zur Geltung komme, wo die Anpassung an die äußeren Lebensbedingungen freies Feld lasse. Dieses selbständige positive Schöpfungsgesetz erkläre die strengherrschende Einförmigkeit in der jedesmal gleichzeitig neben einander bestehenden Schöpfung auf der ganzen Erde und das gleichzeitige Entstehen und Vergehen von Arten und Sippen in allen Regionen und Zonen nach viel strengeren Consequenzen, als es die äußeren Existenzbedingungen bewirken könnten. Man dürfe sich aber nicht vorstellen, daß diese Succession etwa mit den Pflanzenthieren begann, daß darauf dann erst die Strahlthiere, weiter die Weichthiere etc. in stets höheren Ordnungen gefolgt seien, eine Classe nach der anderen, eine höhere Ordnung nach der nächst niederen, sondern es seien gleichzeitig alle jene Unterreiche, für welche eben die äußeren Lebensbedingungen schon genügten, entstanden und zwar zuerst die pelagisch schwimmenden Kiemen-athmenden, unvollkommeneren Classen und Ordnungen, dann habe sich entsprechend der successiven Festlandsentwickelung der Erdoberfläche ein Fortschritt von einer rein meerischen Bevölkerung zu einer gemischten, zwischen Meer und Festland getheilten, weiter zu einer littoralen und endlich zu einer immer mehr terrestrischen Lebewelt gezeigt. Das ist die Erscheinung, die B. als terripetalen Fortschritt bezeichnete. Sofern im Allgemeinen die Küstenbewohner höher als die Bewohner der Meerestiefe, die Landgeschöpfe höher als die des Wassers organisirt erscheinen, geht dieses Gesetz der terripetalen Entwicklung, lehrt B., parallel mit jenem des progressiven Fortschritts. Zu beiden tritt nun weiter das Moment der Anpassung an die äußere Lebensbedingung vornehmlich der Nahrung, chemischer und physischer Beschaffenheit des Wassers, der Luft, des Bodens, des Lichtes, der Wärme zwar nur in negativer Weise einwirkend, aber oft als absolut bestimmend, hindernd oder fördernd hinzu, sodaß z. B. durch eine gleichbleibende Beschaffenheit des Meeres auch eine gleichbleibende Bevölkerung stellenweise sich erhalten, oder daß unter solchen Verhältnissen eine gleiche Fauna selbst später wiederkehren könne als sog. Colonie, jedoch nur dann, wenn es der entsprechenden Art inzwischen möglich war, sich in eine andere Gegend zurückzuziehen und dort, wenn auch vielleicht nur kümmerlich als Art fortzuexistiren. Es ist dies ein höchst merkwürdiger Ausspruch, von dem es bis zur Annahme einer Artenumbildung nur mehr ein ganz kleiner Schritt ist. Ferner weist B. gegen d’Orbigny nach, daß viele Arten in verschiedenen Formationen unverändert vorkommen und daß es eigentlich völlig abgeschlossene Formationen im paläontologischen Sinne nicht geben könne. Entsprechend den anfänglich mehr gleichförmigen, später immer mannigfaltiger werdenden, äußeren Verhältnissen auf der Erdoberfläche, zeige sich auch eine frühere, gleichförmigere, einfachere Lebewelt, die sich nach und nach bis zur gegenwärtigen Schöpfung mit steigernder Mannigfaltigkeit entwickle. Die ursprünglichen Typen der Thiere und Pflanzen waren entsprechend einem wärmeren, mehr tropischen Klima den jetzt lebenden am meisten unähnlich, das spätere immer mehr zonenweise hervortretende Auseinanderweichen der Formen bewirkte eine allmählich sich steigernde Annäherung an das Jetzt, theils in der Sippe, endlich sogar in den Arten. Jedoch wurden alle diese successiven Veränderungen in der Bevölkerung der Erde nur durch das Aussterben alter Arten und durch eine fortdauernde Neuschöpfung, nicht aber durch allmähliche Metamorphose der früheren in spätere bewirkt! Es ist höchst beachtenswerth, daß B., wie kaum ein anderer Naturforscher vor ihm mit den reichsten Schätzen paläontologischer und zoologischer Erfahrungen ausgestattet, zudem sonst frei und unbefangen in seinem Urtheile, durch die Ergebnisse seiner tiefsinnigen und umfassenden Forschungen fast zu demselben natürlichen Entwicklungsgesetz hingeführt, welches vor ihm Lamarck durch seine Gebrauchsanpassungstheorie bereits entwickelt, [360] fast gleichzeitig Darwin in anderer Auffassung darzulegen begonnen hatte, vor den letzten Consequenzen zurückschreckend und befangen, an der Cuvier’schen Annahme eines absoluten Werthes der Species, an der Ansicht eines stets erneuerten, aber natürlichen Eingreifens der Schöpfung bei jeder Arterzeugung festhielt. Wenn sich B. in seinem Buche „Handbuch der Natur“ immer vorsichtig über die eigentliche Weise der Artentstehung ausspricht, so erklärt er sich 1858 klar und unumwunden in seinem Vortrage auf der Naturforscher-Versammlung in Stuttgart als Vertreter einer „höheren Lebenskraft und einer allmächtigen berechnenden Weltordnung“. Im Einzelnen führte er bei dieser Gelegenheit den Gedanken der terripetalen Entwicklung des Thierlebens weiter aus und knüpft schließlich daran die Ansicht, daß der Ursprung des Menschengeschlechtes nach diesem Gesetze im Centrum der drei großen Continente der alten Welt, also in Asien auf der Europa zugewendeten Abdachung vermuthet werden dürfe. Es ist an sich selbstverständlich, daß er sich gegen die auftauchende Lehre Darwin’s, welcher grade damals mit seinem ersten großen, staunenerregenden Werke hervortrat, ablehnend verhielt; aber es ehrt den großen Naturforscher nur um so mehr, daß er gleichsam zum Beweise, es sei ihm nur um das Erkennen der Wahrheit, nicht aber um ein Festhalten an persönlichen Ansichten zu thun, trotz der Verschiedenheit der Meinung der erste war, der, die eminente Bedeutung von Darwin’s Buch richtig schätzend, demselben in einer vorzüglichen Uebersetzung die weiteste und rascheste Verbreitung verschaffte und dadurch nicht wenig beitrug zu dem raschen Siege der Theorie von dem natürlichen Wege der Artenentstehung. Es charakterisirt Bronn’s Parteistellung, wenn er sagt: „So lange als der Beweis der Entstehung von organischer Materie aus unorganischen Elementen nicht geliefert ist, bedürfen wir einer Schöpfungskraft und es ist nur wenig für unsere Vorstellung, es ist gar nichts für die Wissenschaft gewonnen, ob der persönliche Schöpfer 200000, oder ob er nur 10 Pflanzen- und Thier-Arten, oder ob er den Menschen allein in die Welt setzen muß.“ Er hält demnach Darwin’s Hypothese für unbewiesen und unbeweisbar. Doch sehen wir schärfer auf die der Uebersetzung des Buches von Darwin beigefügten Anmerkungen und erläuternden Zusätze, so schimmert doch so etwas, wie „ein Besiegtsein“ durch. In diesen Zusätzen betont B. besonders, daß es nach dem Princip der natürlichen Zuchtwahl sich nicht erklären lasse, daß Varietäten unmittelbar neben der Stammart fortleben, und daß durch eine Zuchtwahl gleichzeitig verschiedene Organe eines Geschöpfes afficirt werden können. Die Schwächen dieser Bedenken sind zu einleuchtend, als daß sie gegen die Wucht der übrigen beigebrachten Beweise aufkommen könnten.

B. verwendete die letzten Jahre seines Lebens, vielfach kränkelnd und durch zunehmende Taubheit fast von allem Umgange ausgeschlossen, vorzugsweise zur Ausarbeitung des schon erwähnten Werkes: „Classen und Ordnungen des Thierreiches“. Nebenbei erschienen einige kleinere Aufsätze im „Neuen Jahrbuch“. Dieses Abgeschlossensein von der Außenwelt erklärt das Vertiefen in die Studien und den beispiellosen Umfang der Litteraturkenntniß, sowie die leidenschaftlose Ruhe, mit welcher er die Wahrheit erstrebte, vielleicht auch den idealen Zug, welcher seine Vorstellungen durchgeistigt. Zuletzt Hofrath und Professor an der Heidelberger Universität, Ritter des bad. Zähringer Löwenordens, Mitglied vieler akademischen und gelehrten Gesellschaften, erlag er 1862 einer plötzlich eingetretenen Lungenlähmung. Mit ihm erlosch einer der hellsten Sterne am Himmel deutscher Wissenschaft.

Denkreden von Martius, S. 495. Wiener Zeitung, Wochenschrift vom 1. Nov. 1862, Nr. 40.