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Artikel „Fries, Lorenz“ von Karl Sudhoff in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 49 (1904), S. 770–775, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Fries,_Lorenz_(Arzt)&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 04:18 Uhr UTC)
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Fries *): Lorenz (Phryes, Frisius) „von Kolmar“. Ueber Kindheit Jugend und erste Mannesjahre dieses Arztes fließen die Quellen sehr dürftig, doch läßt sich die von Pantaleon zuerst in Umlauf gebrachte und heute noch immer wiederholte, durch seinen Familiennamen veranlaßte Legende, daß er in den Niederlanden geboren und erzogen worden sei, durch mehrfache eigene Zeugnisse über Kindheitserlebnisse im Elsaß und der Schweiz einwandfrei widerlegen. Er ist zweifellos im Elsaß geboren, wahrscheinlich in Kolmar; denn er nennt sich selbst auf dem Titel der beiden ersten Auflagen seines „Spiegels der Arznei“ und der „Synonyma“ von 1519 „Laurentium Phryesen von Colmar“ und „Phrisius Argentarie“. Der Name „Fries von Kolmar“ ist ihm denn auch im Munde seiner Landsleute geblieben, trotzdem er ihn, durch vermeintlichen Undank seiner Vaterstadt verbittert, selbst später nie mehr gebraucht hat; noch 1528 nennt ihn Hohenheim in einem Briefe an einen Baseler Freund „Phrusius de Colmaria“. Eine Familie Fries läßt sich urkundlich in jener Zeit zu Kolmar zwar nicht nachweisen, wohl aber in dem nahen Mülhausen. Da er sich noch im J. 1520 „einen Jungen“ nennt, dürfte er kurz nach 1490 geboren sein.

[771] Seine erste wissenschaftliche Erziehung mag er in Schlettstadt erhalten haben, wohin die Widmung seines „Spiegels“ weist. Seine medicinische Ausbildung verdankt er wol vorwiegend der Universität Montpellier, die er neben Piacenza und Pavia mit besonderer Auszeichnung nennt. Von einer dieser drei Hochschulen mit dem Doctorhut geschmückt, nahm er die ärztliche Thätigkeit in der Vaterstadt Kolmar auf, wo er viel im Augustinerkloster verkehrte und noch zu Ende des Jahres 1518 und zu Anfang 1519 nachweislich prakticirt hat. Schon aus den Jahren 1514 und 1516 erwähnt er eigene ärztliche Beobachtungen. Im März 1519 verließ er, durch mangelnde Anerkennung gekränkt, die Vaterstadt und ging zunächst nach Straßburg, wo er aber, einem Rufe als Stadtarzt nach Freiburg in der Schweiz folgend, nur kurze Zeit verweilte. Seinen Freiburger Aufenthalt erwähnt er selbst, und aus den dortigen Stadtrechnungen ist heute noch zu ersehen, daß ein „Dr. Laurentius“ im J. 1519 für acht Monate „143 livres“ Gehalt erhielt, seine Thätigkeit aber zu Ende des Jahres schon wieder aufgab. F. kehrte nach Straßburg zurück und schritt dort gegen Ende 1520 zur Ehe. Am 23. October 1520 wurde er ins Bürgerbuch eingetragen als Gatte der Straßburger Bürgerstochter Barbara Thun, doch schon am 11. Mai 1525 sagte er das Bürgerrecht wieder auf. Was ihn so schnell wieder diese Stätte fleißigen Arbeitens verlassen ließ, ist in Dunkel gehüllt, ebenso der Ort seines Weilens in den nächsten drei Jahren. Im Februar 1528 treffen wir ihn und seine Familie in Kolmar, von wo er kurz darauf nach Diedenhofen übersiedelte: die Vorrede seiner „Mantia“ ist Ende Juli 1528 aus Villa Theonis datirt. Auch dort war seines Bleibens nicht lange; er zog nach Metz, wo sich sein Schicksal erfüllen sollte. Dort ließ er spätestens in den ersten Wochen des Jahres 1529 sein „Sidéral devinement“ erscheinen „calculé par Maistre Laurent Frisè [!], docteur médecin et mathématicien d’Allemagne, pour le présent demeurant à Metz“. Dort waren ihm noch zwei Jahre Rastens und Schaffens beschieden, doch läßt es sich kaum annehmen, daß er neben Jean Dupont dort als Stadtarzt angestellt gewesen sei, wenn sich beide auch in ihrer Schrift über den englischen Schweiß als „inclytae civitatis Metensis medici“ bezeichnen. Zu Ende des Monats Juli 1530 begegnet uns das letzte Lebenszeichen Friesens und schon zu Anfang des Jahres 1532 weiß der Herausgeber der besten Ausgabe seines „Spiegels“, Otto Brunfels, von seinem Tode zu berichten. Er dürfte kaum das 40. Lebensjahr erreicht haben, und was hat er nicht alles in der kurzen Spanne von kaum 15 Jahren geschrieben und drucken lassen! Besonders erstaunlich ist die Vielseitigkeit seiner Schriften.

Die schriftstellerischen Sporen hat er sich mit einer lateinischen Schrift über die Syphilis erworben, „De morbo gallico opusculum“, die im Originaldruck von ca. 1515–1517 völlig untergegangen zu sein scheint, aber in einer „Epitome“ von 1532 (Basel) auf uns gekommen ist. Die Schrift bewegt sich durchaus in den alten Bahnen ohne eine Spur von Originalität, dagegen zeigt uns eine zu Ende des Jahres 1517 oder zu Anfang 1518 erschienene und bis zum Jahre 1575 mindestens 9mal, meist ohne Friesens Namen zu nennen, wiedergedruckte deutsche Guajakschrift den wackeren Mann schon von seiner besten Seite, als denkenden Arzt voll klaren, praktischen Blickes und hoher Begeisterung für seinen Beruf, als treuen Freund der Armen und Bedrückten, als offenen Bekämpfer ärztlicher Mißstände. Es ist als ob er mit der lateinischen Sprache auch den Schulzwang abgestreift hätte, als ob der neuen Guajakcur gegenüber alle Rücksichten wegfielen, welche die altheilige Schulmedicin verlangte. Der erste sicher datirte Druck dieser Fries’schen Guajakschrift ist am 10. Januar 1525 erschienen: „Ein clarer bericht, wie [772] man alte scheden, löcher und bülen heylen soll mit dem Holtz Guaiaco“, offenbar ein unbefugter Nachdruck. Beide Schriften zur Syphilis, die lateinische und die deutsche, erwähnt F. als im Druck ausgegangen am Ende seines „Spiegels der Arznei“, der am 1. September 1518 zu Straßburg zum ersten Mal die Presse verließ, um bis zum Jahre 1546 in weiteren sieben Drucken ins Volk zu gehen. Dies sein größtes und bedeutendstes Werk, den „gemeinen armen Kranken“ zugeeignet, das ihm einen dauernden Ehrenplatz in der volksthümlichen medicinischen Litteratur errungen hat, sollte die gesammte innere Medicin seiner Tage zur Kenntniß weiter Kreise bringen, einen sachverständigen Vermittler zwischen Arzt und Publicum bilden. Wie recht und billig, macht der Verfasser darin keinerlei Concessionen, sondern hält streng fest an seinem wissenschaftlichen Standpunkte und geht mit ärztlich verwerflichen Volksgebräuchen und Volksmeinungen ebenso scharf ins Gericht, wie mit jeder Art von ärztlichen Charlatanerien, kein Schmeichler um Volksgunst, sondern ein Belehrer und Erzieher in ärztlichen Dingen – für seine Zeit. Seine kräftige, kernige, oft derbe Sprache weiß den Volkston vorzüglich zu treffen; in den vielen aus dem Leben gegriffenen Beobachtungen ein Sittenschilderer von großer Unmittelbarkeit, bietet er culturgeschichtliches Material in Fülle, oft voll köstlicher Kleinmalerei.

Gleichfalls noch in Kolmar geschrieben, aber erst am 29. November 1519 in Straßburg erschienen sind die „Synonima vnd gerecht vßlegung der wörter so man dan in der artzny …“ gebraucht, ein „gelehrtes“ Werk, welches der Verwirrung, die damals bei den Autoren in der Benennung der einfachen Arzneistoffe herrschte, steuern sollte. Der Versuch ist zu loben, aber mit völlig unzureichenden Mitteln unternommen worden; schon die zeitgenössische Kritik hat das Werkchen ziemlich abfällig aufgenommen, das trotzdem 1535 eine neue Auflage erlebte. Dagegen führt der später verfaßte, aber schon am 24. Juli 1519 erschienene „Tractat der Wildbäder“ ein schon im „Spiegel“ berührtes und späterer eingehenderer Behandlung empfohlenes Thema mit Geschick aus und wurde denn auch noch mehrmals aufgelegt. Als eifriger Kämpe für die, neben der Heilkunde und als ihre wichtigste Stütze und Helferin, von ihm am meisten geliebte Astrologie trat F. zu Ende des folgenden Jahres ins Feld mit seiner „Kurtzen schirmred der kunst Astrologiae“, welche sich namentlich gegen Luther wendet, der in seiner Auslegung der 10 Gebote die astrologischen Irrlehren bekämpft hatte. Das mit Wärme geschriebene Büchlein erschien am 28. November 1520, wie alle früheren Schriften Friesens bei Johannes Grüninger in Straßburg, der unsern federgewandten, kenntnißreichen Arzt in den nächsten Jahren im Dienste seines Verlags eifrig beschäftigte.

In seinem Auftrage gab F. zunächst den Ptolemäus mit dem Text und den Karten Waldseemüller’s neu heraus mit allerhand eigenen Zuthaten. Als Arbeitsleistung eines Jahres ist dieser Fries’sche Ptolemäus immerhin recht beachtenswerth; er wäre noch genießbarer, wenn die Eile des Druckes (ein ständiger Fehler der Grüninger’schen Officin) das zweifelhafte Latein Friesens nicht noch mit den unglaublichsten Druckfehlern verunziert hätte. Neu gearbeitet hat F. ein Register der Städte, Länder, Flüsse u. s. w. mit vielen historisch-antiquarischen Notizen, neu gezeichnet sind zwei Theilkarten Asiens (Hinterindien und China), sowie eine Weltkarte, auf der sich der Name „Amerika“ mit zum ersten Male eingetragen findet und die drei ostindischen Halbinseln auf zwei reducirt sind. So ist das Kartenmaterial des Ptolemäus auf 50 Karten erhöht, welche in der Pirkheimer’schen Ausgabe von 1525 und den beiden Michael Servet’s von 1535 und 1541 in gleicher Weise wiederkehren und erst durch die Karten Sebastian Münster’s verdrängt werden. Bei den [773] 27 alten und den meisten modernen Karten hat F. des Weiteren eilig zusammengeraffte Schilderungen von Land und Leuten hinzugefügt, die noch völlig mittelalterlichen Geist athmen, aber von Pirkheimer und Servet doch wieder aufgenommen wurden, ein Beweis, daß sie den Zeitgeschmack glücklich getroffen hatten. Die einzige Stelle, die etwas modern-kritischen Geist verräth, die Ausführungen über die Oede und Unwirthlichkeit von Palästina, sollte Servet sehr zu Unrecht in seinem Genfer Processe als schweres Vergehen angerechnet werden! – Zum Schlusse noch mit einer Einführung in die geographische Wissenschaft aus Friesens Feder ausgestattet, verließ dieser den Zeitbedürfnissen entsprechend ausgearbeitete Ptolemäus am 12. März 1522 die Presse und wurde eifrig gekauft.

Ein weiteres geographisches Werk, das F. in Grüninger’s Auftrag herausgab, ist die neu bearbeitete Seekarte des Waldseemüller, eine Wandkarte in 12 Blättern, mit erklärendem Texte, die in fünf Jahren drei Auflagen erlebte. Die „Uslegung der Mercarthen oder Chartha Marina“ ist mehr auf praktische Zwecke zugeschnitten; sie enthält aber gleichfalls, neben Schilderungen über die Lage der Städte und Länder und Angaben über volkswirthschaftliche und commercielle Verhältnisse, allerlei Mittheilungen über die „seltzamen wunderparlichen ding in dieser welt“, welche durch den von Grüninger reichlich beigegebenen phantastischen Bilderschmuck noch mehr ins Licht gerückt werden, namentlich in der ersten Auflage vom 7. September 1525, während er in der zweiten vom 3. Juni 1527 und mehr noch in der dritten Auflage vom 22. April 1530 sich sehr vermindert zeigt. Zugleich mathematisch, astrologisch und medicinisch ist ein kleines Büchlein, das zwischen Ptolemäus und die Meerkarte fällt, die „Expositio vsusque Astrolabii“ vom 8. September 1522, worin die vielfache Verwendbarkeit dieses Universalinstruments des Mittelalters knapp und präcise auseinandergesetzt wird. In der Medicin sollte es zur Bestimmung der kritischen Tage Verwendung finden, anscheinend eine Neuerung Friesens, da sein Zeitgenosse Tansteter (Collimitius) zu diesem Zweck noch die Himmelsfigur der zwölf Häuser verwendet. Abermals ein neues Gebiet betrat F. zu Anfang des Jahres 1523 mit der Veröffentlichung einer mnemotechnischen Schrift, gleichzeitig in deutscher und lateinischer Sprache. Sein „Kurzer bericht wie man die gedechtniß wunderbarlichen stercken mag“ knüpft gleichfalls an ein Capitel des Spiegels inhaltlich an und gibt nach einer allgemeinen Diätetik der geistigen Thätigkeit und arzneilichen Vorschriften zur Stärkung des Gedächtnisses allerlei Rathschläge und Anweisungen zur Uebung der Gedächtnißkunst; der „aberglaub Lulli oder andere dergleichen dorechte vffmerkung“ werden verworfen. Im April 1523 erschien das Büchlein in lateinischer Bearbeitung „Artis memorativae naturalis et artificialis, facilis et verax traditio“; beide Ausgaben sind mit dem Bildnisse Friesens geziert.

Selbstverständlich griff F. auch in den aufgeregten Streit, ob die Welt im J. 1524 untergehen werde, beruhigend ein. Sein „Trostliche bewerung das der jüngst tag noch in vil jahren nitt kume. Auch das sein zeit niemanß wysse dann got“ ist im J. 1523 geschrieben und erschienen, wenn auch Druckort und -jahr nicht angegeben sind, vielleicht, weil sich das Büchlein gegen Luther’s „Christliche vnd vast Wolgegrünte beweysung von dem Jungsten tag“ wendet, die es aus der heiligen Schrift und der Astronomie zu widerlegen sucht. Das wichtigste astronomische Argument nimmt F. aus der Umlaufszeit der 9. Himmelssphäre, die 49 000 Jahre betrage und wenigstens einmal sich erfüllen müsse; der jüngste Tag sei also vor 42 279 Jahren nicht zu erwarten. Uebrigens macht F. hier noch gegen die Theologen „von beyderley seckten, Papisten und Euangelisten“ bis zu einem gewissen Grade Front, [774] während er später energisch auf die katholische Seite tritt, was auch seinen Wegzug von Straßburg mit veranlaßt haben mag. – Für das große Jahr 1524, dessen 25. Februar man mit so banger Sorge erwartete, hat F. noch eine besondere Prognostication erscheinen lassen, die erste, die mir bis heute von ihm bekannt geworden ist: „Ein züsamen gelesen vrteil … über die grossen züsamenkunfft Saturni vnnd Jouis“. In seiner „Judenpractica“ von 1525, einer scharfen Strafpredigt für das auserwählte Volk, spricht er aber ausdrücklich von „mynen vrteylen der gestirn, so ich järlich vßgon laßs“, hat also diesen Gebrauch schon länger geübt; die kleinen Flugschriften aus früherer Zeit sind aber bis heute verschollen. Bekannt geworden sind mir noch: „Prognostication vff das iar, so man zellet 1526“, „Mantia sive Prognosticatio ad annum 1529“ (in Köln gedruckt bei Serv. Cruphtanus), „Sidéral devinement ou pronostique pour l’an de J. C. 1529“ (in Metz gedruckt), „Pronostication Auff das jar so man zelet 1530“ und „Prognostication oder Weissagung auß des hymmels lauff Gemacht Auff das jar 1531“, die in zwei Straßburger Drucken von Hans Knoblauch dem jungen und von der Grüninger’schen Officin auf uns gekommen ist.

Der Metzer Aufenthalt hat noch zwei Schriften Friesens gezeitigt, mit denen sein schriftstellerisches Wirken abschließt, das Büchlein über den englischen Schweiß und die Vertheidigung des Avicenna, beide von Hans Knoblauch dem Jüngeren in Straßburg in Verlag genommen. Im Verein mit dem Metzer Stadtarzt Jean Dupont (Nidepontanus) ließ er Ende September 1529, also zu einer Zeit, als die gewaltige Fluth dieser Seuche in Deutschland schon völlig zu ebben begonnen hatte, die kleine Schrift erscheinen: „Sudoris Anglici exitialis, pestiferique morbi ratio, praeservatio, et cura“, die ohne eigenen Augenschein verfaßt und rein schulmäßig gehalten ist. Freilich will F. im J. 1519 zu Freiburg in der Schweiz einen Ausbruch dieser Seuche erlebt haben, über welche die Acten dieser Volkskrankheit völlig schweigen. Die Verfasser versteigen sich im Gefühl ihrer fadenscheinigen Darlegungen zu dem Satze: „Sin vero et nobis nunquam visa fuisset, medici non essemus appellitandi, si de non tractatis tractare atque rationabiliter operari nesciremus“. Die kleine Schrift ist in die Gruner-Häser’sche Sammlung der „Scriptores de sudore anglico superstites“ (Jena 1847 S. 157–178) aufgenommen.

Die „Defensio medicorum principis Avicennae, ad Germaniae medicos“, der Schwanengesang des rastlos Thätigen, wendet sich gegen die in seinen Tagen zu hoch eingeschätzte stilistische Eleganz, der er als „elegantia ingenii“, die Erforschung der Naturkräfte entgegenstellt; der Canon des Avicenna habe in seiner barbarischen Uebersetzung mehr zum Heile der Kranken geleistet als die elegante Latinität eines Plinius und anderer. Welch jämmerliche Rolle spielten die gelehrten „Graeculi“ oft am Krankenbett mit ihren Guajaktränklein, Quecksilber- und verkehrt angewendeten Bäder-Curen, auf welch thörichte Abwege seien sie mit ihrer Harnschau gerathen. Mit einzelnen eleganten Uebersetzungen Galenischer Werke sei nicht viel gethan, man müsse den ganzen Galenos inne haben, und in wie trefflicher Kürze finde sich alles Werthvolle, von Galenos und Hippokrates Ueberlieferte bei Avicenna wieder. Vivat Avicenna, vivantque eius imitatores in eo quod cunctos sanat languores! So kommt bei ihm die Erkenntniß zu energischem Ausdruck, daß die gelehrten, expurgatorischen Bestrebungen der philologischen Mediciner seiner Tage zum Heile der Kranken wenig geleistet hätten. Von der wahren Erkenntniß freilich, daß nicht die Rückkehr zum Studium der griechischen Urtexte, sondern zur erneuten Erforschung der Natur die fortschreitende Entwicklung der Heilkunde gewährleiste, dämmerte dem Zeitgenossen eines Vesalius und Paracelsus kaum [775] ein entfernter Schimmer! – Der scharfe Angriff gegen die stolzesten Größen seiner Zeit blieb nicht ohne Antwort. Symphorien Champier und der heißblütige Leonhard Fuchs zogen energisch vom Leder, aber ihr Poltern und Stürmen erreichte sein Ohr nicht mehr; der wackere Streiter für die Wahrheit, wie er sie sah, war in den ewigen Frieden eingegangen. Der von Champier ihm früher verliehene Ehrentitel „Avicennista insignis“ ist ihm aber bei den Historikern der Medicin geblieben, die allerdings viel mehr von ihm nicht zu sagen wissen als diesen Titel. Die von F. genannten Gleichgesinnten sind wenig hervorragend, auch von brieflichem Verkehr mit seinen Zeitgenossen ist wenig bekannt, doch stand er bei Agrippa von Nettesheim in hoher Werthschätzung, wie dessen Brief an einen Freund vom 16. October 1526 darthut. Und wenn wir auch keine seiner wissenschaftlichen Arbeiten besonders hoch bewerthen können, so haben doch seine populären Schriften viel Gutes gewirkt; an Reinheit der Begeisterung für seinen ärztlichen Beruf wird er kaum von einem seiner Zeitgenossen übertroffen.


[770] *) Zu Bd. VIII, S. 84.