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Artikel „Hanstein, Johannes“ von Ernst Wunschmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 49 (1904), S. 768–770, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hanstein,_Johannes_von&oldid=- (Version vom 8. Oktober 2024, 07:03 Uhr UTC)
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Hanstein: Johannes Ludwig Emil Robert H., Botaniker, geboren am 15. Mai 1822 in Potsdam bei Berlin, † am 27. August 1880 in Bonn. Als H. 8 Jahre alt war, starb sein Vater, bis dahin zweiter Prediger an der Nicolaikirche in Potsdam, und so siedelte die Mutter mit ihm nach Berlin über. Hier bezog er 1834 das Gymnasium zum Grauen Kloster, das er indessen mit Rücksicht auf sein schwächliche Gesundheit schon nach 41/2jährigem Besuche wieder verließ, um zu seiner Kräftigung die Gärtnerei zu erlernen. Auf der Gärtnerlehranstalt seiner Vaterstadt vorgebildet, entwickelte er sich nicht nur körperlich in erfreulicher Weise, er faßte auch, durch seine Beschäftigung angeregt, eine entschiedene Neigung zur Botanik, der er sich nunmehr ganz zu widmen beschloß. Nach fünfjähriger praktischer Thätigkeit bezog H. 1844 die Berliner Universität zum Studium der Naturwissenschaften. Gleichzeitig füllte er die Lücken in seiner wissenschaftlichen Bildung durch fleißige Beschäftigung mit den gymnasialen Fächern aus, so daß er schon nach drei Semestern die Reifeprüfung am Friedrichsgymnasium in Berlin bestehen konnte. Seine Universitätsstudien brachte er 1848 zum Abschluß. Sie erstreckten sich über das ganze Gebiet der Naturwissenschaften, daneben noch auf Philosophie, Geschichte und Mathematik. Seine botanischen Lehrer waren Link, Kunth und C. H. Schultz-Schultzenstein und auf zoologischem Gebiete der berühmte Physiologe Johannes Müller, dessen Vorlesungen ihn in hohem Grade anregten. Persönliche Freundschaft verband ihn mit dem Botaniker Klotzsch (s. A. D. B. XVI, 233), der damals Custos am königlichen Herbar war. Auf Grund seiner Dissertation: „Plantarum vascularium folia, caulis, radix utrum organa sint origine distincta, an ejusdem organi diversae tantum partes“ wurde H. im Mai 1848 zum Dr. phil. promovirt. Ein Jahr darauf bestand er die Staatsprüfung für das höhere Lehramt und habilitirte sich, nachdem er eine Zeit lang an einigen Berliner Schulen als Lehrer thätig gewesen war, 1855 als Privatdocent für Botanik an der Universität. Nach Klotzsch’s Tode 1861 rückte er in dessen Custodenstelle ein. In ein besonders freundschaftliches Verhältniß trat H. zu Alexander Braun (s. A. D. B. XLVII, 186), der 1851 von Gießen nach Berlin übergesiedelt war und der auf seine wissenschaftliche Richtung bestimmenden Einfluß übte; mit Ehrenberg verknüpften ihn verwandtschaftliche Beziehungen dadurch, daß eine Tochter desselben 1857 seine Gattin wurde. Als nach dem Tode Hermann Schacht’s (s. A. D. B. XXX, 482) im J. 1864 die Bonner Professur frei geworden war, wurde ihm diese neben der Direction des botanischen Gartens ein Jahr darauf übertragen. Beide Stellungen bekleidete H. 15 Jahre hindurch bis zu seinem Tode, mit seltener Willenskraft die Schwächen seines zarten Körpers überwindend. In seinen Mannesjahren hatte sich allerdings sein körperliches Befinden wesentlich gebessert. Aber ein hitziges Fieber, das ihn anfangs 1875 befiel, zehrte an seinen Kräften, so daß er, wenn er auch zeitweise sich immer wieder erholte, doch nie mehr in den Vollbesitz seiner Gesundheit gelangte. Nur wenige Monate über 58 Jahre alt verschied H. nach längeren Leiden gerade in dem Jahre, für welches ihn die Universität Bonn zu ihrem Rector gewählt hatte. Seinen Amtspflichten als solcher konnte er noch zu einem Theile genügen.

[769] Hanstein’s Bedeutung für die wissenschaftliche Botanik liegt in seinen Leistungen auf morphologischem Gebiete. Seine Dissertation gibt bereits die Richtung an, nach welcher sich seine späteren Arbeiten entwickelten. Sie suchte die alte Frage nach der morphologischen Natur von Wurzel, Stengel und Blatt auf anatomisch-entwicklungsgeschichtlichem Wege zu lösen. Das Resultat, zu dem er gelangte, gipfelt darin, daß als Grundgebilde der Pflanzen das Blatt anzusehen sei und die ganze Pflanze nur ein Conglomerat von Blättern darstelle. Namentlich führte ihn das genaue Studium des Gefäßbündelverlaufes im Stamm und in den Blättern zu seiner Ansicht. Ueberhaupt war er es, welcher zuerst in seiner Dissertation eine durch Abbildungen erläuterte Darstellung des Verlaufes der Gefäßbündel bei dicotylen Pflanzen gab. Eine Fortsetzung dieser histologisch-anatomischen Studien brachten seine im J. 1853 erschienenen „Untersuchungen über den Bau und die Entwicklung der Baumrinde“, welche an eine über denselben Gegenstand veröffentlichte Abhandlung H. v. Mohl’s anknüpften und diese theilweise erweiterten. In einer im 1. Bande von Pringsheim’s Jahrbüchern zum Druck gelangten trefflichen Arbeit über den Bau des dicotylen Holzringes wies H. unter Bestätigung älterer Angaben Nägeli’s für dicotyle Gewächse und Nadelhölzer überzeugend nach, daß der primäre Holzkreis in dem Stamme aus einer Anzahl von Gefäßbündeln entsteht, die mit denen der Blätter identisch sind und im Urmeristem der Knospe ihren Ursprung nehmen. Auf einem anderen Gebiete bewegt sich die 1860 erschienene wichtige Abhandlung Hanstein’s über die Bewegung der Säfte im Pflanzenkörper, durch welche er eine Reihe von früheren irrthümlichen Vorstellungen auf experimentellem Wege aufklärte. Im Anschluß an diese Versuche studirte er auch die Säftebewegung in den Milchsaftgefäßen der Pflanzen. Eine von der Pariser Akademie preisgekrönte ausgedehnte Arbeit über „die Milchsaftgefäße und die verwandten Organe der Rinde“ gibt im ersten Theile eine genaue Darstellung des Baues der genannten Organe sowie der Siebröhren, Schlauchgefäße u. s. w. und bespricht deren Vorkommen in den verschiedenen Familien, während der zweite, mehr physiologische Theil von der eigentlichen Bewegung des Milchsaftes handelt. Eine andere physiologische Arbeit gibt Aufschluß über die Befruchtung und Entwicklung der Kryptogamengattung Marsilia. Alle diese genannten Arbeiten fallen noch in die Berliner Zeit Hanstein’s. Die nach seiner Uebersiedlung nach Bonn entwickelte Thätigkeit darf als die wissenschaftlich bedeutendste bezeichnet werden. Vor allem waren es seine 1868 publicirten „Untersuchungen über die Anordnung der Zellen in den Vegetationspunkten der Phanerogamen“ und die als Ergänzung dazu 1870 veröffentlichte Arbeit „über die Entwicklung des Keimes bei Mono- und Dicotylen“, welche durch die genaue Feststellung der Wachsthumsunterschiede im Bau der Phanerogamen und höheren Kryptogamen bahnbrechend geworden sind. Mit systematischen Arbeiten hat sich H. weniger beschäftigt. Eine Monographie der Gesneraceen des Berliner Herbars, woran sich die Bearbeitung der südamerikanischen Arten dieser Familie für die Flora brasiliensis schloß, dürften die einzigen Arbeiten in der bezeichneten Richtung sein, die H. geschrieben hat. Doch widmete er seine litterarische Thätigkeit noch der Herausgabe einer heftweise erscheinenden periodischen Zeitschrift: „Botanische Abhandlungen aus dem Gebiet der Morphologie und Physiologie“, die er selbst mit seiner schon erwähnten Abhandlung über die Entwicklung des Keimes eröffnete. Später erschien in derselben aus seiner Feder noch ein Artikel über „Parthenogenesis bei Coelebogyne ilicifolia“ auf Grund von Beobachtungen, welche er seiner Zeit gemeinsam mit Alex. Braun angestellt hatte und als [770] letzte, erst nach seinem Tode veröffentlichte Arbeit eine nicht ganz vollendete Untersuchung über Lebenserscheinungen im Protoplasma besonders in Bezug auf das Verhalten des Zellkernes. Die Fertigstellung der von ihm geplanten Bearbeitung eines Handbuches der pflanzlichen Morphologie erlebte er nicht mehr.

Hanstein’s Naturauffassung, die seinem durchaus idealistisch angelegten Charakter entsprang, deckt sich vielfach mit A. Braun’s naturphilosophischem Standpunkt. Wie dieser führte auch er alle Lebenserscheinungen auf eine den organischen Wesen innewohnende Zweckthätigkeit zurück. Blindwirkende Naturkräfte allein, so meinte er, könnten niemals zur Erklärung der Vervollkommnung im Reiche des Lebendigen herangezogen werden, denn es fehlte ihnen die Freiheit zur Erreichung einer bestimmten Idee. So war H. wol ein Anhänger der Descendenztheorie, suchte aber die Ursachen der Entwicklung in inneren Momenten, nicht im zufälligen Kampfe ums Dasein, dem er nur eine nebensächliche Rolle in der organischen Natur zuwies. Außer durch seine wissenschaftliche Thätigkeit hat sich H. auch als Director der botanischen Institute in Bonn bleibende Verdienste erworben. Dem botanischen Garten gab er nach einem von ihm aufgestellten Plan eine völlige Umgestaltung und Neuordnung des Pflanzensystems und für die von ihm geleiteten mikroscopischen Curse schuf er zweckmäßig eingerichtete Arbeitsräume, die nach und nach immer weiter ausgebaut wurden. Hier inmitten seiner Praktikanten zeigte sich Hanstein’s Lehrbefähigung, namentlich in der Unterweisung im Mikroscopiren, aufs glänzendste; wie er denn überhaupt zum Lehrer nicht nur Neigung, sondern auch ungewöhnliche Begabung mitbrachte. Ebenso hoch stand H. nach der rein menschlichen Seite. Auf Grund seiner vielseitigen humanistischen Bildung und seines lebhaften Interesses für alle wichtigen Tagesfragen ein anregender Gesellschafter, besaß er auch ein warmes, tief empfindendes Gemüth, das in seinem, nach harmonischer Einheit strebenden Inneren wurzelte.

Nachruf von H. Vöchting: Bot. Zeitg. 39. Jahrg. 1881. – Sachs, Geschichte der Botanik.