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Artikel „Agrippa von Nettesheim, Heinrich Cornelius“ von Hugo Delff in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 1 (1875), S. 156–158, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Agrippa_von_Nettesheim&oldid=- (Version vom 5. Oktober 2024, 16:03 Uhr UTC)
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Band 1 (1875), S. 156–158 (Quelle).
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Agrippa: Heinrich Cornelius A. von Nettesheim, geb. zu Köln 14. Sept. 1487, † daselbst 1535. Durch Herkunft und Reichthum ausgezeichnet, studirte er in seiner Vaterstadt und später in Paris Jurisprudenz und Medicin und verband damit, einer allgemeinen Richtung der Zeit folgend, das Studium des classischen Alterthums, besonders aber auch der Magie, zu der jenes durch die Canäle des um diese Zeit durch Marsilius Ficinus[WS 1] u. A. aus den Quellen erschlossenen Neuplatonismus in Verbindung mit der durch den älteren Picus Mirandola[WS 2] und durch Reuchlin erläuterten jüdischen Kabbalah direct hinüberleitete. So war ja eben in jener wunderbaren Zeit, den Druck einseitiger und verschrobener Kunst und unwissender Ueberlieferung durchbrechend, ein allgemeines Trachten, aus den Quellen selbst zu schöpfen, aus der Natur und aus den Alten, schließlich auch durch die Schale der Erscheinung selbst durchzudringen und die innersten Schooßkräfte des Lebens unmittelbar zu berühren. Nach Beendigung seiner Universitätsstudien durchzog A. abenteuernd Frankreich, Italien und Spanien, und ließ sich schließlich in Dole in Bourgogne nieder, wo er über Reuchlin’s Buch „De verbo mirifico“ Vorlesungen zu halten begann. Da ihn aber diese in das Geschrei der Ketzerei brachten, entwich er nach England und ließ von dort seine Rechtfertigung ausgehen. Nach Deutschland zurückgekehrt, genoß er längere Zeit den Unterricht des Abts Tritheim in Würzburg, der auch des Paracelsus Lehrer war, des erfahrensten Meisters in den geheimen Wissenschaften und Künsten. Nachdem er dann unter Kaiser Maximilian gegen die Venetianer gekämpft, trat er an der Universität Pavia als Erklärer der unter dem Namen des Hermes Trismegistus[WS 3] bekannten Bücher auf und gab mehrere der mystischen Theologie angehörigen Schriften heraus. Dann ward er Syndicus in Metz und legte sich dort mit besonderem Eifer auf das Studium der Bibel. Streitigkeiten mit den Mönchen bewogen ihn 1519 nach Köln zurückzukehren. [157] Von da aus nahm er 1524 französische Kriegsdienste, die er jedoch nach drei Jahren gleichfalls wieder aufgab. Nun ward er kaiserlicher Archivar und Historiograph in den Niederlanden bei der Regentin Margarethe. Hier ließ er 1531 seine Schrift „De vanitate et incertitudine scientiarum“ erscheinen. Sie erregte großes Aufsehen, brachte ihn aber in Verwicklungen mit der Inquisition, durch die er sich genöthigt sah, 1533 nach Köln zurückzukehren. In Köln gab er in drei Büchern (ein viertes, das, ihm gleichfalls zugeschrieben, directe Anweisungen zur magischen Praxis enthält, ist apokryph) das Buch „De occulta philosophia sive de magia“ heraus, das er bereits früher auf Tritheim’s Anregung verfaßt und seiner Prüfung unterbreitet hatte. Diese beiden Werke haben seinen Namen auf die Nachwelt gebracht.

A. ist für seine Zeit eine typische Figur; die gesammte Eigenthümlichkeit der Zeit reflectirt sich in ihm wie in einem Brennpunkt. Er war kein schöpferisches Originalgenie, aber er wußte mit Geist aufzufassen, glücklich sich anzueignen und wiederzugeben. Er war nicht der Mann neue Bahnen zu öffnen, aber er besaß ein schönes Talent, gegebene Richtungen in sich auszuarbeiten und darzubilden, das Vorhandene zu sammeln und zu organisiren. Die rechte Selbständigkeit ging ihm ab; seine Natur war ebenso eklektisch, als encyklopädistisch. Leicht erregt und eingenommen folgte er nach- und nebeneinander sich zwar im Princip verwandten, doch der Art nach verschiedenen Strömungen. Er war – übrigens von Geburt und dem Bekenntniß nach Katholik – katholischer Mystiker, dann Bibeleiferer im Sinne Luther’s, dann Philosoph und Theurg nach der Kabbalah und nach Jamblich. Schließlich schillert sein Bild in allen diesen nur lose oder unklar unter einander verbundenen Farben zugleich. Er preist u. a. in seinen Briefen die mystische Verzückung, bemerkt aber dazu ganz naiv, er spreche nicht als einer, der dergleichen erfahren, sondern der selbst immer draußen bleibend Andern den Weg zeige. In der Schrift „De vanitate“ dagegen streift er den Mystiker ab, indem er sagt, die Wahrheit und das Verständniß der heil. Schrift hänge allein von der Offenbarungsgnade Gottes ab, die weder durch das Urtheil der Sinne noch durch die discursive Vernunft noch durch die (mystische) Contemplation ergriffen werden könne, sondern allein durch den Glauben an Jesum Christum. Seine Absicht in dieser Schrift ist jedoch nicht die, die Nichtigkeit der Wissenschaft an sich darzulegen, sondern nur einer blos menschlichen, die sich vom Boden des Wortes Gottes loslöst, dieses gar meistern will. In diesem Sinn polemisirt er gegen den todten Rückstand von jener älteren gediegeneren Scholastik eines Thomas von Aquino[WS 4] und der Anderen (deren relativen Werth er keineswegs leugnet), ebenso gegen die neue heidnische humanistische Wissenschaft und was mit ihr zusammenhängt; er will die Lehrmittel vereinfachen und an die Stelle der schwankenden menschlichen Autorität die unfehlbare göttliche der heil. Schrift setzen. Daneben läßt er sich auch auf kirchliche, politische und sociale Verhältnisse ein, und spricht u. a. gegen den Pharisäismus, die engherzige Intoleranz und anmaßende Tyrannei der Päpste und Bischöfe, gegen kirchlichen Prunk, den Mißbrauch der Bilder. Zu einem vorzüglichen Religiosen, ebenso wie zu einem Reformator fehlte ihm der Ernst des Charakters und die Beständigkeit des Gemüths. Das Buch „De occulta philosophia“ ist ohne irgendwie beträchtliche Originalideen, nur eine mit Geist ausgeführte Compilation aus den alten Philosophen und jüdischen Kabbalisten, übrigens von achtungswerther Gelehrsamkeit und Belesenheit. Freilich läßt sich auch sagen, daß der so ganz neu und überwältigend sich andrängende Gehalt eine selbständige Gedankenbewegung nicht eben leicht machte. Wenn er in der Mystik blos zu copiren schien, geht hier aus einzelnen Andeutungen hervor, daß er in der Magie wirklich praktische Kenntnisse und Fertigkeiten zu besitzen [158] glaubte, soweit seine Zeit sich solche zuschrieb. Wie viel Selbstbetrug dabei im Spiel war, das lassen wir hier auf sich beruhen. Nachdem er nach dem Muster des neuplatonischen ein Bild von Gott, Welt und Mensch entworfen, und den Grundsatz einer allgemeinen Synergie und Sympathie außer und über der blos materiellen Vermittlung nach allen Seiten ausgeführt, findet er die Magie darin, die Kräfte und Verhältnisse der intelligibeln, der himmlischen oder astralen und der elementischen oder planetaren Welt durch Erkenntniß in seine Gewalt zu bringen, und sie nach Maßgabe ihrer erkannten Gesetze und Bedingungen willkürlich zu gewünschten Effecten mit einander zu combiniren und auf einander in Beziehung zu bringen.

[1]Die (dürftige) Litteratur über sein Leben und seine Schriften findet man bei Jöcher und Adelung verzeichnet.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 158. Z. 11 v. o. l.: Henry Morley, The life of Agrippa von Nettesheim. 2 Voll. London 1836. Die übrige d. L. etc. [Bd. 2, S. 797]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Marsilio Ficino (* 1433; † 1499), Humanist, Philosoph und Arzt
  2. Giovanni Pico della Mirandola (* 1463; † 1494), Humanist und Philosoph
  3. synkretistische Verschmelzung des griechischen Gottes Hermes mit dem ägyptischen Gott Thot, existierte in Wahrheit niemals
  4. Thomas von Aquin (auch Thomas Aquinas oder Tommaso d’Aquino) (* um 1225; † 1274), italienischer Philosoph und Theologe