ADB:Faust, Johannes (Theologe)

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Artikel „Faust, ein Abenteurer“ von Wilhelm Creizenach in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 6 (1877), S. 583–587, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Faust,_Johannes_(Theologe)&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 10:37 Uhr UTC)
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Faust, ein Abenteurer, der in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts lebte und an dessen Person sich die Faustsage anknüpfte. Eine Biographie von ihm zu geben, wird dadurch erschwert, daß er während seines Lebens fortwährend auf Kreuz- und Querzügen begriffen war und sich offenbar auch selbst bemühte, über seine Persönlichkeit unklare oder unrichtige Vorstellungen zu verbreiten. Eine vollständige Lebensbeschreibung bietet zuerst die „Historia von D. Johann Fausten, dem weitbeschreyten Zauberer und Schwartzkünstlern“, die in erster Auflage 1587 erschien und in welcher der historische F. unter den sagenhaften Zuthaten kaum mehr zu erkennen ist. Auch sind hier viele Begebenheiten, die ursprünglich von Andern erzählt wurden, auf F. übertragen. In dieser Gestalt verbreitete sich die Geschichte von Faust’s Leben und Thaten mit reißender Geschwindigkeit, so daß F. bald eine der bekanntesten Figuren der deutschen Sage wurde. Ihr Zusammenhang mit der großen geistigen Bewegung des 16. Jahrhunderts, sowie der Umstand, daß sie sich zum großen Theil in akademischen Verhältnissen bewegt, bot wol die Veranlassung, daß schon in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts die Gelehrten der Sage ihr Interesse zuwendeten und sich über den historischen F. klar zu werden suchten. Zwar wurde im 17. Jahrhundert mehrfach die Meinung geäußert, daß der F. der Sage ein reines Phantasiegebilde sei oder daß er mit dem Mainzer Buchdrucker Fust identisch sei; diese Meinungen traten aber mehr und mehr zurück, nachdem der Wittenberger Theolog Johann Georg Neumann in seiner „Disquisitio historica de Fausto praestigiatore“ (1683) eine Reihe von Stellen aus Schriftstellern des 16. Jahrhunderts angezogen hatte, in welchen F. als eine historische Persönlichkeit erwähnt wird. Hierdurch war die Untersuchung in eine neue Bahn gewiesen. Die von Neumann beigebrachten Belege wurden in der folgenden Zeit durch andere Gelehrte vermehrt. Diejenigen, welche in unserem Jahrhundert, durch Goethe’s Dichtung angeregt, die [584] Forschung nach dem historischen F. in Angriff genommen haben, sind über das von ihren Vorgängern gesammelte Material nicht weit hinausgekommen und es werden auch wol schwerlich in der Litteratur des 16. Jahrhunderts, soweit sie im Druck vorliegt, neue auf F. bezügliche Stellen gefunden werden. Auch durch Combination des vorhandenen Materials wird schwerlich das Dunkel ganz aufgehellt werden können, von welchem F. umgeben ist.

Die Reihe der Zeugnisse eröffnet Trithemius mit einem Brief an den Mathematiker und Astronomen Johann Virdung (20. August 1507), in welchem er denselben vor einem gewissen Georgius Sabellicus warnt, dessen Besuch Virdung erwartete. Er sagt, Sabellicus sei ein Schwindler und Betrüger und führt auch die weitläufige, marktschreierische Titulatur an, mit der er sich selbst bezeichne: Magister Georgius Sabellicus, Faustus junior, fons necromanticorum, astrologus, magus secundus etc. Für den Ausdruck Faustus junior ist bis jetzt keine genügende Erklärung gefunden; es ist durchaus nicht abzusehen, auf welche frühere Persönlichkeit mit dieser Bezeichnung hingewiesen werden soll. Sicher ist jedoch, daß Faustus nur ein Beiname ist, den sich Sabellicus zulegte. Weiter erzählt Trithemius, Sabellicus habe sich im J. 1506 zu Gelnhausen und bald darauf zu Würzburg aufgehalten. An beiden Orten rühmte er sich des Besitzes geheimer Weisheit; in Würzburg prahlte er sogar, es sei ihm ein leichtes, alle die Wunder zu verrichten, die Christus verrichtet habe. 1507 kam er, wie Trithemius weiter erzählt, nach Kreuznach, wo er Franz von Sickingen „einem zu mystischen Dingen sehr geneigten Manne“, der dort die Stelle eines Oberamtmanns inne hatte, durch seine vorgeblichen alchymistischen Kenntnisse imponirte. Durch Sickingen’s Vermittlung erhielt er eine Lehrerstelle; bald darauf begann er mit den Knaben Unzucht zu treiben, entzog sich aber der Bestrafung durch schleunige Flucht. – Sechs Jahre später finden wir F. zu Erfurt wieder. Im October 1513 erwähnt Mutianus Rufus, der gelehrte Freund Reuchlin’s, in einem Briefe, es sei vor acht Tagen ein Chiromanticus, Namens Georgius Faustus, nach Erfurt gekommen, ein Prahler und Narr, der von ungebildeten Menschen angestaunt werde. Er selbst habe seine renommistischen Gespräche im Wirthshause angehört, aber sich nicht eingemischt, da ihn fremde Thorheit nicht kümmere. Unzweifelhaft ist dieser Georgius Faustus mit Georgius Sabellicus identisch. Räthselhaft sind die Worte Helmitheus Hedebergensis, die in dem Briefe Faust’s Namen beigefügt sind. Die meisten nehmen mit Düntzer an, daß diese Worte aus Hemitheus Hedelbergensis, Halbgott von Heidelberg, entstellt sind. Der nächste Gewährsmann, Philipp Begardi, Physicus der Stadt Worms, spricht in seinem „Index sanitatis“ (1539) von F. in ähnlicher Weise wie Trithemius und Mutianus. Er erzählt, F. habe mit seiner Erfahrenheit in magischen Künsten geprahlt und sich selbst als Philosophus Philosophorum bezeichnet. Er habe viele Leute um ihr Geld betrogen; „aber was soll man darzu thun, hin ist hin“. Aus der Art wie Begardi von Faust spricht, läßt sich vermuthen, daß derselbe längere Zeit von F. nichts gehört hatte; möglicherweise war F. damals schon todt oder verschollen. Mit Sicherheit können wir jedoch blos sagen, daß er im J. 1548 nicht mehr lebte. Der protestantische Theolog Johann Gast erzählt in der in diesem Jahre erschienenen Auflage seiner Sermones convivales mehrere Geschichten von F. Eine Geschichte, wie F. die Bewohner eines Klosters durch einen Poltergeist ängstigt, erzählt er ohne Angabe der Quelle; wichtiger ist, was er aus eigner Anschauung mittheilt. Er habe zu Basel mit F. gespeist, damals habe F. dem Koch Geflügel zur Zubereitung übergeben, wie er es sonst in der Gegend niemals gesehen habe. Er habe einen Hund und ein Pferd mit sich geführt und man habe erzählt, daß der Hund sich manchmal in einen Diener verwandle und Speisen herbeibringe. F. nahm, wie Gast erzählt, ein schreckliches Ende; er wurde [585] vom Teufel erstickt und im Tode auf der Bahre drehte er stets das Gesicht nach der Erde zu, obgleich die Leiche mehrmals umgewendet wurde. Aus dem Berichte Gast’s sehen wir zum ersten Male, wie F. nicht blos durch Worte, sondern durch den ganzen geheimnißvollen Apparat, mit welchem er sich umgab, den Glauben an seine Verbindung mit höheren Mächten zu erwecken wußte. In welche Zeit das Zusammentreffen Gast’s mit F. zu setzen ist, kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden, da Gast sich zu verschiedenen Zeiten in Basel aufhielt; am besten würde es zu den früher vorgebrachten Zeugnissen stimmen, wenn wir die Begebenheit in die Zeit von Gast’s Basler Aufenthalt im J. 1525 verlegten.

Der nächste Gewährsmann, dessen wir zu gedenken haben, Johannes Manlius, bringt in seinen Locorum communium collectanea (1562) nach Mittheilungen Melanchthon’s mehrere Notizen über F., die uns dessen Gestalt noch mehr von der Sage umwoben zeigen, als der Bericht Gast’s. Hiernach war Johannes Faustus, wie er bei Manlius heißt, in Knittlingen unweit von Melanchthon’s Heimath Bretten geboren, denn daß das Wort „Kundling“, welches bei Manlius steht, aus „Knittlingen“ verderbt ist, unterliegt keinem Zweifel. Melanchthon kannte ihn persönlich. Er studirte zu Krakau Magie, trieb sich dann als fahrender Schüler umher und lebte in den wüstesten Ausschweifungen. In Nürnberg wurde gegen ihn ein Verhaftbefehl erlassen, er entkam jedoch noch gerade rechtzeitig; ebenso entwischte er der Obrigkeit in Wittenberg, wo er sich zur Zeit des Kurfürsten Johann (1525–32) aufhielt. Als eine seiner ärgsten Aufschneidereien wird angeführt, er habe sich gerühmt, daß die kaiserlichen Heere ihre Siege in Italien seiner Zauberkunst verdankten. In Venedig machte er den Versuch, in die Luft zu fliegen, jedoch der Teufel schleuderte ihn wieder zu Boden. Weiter wird in Uebereinstimmung mit Gast erzählt, der Teufel habe F. in Gestalt eines Hundes begleitet und ihn schließlich getödtet. Fausts Tod wird in „ein Dorf des Herzogthums Würtemberg“ verlegt, der Zustand der Leiche ähnlich wie bei Gast beschrieben. Was die Nachricht von Faust’s Studium in Krakau betrifft, so läßt sich in den dortigen Universitätsverzeichnissen kein Student dieses Namens nachweisen; daraus folgt, daß entweder die Angabe des Manlius falsch ist oder daß F. während seiner Krakauer Studentenzeit noch nicht den Namen führte, unter welchem er später berühmt wurde. Daß F. in Wittenberg mit Melanchthon zusammentraf, wird nicht ausdrücklich erwähnt, ist aber in hohem Grade wahrscheinlich; die Einzelheiten, die Augustin Lercheimer in seinem „Christlich Bedenken und Erinnerung etc.“ (1585) von Melanchthon’s Verkehr mit F. erzählt, sind nicht hinlänglich beglaubigt.

Von großer Wichtigkeit ist auch das Zeugniß des Johannes Wier, welches sich zuerst in der 1568er Ausgabe seines Buches De praestigiis daemonum findet. Die Worte, mit denen er seinen Bericht einleitet, sind offenbar aus Manlius entlehnt; dagegen berichtet er weiterhin mehrere neue Thatsachen. Er sagt, F. habe gegen Ende der dreißiger Jahre großes Aufsehen erregt. Zu Batenburg an der Maas sei er wegen eines Verbrechens gefangen gehalten worden. Damals habe er den Caplan Dorstenius, einen gutmüthigen aber beschränkten Menschen, gebeten, ihm Wein zu verschaffen und ihm zur Belohnung ein Mittel versprochen, wie er sich den Bart ohne Rasirmesser abnehmen könne. Er habe ihm nämlich empfohlen, den Bart mit Arsenik einzureiben, wodurch sich jedoch nicht nur die Haare, sondern auch die Haut und das Fleisch losgelöst hätten. Wier hat die Geschichte mehrmals von dem Caplan selbst erzählen hören. Manches von dem, was er sonst erzählt, weiß er blos von Hörensagen; es zeigt sich jedoch aus seinem Bericht, daß sich immer mehr abenteuerliche Erzählungen an F. anknüpften.

Mehrfach ist die Ansicht ausgesprochen worden, daß sich die Berichte von [586] Manlius und Wier nicht auf dieselbe Person beziehen, wie die Berichte des Trithemius und Mutianus. Zunächst wird F. von den beiden ersteren Georg, von den beiden letzteren Johann genannt, doch könnte Wier auch die Angabe des Vornamens von Manlius entlehnt haben. Gegen die Identität spricht es auch, daß Georg schon 1506 auftritt, während die Hauptthätigkeit Faust’s von Wier gegen das Ende der dreißiger Jahre verlegt wird. Letztere Angabe kann freilich irrig sein; auf einem Druckfehler beruht sie nicht, da Wier die Jahreszahl in Worten und nicht in Ziffern ausdrückt. Man könnte also annehmen, daß Georg F. etwa von 1505–1515, Johannes F. aber in den dreißiger Jahren sein Wesen trieb. Der Abenteurer, mit welchem Gast in Basel zusammentraf, wäre alsdann jedenfalls mit dem von Manlius erwähnten F. identisch und wir können seine Wirksamkeit dem von Wier angegebenen Zeitpunkte näher rücken, wenn wir sein Auftreten in Wittenberg in die letzten Jahre der Regierung des Kurfürsten Johann und seine Zusammenkunft mit Gast auf einen späteren Aufenthalt Gast’s in Basel verlegen. Dieser Johannes F. wäre alsdann auch der, an welchen sich die Sage anschloß. Auch Begardi’s Bericht würde sich wol auf diesen F. beziehen, obgleich Begardi’s Erzählung von Faust’s marktschreierischem Wesen viel Aehnlichkeit mit dem Bericht des Trithemius zeigt. Ein wirklich zwingender Grund, zwei Fauste anzunehmen, liegt freilich weder in der Verschiedenheit des Vornamens noch in dem Auftreten gegen Ende der dreißiger Jahre. Es ist sehr wohl denkbar, daß F., bald nachdem ihn Mutianus gesehen hatte, verschwand und erst nach einer längeren Reihe von Jahren wieder auftauchte: vielleicht gab er vor, in der Zwischenzeit in Italien die Wunderdinge vollbracht zu haben, von denen Melanchthon berichtet. Alles, was sonst noch von F. erzählt wird, beruht auf unsicherer Ueberlieferung. Der Jurist Philipp Camerarius erzählt in seiner Operae horarum subcisivarum centuria prima (1602), er habe über F. manches von Leuten gehört, die ihn noch persönlich gekannt hätten: er erzählt auch die bekannte Geschichte von den Trauben, die Goethe in Auerbach’s Keller verlegt, ohne ausdrücklich zu erwähnen, woher er diese Geschichte hat. Ein Baccalaureus Johann Faust aus Simmern, der sich 1509 in Heidelberg aufhielt, hat schwerlich mit unserem F. etwas zu thun. Die Nachricht, daß der Abt Johann Entenfuß von Maulbronn (1512–1525) F. bei sich beherbergt habe, ist aus einem Verzeichniß der Aebte von Maulbronn entnommen, das erst aus dem 18. Jahrhundert stammt. Auch Faust’s Aufenthalt in Auerbach’s Keller, welcher nach der bekannten Inschrift in das J. 1525 fallen soll, ist nicht sicherer bezeugt, als die vielen Zauberschwänke, die in späterer Zeit von F. erzählt wurden. Soviel ist jedoch sicher, daß der F., welcher später durch die Sage zu typischer Bedeutung erhoben wurde, einer jener fahrenden Schüler war, die im vorgeblichen Besitze geheimer Weisheit im Lande umherzogen. Schon im J. 1561 wird er von Konrad Gesner in einem Briefe als einer der bekanntesten Vertreter dieser Gattung von Menschen erwähnt. Soweit wir aus den zeitgenössischen Berichten urtheilen können, muß er es durch wüstes Leben, wie durch vordringliche Prahlsucht den meisten seiner Genossen zuvor gethan haben, gewiß besaß er aber auch in magischen Künsten ein größeres Geschick als die meisten andern. Wir möchten zwar gerne annehmen, daß der Mann, dessen Name uns heute mit heiligem Schauer erfüllt, die Unsterblichkeit auch tieferen und bedeutenderen Eigenschaften verdankt, dafür ist aber in den Berichten der Zeitgenossen kein bestimmter Anhaltspunkt gegeben.

Die historische Grundlage der Faustsage ist am umfassendsten und gründlichsten untersucht von Düntzer: Die Sage von Dr. Johann Faust in Scheible’s Kloster, Bd. V. Stuttgart 1847. Hier hat Düntzer jedoch die Ansicht von den zwei Fausten noch nicht mit solcher Entschiedenheit ausgesprochen wie in der [587] zweiten Auflage seines Faustcommentars, Leipzig 1857, S. 10 ff. Die Berichte der Zeitgenossen findet man im Originaltext mitgetheilt bei Housse, Die Faustsage und der historische Faust. Eine Untersuchung und Beleuchtung nach positivchristlichen Principien. Luxemburg 1862. S. 117 ff. Daß der Bericht Wier’s sich zuerst in dem Druck von 1568, also noch nicht in dem von 1566 befindet, hat mir Herr Schnorr v. Carolsfeld auf meine Anfrage gütigst mitgetheilt.