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Artikel „Devrient, Ludwig“ von Jacob Achilles Mähly, Rochus von Liliencron in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 5 (1877), S. 94–100, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Devrient,_Ludwig&oldid=- (Version vom 14. Oktober 2024, 02:43 Uhr UTC)
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Devrient: Ludwig D., der jüngste Sohn eines begüterten Berliner Kaufmanns, dessen Familie aus Holland stammte und eigentlich de Vrient heißt, geb. 15. Dec. 1784, ist eine der größten und genialsten Persönlichkeiten in der Geschichte der mimischen Kunst, zugleich aber eine Erscheinung, die neben dem Gefühl [95] staunender Bewunderung, die wir dem Genius zollen, auch Empfindungen bitterer Wehmuth über die zerstörenden Ausschreitungen der menschlichen Natur gegen die künstlerische erweckt. D. ist nicht blos eine geniale, er ist auch eine bizarre, ja sogar für solche Naturen, welche sich nicht völlig und mit ihrem ganzen Denken und Fühlen in die Tiefen künstlerischen Schaffens versenken können, eine etwas unheimliche Erscheinung. Es hat in Deutschland und anderswo vielseitigere Darsteller gegeben, deren schmiegsames Talent sich allen, selbst den heterogensten Rollen anzubequemen wußte, keiner aber ist bisher in den Annalen der Kunst verzeichnet, welcher in der beschränkten Sphäre, die seiner innersten Natur zusagte und gleichsam wahlverwandt war, so Großes und Vollendetes geleistet hätte als Ludwig D. In sofern ist er ein wahrer Künstler gewesen, d. h. mit schöpferischer Kraft begabt, productiv selbst über die Intentionen des Dichters hinaus gestaltend, nicht blos receptiv dessen Spuren folgend. Auch als Mensch eine edle hochherzige Natur, die, unter günstigeren Verhältnissen erwachsen und nach ihrem wahren Werth sofort erkannt, ein leuchtendes Beispiel sittlicher Größe und Schönheit hätte werden können. Auch die Menschen haben an D. gesündigt, nicht blos er selber, und wenn in das Dunkel seines verdüsterten, zerrütteten Lebens hinein der volle Sonnenstrahl des Glückes nur in den Momenten der höchsten Kunstentfaltung leuchtete, so ist nicht er allein daran schuld. Schon seine Jugenderfahrungen waren keine guten. Ihm fehlte die Liebe der Mutter. Bald nach seiner Geburt war diese gestorben, und weder seine Geschwister noch sein Vater verstanden es dem eigenthümlich gearteten Kinde auch nur einigen Ersatz für das Verlorene zu bieten. Verkannt, verstoßen, in scheuer Verbitterung wuchs D. auf; wir dürfen uns nicht wundern, wenn er sich diesen Verhältnissen durch einen, freilich mißlungenen Fluchtversuch entziehen wollte, noch weniger darüber, daß die kaufmännische Lehre, welche er nach zurückgelegter Schulzeit durchmachen sollte, nicht nach dem Geschmack des Knaben war. Er hatte zwar auch für die gewöhnlichen Schuldisciplinen weder großes Talent noch Vorliebe bewiesen, wol aber für Recitation ihm zusagender Gedichte und für tolle Streiche. Diese setzte er noch während der Lehrzeit im Hause des Vaters fort, und als ihn dieser durch Strenge curiren wollte, indem er ihn nach Potsdam (zu einem Posamentirmeister) versetzte, schlug das Mittel völlig fehl. Der junge D. floh zum zweiten Mal auf gut Glück in die Welt hinaus. Zwar auch jetzt wurde seine Spur aufgefunden – wenn auch ziemlich spät – aber eine Besserung trat nicht ein. D. ergriff die erste Gelegenheit, sich unters Militär anwerben zu lassen. Er wurde zwar von der Familie losgekauft, aber sein Bruder Philipp, der sich nun seiner annahm (in Brody), verdarb jetzt an dem Jungen durch eine entgegengesetzte Erziehung, d. h. durch allzugroße Nachsicht, gerade so viel als früher der Vater durch übelangewandte Strenge. Er gerieth in bedenkliche Gesellschaft. Der Bruder sah sich genöthigt, um ihn dieser zu entreißen, ihn auf einer Reise nach Leipzig unter seiner unmittelbarsten Aufsicht mitzunehmen und hier entschied sich Devrient’s Schicksal. Er sah im Theater den berühmten Ochsenheimer spielen und – bei der eben in Naumburg spielenden Truppe des Schauspieldirectors Lange angenommen, stand er am 18. Mai 1804 zum ersten Mal als Bote in der Braut von Messina auf den Brettern. Seine ersten Versuche waren nichts weniger als glücklich; er ward nur unter der Bedingung, sich zum Rollenausschreiben brauchen zu lassen, behalten. Zum ersten Mal zeigte sich zum Erstaunen seiner Collegen sein ungewöhnliches Talent, als ihm am 8. April 1805 in Zeitz die Rolle eines eben davongelaufenen Collegen, der Rudenz im Tell anvertraut ward. Jetzt gab man ihm größere Liebhaberrollen. Aber damit war der rechte Weg für sein Talent freilich noch nicht gefunden, denn für Liebhaberrollen war er, trotz seiner Vorliebe für sie, durchaus [96] nicht geschaffen. Es bedurfte der leitenden Hand eines Freundes und Gönners (Weidner), um ihn seiner eigentlichen Sphäre, dem Fach des Intriganten und Komikers, zuzuführen. Merkwürdig (wenn die Erscheinung auch nicht selten ist), daß D. während seiner ganzen theatralischen Laufbahn an dieser mangelhaften Kenntniß seines eigensten Humors gelitten hat; er krankte an einer falschen Rollensucht und hielt für absichtliche Zurücksetzung, was bloße Rücksicht auf ihn selber war, wenn ihm gewisse Rollen nicht zugewiesen wurden. Seine ersten Erfolge als Charakterdarsteller verschafften ihm ein Engagement an der Hofbühne zu Dessau, die unter Bossan’s Direction stand, aber die Einsicht, daß er seine Charakterbilder (Franz Moor, Secretär Wurm, Harpagon u. a.) nicht in freier schöpferischer Gestaltung hinstelle, sondern großen Vorbildern, wie Iffland und Ochsenheimer abgesehen habe, erfüllte ihn bald mit Verzweiflung. In dieser Stimmung stürzte er sich, Zerstreuung und Vergessenheit suchend, in ein ungeregeltes Leben und es fehlte nicht viel, besonders als sein Vater durch das Anerbieten gänzlicher Verzeihung und Bezahlung seiner Schulden ihm die Rückkehr öffnen wollte, daß D. der Kunst entsagt hätte. Erst das Zureden eines Freundes löste den Zwiespalt in seinem Innern, und der durchschlagende Erfolg, der seiner zum ersten Mal eigenthümlichen, selbstgeschaffenen Leistung des Kanzlers Fessel in Iffland’s „Die Mündel“ zu Theil wurde, entschied endgültig über seinen Lebensberuf. Jetzt aber begann sein Genius die Flügel mächtig zu entfalten und die Folge davon war eine vollständige Aussöhnung mit seiner Familie. Ein furchtbarer Schlag traf ihn, als ihm kaum ein Jahr nach seiner Verheirathung seine Lebensgefährtin, eine Tochter des Musikdirectors Neefe, durch den Tod entrissen wurde. Mit ihr wurde sein eigentliches Lebensglück für immer zu Grabe getragen. Keiner hatte ein geregeltes Familienleben, geordnete häusliche Verhältnisse zu seinem Gedeihen so nöthig als D., und gerade ihm mußte diese nothwendige Stütze entrissen werden und er wieder in den Strudel eines wüsten Lebens unrettbar versinken! Dadurch kam nicht nur seine Gesundheit, sondern auch seine ökonomischen Verhältnisse zu Schaden, und der letzteren Klemme wußte D. sich nur durch die Flucht nach Breslau zu entziehen. Hier ward er 1809 als Ludwig D. (– bis zu seiner ersten Verheirathung 1807 hatte er den Namen Hertzberg geführt –) der große Darsteller, als welcher er 1815 auf Iffland’s Veranlassung und als dessen Nachfolger nach Berlin ging, wo er, erst 48 Jahre alt, dem aufreibenden Leben, das er führte, und das auch durch eine dritte nicht glückliche Ehe zuletzt noch getrübt ward, 30. Dec. 1832 erlag. Schon während der letzten Jahre seines Lebens konnte er einige seiner größten Rollen nur mit höchster Anstrengung zu Ende führen, ja auch das gelang ihm nicht immer, bei „Franz Moor“ und „König Lear“ hinderte ihn vollständige Erschöpfung am Weiterspielen. Die häufigen Gastspielreisen zehrten auch an seiner Kraft, ganz besonders setzten aber seiner Gesundheit die nächtlichen Gesellschaften in der Lutter’schen Weinstube zu, wo sich um ihn und seinen genialen Freund, den als Schriftsteller bekannten Criminalrath E. T. A. Hoffmann, ein Kreis witziger aber zum Theil liederlicher Leute fast täglich versammelte. Ed. Devrient meint, wahrscheinlich mit Recht: „Alt wäre Ludwig D. auch ohne diese Extravaganzen kaum geworden, denn für einen solchen Feuergeist, für das fieberhaft aufgeregte Schaffen desselben, für die so zu sagen vulcanische Gluth seines Herzens und seiner Seele hatte sein Körper von Haus aus nicht Widerstandsfähigkeit genug.“ – In Berlin vermehrte sich das Repertoir Devrient’s nur um wenige eigentlich bedeutende und gewaltige Rollen, wie z. B. Richard III. Daran war zum Theil allerdings der damalige Intendant Graf Brühl schuld, und Devrient’s oft leidenschaftliche Klagen, daß man seine Glanzpartien parteiisch Andern zuweise, sind nicht immer ungerechtfertigt. Besonders war der berühmte Pius Alex. Wolff, [97] der unter Goethe seine Weimarerschule durchgemacht hatte, von Brühl, der selber zu den Anhängern dieser Schule gehörte, offenbar bevorzugt. D. war im Gegensatz zu dieser idealisirenden Richtung mit Leib und Seele der realistischen Auffassung der Berliner Kunstgenossenschaft ergeben. Daß er nie in seinem Leben dazu kam, Rollen wie den Mephistopheles oder den Jago zu spielen, für welche seine dämonische Natur recht eigentlich geschaffen war, muß im Interesse der Kunst tief betrauert werden (selbst Richard III. wurde ihm erst 1828 zugewiesen, als seine Kraft schon gebrochen war), auf der andern Seite darf zu Brühl’s Entschuldigung geltend gemacht werden, daß er oft besser als D. selber die Grenzen kannte, welche dessen Kunstschöpfungen gesteckt waren und daß er darum ihn eher zurückhielt als vorwärtsdrängte. Rollen, wie Don Carlos (im Clavigo) und Marinelli mißlangen ihm, trotzdem daß er sie begierig gesucht hatte. Wo es eines sichern Anstandes, einer feinen weltmännischen Tournure, eines schönen würdevollen Ebenmaßes oder der leichten Grazie bedurfte, da war Ludwig D. nicht an seinem Platze; auch die Rollen, welche einen Aufwand getragener und declamatorischer Rhetorik verlangten, standen ihm schlecht; seine Sphäre lag nicht auf der hellen Sonnenseite des Lebens, sondern in den düstern Regionen des Dämonischen oder da, wo unser Verstand mit den menschlichen Erscheinungen um uns herum und mit den Grillen des Zufalls einigermaßen in Conflict kommt: im Komischen. Leider ist die Zahl der leichten Productionen seines komischen Talentes bei weitem größer, als die, in welcher er seine ganze schöpferische Genialität beweisen konnte. Trotzdem waren selbst diese kleineren Rollen dem Leben wie „abgestohlen“. Seine Glanzschöpfung auf komischem Gebiet war wol Falstaff (in Heinrich IV.), aber auch Philibert in „Der Stutzer“, der polnische Hausknecht im „Vorlegeschloß“, Elias Krumm, der Koch Syrus in Terenzens „Brüdern“ (welches Stück er durch seine Leistung der Bühne gewann), ja sogar Rochus Pumpernickel und Schneider Kakadu waren Lieblingsleistungen Devrient’s und übten durch ihre phänomenale Komik eine solche Wirkung selbst auf die Mitspielenden, daß diese vor Lachen nicht weiter spielen konnten. Die kleineren Rollen wurden freilich je länger je mehr für ihn eine Nothwendigkeit, weil für größere seine Kraft nicht mehr ausreichte; an ihnen hat er den Rest derselben abgenutzt und dadurch seinen eigenen Ruf überlebt. Als er im J. 1819 die Regie des Lustspiels übernahm, war er voller Feuereifer, aber die völlig fehlerhafte Einrichtung der Intendantur, welche dem Regisseur keine Spur einer freien Bewegung und selbständigen Anordnung verstattete und die ein unwürdiges Spiel mit ihm trieb, erfüllte ihn mit steigendem Unmuth und legte seine Thätigkeit völlig brach. Lieber im Weinhaus dem sprudelnden Genius nach eigenem Ermessen die Zügel schießen lassen, als auf den Brettern als willenlose Puppe am Drath eines übermüthigen Bureau’s tanzen – so dachte und that D. während der Proben. Das war, menschlich gefaßt, allerdings nicht eben gewissenhaft, aus seiner künstlerischen Seele heraus läßt es sich aber begreifen. Ueberhaupt steht sein Dasein als Künstler und seine Auffassung der Kunst in makelloser Reinheit da. Er kannte weder Prätention noch Gunstbuhlerei, „er spielte seine Rollen nicht, er lebte sie“, das heißt mit anderen Worten, seine eigene Individualität ging so vollständig auf in der Rolle, die er mit der ganzen Kraft seiner Seele erfaßt hatte, daß er sich selber völlig vergaß. Das ist die Art jener großartig angelegten Naturen, bei welchen eine begeisterte Intuition die kalte Reflexion überwiegt. Vermöge der ersteren schaffen sie Gebilde, welche selbst das innere Auge des Dichters in dieser lebensvollen Deutlichkeit nicht geschaut noch geahnt haben mag. Dies ist z. B. der Fall mit Devrient’s Franz Moor, seiner großartigsten Leistung; sein größter und genialster Nebenbuhler in dieser Sphäre ist Fleck. Beide durften sich im Vertrauen auf ihre ursprüngliche Naturkraft, [98] auf ihr mit der Rolle congeniales Wesen in den gesteigerten Momenten ihres Schaffens der Inspiration überlassen; ihre Intuition war zu mächtig, als daß sie dabei straucheln konnten. Gerade diese persönliche Wahlverwandtschaft bedingt aber auch einen kleinen Kreis der darstellbaren Charaktere, und diesen Kreis werden gewöhnlich die dämonischen Naturen im weitesten Umfange und die humoristischen, besonders die an das Phantastische streifenden Figuren ausfüllen. Die reflectirende Kunst dagegen zieht diejenigen Bilder in ihre Sphäre, welche innerhalb der Grenzen des allgemein Menschlichen, des gewöhnlichen Lebens sichtbar sind; was diese Schranken überragt oder durchbricht, das Ungeheuere, Gigantische und Phantastische – alles dessen bemächtigt sich eine gleichsam ebenbürtige mächtige Naturkraft; das bewußte Thun tritt vor dem instinctiven zurück. Wenn aber ein solches Spiel leicht Gefahr läuft, die classisch ruhige Form zu sprengen, und im Vollgefühl der Kraft seine Mittel bis scharf an die Grenze der Uebertreibung zu steigern, so wußte D. gerade auf diesem Punkte jene selbe Kraft mit sicherem Griff zu zügeln; hier trat der wahre Künstlerverstand wieder in seine Rechte, denn L. D. war nicht blos ein Naturgenie, sondern auch ein Künstler, im Verein beider liegt seine Größe.

Tieck im Phantasus und den Dramaturg. Blättern; Ed. Devrient, Ueber Theaterschulen; derselbe, Gesch. d. deutsch. Schauspielkunst (Bd. 7, 8 und 9 der ges. Werke. Leipzig 1848 und 1861); Funck, Erinnerungen aus dem Leben Iffland’s und L. Devrient’s, Leipzig 1838; R. Prutz, Vorles. über die Gesch. des deutsch. Theaters. 1847; Gleich, Aus der Bühnenwelt. Leipzig 1866; Herm. Ulrici, L. Devrient als König Lear (im Shakespeare-Jahrb. II. 292); Heinrich Anschütz, Erinnerungen aus dessen Leben und Wirken, S. 71 ff. 77. 163 ff. 185. 246. 259. 272 ff. 306. 347 ff. (Devrient’s Gastspiel in Wien im Nov. 1828), 413.

Emil D., des vorigen Neffe, geb. 4. Sept. 1803, † 6. Aug. 1872, ward, wie seine älteren Brüder Karl und Eduard, ursprünglich dem Kaufmannsstand bestimmt, folgte aber bald den Brüdern an die Bühne. In Braunschweig unter Klingemann trat er am 9. Nov. 1821 zum ersten Male auf und ward als Volontair für Schauspiel und Oper auf den Winter engagirt. Von dort ging er nach Bremen und 1823 nach Leipzig, wo er sich unter der einsichtigen Küstner’schen Direction zur europäischen Berühmtheit aufzuschwingen begann. Jetzt entsagte er auch der Oper (nur einmal in Hamburg übernahm er später, 1830, noch eine Opernrolle in Auber’s Braut). 1825 mit Doris Böhler verheirathet, ging er mit dieser 1828 zu der in Magdeburg spielenden Gesellschaft Genast’s, 1829 nach Hamburg und 1831 nach Dresden, wo er dauernd blieb. Von seiner Gattin, die als Schauspiel- und Opernsoubrette wegen ihrer Naturwahrheit und liebenswürdigen Laune sehr gefeiert ward, ließ er sich 1842 scheiden. Am 8. April 1856 feierte er in der Rolle des Posa sein 25jähriges Jubiläum in Dresden und ward darauf unter Ernennung zum Ehrenmitgliede unter der Verpflichtung eines halbjährlichen Gastspiels in Dresden pensionirt. Erst am 1. Mai 1868 trat er in der Rolle des Tasso ganz von der Bühne zurück. Aber auch außerhalb Dresden setzte er bis dahin seine Gastspiele fort, welche stets und überall von den glänzendsten Erfolgen gekrönt waren. Devrient’s Hauptfach, welches er noch bis in sein vorgerücktes Alter mit dem Feuer erster Jugendlichkeit pflegte und für welches er durch Gestalt, Stimme und innere Anlage von der Natur in einem Maße ausgerüstet war, wie kaum je ein Darsteller, war das des jugendlichen Liebhabers und Helden. Seine ganze Erscheinung war von einem poetischen Hauch umflossen, und wenn seine tiefen, sympathisch klingenden Brusttöne, gepaart mit einem edlen, in der Grazie wie im Affect maßvollen und durch echt künstlerische Zucht geleiteten Spiel, ihm wie aus tiefster innerlichst [99] erregter Seele entquollen, so war, besonders in Rollen, welche seinem ganzen Wesen und seiner Neigung entsprachen, der Eindruck ein hinreißender. Er ist, wie dies sein Bruder Eduard richtig bezeichnet, „das Jugendideal des deutschen Theaters“. Er hat sich, ehe er in Dresden seine Haupttriumphe feierte und als vollendeter Künstler sein Fach beherrschte, in manchen Städten (Braunschweig, Bremen, Leipzig, Magdeburg, Hamburg) und in den verschiedensten Rollen, sogar, durch seine Gattin namentlich dazu angetrieben, in Rollen derbkomischer Natur, auch als Sänger, wie sein Schwager Genast, und zwar als Bariton und Baß versucht. Um ein Virtuos in der eigentlichen Komik zu werden (worunter Rollen wie z. B. Bolingbroke in Scribe’s „Glas Wasser“ nicht zu verstehen sind), dafür fehlte ihm die Sympathie für die realistische Kleinmalerei; aber auch für Rollen, welche die höchste Gluth einer verzehrenden Leidenschaft darzustellen haben, war seine künstlerische Natur, welche nur ungern durch solche vulcanische Ausbrüche die selbstgezogenen Linien poetischer Schönheit und maßvoller Zucht durchbrechen ließ, weniger geeignet. Im Innehalten dieser, wir möchten sagen, griechischen Schönheitslinie war er so gewissenhaft und keusch, daß er eine Menge sogenannter Effectstellen nicht bis zum Erlaubten ausnutzte, wie er denn nichts weniger als „auf den Effect“ spielte. Durch solche Eigenschaften, welche noch in ein besonderes Relief gehoben wurden durch eine makellose Reinheit und Lauterkeit der deutschen, d. h. dialektlosen Aussprache, brachte er es dazu, daß er in Rollen wie Tasso, Egmont, Orest (in Goethe’s Iphig.), Coriolan (von Shakespeare), Posa, Ferdinand (Cabale und Liebe), auch Fiesco, Leicester (in Maria Stuart), ja sogar in Hamlet, trotz John Kemble und Charles Kean, das Höchste erreichte, was einem Schauspieler möglich ist und vollendete Kunsttypen aus ihnen schuf. Auch die Werke des sogenannten „jungen Deutschland“ brachte er durch seine Darstellungen zu Ehren. Häusliche Zerwürfnisse (mit seiner nachher von von ihm geschiedenen Frau) vermochten die Flügel seines Geistes nicht für lange zu lähmen. Von den Eindrücken einer Pariser Reise frisch gekräftigt, betheiligte er sich zweimal an einem Gesammtgastspiel deutscher Schauspieler in London (1852 und 1853), wo er Hof und Publicum zu sonst nicht gewöhnlichen Beifallsbezeugungen begeisterte. Noch größer steht er aber vielleicht als echter Künstler da in seiner Selbstbeschränkung und Resignation, in welcher er seine eigene Person dem Ganzen unterordnete. So in dem durch Dingelstedt veranstalteten Gesammtgastspiel deutscher Schauspieler in München, wo er sich auch mit kleineren Rollen begnügte, um eine dramatische Gesammtwirkung zu ermöglichen. Emil ist für alle seine Kunstgenossen ein leuchtendes Beispiel nicht blos ruhmreichen künstlerischen Wirkens, sondern auch der echtesten, wahrsten Kunstgesinnung.

Vgl. Kneschke, Emil Devrient; Heinrich’s Bühnenalmanach, 1857. S. 67 ff.; Entsch’ Bühnenalmanach, 1869. S. 161 ff. 1873. S. 111 ff.

Karl August D., der älteste Bruder Emils und Eduards, geb. 5. April 1797 zu Berlin, † 3. August 1872, war gleichfalls vom Vater dem Handelsstand bestimmt, trat daher nach Absolvirung der Secunda im Grauen Kloster in das Comptoir eines Berliner Großhändlers und übernahm, nachdem er 1815 den Krieg als Freiwilliger im 8. Husarenregiment mitgemacht hatte, 1817 die Leitung der mercantilischen Geschäfte der chemischen Fabrik seines Oheims in Zwickau. Aber auch ihn zog die Begeisterung für die Kunst, namentlich die Bewunderung Iffland’s und seines Oheims Ludwig zur Bühne. Letzterer verschaffte ihm die Aufnahme an der Braunschweiger Bühne, welche damals unter Klingemann’s Leitung stand. Auch er, wie einst sein Oheim, erwarb sich mit dem Rudenz im Tell, seiner Debütrolle, am 28. Juli 1819 den ersten Beifall. Schon im December 1821 ward er für das Fach der ersten Liebhaber in Dresden [100] engagirt. Wie geistig so war er auch körperlich mit den schönsten Mitteln ausgestattet. Tieck (Krit. Schriften IV.) urtheilte von seiner Begabung für die Tragödie, seinem natürlichen Sprechton, dem vollen reinen Ton des Gemüthes, auf das vortheilhafteste, warf ihm aber Mangel an fleißiger Durchbildung der Rollen vor, mit denen er es auf etwas geniale Weise zu leicht zu nehmen liebe. Im J. 1823 hatte sich D. mit Wilhelmine Schröder (s. d. Artikel Schröder-Devrient) verheirathet, aber die Ehe war keine glückliche und ward 1828 wieder gelöst. Streitigkeiten um den Besitz der Kinder veranlaßten D., Dresden, wo inzwischen 1832 auch sein Bruder Emil engagirt war, am 1. April 1834 zu verlassen. Auf einer achtzehnmonatlichen Kunstreise studirte er darauf namentlich in Paris den Charakter des französischen Conversationslustspieles, dessen Leichtigkeit und Eleganz er sich bis zu hohem Grade anzueignen wußte. 1835 ward er in Karlsruhe und am 1. März 1839 in Hannover für das Fach der ersten gesetzten Helden engagirt. Damals als Hamlet, Posa, Egmont, Tell, Bolingbroke, Faust glänzend, trat er später zu den Väter- und Charakterrollen über, in denen er durch Schärfe der Charakteristik wie durch lebensvolles, frisches Colorit entzückte. Neben Odoardo, Oranien, Shylock gehörte Lear zu seinen glänzendsten Leistungen. Den Grundton seines Spieles bildete hohe Einfachheit, Wahrheit und Wärme; jeden äußerlichen Effect verschmähte er; das Ganze des Stückes stand ihm stets über dem Einzelnen und Persönlichen. Am 28. Juli 1869 war ihm vergönnt, noch in rüstiger Kraft und Frische sein 50jähriges Jubiläum zu feiern.

Vgl. Entsch, Bühnenalmanach 1870. S. 81 ff.

Friedrich Phil. D., der älteste Sohn Karls und der Schröder-Devrient, geb. zu Dresden 31. Jan. 1827, betrat 1845 die Bühne in Detmold, ausgestattet mit reichem Talent und großer Schönheit. 1847 kam er als erster jugendlicher Held nach Bremen und schon 1848 an das Hofburgtheater in Wien. Leider mußte er Schulden halber 1852 von dort flüchten, worauf er in Frankfurt a. M., demnächst 1853 in Hannover und 1860 in Wiesbaden engagirt ward. Ueberall war er bald der Liebling des Publicums. 1865 folgte er einem ehrenvollen Ruf an das Petersburger Hoftheater, erlag aber dort schon am 18. Nov. 1871 einem Leberleiden.

Vgl. Entsch, Bühnenalmanach 1873. S. 144 ff.