ADB:Nikolaus von Kues

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Artikel „Nikolaus von Kues“ von Carl von Prantl in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 4 (1876), S. 655–662, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Nikolaus_von_Kues&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 00:54 Uhr UTC)
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Cusanus: Nicolaus C., geb. 1401 in Kues an der Mosel, † 11. Aug. 1464 in Todi bei Spoleto, war der Sohn eines begüterten Schiffers, welcher den Namen Chrypffs (d. h. Krebs) führte; von dem rauhen Vater übel behandelt, entfloh er und fand Aufnahme als Famulus bei einem Grafen Manderscheid, welcher bald den begabten Knaben in die Schule der „Brüder des gemeinsamen Lebens“ zu Deventer schickte. Sowie die humanistisch-religiöse Richtung dieser damals einflußreichen Bildungsanstalt gewiß bestimmend auf die [656] geistige Entwicklung Cusanus’ einwirkte, so bethätigte derselbe auch seinerseits in späteren Jahren sein dankbares Andenken durch Stiftung eines dortigen Stipendiums für arme Jünglinge aus Kues (Bursa Cusana). Durch fortgesetzte Freigebigkeit des genannten Grafen war ihm auch eine Studienreise nach Italien ermöglicht, wo er in Padua 1424 den juristischen Doctorgrad (als Doctor Decretorum) erwarb. Die Bekanntschaft, welche er ebendort mit dem Cardinal- Legaten Giuliano Cesarini anknüpfte, war für seine spätere glänzende Laufbahn ebenso einflußreich, wie die von dem Mathematiker Paulus empfangene Anregung für seine wissenschaftlichen Bestrebungen. Nach Deutschland zurückgekehrt, versuchte C. sich als Rechtsanwalt zu bethätigen, aber der tiefe Verdruß über einen beim Gerichte zu Mainz verlorenen Proceß bestimmte ihn, diese Laufbahn aufzugeben; er wendete sich zur Theologie (wo er dieselbe studirte, wissen wir nicht) und empfing um das J. 1430 die Priesterweihe. Während er wiederholt als Prediger in Coblenz auftrat, wo er Decan des Collegiatstiftes St. Florin geworden war, hatte im December 1431 das Concil zu Basel begonnen, dessen Vorsitz der genannte Cesarini führte. C. setzte die freudigsten Hoffnungen auf dieses Concil, welches in Anknüpfung an die Constanzer Beschlüsse den Standpunkt vertrat, daß das Concil über dem Papste stehe, und so begann er auf Grund einläßlicher geschichtlicher Studien sein Werk „De concordantia catholica“, an dessen Fortsetzung und Vollendung er noch in Basel arbeitete, wohin er auf Cesarini’s Einladung als Mitglied des Concils im Aug. 1432 gegangen war. Diese gegen Ende 1433 dem Concil gewidmete und vorgelegte Schrift, mit welcher ein gleichzeitiger „Tractatus de auctoritate praesidendi in concilio generali“ zusammenhängt, gehört zu den hervorragendsten Documenten des damaligen kirchlichen Streites. Sowie nämlich C. in Folge gelehrter Forschung als der erste den Pseudo-Isidor für erdichtet und die constantinische Schenkung für untergeschoben erklärte (es gebührt ihm hierin die Priorität vor Laurentius Valla), so trat er in den beiden Schriften als Gegner der curialistischen Uebermacht auf, indem er die allgemeine Kirche dem römischen Patriarchate gegenüberstellte und einem allgemeinen Concil, welches seine Gewalt unmittelbar von Christus besitze, die Befugniß zuerkannte, nöthigen Falles das Wohl der Kirche für sich allein ohne Papst zu besorgen und selbst einen Papst abzusetzen; der letztere sei, wenn auch die Cathedra Petri auf göttlicher Einsetzung beruhe, als einzelner doch nur oeconomus eines Concils und könne auf demselben nur einen Ehren-Vorsitz, nicht aber Jurisdiction über dasselbe beanspruchen. Allerdings bewegte sich C. hierbei zuweilen, besonders bezüglich des Begriffes „Petrus“, in einer unbestimmteren Ausdrucksweise, so daß es ihm später, als er zur Papal-Partei übergelaufen war, ermöglicht blieb, mit nöthiger sophistischer Gewandtheit aus seinem früheren Standpunkte entgegengesetzte Folgerungen zu ziehen (s. hierüber Cl. Fr. Brockhaus, Nic. Cusani de concilii universalis potestate sententia, Lips. 1867. 8). Aber auch die weltliche Herrschaft, d. h. das deutsche Reich, zog er bei der Erörterung der concordantia catholica in Betracht, und wollte hierbei in analoger Weise den Begriff einer übereinstimmenden Harmonie durchführen, insofern er eine Reichsverfassung mit Reichsgerichtshöfen und einen das bürgerliche Element vertretenden Reichsstag als Grundlage betrachtet wissen will und dem Kaiser einen Reichshofrath, welcher dem Cardinals-Collegium entsprechen solle, zur Seite stellt (Näheres siehe bei Theodor Stumpf, Die politischen Ideen des Nic. v. Cues, Köln 1865). Während des Concils suchte er (1433) die Hussiten durch ausführliche Zuschriften zum Festhalten an der Einheit der Kirche zu bewegen und war auch (1435) beim Abschlusse der sog. Compactaten zugegen, mittelst deren sich die Calixtiner mit der römischen Kirche vereinigten. Er stand damals noch in hohem Ansehen beim Concil und wurde von demselben (1436) [657] abgeordnet, um zwischen den baierischen Herzogen Heinrich und Ludwig Frieden zu stiften; auch trug nur der allzu große Andrang von Geschäften die Schuld daran, daß ein im gleichen Jahre von C. eingereichter Reform-Entwurf „De reparatione calendarii“ zurückgelegt werden mußte, in welchem derselbe in der That bereits auf jene nämliche Kalender-Verbesserung drang, die nach einer langen Reihe von Jahren (1577) der gregorianische Kalender zur Verwirklichung brachte.

Als aber im J. 1437 das Basler Concil mit Heftigkeit sich gegen den Papst Eugen IV. erklärte und in stürmischen Sitzungen die Einleitung eines Processes gegen denselben berieth, erschrak C. vor der demokratischen Wendung, mit welcher er seine eigenen Grundsätze vom Concil verfochten sah, und schloß sich der päpstlichen Partei an, welche seinem Ehrgeize manch verlockende Aussicht vorgehalten haben mag. Von nun an zog in seine Seele allmählich der volle Fanatismus des Apostaten ein, und der vielversprechende Mann verlor sich, während er in äußeren Ehren stufenweise emporstieg, zugleich theils in phantastische Grübeleien theils in erfolglose kirchen-politische Reactionsgelüste. Mit der Minorität schied er (7. Mai 1437) aus dem Concil aus und begab sich nach Rom, wo ihn der Papst, welcher eine Vereinigung der griechischen Kirche mit der römischen anstrebte und zu diesem Behufe Ferrara als Concils-Ort bestimmt hatte, alsbald (1438) nach Constantinopel absandte, damit er den Gesandten des Concils zuvorkomme. Von dort brachte C. unter anderen Handschriften ein Exemplar des Joh. Damascenus mit, dessen Ansichten bekanntlich in dem Dogmenstreite über „Filioque“ stets eine hervorragende Rolle spielten. Im J. 1439 finden wir ihn wieder in Deutschland, und zwar theils im Kloster Münster-Mainfeld (an der Eifel), theils in seinem Geburtsorte Kues beschäftigt mit der Abfassung zweier Schriften, nämlich „De docta ignorantia“ und „De coniecturis“, in deren ersterer er neben dem philosophischen Hauptinhalte auch die Frage über die Papalgewalt in dem Sinne besprach, daß ihm dieselbe nunmehr nicht als eine blos numerische sondern als eine absolute Einheit erschien, wornach der Papst eine Stellung über dem Gesetze einnimmt. Von solchem Standpunkte aus trat C. zu gleicher Zeit (1439) auf den Reichstagen zu Mainz und Nürnberg, wo die Reformdecrete des Basler Concils bestätigt wurden, beredt und heftig als Vertheidiger Eugens auf, und nachdem diesem durch die Basler der Gegenpapst Felix V. (Amadeus von Savoyen) gegenübergestellt worden war, hatte C. sich bei der concilfeindlichen Curie längst so viele Verdienste erworben, daß er nun auch in officieller Sendung als päpstlicher Legat bei dem erneuten Reichstage zu Mainz (1441) und am Hofe des Königs Karl VII. von Frankreich, sowie (1442) am Reichstage zu Frankfurt für Eugen zu wirken beauftragt wurde. Dieser hatte den Sieg, welchen er am letzteren Orte errang, wesentlich den Anstrengungen des „Hercules der Eugenianer“ (– so nannte man den C. –) zu verdanken. Die Grundsätze, mittelst deren C. diese Schutzreden für Eugen führte, legte er gleichzeitig (1442) in der „Epistola ad Rodericum de Trevino“ nieder, indem er die Gedanken, welche er bereits in der Schrift „De docta ignor.“ ausgesprochen hatte, schärfer gestaltet; es ist ihm nämlich jetzt alle Kirchengewalt „complicatorie“ in ungetheilter Fülle im Papste gelegen, so daß letzterer ihm als „die Kirche in complicativer Weise“ gilt, – eine Auffassung, welche unzweifelhaft den schroffsten Gegensatz gegen den früheren Concil-Standpunkt des Verfassers enthält. Auch in den nächsten Jahren, als in Folge feindseliger Schritte Eugens gegen die Basler die Kurfürsten an ernstere Maßregeln dachten (1446), behielt C. die Hand im Spiele, und so fanden die Streitigkeiten ihren Abschluß durch das von Aeneas Sylvius formulirte Frankfurter Concordat (1447), in welchem die [658] Deutschen dem Eugen Obedienz erklärten und hierdurch ihre bisherige Neutralität aufgaben. Während dieser bewegten Zeit hatte C. auch die Muße zu mehreren theologisch-philosophischen Schriften gefunden, nemlich: „De quaerendo Deo“, „De dato patris luminum“, „De filiatione Dei“, „De genesi“.

Der Nachfolger des im J. 1447 gestorbenen Eugen IV., Papst Nicolaus V., belohnte Cusanus’ Verdienste um die Curie, indem er denselben (28. Dec. 1448). zum Cardinal ernannte und bald hernach (März 1450) dieser Würde eine wünschenswerthe äußere Dotation durch eigenmächtige Verleihung des Bischofstuhles zu Brixen hinzufügte. Sowie aber letzteres lediglich ein päpstlicher Gewaltstreich war, da der Curie kein Ernennungsrecht zustand und außerdem bereits ein anderer Bischof Brixens auf legalem Wege gewählt war, so begann nun von solch schlimmer Grundlage aus eine kampfreiche und stürmische Lebensperiode des C., in welcher derselbe die bedenklichsten Seiten seines Charakters entfaltete. Die verwickelten Ereignisse, welche weit über den engeren Kreis Brixens, sowie über die Person des C. hinausreichen, haben im Vergleiche mit früheren curialistisch gefärbten Darstellungen (Fr. A. Scharpff, Der Cardinal und Bischof Nic. v. Cusa, 1843, und J. M. Düx, Der deutsche Cardinal Nic. v. Cusa, 2 Bände, 1847) erst in neuerer Zeit auf Grund einläßlichster archivalischer Forschung die richtige Beleuchtung und Würdigung gefunden durch Alb. Jäger, Der Streit des Cardinals Nic. v. Cusa mit dem Herzoge Sigmund von Oesterreich, 2 Bände, 1861, sowie durch G. Voigt, Enea Silvio de’ Piccolomini als Papst Pius der Zweite, Bd. III. (1863), S. 303–421, und durch Cl. Brockhaus, Gregor v. Heimburg (1861), S. 149–220. Auf diese Werke sei hiermit bezüglich des Näheren ausdrücklich verwiesen. – Zunächst hatte C. zugleich mit der Ernennung zum Cardinale den Auftrag erhalten, eine Reform der Klöster und Kirchen Deutschlands ins Werk zu setzen, d. h. es handelte sich hierbei allerdings um eine damals gewiß nothwendige Herstellung sittlicher Zucht, aber zugleich auch um Förderung curialistischer Tendenzen, da durch Verbindung mit den sogen. Observanten überall die Fäden, welche schließlich im Papste zusammenliefen, gesponnen werden sollten, und C. benützte zu solchem Zwecke auch reichlichst das Mittel des Ablasses, so daß er eine Summe von angeblich 200000 Goldgulden aus Deutschland zum Baue der römischen Peterskirche zusammenbrachte. Er durchreiste (1451) von Salzburg beginnend Oesterreich, Baiern, Franken, Thüringen, Sachsen und die Niederlande, wo er jedoch in Lüttich auf Opposition stieß, und kehrte nach Trier und Kues zurück, woselbst er ein Hospital für 33 Arme stiftete. In allen Städten hatte er auf dieser Reise Visitatoren eingesetzt, um den natürlich nur vorübergehenden Erfolgen seiner Mission möglichst eine längere Dauer zu geben, und in gleicher Absicht hielt er hierauf drei Provincial-Concilien in Mainz, Köln und Magdeburg, womit er im Auftrage des Papstes einen Abstecher nach England verband, um zwischen diesem Staate und Frankreich Frieden zu stiften, was ihm jedoch nicht gelang. In die Jahre 1450–52 fallen seine Schriften: „Idiotae philosophiae“, „De geometricis transmutationibus“ und „De complementis mathematicis“, sowie ein erneuter theologischer Briefwechsel mit den Böhmen. Im J. 1452 kam C. in Brixen an, woselbst die dreiste Rechtsverletzung, durch welche er zum Bischof ernannt worden war, trotz Einsprache aufrecht erhalten blieb; es hatten nämlich sowol das Domcapitel, als auch Herzog Sigmund, welche beide zur Partei der Basler gehörten, erfolglos appellirt, und der Kaiser (Sigmunds Feind) den C. unter Verleihung der Regalien als Bischof anerkannt (1451), worauf letzterer am Anfange seiner Rundreise in Salzburg bei einer Verhandlung mit Sigmund diesem die weltliche Stellung als Vogt des Bisthums zugestanden und in den Temporalien gutes Einvernehmen versprochen hatte (1451). Bald aber entbrannte der Conflict. Da [659] nämlich (1452) das Benedictiner-Nonnen-Kloster Sonnenburg den Herzog Sigmund als seinen Vogt betrachtete und dieser in gleicher Ueberzeugung das Vogteirecht ausübte, wendete C. kühn die Angelegenheit in das kirchliche Gebiet hinüber, indem er vom Standpunkte seiner Kloster-Reform aus den Nonnen allen Verkehr mit Richtern, Amtsleuten und Dienern des Herzoges verbot und somit das Kloster von der Landesregierung abschnitt. Hiermit hatte sich die Sache sofort zu einem Kampfe zwischen der landesfürstlichen Gewalt und den auf frühere Jahrhunderte zurückgreifenden hierarchischen Ansprüchen zugespitzt. Nachdem C. sich vom Kaiser eine veraltete Schenkungsurkunde betreffs der im Brixener Lande gelegenen Silber- und Salzwerke hatte erneuern lassen und (1453) von einer Reise nach Rom die Vollmacht, sowol in geistlichen als auch in weltlichen Dingen zu reformiren zurückgebracht hatte, ging er mit einer selbst vom Papste mißbilligten Schroffheit vor und sprach (1455) über Sonnenburg den Bann aus, welchen er in möglichst grausiger Form verkünden ließ; dem Herzoge Sigmund aber entwickelte er schriftlich seine hochfliegenden Gedanken, wornach derselbe nur Vasall des Bischofs sei. In dem Gefühle, sich sowol beim Klerus des Domcapitels als auch beim Adel und nicht minder beim Volke, bei letzterem durch Verbot der Kirchweih-Jahrmärkte u. dgl., verhaßt gemacht zu haben, dachte C. öfters daran, auf seinen Bischofstuhl zu Gunsten des baierischen Prinzen Albert zu resigniren, fand aber hierin nur Widerstand; ja er redete sich in den Argwohn hinein, daß ihm Herzog Sigmund nach dem Leben stelle, und berichtete hierüber sogar an den Papst. Letzterer hielt diese Meldung ohne nähere Untersuchung wirklich für Wahrheit und verhängte schließlich (October 1457) das Interdict über Sigmund, worauf dieser in Verbindung mit dem Capitel an den besser zu unterrichtenden Papst appellirte. Zur gleichen Zeit führte der Conflict auch zu schmählichem Blutvergießen; da nämlich C. den Zinsbauern Sonnenburgs jede Leistung an das Kloster verboten hatte, letzteres aber seine rechtlichen Forderungen durch Söldner beitrieb, wurden diese (42 an Zahl), obwol sie nach Wegwerfung der Waffen um Gnade flehten, von den Leuten Cusanus’ niedergemetzelt, worüber derselbe seine unverhohlenste Freude kund gab. – Nachdem Aeneas Sylvius als Pius II. den päpstlichen Stuhl bestiegen hatte, begab sich C. alsbald (Septbr. 1458) nach Rom, wo er die Würde eines Statthalters übernahm, während der Papst in Mantua weilte, um für den von ihm geplanten Kreuzzug thätig zu sein. Während dieses Aufenthaltes verkehrte C. mehrfach mit Peurbach und nahm auch seine schriftstellerische Thätigkeit wieder auf, welche in den letzten Jahren mit Ausnahme zweier kleinerer Arbeiten („De visione Dei“ und „Apologia doctae ignorantiae“) geruht hatte; in Rom nämlich schrieb C. damals „De cribratione Alcoran“ und „De pace sive concordantia fidei“, sowie für den Papst, von welchem er eine Verwirklichung seiner Gedanken erwartete, eine „Reformatio generalis“, d. h. den Entwurf eines förmlichen Systems von Visitatoren, welche ihre Thätigkeit über die ganze Kirche, selbst einschließlich des Cardinal-Collegiums, erstrecken sollen. Pius II., durch dessen Vermittlung der erwähnte Sonnenburger Handel geschlichtet wurde, wünschte überhaupt eine Versöhnung zwischen Herzog Sigmund und C. herbeizuführen und veranlaßte somit beide, sich in Mantua einzufinden (November 1459); die Verhandlungen aber, bei welchen Gregor v. Heimburg die Sache Sigmunds führte, scheiterten an des Cusanus schroffer Halsstarrigkeit, und während Sigmund erzürnt abreiste, erließ der von C. aufgestachelte Papst die Bulle Execrabilis, durch welche verboten wurde, an einen künftigen Papst oder ein einzuberufendes Concil zu appelliren. Auch C. kehrte (Februar 1460) nach Tirol zurück, wo er zunächst in seinem Schlosse Andraz, dann aber in Brunneck sich aufhaltend, daß alte Spiel fortsetzte, indem er neben gleichzeitiger Erneuerung des Interdictes nun dem Kaiser [660] die brixen’schen Lehen anbot und auch wenigstens den Verdacht erregte, mit demselben in geheimem Bunde betreffs Sendung bewaffneter Hülfe zu stehen. So kam es, daß Sigmund halb aus Nothwehr, halb aus Entrüstung den C. zu Ostern 1460 in Brunneck gefangen setzte. Nach acht Tagen, welche übrigens ohne alles Blutvergießen verliefen, machte C. die Zugeständnisse, daß er die kirchlichen Censuren zurücknahm, eine gründliche Erledigung beim Papste zu erwirken versprach, auf alle bisher erhobenen territorialen Ansprüche verzichtete und die Temporalien des Bisthums vorläufig an das Capitel übertrug. Hierauf aus der Haft entlassen (25. April), reiste er baldigst (27. April) in das Venetianische ab, um nach Rom zu gehen, verhängte aber sogleich von der Reise aus das Interdict über Brunneck, und war dann in Rom keineswegs bemüht, die versprochene Beilegung des Streites zu betreiben, sondern stellte im Gegentheile dem Papste vor, daß ihm alle Zugeständnisse nur durch Gewalt abgenöthigt worden seien und Sigmund auf alle gewonnenen Vortheile wieder verzichten müsse. Der Papst betrachtete nun wirklich das, was C. erfahren hatte, als ein Verbrechen gegen die päpstliche Autorität und citirte den Sigmund zur Verantwortung nach Rom. Natürlich appellirte dieser an den besser zu unterrichtenden Papst und fand bei diesem Schritte massenhaften Anschluß seitens des Capitels und des Klerus; den Procurator aber (Blumenau), durch welchen Sigmund die Appellation nach Rom schickte, ließ C. in Siena wegen „Ketzerei“ verhaften, und jener entzog sich nur durch die Flucht einem schrecklicheren Schicksale. Nachdem Pius II. über Sigmund und dessen Vertheidiger Gregor v. Heimburg den Bann ausgesprochen und das Interdict verschärft erneuert hatte (8. August 1460), war C. unablässig bemüht, durch zahlreiche dringliche Zuschriften die Fürsten, die Bischöfe und die Reichsstädte zum Einschreiten gegen den gebannten Herzog Sigmund aufzufordern; aber Niemand zeigte auch nur die geringste Lust, im Interesse der leidenschaftlich erregten Curie zu Thaten zu schreiten, ja die Städte Augsburg und Nürnberg, sowie der Bischof von Augsburg schlossen sich geradezu an das Brixener Capitel an. Und da in Folge hiervon der Papst an einen versöhnlichen Rückzug dachte (April 1461), war es wieder C., welcher einerseits an bewaffnete Hülfe der Schweizer dachte und andrerseits den Papst heftigst drängte, so daß dieser seine sämmtlichen Gegner wegen „Ketzerei“ zur Verantwortung nach Rom citirte. Während hieraus ein leidenschaftlicher Schriftenwechsel, bei welchem besonders Gregor v. Heimburg in den Vordergrund trat, entstanden war und C. einen förmlichen Drohbrief an den Kaiser richtete (October 1461), machte sich bei letzterem eine Wendung bemerkbar, insofern derselbe, des Conflictes überdrüssig, den Papst ersuchte, die Praktiken des Cusaners zu überwachen. Hierüber erschrak C., verlegte sich aufs Leugnen und dachte an eine Vermittlung durch Venedig, während er zugleich die völlige Unterwerfung Sigmunds anstrebte und hinterrücks sich wieder an die Schweizer wendete. Nachdem der Papst jene eigenthümliche Citation erneuert und hierauf Sigmund und das Domcapitel durch Appellation an ein Concil geantwortet hatten (Februar 1462), nahm wirklich Venedig die Vermittlung in die Hand; auf dem dort anberaumten Tage erschien C. nicht persönlich, vertrat aber, während der Papst sich nachgiebiger zeigte, unter geheuchelter Friedensliebe die weitgehendsten und unannehmbarsten Forderungen, so daß die Verhandlungen sich gänzlich zerschlugen (October 1462) und der Kampf wieder heftiger als je entbrannte. Unterdessen aber hatte sich daß Verhältniß des Kaisers zu Sigmund wesentlich gebessert, und ersterer bot sich beim Papste zur endlichen Vermittlung des Streites an (Februar 1464). So trat in Wiener-Neustadt eine Conferenz zusammen (11. März), welche schließlich nach mancherlei Zwischenfällen am 25. August 1464 zu der Lösung führte, daß unter Aufhebung des Bannes und [661] Interdictes bezüglich der ursprünglichen Streitpunkte im ganzen auf den Salzburger Vergleich von 1451 zurückgegriffen wurde. C. aber, welcher seit 1460 von seinem Bisthum fern geblieben war, erlebte diesen Ausgang des von ihm mit aller Leidenschaft geführten Kampfes nicht mehr; der Papst hatte ihn nach Livorno abgesandt, damit er den Auslauf der zum Kreuzzuge bestimmten genuesischen Flotte beschleunige, und auf dieser Reise erkrankt, war C. gestorben. Sein Leichnam wurde nach Rom gebracht, sein Herz aber in seinen Geburtsort Kues. – In den letzten Jahren seines Lebens hatte C. in Rom während der stürmisch bewegten Verhältnisse noch einige Schriften verfaßt, nämlich: „De apice theoriae“, „De venatione sapientiae“, „De possest“, „De ludo globi“.

Was die philosophischen Anschauungen betrifft, welche C. in seinen mannigfaltigen Schriften niederlegte, so gehört er zu einer Gruppe gleichzeitiger Männer, welche – wahrlich nicht die unbedeutenderen ihrer Zeit – sich von dem Wuste der scholastischen Doctrin unbefriedigt fühlten und aus der Quelle einer unmittelbaren Mystik Erfrischung zu schöpfen suchten. Ihn einen Reformator zu nennen, ist in der That eine Uebertreibung, denn um eine solche Bezeichnung zu verdienen, gebricht es ihm, selbst abgesehen von der nöthigen einheitlichen Präcision, jedenfalls an Erfolgen; ja zuweilen macht er eher den Eindruck eines Projectenmachers, wenn er z. B. in wirklich oberflächlicher Weise sich mit der Quadratur des Cirkels beschäftigt, oder insbesondere, wenn er der unklaren Phantasie nachhängt, daß alle noch so verschiedenen Religionen in eine verschwommene und doch wieder christliche Allgemeinheit vereinigt werden könnten, sowie er auch im Koran neben lebhafter Verurtheilung desselben eine Lichtseite als Reflex der Evangelien finden zu dürfen glaubte. Wirklich reformatorisch sind einzig und allein seine Gedanken über Kalender-Verbesserung; hingegen wenn man darauf hinweisen wollte, daß er geraume Zeit vor Copernicus bereits die Bewegung der Erde gelehrt habe, so ist vor allem ersichtlich, daß er sich hierbei nicht auf astronomisch wissenschaftliche Forschung stützte, in solchen Dingen aber eine Berufung auf sogen. Ahnungen u. dgl. völlig nichtssagend ist. C. gibt nur den lediglich speculativen Grund an, daß, da alles bewegt sei, die Erde nicht daß einzige Unbewegte sein könne, und wenn er dann sich näher dahin ausdrückt, daß die Erde sich um die Pole des Himmels bewege, so muß es als fraglich erscheinen, ob man sich hierbei überhaupt etwas denken könne. Als ein Grundton seiner philosophischen Betrachtungen erscheint häufig der unleugbar tiefe Gedanke einer Vereinigung des Gegensätzlichen (coincidentia contradictoriorum), welcher der Scholastik fremd geblieben war; aber C. benützt diese Auffassung nur als Mittel zur mystischen Theologie, und so entschlüpft er, wie alle Mystiker, den Forderungen systematischer Folgerichtigkeit. Ihn etwa als Pantheisten zu bezeichnen, ist eitel Unverstand, da er ja, wenn auch in phantasievoller Weise, die Grundsäulen der christlichen Theologie aufrecht hält. Er ist Mystiker nach Methode und nach Inhalt. Indem er „das Unbegreifliche in unbegreiflicher Weise begreifen“ will, verbleibt ihm als letzte erkenntniß-theoretische Quelle die Erleuchtung, zu welcher der Mensch von den niederen Sinnen durch den Verstand sich erhebend aufsteigt. Die Versöhnung der Gegensätze erreicht ihren Höhenpunkt im Gottesbegriffe, in welchen er den letzten Indifferenzpunkt und zugleich die Erhabenheit über allem Gegensätzlichen verlegt. Es möge zur Charakteristik der philosophischen Weise des C. dienen, daß er Gott als das „Possest“ bezeichnet, d. h. dieses ungeheuerliche neue Wort bildet, um auszudrücken, daß in Gott das Können und das Sein (posse und est) identisch sind. Kaum glücklicher ist der Gedanke, daß von Gott als dem schlechthin unendlichen die Welt als das beschränkt unendliche (contracte infinitum) zu unterscheiden sei, oder das, was mundialiter in der Welt ist, in Gott immundialiter bestehe, und wir dürfen uns nicht [662] wundern, wenn in eine solche abenteuerliche Denkweise bald die platonische Weltseele, bald eine förmliche Emanationslehre hineinspielt. Kurz C. ist ein nirgend faßbarer Mystiker, und auch die orthodoxe Dogmatik dürfte über desselben Christologie und Auffassung der Trinität zu bedenklichem Kopfschütteln gelangen. Symbolische Spielereien, welche in übergroßer Menge bald aus der Zahlenlehre, bald aus der Geometrie geschöpft sind und seinen speculativen Aufschwung häufig ersticken, wird man sicher nicht als Ersatz einer philosophischen Behandlungsweise, sondern nur als Belege einer phantastischen Mystik betrachten dürfen. Beifall fand die Speculation des C. bei Faber v. Stapula, bei Bovillus und auch bei Reuchlin, einen entschiedenen Einfluß aber übte sie auf Giordano Bruno aus, welcher sie jedoch mehr zu einem wirklichen Pantheismus verwerthete. – Reichhaltige Auszüge aus den Schriften Cusanus’ finden sich bei Düx a. a. O. Bd. II, S. 243 ff. und insbesondere (aber mit großer Ueberschätzung) bei Fr. A. Scharpff, Der Cardinal und Bischof Nic. v. Cusa als Reformator in Kirche, Reich und Philosophie, Tüb. 1871. Näheres über die Philosophie des C. siehe bei H. Ritter, Gesch. d. Phil., Bd. IX, S. 141 ff. und bei Erdmann, Grundriß d. Gesch. d. Phil., 2. Aufl., Bd. I, S. 442 ff., sowie bei F. J. Clemens, Giordano Bruno u. Nic. v. Cusa, Bonn 1847. Eine viel zu weit gehende Parallele zog R. Zimmermann, Der Cardinal Nic. v. Cusa als Vorläufer Leibnitzens (Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. 1852).