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Artikel „Peurbach, Johann“ von Siegmund Günther in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 25 (1887), S. 559–561, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Peurbach,_Georg_von&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 08:51 Uhr UTC)
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Peurbach: Johann P., Astronom, geboren am 30. Mai 1423 in dem oberösterreichischen Dorfe Peuerbach, † am 8. April 1461 in Wien. Den Familiennamen des Mannes, der auch wol als Purbach oder Burbach in der laxen Rechtschreibung jener Zeit uns entgegentritt, kennen wir nicht; ebenso sind wir über den Verlauf seiner Jugendjahre nur sehr mangelhaft unterrichtet. Die bei den geachtetsten Schriftstellern zu findende Angabe, es habe P. bei Johann v. Gmünd in Wien gehört, scheint nach neueren Untersuchungen sich nicht halten zu lassen. P. selbst erwarb sich in Wien 1440 (?) den philosophischen Magistergrad und damit das Recht, Vorlesungen in der Artistenfacultät zu halten, doch machte er von demselben zunächst noch keinen Gebrauch, sondern trat erst eine gelehrte Reise nach Italien an. Hier schloß er Freundschaftsbündnisse mit zwei hervorragenden Mathematikern, mit Bianchini in Ferrara und mit dem deutschen Cardinal Nicolaus Cusanus, der seit längerer Zeit in Rom lebte. Bianchini nöthigte ihn sogar dazu, an der kleinen, aber durch energisches Streben ausgezeichneten Universität Ferrara Gastrollen zu geben und einige Vorträge über Astronomie zu halten. Nach Wien 1450 zurückgekehrt, begann P. in üblicher Weise Vorlesungen und Uebungen als Magister, d. h. strenge genommen als Privatdocent, abzuhalten; Professor ist er nie gewesen und konnte es auch nicht werden, da erst Kaiser Maximilian I. ordentliche Lehrkanzeln für Mathematik und Astronomie an der Wiener Hochschule begründete. Uebrigens war auch Peurbach’s akademische Lehrthätigkeit mehr eine philosophische, er erklärte mit Vorliebe die Schriftsteller des Alterthums, und lediglich das Collegium über [560] das „Horarium“ oder „Kalendarium“ gehörte ins Gebiet der exacten Wissenschaften. Nur durch Privatunterricht wirkte er auch nach der letzten Seite hin auf einige seiner Schüler ein, so (laut Matrikelbuch) auf Johann Reibel aus Kupferberg und noch weit mehr auf Johann Müller aus Königsberg i. Fr., nachmals Regiomontanus genannt. In dem diesem Manne gewidmeten Artikel ist bereits auf die zwischen ihm und P. obwaltenden innigen Beziehungen Rücksicht genommen, und ebendort ward erzählt, daß P. in demselben Augenblicke von einem plötzlichen Tode ereilt wurde, als er sich zu einer in Gemeinschaft mit Regiomontan und Bessarion zu unternehmenden zweiten Welschlandfahrt vorbereitete. Müller hat sich, wie wir wissen, der ihm als Erbschaft zugefallenen Pflichten aufs redlichste entledigt und wohl noch mehr gethan, als sein Lehrer selbst zu vollbringen im Stande gewesen wäre.

So kurz Peurbach’s Leben auch war, so hat er doch reichlich mathematische und astronomische Werke verfaßt, die ihrem Autor ein volles Anrecht darauf verleihen, unter den Wiedererweckern der Wissenschaften im Renaissancezeitalter mit an erster Stelle genannt zu werden. Zunächst wäre zu nennen die nur zehn Folioblätter umfassende Schrift „Quadratum geometricum“, welche erst lange nach Peurbach’s Tode, im J. 1516, durch den kaiserlichen Hofmathematicus Stab zu Nürnberg herausgegeben wurde. Hier löst P. dem Sinne nach völlig richtig die Aufgabe die lineare Entfernung zweier Punkte aus Einem Stande zu messen, eine Aufgabe, an deren vervollkommneter und vereinfachter Lösung bis zum heutigen Tage, zumal seitens der Militärwissenschaften, gearbeitet wird. Die dazu nöthige Rechnung lehrt P. allerdings mit einigen Umständen auszuführen, denn da eine möglichst einfache Behandlung der Sache den Gebrauch der trigonometrischen Tangenten erfordern würde, P. aber nur über Sinus verfügt, so muß in jedem einzelnen Falle eine Hilfsrechnung vorgenommen werden, die dann eben Regiomontan durch Construction seiner „Tabula foecunda“ beseitigte. Peurbach’s Sinustafel stellt sich uns als eine eigenthümliche Verbindung der damals mit einander um den Vorrang kämpfenden Bruchtheilungssysteme, des decimalen und des sexagesimalen, dar; es ist dort als „Radius totus“ auf dem Wege des Compromisses die Zahl 600000 angenommen, und erst Regiomontan verhalf der reinen Decimaltheilung zum Durchbruche. Einen guten Einblick in Peurbach’s Trigonometrie gewährt das ebenfalls posthume Werk „Tractatus Georgii Purbachii super propositiones Ptolemaei de sinubus et chordis, item compositio tabularum sinuum per Joannem de Regiomonte“ (Nürnberg 1541). Zunächst zeigt sich hier P. ziemlich vertraut mit den Näherungswerthen, welche von verschiedenen Fachmännern für das Verhältniß des Kreisumfanges zum Durchmesser vorgeschlagen waren. Weiterhin ist bemerkenswerth, wie er die Berechnung des Sinus auf denjenigen einer „Kardaga“, d. h. eines Bogens von 15 Graden, zurückzuführen sucht. Die Formeln der modernen Goniometrie, soweit sie blos die Functionen Sinus und Cosinus betreffen, sind ihm durchaus geläufig. – Eine kleine Schrift „Elementa arithmetices“ ward 1536 zu Wittenberg aus Peurbach’s Nachlasse herausgegeben.

Wenn wir uns zu Peurbach’s astronomischen Schriften wenden, so ist zunächst der „Tabulae eclipsium super meridiano Viennensi“ zu gedenken, welche derzeit zu den allerseltensten Incunabeln gehören. Die von P. und seinem großen Schüler gemeinsam bearbeitete „Epitome in Almagestum Ptolemaei“ ward erst 1496 in Venedig gedruckt. Einen geradezu durchschlagenden Erfolg aber errang P. als didaktischer Schriftsteller durch seine „Theoricae novae planetarum, id est septem errantium siderum, nec non octavi orbis seu firmamenti“; das Büchlein, in welchem nicht ohne Glück die Herstellung einer Concordanz zwischen den homocentrischen Sphären der älteren Griechen (Eudoxus, Aristoteles) [561] und den Epicykeln des Ptolemaeus angestrebt wird, erlebte fast unzählige Auflagen und ward noch lange Jahre nach dem Erscheinen des mit all diesen Hypothesen endgiltig aufräumenden Hauptwerks von Copernicus als Grundbuch des akademischen Unterrichts in höherer Astronomie betrachtet. Hundert Jahre nach ihrer Entstehung durfte noch der Wittenberger Reinhold von dieser Paraphrase sagen: „Incredibile dictu est, quam clariores reddidit sententias dividens eas geometrarum more, ut et apertius intelligerentur et facilius commendarentur memoriae et tenacius haberentur.“ – In der Verfertigung von Horologien, Sonnenuhren, Astrolabien und mancherlei Hilfsmitteln zur Veranschaulichung der himmlischen Bewegungen soll nach zeitgenössischen und späteren Berichten sich P. ebenfalls sehr ausgezeichnet haben.

Gassendi, Georgii Peurbachii et Joannis Regiomontani Astronomorum celebrium vita, Haag 1655. – Weidler, Historia astronomiae sive de ortu et progressu astronomiae, S. 301 ff. – Aschbach, Geschichte der Wiener Universität im ersten Jahrhundert ihres Bestehens, S. 479 ff. – Wolf, Geschichte der Astronomie, S. 86 ff., 108, 121, 126, 129, 211 ff., 365. – Kästner, Geschichte der Mathematik, 1. Bd. S. 529 ff.; 2. Bd. S. 319 ff., S. 526 ff.