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Artikel „Borchardt, Karl Wilhelm“ von Moritz Cantor in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 112, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Borchardt,_Karl_Wilhelm&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 01:42 Uhr UTC)
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Borchardt: Karl Wilhelm B., Mathematiker, geboren am 22. Februar 1817 in Berlin, † am 27. Juni 1880 in Rüdersdorf bei Berlin. Er gehörte einer wohlhabenden Familie an, welche der Erziehung des begabten Sohnes jeden Vorschub zu leisten willens und im Stande war. So hatte B. das Glück schon vor dem Besuche der Universität durch Männer wie L. I. Magnus, wie Plücker, wie Steiner unterrichtet zu werden und dann sieben Jahre dem Universitätsstudium in Berlin unter Dirichlet, in Königsberg unter Bessel, Franz Neumann, C. G. J. Jacobi widmen zu können. Am engsten schloß sich B. an Jacobi an, als dessen eigentlichen Schüler man ihn zu bezeichnen hat. Nachdem er am 7. Juli 1843 in Königsberg auf Grund einer Abhandlung über gewisse Systeme nichtlinearer Differentialgleichungen promovirt hatte, durfte er den Herbst und Winter mit seinem Lehrer in Florenz und Rom zubringen, durfte ähnlich wie der um drei Jahre ältere Ludwig Schläfli an jenem Kreise hervorragender Mathematiker theilnehmen, der sich in Rom um die drei nordischen Mathematiker Jacobi, Dirichlet, Steiner gebildet hatte. Dort keimten vermuthlich die Gedanken, mit deren von Berlin aus gelieferten Ausarbeitung B. seine Veröffentlichungen begann. Gleich die erste betrifft den Beweis für den Satz, daß eine gewisse cubische Gleichung 3 reelle Wurzeln besitze, und eine Ausdehnung desselben auf Gleichungen höheren Grades. B. hat die Arbeit zwei Mal in den Druck gegeben: im 30. Bande von Crelle’s Journal (Berlin 1846) und gewissermaßen als neue und vervollständigte Auflage im 12. Bande von Liouville’s Journal de Mathématiques (Paris 1847). Er war damals ein halbes Jahr in Paris, wo er eben mit Liouville, aber auch mit Michel Chasles und mit dem 1822 geborenen, damals am Anfange seiner Berühmtheit stehenden Hermite viel verkehrte. So wurde B. 31 Jahre alt, bevor er sich 1848 an der Berliner Universität als Privatdocent niederließ. Zum Professor wurde er nie ernannt, weshalb ist ganz unerfindlich, dagegen erwählte ihn die Berliner Akademie der Wissenschaften 1855 zum ordentlichen Mitgliede. Später mußte B. bei zunehmender Kränklichkeit seit 1861 seine Lehrthätigkeit ganz aufgeben oder konnte sie doch nur sehr ausnahmsweise ausüben. Die wissenschaftliche Thätigkeit Borchardt’s gipfelte daher einestheils in der Leitung des Crelle-Journals, nachdem dessen Gründer 1855 gestorben war, anderntheils in der Fertigung von Abhandlungen über Algebra, über Analysis, über theoretische Physik, welche sich durch Eleganz der Darstellung nicht minder als durch Tiefe der Gedanken dem Leser empfahlen und empfehlen. Vielleicht darf man die Untersuchungen über das arithmetisch-geometrische Mittel, auf welche B. wiederholt zurückkam. und die Arbeiten von 1873 zur Elektricitätslehre besonders hervorheben. Letztere betreffen ein Gebiet, welches B. durch Vorlesungen, die er darüber hielt (z. B. im Winter 1851 auf 1852) genau bekannt war. B. war auch von der Berliner Akademie mit der Herausgabe von C. G. J. Jacobi’s Werken beauftragt und konnte den 1. Band derselben gerade noch druckfertig stellen, bevor er starb.

Vgl. K. W. Borchardt’s Gesammelte Werke auf Veranlassung d. Kgl. Preuß. Akademie d. Wissenschaften hsg. von G. Hettner. Berlin 1888.