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Artikel „Beust, Friedrich (von)“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 754–758, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Beust,_Friedrich_von&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 15:27 Uhr UTC)
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Beust *): Friedrich (von) B., „Achtundvierziger“ und Reform-Pädagog, wurde am 9. August 1817 zu Amorbach im östlichen Odenwald, unweit der unterfränkischen Mainstadt Miltenberg, geboren und starb am 6. December 1899 hochbejahrt in Zürich, als einer der letzten der deutschen Revolutionäre von 1848, die in der Schweiz Asyl und zweite Heimath fanden, aber der wackersten und gediegensten einer aus jener vielartigen Schar. Er war der Sohn des activen preußischen Hauptmanns Karl Alex. v. B., der einem Seitenzweige des in seinen freiherrlichen und gräflichen Linien (besonders Sachsen [755] bez. Oesterreich) hohe Beamte liefernden Gesammthauses Beust entstammte, und einer Freiin v. Tubeuf. Bald nach Beust’s Geburt wurde der Vater mit dem 30. Infanterieregiment von Coblenz nach Trier, dann nach Luxemburg – versetzt; doch befand sich die Familie 1823 wieder in ihrem Amorbacher Freundeskreise, dem vormals die junge Fürstin von Leiningen, als nachherige Herzogin von Kent Mutter der englischen Königin Victoria, Mittelpunkt gewesen. Im reichhaltigen fürstlichen Marstall erlernte der Knabe früh Kenntniß des Pferdes, im Reiten und Fahren; er besuchte die seitdem eingegangene Lateinschule zu Amorbach, lieber aber, scheint’s, die weiten Forste des Odenwaldes, wo er die Natur im großen wie im kleinen zu beobachten und ihre Geschöpfe zu sammeln begann. Ein Ingenieur unterrichtete ihn in den Anfangsgründen des Plan- und Kartenzeichnens. 1834 wurde der Vater Major in Wesel, und der 17jährige B. Avantageur im 17. preuß. Regiment. Neben strammem Dienste zeichnete B., unter Leitung eines Hauptmanns, an freien Tagen fleißig Karten, bestand das Fähnrichsexamen und kam auf die Divisionsschule zu Düsseldorf, wo ihm besonders für Geographie, von Schülern Karl Ritter’s, Anregung zu Theil ward. Wie Vorschrift, legte B. in Berlin das Officiersexamen ab; durchaus Monarchist und vom Glauben an die erziehliche Kraft strenger Militärzucht durchdrungen, begann er die Laufbahn. Zu fortgesetztem Kartenzeichnen, wobei ihn zwei liebenswürdige Briefe Alex. v. Humboldt’s aufmunterten, gesellten sich dem jungen Lieutenant naturwissenschaftliche, besonders anatomische Arbeiten: einzelne Präparate dienen noch heute dem Unterrichte seiner nachherigen Lehranstalt. 1845 wurde B. nach der Festung Minden commandirt. Mancherlei Mißstände der dortigen inneren Dienstverhältnisse veranlaßten den in seinem Rechtsgefühle Betroffenen zu rücksichtslosem Frontmachen. Lange unerquickliche Untersuchungen erregten Aufsehen, bestätigten seine Wahrnehmungen und verschafften ihm viele Sympathiebeweise, aber auch die Ueberzeugung, daß er nicht in die Disciplin des königlich preußischen Militärs passe – so nahm er Anfangs 1848 den Abschied. Erbitterung und Erfahrung verwandelten nicht weniger als die Ereignisse den idealistischen Rechtschwärmer gleich vielen Andern (man denke für damals an F. W. Held und Otto v. Corvin) vom Officier zum radicalen Politiker. Er, der schon in Minden wiederholt Besserstellung der Arbeiter an den Festungswerken erreicht hatte, warf sich jetzt in den socialen Streit. An Stelle eines früheren Artillerie-Kameraden, Fried. Annecke, der wegen eines Versammlungsberichts im Kölner Gürzenich über den Frankfurter Demokratencongreß verhaftet worden, übernahm B. die Redaction der republicanischen „Neuen Kölnischen Zeitung“, gänzlich uneigennützig und überaus mühselig besorgte er sie, oft zugleich Redactor, Setzer, Corrector, Reporter. Aber trotz seiner und der Gattin des Eingesperrten, der Publicistin Mathilde Franziska Annecke geb. Giesler (1817 bis 1884), Bemühungen wurde das republikanische Organ unterdrückt. Mit Ferd. Freiligrath, Frau Annecke’s Helfer am „Westfälischen Jahrbuch“, wurde er näher bekannt, und dieser gab ihm bei der dann nöthig werdenden Flucht Empfehlungsschreiben an Gesinnungsgenossen in Paris mit. Auch dem Vater der Socialdemokratie, Karl Marx, an dessen „Neuer Rheinischer Zeitung“ Freiligrath betheiligt war, trat B. näher. Die demokratisch sich organisirende Kölner Landwehr (richtiger Bürgerwehr) wählte B. zum Commandanten, und als er als solcher mit ihr den Ausmarsch der Kölner Garnison, die die Düsseldorfer Bürgerwehr auflösen sollte, verhinderte, traf Köln der Belagerungszustand, ihn Anklage wegen Hochverraths. Dieser entzog er sich im November 1848 durch schnelle Abreise über Brüssel nach Paris. Hier blieb er publicistisch [756] thätig bis Ende April 1849, im Verkehr mit Herwegh, Alex. Herzen und dessen Hauslehrer Friedr. Kapp, Moses Heß, Arnold Reinach, Turgenjew, Hauk, Garibaldi’s späterem Generalstabschef, besuchte mit Dronke bekannte Pariser Nationalökonomen, Proudhon, Cabet, V. Considérant u. A. Mit Freund Wilhelmij begab er sich dann unter Abenteuern über Genf, wo sie James Fazy auf dem Gipfel seiner Macht freundlich empfing, und Solothurn nach Basel, wo er mit dem Buchhändler J. Schabelitz, dem nachherigen Gründer des ultra-demokratischen Züricher „Verlags-Magazin“, eine Lebensverbindung und -freundschaft schloß. Darauf ging die Fahrt durch das aufständische Baden über Karlsruhe und Mannheim nach Neustadt a. H., wo B. mit Annecke u. A. in die Militärcommission gewählt wurde, der Organisation und Obercommando des badisch-pfälzischen Revolutionsheeres übertragen ward. Daß, von allem anderen abgesehen, das „Viel Köpfe, viel Sinne“ diese unklare Schilderhebung scheitern lassen mußte, erkannte B. gar bald, und so zog er denn, nachdem er noch in den, hauptsächlich durch Ungeschick verlorenen Gefechten gegen die preußische Invasion bei Ubstadt und Waghäusel (15. Juni 1849) mit geführt hatte, mit einem geschlagenen Truppenabsprengsel über die alte Grenzbrücke von Rheinfelden in die Schweiz ein.

In Zürich schlug er nun auf die Dauer seinen Wohnsitz auf, sofort bei dem originellen Lehrer Meier in Enge der praktischen Pädagogik gewonnen und binnen kurzem, während er an der Universität bei Löwig Chemie, bei Heer Botanik hörte, an Professor Karl Fröbel’s (des großen Friedrich Neffe und Schüler, des Publicisten Julius; Bruder) 1845 gegründeter „Erziehungsanstalt im Seefeld“ angestellt. Beust’s Anschauungen – er nannte und schrieb sich fürder stets bürgerlich, ohne officiell das Adelsprädicat abzulegen – schlossen eine Rückkehr nach Deutschland, zumal unter den Zuständen seit 1850, völlig aus; daher übernahm er Herbst 1851 mit dem Collegen A. Kirchner die Leitung jener Anstalt, am 10. Juli 1854, dem Tage der Hochzeit mit der, seit sieben Jahren ihm verlobten Xantener Officierstochter Anna Lipka, die alleinige, wogegen sich das Kirchner-Kletke’sche Parallelunternehmen nur noch drei Jahre hielt. Seitdem ist B. dermaßen mit der „Erziehungsanstalt von F. Beust“ verwachsen, daß die Geschichte seines Lebens mit deren Geschichte sich deckt. Er hat ihr seine ganze physische und geistige Kraft, all sein Denken und Fühlen dargebracht, Jahre lang materiell für seine Ideen zugesetzt, allmählich aber seine Schule von 25 Schülern quantitativ wie qualitativ auf eine höchst beachtliche Höhe emporgehoben, daß er verdienstgemäß die vollste, wärmste Anerkennung der Generationen von Zöglingen, der Eltern, Fachleute, Jugend- und Humanitätsfreunde geerntet und der Schweiz, der er als überzeugter Staatsangehöriger anhing, das gewährte Gast- und Bürgerrecht reichlich vergolten hat. Das bis 1876 im Zeltweg, seitdem im eigenen Gebäude in der Merkurstraße befindliche Institut errang allseitiges hohes Ansehen und wird stark besonders von Kindern in Zürich wohnender und gut situirter Deutscher besucht. Seit 1894 steht an der Spitze des Begründers Sohn, Dr. Fritz v. Beust, schon von 1875 an seiner Seite, und wirkt ganz im Geiste des Vaters, dessen Reformen durchführend und vervollkommnend.

Sogleich beim Eintritt in den Lehrkörper der später übernommenen Anstalt richtete B. sein Augenmerk darauf, die Ideen Pestalozzi’s und Fröbel’s aus der Kleinkinderbeschäftigung in die Schule zu verpflanzen: das Kind solle Grundbegriffe wie Größe, Ausdehnung, Form, Maaß, Zahl spielend, aus unmittelbarer naiver Anschauung, nicht durch Abstractionen erwerben. Diese Theorie lieh Beust’s Methode und Lehre ein für alle Male das Gepräge, wenn sie auch nur durch sein Erfinder- und pädagogisches Geschick von Fall zu Fall [757] im Ersatze des schablonenhaften Formalismus angewendet werden konnte. Die Fröbel’schen „Geduldspiele“ u. ä. Uebungen wie Flechten, Stäbchenlegen, Falten, Ausschneiden, Bauen machte er zur Basis des arithmetischen wie des geometrischen Lernens, wobei die benöthigten Körperformen der Schüler vom dritten Schuljahre ab aus Carton selbst darstellt. Einen wichtigen Platz wies er der Heimathkunde zu, um das Anschauungsvermögen auszubilden und für allerlei Fächer, voran sämmtliche naturwissenschaftliche, einen ungezwungenen Mittelpunkt zu erhalten. Schon die untersten Classen durchwandern die Umgebung der Schule, was sie im Classenzimmer auf einem großen, mit Holzbauten besetzten Plane wiederholen; die dritte und vierte sehen die geographischen Hauptbegriffe in großen Holzreliefs mit zerlegbaren Schichten vor sich, die sie von der dritten an bis in die oberste nach systematischem Fortschritte der Schwierigkeit selbst zusammenstellen müssen, soweit sie von ihnen selbst durchwanderte Gegenden betreffen. Diese regelmäßigen Schulreisen, wirkliche Ausmärsche bis zum Maximum von 24 km, sollen zum verständnißvollen Genusse der Natur anleiten, über geographische und naturgeschichtliche Verhältnisse belehren, Sammlungen aus den drei Reichen, auf der Oberstufe ein sorgsames Herbarium ermöglichen, nicht zuletzt, dem Wirthshause, seit 1882 jedem Alkoholgenusse fern, den Körper tummeln. Letzterem Zwecke dienen außer häufigen Nachmittagsspaziergängen in den Wald Turnen, Baden, Schwimmen, Schlittenfahrten, alles in wohlerzogenem Umfang und Wechsel. Es nimmt nicht wunder, daß, gleich andern modernsten pädagogischen Forderungen, der heute mehr und mehr geschätzte[WS 1] und sich ausbreitende Handfertigkeitsunterricht bei B. seit Anbeginn Erledigung in der Praxis fand. Dies im engsten Umrisse Beust’s allgemeine Principien. In etlichen Schriften machte sie B. weitern Kreisen zugänglich: „Der wirkliche Anschauungsunterricht auf der untersten Stufe der Größenlehre“ (1865); „Der wirkliche Anschauungsunterricht auf das Schreiben und Lesen angewendet. Erster Theil. Schreiblesebuch“ (1867); seine systematische Hauptschrift „Die Grundgedanken von Pestalozzi und Fröbel in ihrer Anwendung auf Elementar- und Sekundarschulstufe“ (1881); „Das Relief in der Schule“ (1881); „Die pädagogische Schulreise“ (1885); „Die körperlichen Eigenschaften der Dinge als Grundlage der Erziehung“ (1897). Seine zahlreichen Lehr- und Beschäftigungsmittel nebst den damit erzielten Ergebnissen hat B. unter reger Theilnahme und Anerkennung nicht nur auf schweizerischen Landesausstellungen von 1858–96 sieben Mal öffentlich ausgestellt (anläßlich der letzten davon, der Genfer, wurde ein höchst instructives „Begleitschreiben“ gedruckt), sondern auch, stets durch Diplome oder Medaillen ausgezeichnet, auf Weltausstellungen (Wien 1873, Philadelphia 1876, Paris 1878 u. ö.). Wie B. Jugenderziehung und Schulunterricht von Anfang an naturgemäß und rationell betrieb, beweist schon das entsprechende Bekenntniß, das 1854 sein erstes Schulprogramm eröffnete (s. die unten verzeichnete Festschrift, S. 22 f.). So bewahrte sich dieser Principienmann des eigenen Beispiels bis ins höchste Alter Frische, Beweglichkeit, rastlose Reform- und Arbeitslust und schied anerkannt und allgeehrt, in vielem ohne Nennung des Vorbilds nachgeahmt oder copirt. B. stand sofort in der Colonie der in Zürich angesiedelten deutschen Flüchtlinge mitten drin, wie Jakob Moleschott bekundet: „Für meine Freunde. Lebens-Erinnerungen“ (2. Aufl., Volksausg.) S. 297. Es entspricht Beust’s Bedeutung, wenn der LII., das Jahr 1899 betreffende Jahrgang des „Pädagog. Jahresberichts“ den Theil „Entwickelungsgeschichte der Schule“ in der Schweiz und damit dies ganze imposante Annalenwerk auf S. 332 mit einer knappen, aber genauen nekrologischen Notiz über B. abschließt.

[758] Züricher Tagesblätter nach dem Tode; Δ i. d. Münchn. Neuest. Nachr. 52. Jahrg., Nr. 571, S. 2, hübscher Nachruf. Das Meiste nach der Festschrift „Zum achtzigsten Geburtstage von Friedrich Beust. Mit dem Bildnisse Beust’s“ (1897); „Programm der Erziehungsanstalt von F. Beust in Zürich“ (letztere beiden sowie einige Schriften Beust’s mir zugänglich durch Professor Dr. L. P. Betz und Director Dr. F. v. Beust); noch ohne diese Originalquellen geschrieben ist des Unterzeichneten Artikel über B. im Biogr. Jahrb. und Dtsch. Nekrolog, Bd. IV, 251. – Zu Anne(c)ke vgl. Brümmer, Lex. dtsch. Dichter u. Pros. d. 19. Jhs.4 u. 5 I, 40. Porträt Beust’s i. d. „Woche“ I, 1570.

[754] *) Zu Bd. XLVI, S. 532.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: gegeschätzte