ADB:Bibra, Ernst Freiherr von

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Artikel „Bibra, Freiherr Ernst von“ von Siegmund Günther in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 758–759, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bibra,_Ernst_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 06:19 Uhr UTC)
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Bibra *): Freiherr Ernst von B., Naturforscher, geboren zu Schwebheim (bei Schweinfurt) am 9. Juni 1806, † zu Nürnberg am 12. October 1872[1]. Einer uralten fränkischen Reichsritterfamilie entsprossen, studirte B. Jurisprudenz, suchte aber kein öffentliches Amt, sondern wandte sich mehr und mehr den schon auf der Universität eifrig betriebenen Naturwissenschaften zu und lebte, zuerst auf seinem oben genannten Familiengute, seit dem Beginn der vierziger Jahre aber in Nürnberg, als Privatmann seinen Studien. In der weiteren Oeffentlichkeit wurde er theils durch seine litterarischen Arbeiten, theils auch, und noch mehr, durch die große Forschungsreise bekannt, welche er in den Jahren 1849 und 1850 nach den westlichen Staaten von Südamerika unternahm. Als Schriftsteller bevorzugte B. die angewandte Chemie, um die er sich große und anerkannte Verdienste erworben hat. Zuerst galt seine Arbeit hauptsächlich der Zoochemie („Chemische Untersuchung verschiedener Eiterarten“, Berlin 1842; „Chemische Untersuchungen über die Knochen und Zähne des Menschen und der Wirbelthiere“, Schweinfurt 1844; „Chemische Fragmente über die Leber und die Galle“, Braunschweig 1849; „Hilfstafeln zur Erkennung zoochemischer Substanzen“, Erlangen 1849; „Vergleichende Untersuchungen über das Gehirn des Menschen und der Wirbelthiere“, Mannheim 1854). Weitaus am bekanntesten wurde ein Buch, welches B. in Verbindung mit dem Nürnberger Mediciner Geist[WS 1] über die Phosphornekrose schrieb („Die Krankheiten der Arbeiter in den Phosphorzündholzfabriken“, Erlangen 1847); ersterer erhielt dafür den sogenannten Monthyon-Preis, und beiden Verfassern erkannte der König von Preußen eine goldene Medaille zu. Die Heilkunde dankte B. noch eine weitere, gleicherweise von ihm und dem Physiologen Harleß[WS 2] herrührende Bereicherung („Die Wirkung des Schwefeläthers in chemischer und physiologischer Beziehung“, Erlangen 1847). Für die Nahrungsmittelchemie erwies sich bahnbrechend Bibra’s Schrift über das wichtigste menschliche Nahrungsmittel („Die Getreidearten und das Brot“, Nürnberg 1860), für welche der Autor eine hohe Auszeichnung vom russischen Kaiser empfing; zuvor schon hatte er die wichtigsten Genuß- und Anregungsmittel, an ihrer Spitze den Kaffee, in zwei größeren Monographien (Nürnberg 1855; München 1858) behandelt. Späterhin gewann für ihn, der zugleich begeisterter Alterthumsfreund war und der in dem mit Antiquitäten und Naturseltenheiten angefüllten „Rittersaale“ seiner Wohnung eine wirkliche Stadtmerkwürdigkeit geschaffen hatte, die chemische Zerlegung von alten Münzen und Kunstgegenständen besonderes Interesse. Zwei einschlägige Schriften (Erlangen 1869; Nürnberg-Leipzig 1873) haben auch heute noch ihren Werth nicht eingebüßt.

Für die Geographie wurde Bibra’s Reisewerk („Reise in Südamerika“, 2 Bde., Mannheim 1854) aus verschiedenen Gründen werthvoll. Gerade von [759] Peru, Chile und Bolivia wußte man vor fünfzig Jahren verhältnißmäßig noch recht wenig, und so haben seine geistvoll geschriebenen, allenthalben den denkenden Naturforscher bekundenden Skizzen zur Begründung einer wissenschaftlichen Landeskunde jener Staaten das Ihrige beigetragen, ebenso wie zwei Abhandlungen specielleren Inhaltes, welche die Wiener Akademie in ihre Denkschriften aufnahm. Die Meereskunde förderte er durch genaue Messungen der Wassertemperatur und durch die ersteren schärferen Bestimmungen des Salzgehaltes im Atlantischen und Großen Ocean. Wesentlich unter dem Eindrucke seiner südamerikanischen Reminiscenzen sind auch Bibra’s spätere Arbeiten über Gesteinszusammensetzung im „Journal für praktische Chemie“ und über Luftelektricität in der „Gaea“ entstanden. Eben diese Reise, die den phantasievollen Mann in eine ganz neue Welt versetzt hatte, machte ihn auch zum Belletristiker. Seine Productionskraft war eine staunenswerthe, und gar manche seiner novellistischen Schöpfungen (z. B. „Erinnerungen aus Südamerika“, 3 Bde., Leipzig 1861; „Aus Chile, Peru und Brasilien“, 3 Bde., Leipzig 1862) haben sich lange auf dem Büchermarkte behauptet. Die Neigung der Leserwelt, sich Belehrung auf erd- und völkerkundlichem Gebiete in solchet Einkleidung zuführen zu lassen, war damals eine weit verbreitete, und B. verstand es vorzüglich, in die leichte Lectüre ein belehrendes Element hineinzulegen.

Poggendorff’s Biogr.-litt. Handwörterbuch z. Gesch. d. exacten Wissenschaften, 1. Bd., Leipzig 1863; 3. Bd., Leipzig 1896. – Grande Encyclopédie, 6. Bd., S. 682. – Günther, Der fränkische Naturforscher E. von Bibra in seinen Beziehungen zur Erdkunde, Festschrift d. Naturhistorischen Gesellschaft zu Nürnberg, ebenda 1901.

[759] *) Zu Bd. XLVI, S. 532.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. Bibra, Ernst Frhr. v. XLVII 758 Z. 12–13 v. o. l.: am 5. Juni 1878 (statt 12. Okt. 1872). [Bd. 56, S. 395]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Lorenz Geist (1807–1867)
  2. Emil Harleß (1820–1862), deutscher Mediziner und Physiologe, Professor in München