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Artikel „Bendavid, Lazarus“ von Ludwig Geiger in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 2 (1875), S. 318–320, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bendavid,_Lazarus&oldid=- (Version vom 10. Dezember 2024, 23:31 Uhr UTC)
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Bendavid: Lazarus B., geb. von jüdischen Eltern am 18. Oct. 1762, gest. als Jude 28. März 1832. Sein Streben war Unabhängigkeit und sein selbstgefertigter Grabstein lehrt, daß er sie, nach der er im Leben rang, vor dem Tode erreicht hat. Er war in Berlin geboren und lebte in seiner Jugend in behäbigen Verhältnissen: daher blieb ihm der furchtbare Kampf gegen das äußere Elend erspart, der die meisten seiner höherstrebenden Glaubensgenossen in die traurigste Lage brachte; nur der Streit für die Befreiung des eigenen Geistes mußte von ihm ausgekämpft werden. Auch in diesem Kampfe konnte der Sieg nicht mühelos erreicht werden: der Schritt von dem Judenknaben, der von einer Talmudschule zur andern geschickt und von halbgebildeten Lehrern unverständig und erbarmungslos behandelt wurde, bis zu dem Manne, der von Kästner als ebenbürtiger Genosse in der Mathematik gerühmt, als Philosoph von der Berliner Akademie mit einem Preise geehrt wurde, war kein kleiner. Er hat in einer höchst anziehenden Selbstbiographie (Berlin 1806) beschrieben, welche Anstrengungen er machte. Nachdem er auf verschiedenen Universitäten studirt, nach absolvirtem Studium versucht hatte, in den preußischen Justizdienst zu treten, aber mehrfach wegen seines jüdischen Glaubens abschlägig beschieden worden war, ging er nach Oesterreich und hielt in Wien zuerst in einem öffentlichen Hörsaal der Universität, dann im Palaste des Grafen Harrach Vorlesungen, in welchen er die Kant’sche Philosophie lehrte. Später, als ein allgemeines Verbot gegen die Fremden ihm den Aufenthalt in Wien nicht länger gestattete, ging er nach Berlin zurück und setzte hier seine Thätigkeit als öffentlicher Lehrer und Schriftsteller, einige Jahre hindurch als Redacteur der „Spener’schen Zeitung“ fort, in welcher Thätigkeit er sich durch seine Umsicht zur Zeit der Franzosenherrschaft nicht geringes Verdienst erwarb. In dieser seiner Stellung kam er mit bedeutenden Männern in Berührung, wurde von Joh. v. Müller geschätzt, von Zelter, Goethe’s Freund, mit Goethe in Verbindung gebracht, von Heine als „ein Weiser nach antikem Zuschnitt, umflossen vom Sonnenlicht griechischer Heiterkeit, ein Standbild der wahrsten Tugend und pflichtgehärtet, wie der Marmor des kategorischen Imperativs seines Meisters Kant“ gepriesen, nur von Börne, der als junger leicht [319] erregbarer Mensch dieses ihm fremde Wesen nicht begreifen konnte, wegen seiner scheinbaren Eitelkeit verhöhnt. B. blieb Zeit seines Lebens der eifrigste Anhänger der Kantischen Philosophie. Als solcher hat er zunächst die Vorlesungen, welche er über die verschiedenen Schriften Kant’s gehalten hat, „Ueber die Kritik der reinen Vernunft“, „Ueber die Kritik der praktischen Vernunft“, „Ueber die Kritik der Urtheilskraft“ veröffentlicht (Wien 1795–97) und von der erstgenannten[WS 1] eine zweite Auflage erlebt (Berlin 1802). Während er aber in diesen Vorlesungen nur die Lehren seines Meisters Kant dem größeren Publicum in anziehender Gestalt vorzutragen sich bemühte, schrieb er auch selbständige philosophische Schriften. Eine derselben: „Ueber den Ursprung unserer Erkenntniß“, Berlin 1802, wurde von der Berliner Akademie mit einem Preise gekrönt, andere wie „Versuch einer Rechtslehre“ (Berlin 1802) und zwei ästhetische Schriften: „Beiträge zur Kritik des Geschmacks“ (Wien 1797) und „Versuch einer Geschmackslehre“ (Berlin 1798) sind zwar heute fast völlig vergessen, haben aber für ihre Zeit ganz besondere Bedeutung dadurch, daß sie in klarem, schönem Stile, die Wahrheiten, welche damals mühsam um ihre Anerkennung ringen mußten, zu vertheidigen und zum Gemeingut zu machen verstanden. B. beharrte auf seinem Kant’schen Standpunkt. Als er bemerkte, daß andere Männer: Fichte, Hegel, Schelling in den Geistern herrschend wurden, versuchte er keine schriftstellerische Opposition, sondern zog sich schweigend und grollend zurück. Mehr denn als Philosoph aber hat er für seine Glaubensgenossen, die Juden, geleistet. Zwar erkannte er ihre Schwächen und offenbarte sie ungescheut, sprach, wenn er auch nicht das Unrecht verhehlte, das ihnen seit Jahrhunderten zugefügt war, offen aus, daß sie an ihrem verderbten Zustande mit Schuld hätten, indem er ausführte, daß die Ceremonialgesetze ihre Beschränktheit und Unsittlichkeit hervorgerufen hätten, und daß diese schwinden müßten, ehe an eine geistige und politische Reform zu denken wäre. Als ihm Ueberfromme wegen seines Nichtbeachtens der Ceremonialgesetze die Ehre streitig machten, für seinen verstorbenen Vater selbst die Trauergebete zu sprechen, hat er zwanzig Jahre lang die Synagoge nicht betreten. Er gab eine eigene Schrift heraus: „Etwas zur Charakteristik der Juden“ (Leipzig 1793), worin er seinen Glaubensgenossen einen Spiegel vorhielt, in dem sie sich selbst erkennen sollten, den Christen richtige Anschauungen über die Juden beizubringen versuchte. Er war fast ein Menschenalter jünger als Mendelssohn, wol der jüngste der Männer, die als Schüler und Genossen dieses großen Mannes in seinem Geiste zu wirken sich bemühten, und hat, von der Zeit der sog. Aufklärung an bis tief hinein in die Periode der Gestaltung einer jüdischen Wissenschaft gelebt und gearbeitet. Noch 1823, als Zunz seine jüdische Zeitschrift herausgab, schrieb B. zwei Aufsätze in dieselbe. In dem einen versuchte er den Nachweis, daß der Glaube an die Erscheinung eines Messias nicht zu den Fundamentalsätzen der jüdischen Religion gehöre, in dem andern, einem Bruchstück aus seinen Untersuchungen über den Pentateuch, kam er zu dem Resultat, daß dieses Buch, wie es uns vorliege, nicht von Moses herrühren könne, daß höchstens das fünfte Buch wirklich von ihm geschrieben, der Dekalog aber nicht in seiner ursprünglichen Gestalt erhalten sei. Dieser erste bibelkritische Versuch unter den deutschen Juden war kühn genug, um zu überraschen und dem Schreiber Verdrießlichkeiten zuzuziehen. Das größte Verdienst hat sich aber B. durch seine Hebung des jüdischen Schulwesens in Berlin erworben. Die 1778 von David Friedlaender gegründete jüdische Freischule war nämlich durch Ungunst der Zeiten in die traurigsten Verhältnisse gerathen und B. führte daher, als er 1806 das Directoriat derselben übernahm, dasselbe ganz unentgeltlich. Er hatte es durchzusetzen gewußt, daß auch christliche Kinder die Anstalt besuchten, und diese wohlthätige Mischung bis 1819 erhalten. Dann aber [320] mußten die christlichen Kinder nach einem Befehle der Regierung die Schule verlassen. „Alles weinte laut auf“, so berichtete B., „als hätten die entlassenen Christen-Knaben ihre Eltern, die zurückgebliebenen Juden-Knaben ihre Brüder, und die Lehrer und Vorsteher ihre Kinder verloren“. Mit diesem Schritte war die Schule vernichtet und trotz vielfacher Anstrengungen mußte B. 1826 die Schule auflösen. Als dann die jüdische Gemeinde die Reorganisation ihres Schulwesens in die Hand nahm, wurde B. wol um sein Gutachten gefragt, aber ein Amt hat er an der neuen Anstalt nicht bekleidet. B. blieb unvermählt. Er erhielt sich bis an das Ende seines Lebens seine strenge, von Cynismus nicht freie Einfachheit, die ihm die bald als Ehren- bald als Spottnamen gebrauchte Bezeichnung des modernen Diogenes eingetragen hat.

Bendavid’s Selbstbiographie in Bildnisse Berliner Gelehrten etc., Berlin 1806. – Börne’s, Heine’s, Zelter’s Briefe. – Vgl. meine Geschichte der Juden in Berlin. 2 Bde. 1871.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: erstgegenannten