ADB:Babo, Lambert Freiherr von (Chemiker)
Babo: Lambert Heinrich Joseph Anton Konrad Freiherr v. B., geboren am 25. November 1818 zu Ladenburg am Neckar, Dr. med. und Professor an der Universität Freiburg i. Br., war ein durch seine wissenschaftlichen Forschungen hervorragender Chemiker, dessen Hauptthätigkeit vorwiegend jener Periode angehört, welche der großartigen neueren Entwicklung der organischen Chemie unmittelbar vorausging. Obgleich seine Arbeiten mit Vorliebe physikalisch-chemische Grenzgebiete aufsuchten, so hat er doch mehrfach auch organische Substanzen durch erfolgreiches Studium aufgeklärt, die Wissenschaft aber besonders verdienstlich dadurch gefördert, daß er an der Vervollkommnung der technischen Hülfsmittel und Apparate arbeitete und durch einzelne größere Experimentaluntersuchungen deren Anwendbarkeit zur Lösung schwieriger Fragen in vorbildlicher Weise lehrte.
v. B. entstammte einer hochangesehenen und begüterten kurpfälzisch-bairischen Familie. Sein Großvater Lambert Gregor v. Babo (1725–1799) war Vorstand der kurfürstlichen Hofintendanz und hat sich durch die Erbauung der Heidelberger Brücke, des Mannheimer Theaters, vieler Bauten des Schwetzinger Gartens bekannt und verdient gemacht. Sein Vater Lambert Joseph Leopold [152] (s. A. D. B. I, 727 und v. Weech, Bad. Biogr. I, 15), hochbegabt, vielseitig wissenschaftlich und künstlerisch gebildet, verwerthete sein reiches Wissen in fruchtbarster Weise zur Förderung der Landwirthschaft seiner badischen Heimath. Ländliche Eindrücke waren es auch, die der Chemiker v. B. von Jugend auf empfing, wodurch sich sein im ganzen Leben viel bethätigtes Interesse für Gartencultur und Weinbau erklärt. Die ersten Jugendjahre verlebte er auf dem väterlichen Gutshofe bei Ladenburg inmitten der fruchtbaren badischen Pfalz und nach der Mutter frühem Tode und der Wiederverheirathung des Vaters in Weinheim. Von großem Einfluß auf die geistige Entwicklung des Knaben und seiner Brüder aus der zweiten Ehe war der im freiherrlichen Hause wohnende alte Erzieher des Vaters, Dr. Batt (vgl. Häusser, Geschichte d. rhein. Pfalz, 2. Ausg. 1856, Vorrede S. IX), der auch in den Söhnen ein hohes Interesse für Poesie und Kunst und eine auf das Ideale gerichtete Lebensauffassung zu erwecken wußte. Seine weitere Ausbildung fand er in der Bender’schen Erziehungsanstalt in Weinheim und auf dem Lyceum zu Mannheim.
Schon damals verrieth der Jüngling eine Neigung zu der Naturwissenschaft, welche während der Ferien in dem landwirthschaftlichen Laboratorium des Vaters und einer noch von Dr. Batt stammenden Sammlung physikalischer Apparate weitere Nahrung fand. Die Folge war, daß der junge B. nach bestandenem Abiturium sich für das Studium der Medicin entschied. Er begann seine Studien Michaelis 1837 an der Universität Heidelberg, brachte das Sommersemester 1840 in München zu und wurde im October 1842 in Heidelberg zum Doctor der Medicin promovirt. Er entschloß sich nun aber, seiner inzwischen unter dem Einfluß seines Lehrers Leopold Gmelin noch mehr geweckten Vorliebe für die Chemie zu folgen und sich ganz dieser Wissenschaft zu widmen. Wie so viele seiner fachmännischen Zeitgenossen ging er zu Liebig in Gießen, wo er das Sommersemester 1843 zubrachte und mit vielen später hervorragenden Chemikern, mit A. W. Hofmann, Will, Kopp, Fresenius bekannt und befreundet wurde. Dort führte er gemeinsam mit seinem Freunde Fresenius die erste größere Experimentaluntersuchung aus über den Nachweis des Arsens in Vergiftungsfällen.
Aus der Zeit seines Münchener Aufenthaltes ist bekannt, daß er aufs lebhafteste die gerade in jene Zeit fallende, allgemeines Aufsehen erregende Erfindung der Daguerreotypie erfaßte und selbst über das Verfahren Versuche anstellte. Ein hervorragendes Interesse für den photographischen Proceß hat B. sowol nach der praktischen, wie nach der theoretischen Seite auch im ganzen ferneren Leben bethätigt. Etwa im J. 1844 siedelte B. bleibend nach Freiburg über, arbeitete zunächst bei dem Chemiker Fromherz, dessen Assistent er 1844 wurde. Er habilitirte sich 1845, errichtete ein Privatlaboratorium, dessen Fortführung nur mit bedeutenden persönlichen Opfern möglich war, wurde 1854 außerordentlicher Professor und Leiter des chemischen Universitätsinstituts als Nachfolger von Fromherz, 1859 ordentlicher Professor der Chemie in der medicinischen Facultät, 1865/66 Prorector der Freiburger Universität. Zu vielen Reisen und mühsamen gerichtlichen Untersuchungen war B. als chemischer Experte der großherzoglichen Hofgerichte veranlaßt. Als sich B. nach nahezu 40jähriger Lehrthätigkeit October 1883 pensioniren ließ, weil sein Gesundheitszustand es ihm nicht mehr ermöglichte, den durch die eingetretene Reorganisation des chemischen Unterrichts bedingten gesteigerten Anforderungen voll und ganz entsprechen zu können, wurde ihm der Titel Geheimer Hofrath und später beim 50jährigen Doctorjubiläum der Titel Geheimer Rath verliehen. Die deutsche chemische Gesellschaft ehrte seine Verdienste gleich nach seinem Rücktritt von [153] der Lehrthätigkeit durch die Wahl zum auswärtigen Vicepräsidenten für das Jahr 1884.
Aeltere Untersuchungen Babo’s und seiner Mitarbeiter bezogen sich namentlich auf die damals noch wenig erforschten pflanzlichen Alkaloide. Die zusammengesetzte Natur des Alkaloids der Senfsamen, des Sinapins, wurde gemeinschaftlich mit Hirschsprung und die des Piperins aus dem Pfeffer gemeinsam mit Keller nachgewiesen. Erstere Untersuchung führte zu der Entdeckung des Sinkalins, letztere zu der der Piperinsäure. Da das Sinkalin heute als identisch mit dem Cholin betrachtet wird, so haben B. und Hirschsprung diese physiologisch wichtige Base bereits unter Händen gehabt. Aus dem Cinchonin wurde durch die zerlegende Kraft des galvanischen Stromes das Chinolin abgespalten. Mehrfach wurden „Aldehyde“ untersucht, und die Methoden der Darstellung derselben verbessert. Die Vorliebe für exactere, zum Theil in das Gebiet der physikalischen Chemie gehörende, Untersuchungen tritt uns schon in der ersten Periode selbständigen Schaffens Babo’s entgegen. Dahin gehört die schöne Untersuchung über die Spannkraft des Wasserdampfs in Salzlösungen, auf welche später der Physiker Kirchhoff (Ges. Abh. S. 479) bei theoretischen Berechnungen Bezug nahm. Eine praktische Folgerung zog B. selbst in einer Abhandlung „Ueber die Absorption des Wasserdampfes durch die Ackererde“. Hier wird die praktisch wichtige, später von Stellwaag (Wollny’s Forsch. a. d. Geb. d. Agrikulturphysik V [1884] S. 210) bestätigte Beobachtung mitgetheilt, daß vorgetrocknete Ackererde, rasch in einen feuchten Raum gebracht, sich merklich, oft um mehrere Grade erwärmt. Praktisch werthvolle, auch für tropische Agricultur beachtenswerthe Schlüsse wurden hieraus gezogen. Eine der hervorragendsten Arbeiten Babo’s und ein glänzendes Zeugniß seines experimentellen Talentes bilden seine „Beiträge zur Kenntniß des Ozons“. Die Schärfe der Fragestellung und Gründlichkeit der Durchführung erinnert an die exacte Behandlung ähnlich schwieriger Fragen durch seinen Heidelberger Collegen und Freund Bunsen. Alle Bedingungen, von welchen die Ozonisation der Luft und des Sauerstoffs abhängt, wurden erforscht, das erreichbare Maximum der Ozonisation erzielt, die bereits von Andrews und Tait beobachtete Verdichtung des Sauerstoffs bei der Ozonbildung bestätigt, und wichtige Gründe gegen die Existenz des „Antozons“ geltend gemacht. B. machte bereits Versuche, das Ozon zu verdichten, ein Problem, welches zu lösen jedoch der neueren Kältetechnik vorbehalten bleiben sollte.
Das außerordentliche Interesse für den photographischen Proceß bethätigte B. durch seine Studien über die Herstellung von haltbarem Collodium, die Nutzbarmachung des Schwefelkohlenstoff-Blitzlichtes für die Photographie. Bei dieser Gelegenheit entdeckte er mit dem Physiker J. Müller die Fluorescenz erregende Eigenschaft des letzteren Lichtes, welche am schönsten mit Hülfe von Uranglas zu beobachten war. Das Spectrum desselben Lichtes wurde photographirt und drei hellere Linien auf dem continuirlichen Spectrum nachgewiesen. Immer mehr concentrirte sich die schaffende Thätigkeit des durch Vorlesungen, Unterrichtslaboratorium, gerichtliche Untersuchungen viel in Anspruch genommenen Mannes auf die Construction physikalischer Apparate als Hülfsmittel experimenteller Forschungen. Seine letzte, gemeinschaftlich mit seinem Collegen und Freund E. Warburg veröffentlichte Arbeit „Ueber den Zusammenhang zwischen Viscosität und Dichtigkeit bei flüssigen insbesondere gasförmig flüssigen Körpern“ (1882), bei welcher ihm namentlich der constructive Theil zugefallen war, beweist noch einmal, welche Meisterschaft B. in dieser Richtung erreicht hatte. Mit großer Theilnahme verfolgte er die neueren Fortschritte der physikalischen Technik, namentlich die Idee der Kraftübertragung auf elektrischem Wege. Er hat selbst [154] den Versuch gemacht, kleine Dynamomaschinen zu construiren. Babo’s experimentelle Begabung trug auch zahlreiche Früchte für die Chemie durch die Construction zweckmäßiger, sowol feinerer als einfacher Laboratoriumsapparate. Wir nennen hier den Apparat zur Darstellung von Ozon, den Verbrennungsgasofen für Elementaranalyse, den Ofen zum Erhitzen zugeschmolzener Röhren, den Thermoregulator, die Ventilquecksilberluftpumpe und aus den letzten Freiburger Jahren die sehr sinnreich construirte selbstthätige Wasserquecksilberluftpumpe, welche ähnlichen neueren Constructionen als Vorbild gedient hat. Wenn heute in milchwirthschaftlichen und physiologischen Laboratorien sehr vollkommene Centrifugen im Gebrauch stehen, so dürfen wir nicht vergessen, daß B. bereits eine Centrifuge zur Beschleunigung des Filtrirens construirt und eingeführt hatte. Auch der Praxis der Mostbehandlung machte er die Centrifugalkraft durch die Construction der sog. Mostpeitsche dienstbar. Ferner sind verschiedene einfachere Apparate, wir erwähnen z. B. seiner Gasentbindungsapparate, seiner Perlröhren, von ihm eingeführt worden.
Nach seiner Pensionirung siedelte B. nach Karlsruhe über, brachte aber die Sommermonate regelmäßig auf seinem Besitz Kloster Frauenalb im badischen Schwarzwald zu. Die milde Luft in dem lieblich gelegenen Thale wirkte günstig auf seine bereits leidende Gesundheit, so daß es ihm vergönnt war, noch eine Reihe von Sommern im Kreise seiner Familie, oft erfreut durch den Besuch von Verwandten und Freunden, an dem schönen Orte zu verleben. Mit warmem Interesse hing er noch an seinem Fache und nahm er jederzeit Kenntniß von den großen neueren Fortschritten der exacten Naturwissenschaften. Er verschied zu Karlsruhe am 15. April 1899 an den Folgen eines Schlaganfalls. v. B. war ein aufrichtiger Charakter, der treu an seinen Ueberzeugungen, treu an den ihm durch seine Erziehung eingepflanzten Idealen festhielt. Seine warm empfindende und zugleich etwas erregbare Natur ließ ihn jederzeit lebhaft und entschieden für seine Ueberzeugung eintreten. Wohlwollend und uneigennützig stellte er sein reiches Wissen Jedem, der sich an ihn wandte, gerne zur Verfügung und als ein Freund jeder praktischen Anwendung, suchte er seine chemische Erfahrung verwandten Zweigen der Naturwissenschaft und der Technik dienstbar zu machen. Mit der Mehrzahl seiner Freiburger Collegen, die seine Befähigung anerkannten und seine Charaktereigenschaften hochschätzten, stand er in ebenso freundschaftlicher Beziehung wie zu seinen Fachcollegen in Heidelberg, Karlsruhe, Basel. Sein Haus in Freiburg bildete einen Mittelpunkt der Geselligkeit und eine Pflegstätte der Kunst. Wir möchten nicht schließen, ohne noch der außerordentlichen Neigung zu gedenken, welche B. für die Tonkunst empfand, die eifrig gepflegt schon in der Jugend, ihm noch im hohen Alter einen Quell geistiger Erfrischung bildete.
- Poggendorff’s biogr.-liter. Handwörterb. I u. III. – Liebig’s Annalen mit Fresenius Bd. 49, ferner Bd. 82, 84, 85, Suppl. 2; mit Claus das. Suppl. 2 und Bd. 140. – Poggendorff’s Annalen Bd. 97; mit Warburg: Wiedemann’s Annalen Bd. 17 (1882). – Ber. d. D. chem. Gesellsch. Bd. 13. – J. prakt. Chem. Bd. 72, 73, 74. – Ber. d. Verhandl. d. naturf. Gesellsch. z. Freiburg i. B. Bd. I (1855) bis VIII (1882). – Nekrologe: Ber. d. D. chem. Gesellsch. Bd. 32. – Chem. Ztg. (Cöthen) 1899, Nr. 33.