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Artikel „Meier, Luise“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 294–296, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Aston,_Louise&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 18:02 Uhr UTC)
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Mejer, Ludwig
Band 52 (1906), S. 294–296 (Quelle).
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Meier: Luise M., meistens bekannt als Luise Aston, Revolutionärin, Frauenrechtlerin und Schriftstellerin, wurde am 26. November 1814 als jüngste Tochter des Consistorialraths und Superintendenten Joh. Gottfr. Hoche zu Gröningen bei Halberstadt Regsbz. Magdeburg geboren. Das reich begabte Mädchen erhielt im Elternhause eine vorzügliche, auch auf Litteratur und Musik gerichtete Bildung. Es heirathete schon früh den reichen Engländer Samuel Aston, der als Fabrikant in Magdeburg lebte; aber die Ansichten der beiden wichen dermaßen voneinander ab, daß die Ehe gelöst, neu geschlossen und bald nochmals geschieden werden mußte. Im J. 1846 wandte sich die „frei“ gewordene Luise nach Berlin, wo sie sofort ihre Emancipationsideen in die Praxis zu übertragen begann: sie trug Manneskleider, rauchte auf der Straße, und ihr auffälliges Benehmen überhaupt veranlaßte rasch ihre Ausweisung aus der Hauptstadt, zumal die Behörde sie mit politisch anrüchigen Leuten in Verbindung glaubte. Sie hielt sich erst im nahen Köpenick, 1847 in der Schweiz auf, machte 1848 den Schleswig-Holsteinischen Krieg mit, wo sie in den Spitälern Kranke und Verwundete sorgfältigst und aufopferungsvoll pflegte, auch an der Hand getroffen wurde: die Narbe ließ sie dann gern sehen. Darauf versammelte sie in Berlin noch 1848 einen Kreis revolutionär gesinnter, theilweise überspannter junger Männer um sich, erregte aber die Aufmerksamkeit auch hochstehender Persönlichkeiten, besonders durch ihre ungescheute Predigt der „freien Liebe“, welche sie damals auf Grund ihrer Anschauung, „es ist gemein, ewig diesen Unterschied zwischen Mann und Frau hervorzuheben, und durchaus ungerecht, auf den bloßen geschlechtlichen Unterschied Vorrechte zu ergründen“, ganz ungenirt und im Sinne des „variatio delectat“ selbst bethätigt haben soll. Wenigstens berichtet dies, unter Einschub amüsanter und pikanter Anekdoten über General Wrangel und einen preußischen Minister, aus seiner gleichzeitigen Anwesenheit in Berlin Otto v. Corvin, der, durch ihren „Freund“ (so gibt auch Corvin an), seinen Genossen F. W. Held (s. d.) mit ihr bekannt gemacht, im übrigen eigentlich ein Lobredner der schönen [295] Dame ist und sie wie folgt porträtirt: „Sie mochte 30 Jahre alt sein, war blond und trug ihr Haar in vielen kleinen Locken, wie man es sonst à la neige nannte und was zu ihrem hübschen, zarten Gesicht ganz allerliebst stand. Ihre Figur war eher groß als klein zu nennen und ihre ganze Erscheinung die einer eleganten Frau. Aus ihren schönen, blauen Augen sprach viel Geist und Gefühl. Der Ton ihrer Stimme legte sich schmeichelnd an das Ohr, ja, er war rührend, besonders wenn sie die Leidende spielte, in welcher Rolle sie sich gefiel. Damals litt sie an der Einbildung, daß sie am zweiten Weihnachtstage sterben werde. . . Sie war eine begabte Dichterin, und ihre Verse sprachen mich bei weitem mehr an als ihre Romane.“ Das von ihr während der Periode der Steuerverweigerung in Berlin herausgegebene Journal „Der Freischärler“ (nicht mit einem gleichzeitig in Straßburg gedruckten Schundblatte zu verwechseln) „enthielt köstliche Gedichte“, sagt Corvin, welcher das nach einigen Nummern erfolgende Verbot auf Luisen’s überreichliches Erzählen aus den Schleswig-Holsteiner Erlebnissen zurückführt, ebenso wie ihre eigene baldige Ausweisung auf Mangel an Nachgiebigkeit gegen den Dictator Wrangel! Auch aus Berlins Weichbild verwiesen, desgleichen als staatsgefährlich aus Hamburg, Leipzig, Breslau, wo sie Fuß zu fassen suchte, begab sie sich nach Frankreich und stellte ihre durch all diese Anstürme erschütterte Gesundheit im Seebad Trouville wieder her. An den 48er und 49er Ereignissen hat sie, scheint es, keinerlei eingreifenden Antheil mehr genommen, sich vielmehr in der Fremde zu wesentlich gemäßigteren Ansichten durchgemausert; provocatorisch oder gewaltsam agitatorisch ist sie seitdem nicht mehr öffentlich aufgetreten.

Aus Frankreich zurückgekehrt, verheirathete sie sich 1850 mit Dr. Eduard Meier, erstem Arzt am großen neuen Krankenhaus zu Bremen und ist diesem fürder auf all seinen beruflichen Kreuz- und Querzügen durch Europa gefolgt. Er wandte sich 1855 nach Rußland, um dort auf Empfehlung des berühmten Chirurgen Langenbeck als Militärarzt mit Hauptmannsrang im Krimkriege zu dienen. In Odessa erreichte die Kunde vom schon fertigen Frieden das Ehepaar, und nun schickte man M. als leitenden Oberarzt nach dem Lazareth Sigarowa bei Charkow, das sie Sommer 1857 mit arg angegriffener Gesundheit verließen, um nach Gebrauch verschiedener Bäder nach Sephi Sent Gyorgy zu gehen: dort war der Gatte Bezirksphysicus geworden. Im Frühling 1858 hielten sie sich in Kronstadt in Siebenbürgen auf, wo er seine Berufung als Brunnenarzt in Borszek mit Wintersitz in St. Miklos empfing. Seit 1862 Bahnarzt zu Unter-Waltersdorf bei Wien, siedelte M. mit Ehefrau 1864 nach Klagenfurt, später nach Bischoflack unweit Laibach, 1871 nach Liebenzell im Schwarzwald und im Herbst nach Wangen im württembergischen Algäu über. Hier ist L. M. noch am 21. December desselben Jahres gestorben.

Daß sie wesentlich unter dem Namen Luise Aston figurirt, rührt bloß von der Zeit ihres politischen und litterarischen Auftretens her; denn alle ihre schriftstellerischen Arbeiten sind zwischen 1849 und 1850 gedruckt worden. Ihre poetischen Erzeugnisse „Wilde Rosen“ (1846) und „Freischärler-Reminiscenzen“ (1849), beide mit dem Titelzusatz „Zwölf Gedichte“, sind merkwürdiger durch die darin verfochtenen Tendenz-Gedanken bezw. Forderungen als durch den rein litterarischen oder ästhetischen Gehalt. Das Thema der ersteren Sammlung ist die Liebe in allen Beziehungen des Alltagslebens, mit allen Folgen; ungemein geschickte, flüssige Form und Ausdrucksweise beweist die Dichterin daselbst. Die hier angedeutete Frauenemancipation formulirt innerhalb der jüngeren Sammlung mit großer Kühnheit und heißem Nachdruck ihre Ansprüche. Doch lassen da wol einzelne Aeußerungen Forderungen entnehmen, [296] die über das Verlangen der Verfasserin hinausschießen; das erkennt man aus dem „Aspasia“ unterzeichneten Vorwort ihrer Schrift „Meine Emancipation, Verweisung und Rechtfertigung“ (schon 1846 zu Brüssel gedruckt): da heischt sie für das Weib das Recht freier Entwicklung und Menschenwürde. Tieferen Einblick in Luise’s Innenleben und damals maßgebliche Anschauungen eröffnen die Romane „Aus dem Leben einer Frau“ (1847) und „Lydia“ (1848); der ältere offenbart bei aller hinreißenden Wucht der Ansichten immerhin würdig deutliches Gefühl für die erniedrigenden Verhältnisse, unter denen Frauen oft infolge unverschuldeter Umstände leiden, während „Lydia“, wie Kurz urtheilt, mehr als abenteuerlich und hie und da sogar unnatürlich und widrig ist. Derselbe ausgesprochene Demokrat findet, daß sich die Autorin des Buches „Revolution und Contrerevolution“ (1849), worin der in Frankfurt a. M. 1848 unselig durch Verhetzte ermordete Fürst Felix Lichnowsky die Hauptrolle spielt, nicht über gemeine Schimpfereien erhebe. Jedenfalls bleibt die „Luise Aston“ als eine seltsame Erscheinung interessant, wie sie die Brandung des „tollen Jahres“ ans Ufer warf, und zwar insbesondere als die einzige Frau, welche mitten im Trubel der Revolutionsbewegung stehend die neuen Forderungen ihres Geschlechts mit kräftiger Feder, eine rücksichtslose Vorkämpferin verkörperte. In der neueren deutschen Frauenbewegung, sogar der radikalen, ist sie ganz zu Unrecht todtgeschwiegen oder vergessen geblieben.

Hnr. Kurz, Gesch. d. dtsch. Literatur IV, 60 b, 681 b (688 b; 964 a curioserweise als „sächsische Dichterin“ registrirt); Frz. Brümmer, Lexik. d. dtsch. Dichter u. Pros. des 19. Jhrhs. III, 51; Ad. Bartels, Handbuch zur Gesch. der neuer. dtsch. Litt. (1906), S. 505 (daselbst S. 769 irrig als Luise Aston geborene Meier angeführt, wie auch in Bartels’ Gesch. d. dtsch. Lit. II, 230, wo sie mit Luise Otto-Peters wenig passend an Fanny Lewald angereiht wird); O. v. Corvin, Erinnerungen aus meinem Leben3 u. 4, III, 18–20; S. Pataky, Lex. deutscher Frauen der Feder I (1898), s. v. Aston. Ein von ihr selbst sehnlichst erwartetes Bildniß soll (s. Corvin a. a. O.) 1848 die „Modenzeitung“ gebracht haben.