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Artikel „Abegg, Julius Friedrich Heinrich“ von Albert Teichmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 1 (1875), S. 5–7, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Abegg,_Julius&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 08:30 Uhr UTC)
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Abegg: Julius Friedrich Heinrich A., bedeutender Criminalist, geb. 23. März[1] 1796 zu Erlangen, † 29. Mai 1868 zu Breslau, Sohn des Predigers der deutsch-reformirten Gemeinde Dr. Joh. Wilh. A. zu Erlangen, der 1803 nach Königsberg übersiedelte und im Alter von 38 Jahren als Consistorialrath, Superintendent und Hofprediger 1806 starb. Seine erste Erziehung erhielt A. in der école française und auf dem deutsch-polnischen Gymnasium zu Königsberg, später auf den Gymnasien zu Erlangen und Nürnberg, welches letztere sich unter Hegel eines weiten Rufes erfreute. Im Alter von 17 Jahren bezog er die Universität Erlangen, hörte zuerst allgemein-wissenschaftliche Vorträge, um sich jedoch bald dem Rechtsstudium allein zuzuwenden, ging 1816 nach Heidelberg, 1817 nach Landshut, wo er 1818 promovirte. Bevor er in die Docentenlaufbahn eintrat, machte er praktische Studien am Landesgerichte Erlangen unter Leitung des Landrichters Wolfgang Puchta, sowie Feuerbach’s, und begab sich 1819 nach Berlin, wo er Biener, Göschen, Hegel und Savigny hörte. Die Berliner Facultät empfahl ihn dem Ministerium, das ihn denn auch bewog, als Docent nach Königsberg zu gehen. Schon 1821 wurde er außerordentlicher Professor. Nachdem er 1822 einen Ruf nach Dorpat abgelehnt und 1824 zum ordentlichen Professor ernannt worden, ging er 1826 an die Universität Breslau, der er fortan seine Kräfte im umfangreichsten Maße widmete. 1833 verlieh ihm die Universität Erlangen die philosophische Doctorwürde und 1834 versuchte die bairische Regierung, ihn seiner Vaterstadt wiederzugewinnen. Allein er lehnte diesen ehrenvollen Ruf ab. 1846 wurde er von der Breslauer juristischen Facultät zum Abgeordneten der preußischen Landessynode gewählt und nahm 1856 an der evangelischen Kirchenconferenz zu Berlin Theil. Er war Vorstand des Presbyterii der Hofkirche und Curator des reformirten Gymnasiums, Mitglied des Vereins für die Besserung der Strafgefangenen und betheiligte sich an den Versammlungen des deutschen Juristentages. Für lange segensreiche Wirksamkeit wurde er durch die Ernennung zum Geh. Justizrathe und durch mannigfache Ordensverleihungen geehrt.

Abegg’s litterarische Arbeiten beziehen sich fast ausschließlich auf das Strafrecht und den Strafproceß, nur einige wenige auf den Civilproceß und naturrechtliche Disciplinen. Unter den letzteren sind hervorzuheben seine Aufsätze in „Hinschius’ Jurist. Wochenschrift für die preußischen Staaten“ und sein „Versuch einer Gesch. d. preuß. Civilgesetzgebung“, 1848, der zum ersten Male eine eingehende Darstellung der Geschichte des preußischen Processes und der damals jüngsten Reformgesetze brachte. In seinen strafrechtlichen Schriften, die sich über das ganze Gebiet der Strafrechtswissenschaft erstrecken, bewies er eine Universalität der Befähigung, [6] die ihn würdig an die Seite Mittermaier’s stellt, der auch A. in die juristische Welt durch eine Vorrede zu dessen erster Schrift: „Ueber die Bestrafung der im Auslande begangenen Verbrechen“, 1819, einführte. A. war bestrebt, den zu Tage getretenen Zwiespalt einer historisch-philosophischen und dogmatisch-praktischen Richtung auszugleichen, immer dabei als Schüler Hegel’s den leitenden Principien desselben treu bleibend. Als die hauptsächlichsten Arbeiten sind zu erwähnen: „System der Criminalrechtswissenschaft nebst einer Chrestomathie von Beweisstellen“. 1826 – die besonders gediegenen „Untersuchungen aus dem Gebiete der Strafrechtswissenschaft“, 1830 – „Lehrbuch des gem. Criminalprocesses mit bes. Berücksichtigung des preuß. Rechts“, 1833 (als Grundriß schon 1825 erschienen) – der für spätere Arbeiten Grund legende, mit Auszügen aus dem Texte der Rechtsquellen versehene „Versuch einer Gesch. der Strafgesetzgebung und des Strafrechts der brandenb.-preuß. Lande“, 1835 (Hitzig’s Zeitschrift Suppl. B. I. Abth. I. S. 1–205) – das auch heut noch geschätzte „Lehrbuch der Strafrechtswissenschaft“, 1836, das ausführlich über dolus und culpa, Zurechnung, allgemeinen Thatbestand, sowie über die Strafmittel in positiv-rechtlicher, wie politischer Hinsicht handelt, – seine scharfsinnigen, die großen Aufgaben der nachfolgenden Reformgesetzgebung behandelnden „Beiträge zur Strafproceßgesetzgebung“, 1841 – „Betrachtungen über die Verord. betr. die Einführung des mündlichen und öffentlichen Verfahrens mit Geschworenen in Untersuchungssachen im Königr. Preußen“, 1849 (Beilageheft des Arch. f. d. Crim.-R. 1849) – „Ueber das religiöse Element in der peinl. Gerichtsordnung“, 1852 – „Die preuß. Strafgesetzgebung und die Rechtslitteratur in ihrer gegenseitigen Beziehung“, 1854 – „Die Berechtigung der deutschen Strafrechtswissenschaft der Gegenwart“, 1859 – „Ueber die Verjährung rechtskräftig erkannter Strafen“, 1862 – „Ueber den organischen Zusammenhang einer auf den neueren Grundsätzen beruhenden Einrichtung des Strafverfahrens und der Gerichtsverfassung mit dem materiellen Strafrechte oder der Strafgesetzgebnng“, 1863 – „Die Frage über den Zeitpunkt der Vereidigung der Zeugen im strafrechtlichen Verfahren“, 1864 – „Ueber die Bedeutung der sog. Criminalstatistik“, 1865. Hierzu treten neben mehreren latein. Programmen die zahlreichen Abhandlungen im neuen Archiv des Criminalrechts und dem von ihm mitherausgegebenen Archiv des Criminalrechts, Neue Folge, Halle (Braunschw.) 1834 ff., in Groß’s Strafrechtspflege, im Gerichtssaale, Goltdammer’s Archiv, Schletter’s Jahrbüchern, Oesterr. Vierteljahrsschrift, Krit. Vierteljahrsschrift, Krit. Zeitschrift, Krit. Jahrbüchern, Sächs. Gerichtszeitung, Deutscher Gerichtszeitung, Jahrb. für das sächs. Strafrecht, Zeitschrift für Rechtsgeschichte etc., sowie namentlich auch in Hitzig’s Zeitschr. f. d. Criminalrechtspflege in den Preuß. Staaten, für die er auch 1830 die Leitung eines herauszugebenden ersten Repertoriums übernahm. – Vornehmlich aber sind endlich hervorzuheben die gediegenen Kritiken über die verschiedenen Strafgesetz- und Strafproceßordnungsentwürfe, die er mit Vorliebe einer Besprechung unterzog, wodurch er sich eine große Autorität in legislativen Fragen errang und wobei er die Adoptirung seiner Ansichten gewissenhaft in späteren Werken registrirte. Es gehören hierher: „Krit. Bemerkungen über Str.-G.-Entww. v. Würtemberg“, 1836 – von Baden, 1839 – von Preußen, 1844; 1848 (Archiv d. Crim.-R. 1848) und 1851 (Arch. d. Crim.-R. N. F. 1851 Beilageheft) – von Baiern, 1854 – von Sachsen, 1837 und 1853 – von Norwegen, 1835 – über die Str.-Proc.-Entww. von Würtemberg, 1839 (Demme’s Annalen) – für die preuß. Staaten, 1852 – für den preuß. Staat, 1865.

Was Abegg’s Stellung in der Wissenschaft betrifft, so wird er, so lange noch die specielle Strafrechtstheorie des Einzelnen den Mittelpunkt eines criminalistischen [7] Systems bildet, als Vertreter der sogenannten „Gerechtigkeitstheorie“ genannt werden. In seinem Werke: „Die verschiedenen Strafrechtstheorien in ihrem Verhältnisse zu einander und zu dem positiven Rechte und dessen Geschichte“, 1835, begründet er diese Theorie als Vereinigung der absoluten und relativen Strafrechtstheorien auf geschichtlicher und begrifflicher Grundlage. Nach ihm soll das Princip der Strafe in der Gerechtigkeit bestehen, das Verbrechen darf als solches nicht bestehen, es muß aufgehoben werden, damit das an und für sich heilige und unverbrüchliche Recht, in dem besonderen Falle zwar in seiner besonderen Existenz gebrochen, doch wieder als unverletzlich dargelegt werde und als solches wieder herrsche. Die Gerechtigkeit allein entscheidet über Voraussetzung, Art und Maß der Strafe und sollen hiebei der Wille des Verbrechers nach allen seinen Richtungen, die specielle und concrete Schuld des Verbrechers erwogen werden. In dieser Hinsicht können die Ideen der relativen Theorien als nothwendige Momente berücksichtigt werden, ohne daß ihnen jedoch eine principale Bedeutung zukäme. Wenn in der That Verbrechen und Strafe an sich unvergleichbare Größen sind, so finden sie doch eine Vermittelung in dem Werthe, der Größe des Verbrechens und der Strafe, die je nach den Zeit- und Culturverhältnissen eine verschiedene sein wird. Wird diesen Ideen zufolge die Strafe eingerichtet, so verbindet sie mit gerechter Vergeltung der Schuld als einem Rechte des Verbrechers den Gesichtspunkt der nothwendigen Sicherung der Gesellschaft und der möglichen Abschreckung Anderer. Nach Allem befriedigt die Durchführung der einfachen Gerechtigkeit für sich allein schon die Nützlichkeitszwecke, soweit diese überhaupt Anspruch auf Beachtung haben. Mit der Anschauung von dem in der Strafe enthaltenen Momente der Wiedervergeltung, die ja zumeist nicht auf specifische Gleichheit gehen kann, noch soll, hängt wol der Umstand zusammen, daß Abegg ein Anhänger der Todesstrafe gewesen. In einer Recension zweier Schriften von Grohmann: „Ueber das Princip des Strafrechts“, 1832 – „Bitte und Frage an die landständische Versammlung des Königr. Sachsen für die Abschaffung der Todesstrafe“, 1833, sagte er: Nicht Rache sei diese Strafe, nicht äußerliche Vergeltung, nicht Unrecht gegen Unrecht, Gewalt gegen Verbrechen – „nein, es sei die Aufhebung des Unrechts, welches sich in einer höchsten Potenz personificirt habe, so daß es ohne Widerspruch nicht weiter bestehen könne. Wo von Tod und Leben die Rede sei, sollte man beide tiefer fassen, als meist geschieht; man lege dem Leben des Leibes einen unendlichen Werth für sich bei und werde der Tod als das unendliche Uebel betrachtet. Indem dieser aber den furchtbaren Widerspruch löse, den der Schuldige auch in sich selbst fühle und den er, sobald er erwacht und zur vollen Einsicht seiner Schuld gelangt sei, nicht zu tragen vermöge, dann sei er, wie die Strafe überhaupt, eine Wohlthat.

Berner in Goltdammer’s Archiv f. preuß. Strafrecht B. 16 S. 409–411. – Heinze in v. Holtzendorff’s Handbuch des deutschen Strafrechts, 1871, I. S. 308–310. – Allgemeine deutsche Strafrechtszeitung 1868, S. 279. 280.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 5. Z. 17 v. o. l.: Nach den Acten der Breslauer jurist. Facultät und nach dem Stiftungsbrief des Abegg’schen Stipendiums das. ist J. F. H. Abeken am 27. (nicht 23.) März geboren. [Bd. 7, S. 794]