ADB:Puchta, Wolfgang Heinrich

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Artikel „Puchta, Wolfgang Heinrich“ von Johann August Ritter von Eisenhart in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 26 (1888), S. 690–692, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Puchta,_Wolfgang_Heinrich&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 14:50 Uhr UTC)
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Puchta: Dr. Wolfgang Heinrich P., bairischer Landrichter und juristischer Schriftsteller, geboren am 3. August 1769 zu Möhrendorf bei Erlangen, † am 6. März 1845 in Erlangen. – Nach Ueberlieferung der Familie stammt sie ursprünglich aus Böhmen und zog von dort wegen ihres lutherischen Bekenntnisses ins benachbarte markgräfliche Gebiet, wo Heinrich’s Urgroßvater als Schloßbaumeister auf Plassenburg, der Großvater als Amtmann zu Münchsteinach lebten. Unser Wolfgang Heinrich wurde dem evangelisch-lutherischen Pfarrer Johann Christoph P. 1769 als das älteste von neun Kindern geboren. Der Knabe verbrachte im elterlichen Pfarrhause zu Möhrendorf meist freudenleere Tage. Der Vater, in Folge mancher Zurücksetzung von mehr düsterer als heiterer Gemüthsart, schien dem Erstgeborenen wenig Neigung entgegenzubringen; die Mutter klagte oft schmerzlich unter der Last schwerer Haushaltungs- und Nahrungssorgen. Diese Verhältnisse gestalteten sich für Heinrich nicht günstiger, als der Vater (erst vierzig Jahre alt) am 13. Mai 1784 starb und Ersterer von des Vaters Bruder, dem Regierungsadvocaten Arnold Heinrich P. in Ansbach, aufgenommen wurde. (Advocat P. bekleidete nebenbei auch die Stelle eines „Procurators an dem kaiserlichen Landgerichte Burggrafenthums Nürnberg“ – einem bis unter die preußische Regierung forterhaltenen Reliquum der vormaligen kaiserlichen Landgerichte, die statt der früheren Gaugerichte in den Reichsvogteien errichtet wurden.) Der argwöhnische, leutscheue Hagestolz hatte für die Neigungen seines Neffen, den er mit „er“ anzureden pflegte, weder Sinn noch Verständniß, und da er auch bei Verwendung seiner Mittel sehr haushälterisch war, erklärte er nach beendetem Gymnasialstudium (Septbr. 1789) dem betroffenen Jünglinge, nichts mehr für ihn thun zu können. Da war es Gymnasialrector Dr. Faber, welcher den eifrigen Schüler durch Vermittlung von Stipendien und Unterstützungen in den Stand setzte, die Universität Erlangen zu besuchen, an der er am 15. October 1789 als der Rechte Beflissener immatriculirt wurde, die er jedoch nach Ablauf des 3. Semesters (Ostern 1792) wegen Mangels ausreichender Mittel wieder verließ, worauf er nach abgelegter Prüfung mittels Decrets der Landes-Justiz-Commission vom 16. Juli 1794 zum Anwalt in Ansbach ernannt wurde. – Durch königl. preuß. Instruction vom 3. Juli 1795 und 11. Juni 1797 wurde die Justizpflege in den Fürstenthümern Ansbach und Baireuth neu organisirt. Die Seele der gesammten Landesorganisation war der geistreiche und gefeierte Minister v. Hardenberg. In Folge dieser Organisation wurde eine eigene Criminaldeputation behufs Urtheilsfällung in Strafsachen errichtet und P. neben seiner Advocatur laut Decret vom 24. December 1796 als jüngster Criminalrath dieser Deputation, zugleich auch als Rath bei der Kammer- und Justizdeputation aufgestellt, welch’ letzteres Amt er alsbald mit dem eines honorirten Fiscals vertauschte. Um dieselbe Zeit (1796) hatte sich P. mit Johanna Philippina, der ältesten Tochter des preuß. Justiz- und Kammeramtmanns Heim verheirathet. Die 40jährige Ehe war mit acht Kindern gesegnet, unter welchen der später als Pandektist berühmte Georg Friedrich im August 1798 zuerst das Licht der Welt erblickte (siehe oben Seite 685). Am 1. Januar 1797 wurde P. bei dem neuen Justizamte Cadolzburg zum ersten Justizamtmann mit dem Charakter eines preußischen „Justizrathes“ und einem Gesammtbezuge von mindestens 2000 fl. ernannt. Als durch den Preßburger Frieden (26. Dec. 1805) das Fürstenthum Ansbach an die Krone Baiern fiel, blieb P. nach Umwandlung des bisherigen Justizamtes in ein Landgericht mit erweitertem Geschäftskreise auf seinem Posten, welchen er im April 1812 mit dem Landgerichte Erlangen vertauschte, dem er, ohne Beförderung nachzusuchen, 28 Jahre aus besonderer Neigung zu dem äußeren Dienste vorstand. In Erlangen erfreute sich P. des anregenden und fördernden Umganges mit seinem früheren Lehrer Dr. Glück, mit [691] Hildebrandt, Schreger, Vogel und namentlich mit dem 1840 zu Stuttgart als wirklicher Geheimrath verstorbenen Prof. Dr. Gros, – ein Verkehr, der nach Puchta’s eigenem Geständniß dessen Sinn und Neigung zu litterarischer Thätigkeit entschieden weckte und mehrte. P. war ein Beamter von gediegenen Kenntnissen, rastlosem Eifer, reicher Erfahrung und sicherem Tacte. In Anerkennung seiner Leistungen verlieh ihm die Juristenfacultät der Universität Erlangen am 3. August 1817 die Würde eines Doctors beider Rechte, und da er nach dem Urtheile seiner Vorgesetzten zu den hervorragendsten Landrichtern des Königreiches zählte, wurde er durch Justizministerial-Rescript vom 6. April 1821 als Mitglied der Commission gewählt, welche zur Prüfung eines Gesetzbuches über das Gerichtsverfahren in München unter dem Vorsitze eines Justiz-Ministerialraths niedergesetzt wurde. Die Einberufung erfolgte am 25. März 1823; die aus 7 Mitgliedern bestandene Commission legte nach 2jähriger Thätigkeit einen Proceßordnungs-Entwurf vor, der dann zweimal die Revision passirte, aber auch in der umgeänderten Form von den Ständen nicht angenommen wurde, weil sie mit der Regierung über den Gerichtsorganismus und die leitenden Grundsätze des Verfahrens nicht ins Reine kamen. – 1826 veröffentlichte P. eine Denkschrift „Ueber die bürgerliche Rechtspflege und Gerichtsverfassung Baierns mit Hinsicht auf die Verbesserungsvorschläge einer zur Revision der Proceßordnung angeordnet gewesenen Commission“ (Erlangen, gr. 8°, Palm und Enke, 411 S.), worin der Verfasser nach vorausgeschickter Darstellung der bair. Proceßgesetzgebung, der Gerichtsverfassung und der gemachten Verbesserungsvorschläge (neben einer Kritik des gelieferten Entwurfes) zugleich seine bei jener Commission gemachten Erfahrungen ausspricht. – Am 15. Juni 1840 trat P. nach 45jähriger ehrenvoller Dienstzeit in den „wohlverdienten“ Ruhestand. Während desselben schrieb er „Erinnerungen aus dem Leben und Wirken eines alten Beamten“ (Nördlingen 1842, 355 S). Nach dem Vorworte besteht der „Zweck des Unternehmens minder in Abfassung einer der gewöhnlichen Selbstbiographien, als vielmehr in Sammlung von Erfahrungen und Reflexionen, zunächst zum nützlichen Gebrauche – als eine Art Vorschule – für angehende Praktiker, besonders diejenigen, welche eines äußeren, dem Volke unmittelbar vorgesetzten, Justiz- und Verwaltungsbeamten dienstlichen Beruf, und wie ihm würdig vorzustehen, kennen zu lernen verlangen“. (S. III u. IV a. a. O.) Der belehrende Inhalt des anziehend geschriebenen Buches zeigt, daß der Verf. den sich vorgesetzten Zweck nie aus dem Auge verloren. Am Schlusse der Monographie findet sich ein Verzeichniß der litterarischen Arbeiten Puchta’s mit kurzen Inhaltsangaben. (S. 342–355.) Es ist in der That überraschend, wie er neben umfassenden Berufspflichten eine so fruchtbare schriftstellerische Thätigkeit zu entwickeln vermochte. Außer fünfzehn Abhandlungen, großentheils in Band 10–16 des Archivs für civilistische Praxis, dann in Band 3–13 der Gießner Zeitschrift für Civilrecht und Proceß abgedruckt erschienen in den Jahren 1815 bis 1838 aus Puchta’s Feder neunzehn selbständige Werke, von denen sich die Mehrzahl (Nr. 4, 7, 8, 11, 13, 16, 17, 19 des Verzeichnisses) mit dem Verfahren in bürgerlichen Streitsachen, andere (Nr. 5, 10) mit dem Hypothekenwesen, (Nr. 6, 12) der freiwilligen Gerichtsbarkeit, oder (Nr. 14, 15) der Gerichtsorganisation befassen. Unter diesen Arbeiten sind besonders hervorzuheben: „Beiträge zur Gesetzgebung und Praxis des bürgerlichen Rechtsverfahrens“. (2 Bde., Erlangen 1822, 392 S. u. 1827, 488 S.) Der erste Band liefert zwölf von einander unabhängige processuale Abhandlungen, der zweite Band spricht vom Concursprocesse und den Mitteln seiner Abwendung und Abkürzung. – Ferner die populär gehaltene Schrift: „Unterricht über die Gemeinde-Verwaltung auf dem Lande im Königreich Bayern“. (Erlangen 1822, II. Aufl. 1825, 127 S.) – Sodann: „Der Dienst der deutschen Justizämter [692] oder Einzelrichter“. (2 Thle. gr. 8°, Erlangen 1829 u. 30, 329 u. 639 S.) Der Verf. gibt eine in sechs Büchern oder Hauptrubriken abgetheilte geschichtlich-dogmatische Darstellung der deutschen Gerichtsverfassung und des Verfahrens bei den deutschen Justizämtern von der frühesten Zeit bis zur Gegenwart. – Endlich: „Ueber die gerichtlichen Klagen, besonders in Streitigkeiten der Landeigenthümer“. (Gr. 8°, Gießen 1835.) Ein praktisches Handbuch, dessen „zweite, sehr vermehrte und verbesserte Auflage“ 1840 erschien. – Allseits hochgeschätzt und geachtet erfreute sich P. eines glücklichen Alters. Er starb nach kurzem Unwohlsein zu Erlangen am 6. März 1845; nur wenige Monate später, am 8. Jan. 1846, folgte ihm sein Sohn Georg Friedrich (s. oben S. 685) ins Grab.

Erinnerungen aus dem Leben und Wirken eines alten Beamten etc. von Dr. W. H. Puchta (Nördlingen 1842). – Holtzendorff, Rechts-Lexikon, 1. Aufl. II, 403.