Textdaten
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Autor: H. Pichler
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Titel: Zwischen zwei Welten
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aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 437-442
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[437]

Zwischen zwei Welten.

„Ich weiß nicht, daß noch Land besteht,
Die Wellen hier sprüh’n Schaum und Funken!
Doch Berg und Wald und Wiese – seht!
Das Alles ist im Meer versunken.“ Freiligrath.

Allmählich versank die felsige Küste Alt-Englands in den Fluthen, ein mattgrauer, mehr und mehr schwindender Streif im Nordosten des Horizonts allein zeigte den Punkt, wo die alte Welt zurückblieb.

Breit in unermeßlicher Fläche lag der Ocean hingestreckt und luftiger als durch Nordsee und Canal, in deren Fahrwasser die peinlichste Wachsamkeit von Capitain, Officieren und Mannschaft gefordert wird, zog der „Neptun“ seine Furche durch das blaue Wasser.

[438] Ueber Backbord hinaus erglänzten in weiter Ferne einige Segel, Segelschiffe, die den kräftig wehenden Nordwest zu südlichem Course benutzten, und hier und da tauchten aus den Wellentälern kleine einmastige Fahrzeuge auf, welche die Segel halb zugerefft trugen; es sind Fischerboote, die, des schuppigen Fanges gewärtig, Tage und Wochen in den Küstengewässern sich umhertreiben.

Dort voraus, im Westen, wo die Sonne, hinter leichten Schleiern verborgen, sich anschickte hinabzusteigen, dort lagerte allerdings eine dunkle Wolkenwand, nur niedrig und unbeweglich, aber finster drohend. Sie ward von der Commandobrücke aus öfters einer eingehenden Besichtigung gewürdigt, doch senkte sie den Zeiger der meteorologischen Säule in dem wetterfesten Gesicht des Capitains nicht um einen Strich.

Die alte Europa im Rücken, freie Fahrt voraus, da mag es mal hart wehen und uns tüchtig schütteln, wir besitzen eine eiserne Stirn und vertragen einen guten Puff; denn so tüchtig das Schiff, das sich in vielen heiklen Situationen bewährte, so brav und zuverlässig ist seine Besatzung, die unter des Capitains Commando seit mancher Reise steht, und Schiff, Capitain und Mannschaft gehören zu einander, wie Rumpf, Haupt und Glieder eines Körpers.

Aber die dunkle Wand stieg langsam höher, der Wind machte sich dahinter und blies mit vollen Backen in das schwere Gewölk, im Nu kam es in Begleitung von Bruder Wind herangerast und schüttete seinen Inhalt mit wolkenbruchähnlicher Gewalt über den „Neptun“ aus.

Unter den Passagieren, die, nichts ahnend, dem angenehmsten dolce far niente huldigend, auf dem Hinterdeck frische Luft und zwanglose Unterhaltung genossen, entstand ob der Regenböe großer Schrecken, dem alsbald allgemeiner Rückzug sich anreihte.

„Langsam, langsam, meine Damen – die paar Regentropfen schaden nicht, und immer rückwärts die Treppe hinabgehen, sonst giebt’s Fehltritte und Gestolper.“

Der erste Officier sprach’s, der eben bis über die Ohren in den Oelrock geknöpft an Deck kam, um sich auf die Commandobrücke zu begeben.

Auch ein ältlicher Herr mit halb ergrautem Bart und wohlwollenden Zügen rüstete sich, in’s Trockne zu kommen; aber er war Amerikaner und wußte, was sich Damen gegenüber ziemt; er wartete geduldig, bis Alles, was zur holden Weiblichkeit gerechnet werden konnte, den schützenden Hafen erreicht hatte.

„Onkelchen, bleib’ bei mir, ich möchte auf Deck bleiben!“ schmeichelte im Gewühl eine Mädchenstimme an sein Ohr, aber schier erschrocken wandte der Onkel sich zur Seite, wo ein Köpfchen, aus dessen braunen Locken das Wasser rieselte, sich an seine Schulter legte.

„Aber Kind, bei dem Wetter?“

„Gerade, well es ‚schlecht Wetter‘ giebt, will ich oben bleiben. Ja ja, Onkel Dresing, Du hast nicht umsonst Dein Nichtchen aus Deutschland mitgenommen, man fährt nicht alle Tage über das große Wasser, und wenn ich das Weltmeer durchreise, will ich auch seine Romantik kennen lernen; dazu gehört aber vor allem etwas ‚schlecht Wetter‘. Unter diesem summarischen Ausdruck versteht aber der Seemann – wie mir der hübsche ‚Stewart‘ in einer belehrenden Unterredung mitgetheilt hat – Sturm, Nebel, hohen Seegang, kurz –“

„Um Gotteswillen, hör’ auf, Kind. Kannst Du Dein romantisches Gelüst denn nicht zu Gunsten meines Rheuma bezähmen?“

„Geh nur, Onkel, geh nur! Jedesmal, wenn ein Wunsch von mir Dir quer kommt, flüchtest Du hinter Dein Rheuma, welches doch in Wiesbaden bleiben sollte. Sonst bist Du freilich der beste, aufmerksamste Onkel von der Welt.“

„Hexe, Du!“

Der braunlockige Querkopf konnte diesmal nicht zum Ziele kommen, Onkel Dresing wollte aller Liebe zum schönen Nichtchen zum Trotz nicht mit sich unterhandeln lassen.

„Nun, dann bleib’ ich allein oben,“ erklärte sie, knüpfte ein Tüchlein über das Haar und hüllte sich in den dunklen Mantel.

Hui, wie pfiff die Böe und stürmte die erregte See heran, der Regen hatte seine Wuth rasch erschöpft, desto wilder brausten die Wassermassen der Tiefe, und einige besonders hohe Wellenköpfe brachen über den Bug herein.

Noch blieb die junge Dame in der Thür des Pavillons stehen und überlegte, denn die Sonne war verschwunden und dunkler ward es von Minute zu Minute. Die Signallichter und die Compaßlampen brannten. Aber gerade draußen, wo kein schützend Dach dem Winde wehrt, mit dem Nachthimmel und der brausenden See allein – herrlicher Gedanke; also – husch, husch hinaus. Zu dem Großmast, wo man den Blick nach vorn frei hat? nein, dort gehen die Officiere stets ab und zu, man ist nicht ungestört. Aber nach hinten an dem Officier vorbei, der stumm und reglos am Compaß vor dem Ruderhause steht.

In diesem Augenblicke tönte aus dem Ruderhause, wo vier Mann das Steuer handhabten, in kurzen Unterbrechungen ein viermaliges schrilles Klingeln.

Das junge Mädchen fuhr zusammen.

„Was ist das?“ fragte sie einen vorübergehenden Matrosen.

„Das ist ein Tingeltangel,“ lautete die lakonische Antwort, und der Mann ging weiter.

Ein Tingeltangel! das ist kein salonfähiger Ausdruck, so viel weiß die junge Dame genau, ob aber die ominöse Bezeichnung einen ebenso ominösen Begriff deckt, steht außerhalb ihres Fassungsvermögens, und das verstohlene Lachen auf dem bärtigen Gesicht des Officiers, der sich auf seinen Compaß bückt, sagt auch nichts Deutliches.

Da, hinter dem Ruderhause, fand sich das ungestörte Plätzchen. Der Regen hatte nachgelassen, ebenso die Heftigkeit des Windes, aber die See ging hoch und der Dampfer arbeitete und schlingerte gewaltig. Die junge Dame schien jedoch gefeit gegen die „Krankheit“, und als nun die Mannschaft Segel setzte (der „Neptun“ trug Schoonertakelung), um das Schiff zu stützen und die heftige Bewegung desselben zu mildern, schaute sie dem Manöver gespannt zu. Wie sicher, beinahe militärisch exact bewegten sich die schlanken, schmiegsamen Gestalten der Seeleute! Durch das dämmernde Zwielicht auf Deck ward der Reiz erhöht. Und über Bord hinaus die weite gähnende Nacht. Ja, sie war wundervoll, diese Nacht auf dem Oeean. Was er wohl sagen würde, wenn er an ihrer Seite hier stände? Er, der so feines Empfinden für das Walten der Natur besaß?

Er war nämlich ein junger Mann mit kurzkrausem, dunklem Haar und kecken Augen im fröhlichen Antlitze. Er war seines Zeichens Landschaftsmaler, der Studien zu machen nach Nordamerika ging, welches seiner Ansicht nach dem Landschafter eine Fülle der besten Motive bot, und nach Fräulein Ida’s tiefinnerster Ueberzeugung reichte ein Claude Lorrain, oder der Andreas Achenbach, welchen der Onkel von Düsseldorf mitgenommen hatte, bei weitem nicht an die Kunsterzeugnisse seines Pinsels. Er hatte seinen Platz bei Tafel leider in einer starken Diagonale mit Fräulein Ida, und diese Stellung zweier Gestirne erlaubte kein so häufiges Verschmelzen der beiderseitigen Lichtstrahlen, wie bei der unleugbaren Attraction dieser Sterne wünschenswerth erschien.

Zwei feindliche Gestirne hatten sich in die Bahn geschoben, hüben die „Dame in Grün“, eine nicht mehr ganz frische Schönheit, die allmittäglich, nachdem sämmtliche Tischgenossen bereits Platz genommen, in meergrüner, seidener Schlepprobe hereingerauscht kam, sonst jedoch nur in grauer Regenkapuze sich zeigte, weshalb unter ihren Mitschwestern die Version verbreitet war, besagte beide Kleidungsstücke bildeten ihre ganze Garderobe; – drüben ein verwittweter Engländer, der aus den Trümmern seines häuslichen Glückes nichts gerettet zu haben schien, als einen ungezogenen, vierjährigen Jungen, welcher alle Leute mit staunenswerther Consequenz auf die Füße trat und in Puddings und Pies die unglaublichsten Verwüstungen anrichtete. Mit diesem hoffnungsvollen, liebenswürdigen Sprößling reiste der Vater umher, um – ihm eine neue Mama zu verschaffen. Wenn nicht alle Anzeichen täuschten, war das Ideal entdeckt, wenigstens konnten die starren Blicke, mit welchen Mylord Vater Fräulein Ida unausgesetzt verfolgte, nicht anders gedeutet werden, wie alle Vertreterinnen des schönen Geschlechts in traulicher Zwiesprach eifrigst versicherten.

Da hat nun das Schicksal eine Anzahl Menschen aus vieler Herren Ländern an Bord eines Dampfers zusammengefegt; fremd bis zur Stunde, lebt man mit einander, für einander, teilt Leid und Freud, freundliche und ernstliche Beziehungen entstehen, man ist in Noth und Tod auf einander angewiesen, und ein Band [439] festester Treue umschließt Alle – bis nach wenigen Tagen die verrinnenden Wellen der Zeit sie aus einander schleudern, und fremd, wie vorher, geht ein Jeder seinen Weg.

Ida stellte sich vor, wie der Schreck von der plötzlich aufspringenden Böe nachwirkte. Die Eine mühsam lesend, die Andere seekrank – und selbst von den Herren fand keiner Courage zu einer flotten Unterhaltung, sie sitzen einzeln umher, sehen die blanken Lampen in ihren Doppelringen schaukeln und hören die brausende See gegen die Schiffswandung klatschen; aber keinem fällt es ein, wie wonnig, wie großartig eine unruhige Nacht auf dem Meere sei.

Goldene Funken sprühten im Kielwasser, verschwanden blitzschnell und glitzerten an anderen Stellen auf. Das junge Mädchen beugte sich über Bord, das Funkenspiel entzückt betrachtend, doch eine Berührung wie die vom Fittich eines Nachtvogels wandte ihren Kopf zur Seite, dort stand eine Männergestalt, deren flatternder Mantel das Mädchen berührt hatte.

Es bedurfte beiderseits keines Wortes, um überzeugt zu sein, die beiden Gestirne, welche bei Tische unglücklicher Constellation halber dem Gesetze der Attraction nicht folgen konnten, seien urplötzlich in jene Nähe gerückt, wo diese Kraft ungehindert wirken könne. So dauerte es denn nicht lange, und die Beiden saßen tief drinnen in jenem Gedankenaustausch, der über die schwierigsten Fragen und Probleme des Lebens Betrachtungen anstellt, der die ernstesten Sachen in sein Bereich zieht, nur nicht die Liebe. Während aber dieser eine Punkt hartnäckig umgangen wird, schickt der beflügelte Schelm seinen Pfeil desto sicherer in die jungen Herzen ab. Halt, so weit waren die Leutchen noch lange nicht.

Die See brauste unter ihnen, und über ihren Häuptern ging der Wind, der „Neptun“ stampfte und stieß in dem hohen Seegange, daß manches Wort abgeschnitten wurde, ehe es die Lippe passirte.

Der junge Mann drückte seine Freude aus, in Fräulein Ida eine gleich empfindende Bewunderin der Natur zu finden, und sie dagegen erzählte, sie sei Onkel Dresing unendlich dankbar, daß er sie aus Deutschland mitgenommen habe. Allein, ohne Vater und Mutter stand sie, als Onkel und Tante Dresing mit ihren kleinen Mädchen und dem weißen Pinscher aus Boston herüberkamen, um in Wiesbaden für Onkels Rheuma Heilung zu suchen. Schon die Rheinfahrt sei köstlich gewesen, und in Düsseldorf gab’s so viele herrliche Bilder zu schauen, daß die Augen schier verwirrt wurden. Schöner aber als alle Bilder sei die schöne Welt selber, und eine Meerfahrt wie diese das Herrlichste von allen.

„Leicht wird der Geist und frei die Seele,“ rief sie, „ich möchte tauchen können bis zum geheimnißvollen Grunde und fliegen mit dem Sturm um die Wette gen Westen, wo unser Reiseziel.“

„Ja, in das Land der Freiheit, des Fortschritts,“ fiel der Maler ein

„Reden Sie Amerika das Wort?“ fragte die junge Dame neugierig, „ich hörte sagen, die Kunst habe keine Stätte im Lande des Dollars. Onkel Dresing will das freilich nicht gelten lassen, aber er brachte keine Gegenbeweise ein.“

„Und wäre es bis jetzt auch so, was thut’s?“ rief der junge Mann. „Nordamerika ist im Werden begriffen und wird rasch zu dem Höhepunkt des Ideals emporsteigen. Schon haben die Wissenschaften festen Fuß gefaßt in dem jungen Volke, und mächtig durchdringen sie alle Schichten der Bevölkerung. Die Wissenschaften aber sind Vorläufer der schönen Künste. Ist der Geist befriedigt, tritt das schönheitsdurstige Herz in die Schranken. Allbereits regt es sich da und dort. Nordamerika steht im Frühlicht seines Tages, in Europa aber leuchtet die goldene Abendsonne.“

„Und wir schaukeln zwischen zwei Welten auf dem unendlichen Meere,“ sagte Ida nachdenkich. „Werden wir das Land der Verheißung erreichen?“

„Ja und nochmal ja,“ rief der junge Mann feurig, seine Hand suchte einen Moment die ihre. „Am Hudson, in den Katskillbergen und den weiten Prairien des Westens werde ich dieser Stunde gedenken. Gedenken auch Sie ihrer?“

Wer weiß, wohin das Pärchen sich verirrt haben würde, wenn nicht in diesem Augenblicke ein langgezogener Ruf durch die Dunkelheit gedrungen wäre.

„Hohei, aufgepaßt, Schiff in Sicht!“ schrie eine Stimme vom Ausguck vorn auf der Back, und sofort ward es auf Deck unruhig. Aber es zeigte sich nicht jene gemessene Unruhe, welche jedem wohlberechneten Manöver vorangeht, sondern eine unstete peinliche Bewegung, die dem sicheren Hantiren der Seeleute sonst fremd ist. Zuglelch klingelte es wieder einmal schnell hinter einander neben dem Steuerrade.

„Das ist der Tingeltangel,“ flüsterte das junge Mädchen.

„Wa–a–a–s?“ fragte ihr Nachbar.

„Der Tingeltangel, ich weiß es genau,“ erwiderte Ida.

„Hat der verdammte Kerl keine Lichter außen?“ schrie es von der Commandobrücke.

„Nein, kein Licht zu sehen,“ lautete die Antwort zurück.

Daß der Capitain und erste Officier auf der Brücke die Augen durch die Gläser schier überanstrengten, um Lage und Cours des begegnenden Schiffes zu erkennen, konnten die Beiden hinter dem Heck nicht gewahren, ebenso wenig wie sie die kräftigen Flüche der beiden verantwortlichen Seemänner hörten. Nur daß etwas Außerordentliches vorgehe, daß eine Gefahr drohe, fühlten sie Beide, und ihr Athem stockte.

Wieder ein leiser Klang im Ruderhause, und die beiden Quartiermeister am Steuer gaben, unterstützt von zwei Matrosen, „Backbord Ruder hart“. Ein stummer, erwartungsvoller Augenblick, der das Blut in den Adern erstarren ließ, ein Moment, der über Sein und Nichtsein entschied, und – mit enger Kurve Steuerbord ausbiegend – entging der brave „Neptun“ der drohenden Collision. Und hohe, ja die höchste Zeit war es gewesen, denn fast streifte der Schnabel des Dampfers den Bug des pflichtvergessenen Seglers, der nun, ohne Signallaternen noch sonstige Beleuchtung zu zeigen, nahe vorbeiglitt. Seine Masten ragten in den schwarzen Nachthimmel unheimlich empor.

„Gewiß ein gottverlassener Spanier, oder gar ein verdammter Türkenhund!“ sagte ein alter Matrose, welcher über das Hinterdeck ging.

„Sagt doch, guter Freund, war die Gefahr groß?“ redete ihn der Landschafter an.

„Groß genug,“ brummte der Alte, „daß wir in fünf Minuten Alle mit einander in hundert Faden Tiefe ’nen Contretanz aufführen konnten.“

„Noch eine Frage erlaubt! Kurz ehe der Dampfer ausbog, gab es einen – einen Tingeltangel –“

„Ja, was ist ein Tingeltangel?“ fiel Fräulein Ida ein.

Der Alte schmunzelte.

„Ein Tingeltangel, meine Herrschaften ist ein telegraphisches Donnerwetter für Die, welche am Steuer stehen. Es heißt so viel, als: ‚Ihr verfluchten Kerle, wollt Ihr wohl besser auf den Cours passen; wenn Ihr nicht genauer Acht gebt, werde ich Euch mal gehörig den Kopf waschen lassen.‘ Dieses Donnerwetter kommt vom Capitain auf der Commandobrücke, und die Leute am Steuer verstehen es ganz genau. Sonst noch Befehle?“

„Nein, wir danken!“

„Na, dann geh’ ich an die Arbeit, der Wind ist herumgegangen, da müssen wir die Röhren versetzen.“

Der grauhaarige Seemann begann mit mehreren Cameraden die zahlreich auf Deck verstreut stehenden Röhren, die am andern Ende zu einer riesigen Schallmuschel geweitet schienen, zu drehen und zu wenden.

„Um Gotteswillen,“ rief Fräulein Ida, „welch neue Gefahr droht, daß die schrecklichen Rohre in Anwendung kommen müssen? O, bleiben Sie bei mir! nein, fragen Sie, was zu befürchten steht; ich eile hinunter, Tante bei den Kindern zu helfen.“

Nun that der Officier, welcher an dem großen Compaß beobachtend stand, zum ersten Mal den Mund auf.

„Aengstigen Sie sich nicht, es sind die Ventilationsröhren, die Ihnen in Salons, Kajüten und in alle vier Decks frische Luft schaffen. Der Wind hat sich gedreht, folglich müssen die Röhren auch gedreht werden, um den Wind aufzusaugen.“

„Ach so,“ kam es merkwürdig erleichtert aus der Brust des jungen Mädchens. Aber die holde Zwiesprach angesichts des nächtlichen Oceans blieb gestört, außerdem läutete eben die Glocke zum Abendessen.

Einige hundert Meilen weiter westwärts dampfte der „Neptun“. Die alte Welt und das Land der Verheißung, beide lagen in gleicher Entfernung tief unter dem Horizonte, auf dem Höhepunkte der Erdkugel schwebte der „Neptun“. Heiter strahlte die Sonne

[440-441]

Ball an Bord – „zwischen zwei Welten“.
Oelgemälde von Ludwig Blume. Nach einer Photographie im Verlage von F. Hanfstängl in München.

[442] vom blauen Himmel herab, heiter kicherten und koseten die schäumenden Wogen und heiter glänzten die Gesichter der Passagiere. Nach dem Diner ward es ein Raunen, ein Wispern und Flüstern unter der schönen Hälfte des Geschlechts. Gar so wonnig ist das Leben, losgelöst von den Fesseln der alten Welt, die neue hat die ihrigen noch nicht übergeworfen; so im Schweben zwischen zwei Welten, warum sollte das Leben nicht genossen werden? Der alte Aeolus schien gnädig gestimmt, breit lag er auf der Tiefe und ließ sich in den Schlaf wiegen. Alles lud zur Freude am Dasein ein.

Ida hatte mit Onkel und Tante geflüstert, dann mit der jungen Frau und mehreren jungen und älteren Schönheiten die Köpfe zusammengesteckt. Ehe jedoch das weibliche Corps den Plan gefaßt hatte, ward er durch die Ritterlichkeit des starken Geschlechts ausgeführt – eine Drehorgel erschien an Deck, ein hübscher, strammer Matrose stellte sich dazu, und heidi, nach den lustigen Melodien flogen die Paare im Tanze herum.

Onkel Dresing sieht mit tiefem Behagen das liebe Nichtchen am Arm des schmucken Landschaftsmalers; er blickt von dem Paare hinweg in die blaue, gekräuselte Weite und denk: „Mein Achenbach ist zwar unübertrefflich, doch ein Stück Poesie auf dem Ocean erleben, ist auch nicht zu verachten.“

Tante Dresing freut sich des jungfrischen Wesens und sieht in ferne Zeiten, wo ihre beiden keinen Mädchen zu eben solchen Blüthen sich entfaltet haben werden. Alles athmet Luft und Freude, nur die „Dame in Grün“ hat sich zurückgezogen, und Mylord Vater starrt melancholisch auf die Mädchengestalt, die sich so leicht am Arme des jungen Mannes wiegt; ihm scheint just der Gedanke aufzugehen, sie sei doch nicht die rechte zu seines Sprößlings Mutter.

Der schmucke Matrose an der Drehorgel allein versteht das Lächeln auf Fräulein Ida’s Gesicht. Soeben flüstert der junge Künstler das Liebeswort in ihr Ohr, welches die beiden Herzen auf ewig bindet, und ein Druck ihrer keinen Hand giebt die Antwort.

„Ich habe das schon neulich Abend gewußt, als die Beiden hinter dem Ruderhause schwatzten von Sternen und Meerjungfern und Sterben,“ denkt der junge Seemann und orgelt lustig darauf los.

Der „Neptun“ aber dampft weiter, dem Land der Verheißung entgegen.[1]

H. Pichler.

  1. Der freundliche Leser sei darauf aufmerksam gemacht, daß L. Blume-Siebert, welcher die Scene vorstehender Schilderung in seinem Bilde „An Bord“ in so anmuthiger Weise verkörperte, derselbe Künstler ist, dessen „Tänzchen mit dem Großvater“ durch die „Gartenlaube“ die weiteste Verbreitung fand.