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Autor: Dr. Friedrich Hofmann
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Titel: Zum zehnten November.
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aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 747-751
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Ein Mahnwort an die deutsche Nation.
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Zum zehnten November.
Ein Mahnwort an die deutsche Nation.

Der Deutsche, der den Geist seiner Nation ehrt, wird den Namen „Friedrich Schiller“ nie ohne das Gefühl der Erhebung aussprechen – so groß steht der Mann vor unserer Seele, und so innig ist er mit unserem Leben und Weben verbunden. Dieser Zauber seines Namens war es, der das hundertjährige Fest seiner Geburt zu einem hohen Feiertag der ganzen deutschen Nation erhob; er war es, der es möglich machte, daß eine wahrhaft volksthümliche Begeisterung sich einem Unternehmen zuwandte, das bis dahin außerhalb des Kreises der Volks-Theilnahme lag: der Gründung einer Stiftung für nothleidende Schriftsteller und Dichter, der „Schiller-Stiftung“.

Das Jahr 1869 offenbarte in großartigster Weise die Sehnsucht des deutschen Volkes nach politischer Einheit und Macht; ihre geistige Einheit hatte die Nation auf eigene Faust durch die allgemeinste Verherrlichung ihres geliebtesten Dichters dargethan. Das Schillerfest hatte die Deutschen auf der ganzen bewohnten Erde zu einer Feier vereinigt, wie sie noch keinem Dichter, ja keinem Fürsten zu Theil geworden. Bis in das kleinste Dorf, die entfernteste Hütte, wohin wohl nie eine Zeile seiner Dichtungen gedrungen, ward sein Name getragen, und Hunderttausende von Bänden seiner Werke kamen nun erst in die Hände des Volkes. Gewaltige Ereignisse folgten diesem Jahre; sie hätten des Dichters Glanz in den Schatten stellen können, wenn nicht gerade in den Tagen der größten Gefahr sein Geist die Herzen erhoben und vor Allem sein „Wilhelm Tell“ die Begeisterung geschürt hätte. So feierte Friedrich Schiller mit uns Kampf und Sieg und den Triumph der deutschen Einheit in „Kaiser und Reich“. – Und dennoch steht die Thatsache beschämend vor unseren Augen, daß jenes erste Schillerfest fast überall in Deutschland das letzte war, daß fast nirgends das Bedürfniß sich zeigte, durch eine würdige Feier, dem Hohenpriester des Ideals geweiht, sich wenigstens einmal im Jahre der materiellen Richtung der Zeit zu entschlagen. Ja, es konnte die segensreichste Frucht jenes Schillerfestes, die „Schiller-Stiftung“, der großen Masse selbst der Gebildeten unseres Volkes aus dem Gedächtniß kommen und ihr etwas so Fremdes werden, als ob es die Kreise der Dichter und Schriftsteller allein angehe.

Besonders dieses letztere Verhalten ist bei der sonstigen Neigung zu freigebigem Wohlthun eine sehr auffallende Erscheinung. Wo suchen wir die Ursachen derselben? Gewiß nicht in geringerer Bildung der Gegenwart und daraus entspringender minderer Würdigung der Dichter, und ebenso wenig in geringerer Leistungsfähigkeit derselben. Im Gegentheil: wir können uns an Höhe und Ausbreitung geistiger Cultur mit jedem anderen Volke messen, ohne einem zu unterliegen, und unsere hervorragenden Dichter brauchen nicht mehr bis nach ihrem Tode auf öffentliche Verehrung zu wartet; sie wird ja den lebenden in vollem Maße zu Theil. Zudem ist die geistige Arbeit im Werthe gestiegen und der Schutz des geistigen Eigenthums ein Paragraph der Gesetze geworden. Auch die geistige Nahrung ist Tagesbedürfniß, und Guttenberg’s Kunst muß Dampf und Riesenmaschinen zu Hülfe nehmen, um jenes Bedürfniß zu befriedigen. Und dennoch war jene auffallende Erscheinung möglich! Wo sind die Ursachen?

Vielleicht finden wir sie in nächster Nähe und in jedem Hause. Trotz aller Bildung und Bildungsmittel, aller Lese- und Schaulust und aller Begierde nach immer neuen poetischen Schöpfungen fehlt uns Eines: ein innigeres Verhältniß zwischen den schaffenden Dichtern und dem empfangenden Volke. Es ist nicht genug, daß wir im Theater Beifall klatschen, wenn ein Stück uns gefällt; wird doch nicht selten von der Menge über dem Schauspieler der Dichter vergessen. Es ist nicht genug, daß wir das ergreifende Lied der Sängerin mit Beifall belohnten; bei der Abmessung desselben beansprucht der Componist den Löwenantheil. Es ist nicht genug, daß wir ein Epos, einen Roman der Leihbibliothek entnehmen, und daß einer neuen Novelle zu Liebe die Zeitungsblätter aus einer Hand in die andere gehen – das Alles ist gewiß schmeichelhaft für die Autoren, aber es ist nicht Das, was wir meinen.

Ich muß hier das Wort eines erfahrungsreichen Freundes citiren. Er schreibt mir hierüber: „Mit der Namensnennung eines Schriftstellers, den Beifallsäußerungen für einen von ihm empfangenen Genuß ist es allerdings nicht abgethan, so lange diese nicht [748] dem lebendigen Gefühle, dem deutlichen Bewußtsein entsprossen sind, daß die Literatur eines Volkes nicht ein ihm Aeußerliches, sondern der höchste Ausdruck, die edelste Blüthe und Frucht seines Wesens, das sprechendste Zeugniß seines Werthes und seiner Bedeutung in den Augen der Völker ist. Was würde eine noch so zahlreiche Nation in unserem Europa bedeuten, deren geistiges Schöpfungsvermögen nicht aus würdigen Gestaltungen der Vergangenheit und Gegenwart spricht? Und wenn der Aufschwung Deutschlands überhaupt möglich gewesen wäre ohne den Geist, den unsere Schriftsteller und Dichter geweckt, entzündet und herangebildet haben: was würden wir selbst mit allen unseren Siegen und Erfolgen sein ohne die Macht und den Glanz dieses Geistes und ohne das Ansehen, das er uns bei Freunden und Feinden giebt? Eine Nation soll sich daher des Besitzes ihrer Literatur nicht blos thatenlos freuen, sondern nach Kräften an ihrer Förderung mitwirken, sie vor Allem auch in ihren Pflegern und Trägern ehren, ermuntern und fruchtbar erhalten als ein unentbehrliches Gut, eine hochwichtige Angelegenheit des nationalen Interesses. An einem wahren Durchdrungensein von solcher Erkenntniß fehlt es aber bei uns noch sehr, und die Engländer und Franzosen könnten uns in dieser Hinsicht Beispiel und Muster sein. So konnten z. B. in Deutschland hervorragende, seit Jahrzehnten in der vordersten Reihe wirkende Schriftsteller die Erfahrung machen, daß bei einer Veranstaltung ihrer gesammelten Werke die Verleger diese einmal begonnenen Unternehmungen nur ehrenhalber zu Ende führten, da sie den beträchlichsten Theil der Kosten aus der eigenen Tasche bezahlen mußten. Solch eine Schmach würde in England und Frankreich nicht möglich sein. Jeder bemittelte und halbwegs gebildete Engländer oder Franzose fühlt und weiß, daß die Literatur seiner Nation auch für ihn arbeitet, daß er ihr gegenüber Pflichten der Ehre und des nationalen Anstandes, daß er ihr durch Anerkennung und Unterstützung fort und fort die Steuer seines Dankes zu entrichten hat.“

So könnte, so sollte es auch bei uns sein, aber nach dieser Seite hin ist die Mehrheit selbst unserer Gebildeten noch unglaublich kleinen und engen Sinnes. Selbst das regelmäßige Bücherkaufen gehört auch nicht zu den Gewohnheiten vieler unserer wohlhabenden deutschen Häuser, obwohl in ihnen viel gelesen wird. Ist es in unserem Kreise doch vorgekommen, daß ein reicher, sonst keineswegs geiziger Kaufmann zweimal an einem Tage seinen Livréebedienten zu einem befreundeten Publicisten schickte, um eine neue Schrift zu entleihen, die in jedem Buchladen für zwei Mark zu haben war. Gleich vielen seiner Standesgenossen hatte der Mann eben noch nicht das leiseste Bewußtsein seiner bürgerlichen Ehren- und Anstandspflichten in Bezug auf die literarische Production. Und doch ist gerade bei uns aus mannigfachen Gründen eine kräftige Förderung und Ermunterung des guten schriftstellerischen Schaffens so nothwendig, und es bedürfte wahrlich nur geringer Anstrengungen der Einzelnen, sie nutzsam zu erzielen.

In verhältnißmäßig sehr kurzer Zeit hat sich unser deutscher Schriftstellerstand zu einem achtunggebietenden, durch bürgerliche Ehrenhaftigkeit und Solidität ausgezeichneten Berufskreise herausgebildet. Der Weg des Einzelnen jedoch ist vielfach ein dornen- und kampfesvoller. Sehr oft ermatten vielversprechende junge Talete schon nach ihren ersten Anfängen, weil ihnen alle Mittel zu ruhiger Arbeit und Entfaltung mangeln. Mitten in rüstigem und anerkanntem Schaffen wird die Zukunft Anderer vernichtet, weil Krankheit und widrige Geschicke sie mittel- und hülflos fanden. Andere wiederum werden frühe zurückgeschreckt durch das Beispiel manches verdienstreichen Standesgenossen, der bei fleißigem Leisten keine Capitalien sammeln konnte und nun ein trostlos verlassenes Alter in Sorge und schlimmer Bedrängniß fristet. Das sind düstere Punkte, wie sie mannigfach als Flecken auf dem Schilde unseres Namens um uns her sich finden und nicht allein aus Gründen des gewöhnlichen Mitgefühls, sondern vor Allem im Einblick auf die unleugbar höchsten Zwecke der Volksgemeinschaft dem öffentlichen Gewissen sich nahe legen sollen. Das Publicum verlangt eifrig nach Lectüre jeder Art, setzt sich auch den Producten gegenüber auf das hohe Pferd strenger Kritik und verlangt mit Recht von ihnen die möglichste Vollkommenheit. Nur selten aber fällt es Jemand ein, bei dem getadelten Werk nach den Geschicke des talentvollen Verfassers zu fragen, nach den Verhältnissen, unter denen er arbeiten muß, und ob nicht vielleicht seine Arbeit einem getrübten Geist und gepreßten Herzen sich entwunden hat.

Daran muß immer wieder erinnert werden und deshalb hat auch die „Gartenlaube“ ihren Lesern im Laufe der Zeit die Gestalt manches unglückliche Dichters vorgeführt. Wir wollen diese traurigen Bilder nicht wieder heraufbeschwören. Dagegen gehört hierher einer der Jüngsten und Begabtesten unter den Todten, den die „Gartenlaube“ geehrt hat und dessen erschütterndes letztes Schicksal ebenso an die so wünschenswerthe Vorsicht des Urtheils mahnt wie für die Nothwendigkeit der Schiller-Stiftung zeugt, so lange eben diese es ist, welche mit immerhin noch schwachen und unvermehrt gebliebenen Mitteln jene Lücke in unserer socialen Bildung auszufüllen hat, die wir als den Mangel der innigeren Beziehung zwischen Dichter und Volk bezeichnet habe. Jener Dichter ist Heinrich Schaumberger, dessen Lebensbild die „Gartenlaube“ in Nr. 44 ihres Jahrgangs von 1876 gebracht hat. Die folgende Stelle aus dem dort (S. 740) erwähnten Briefe[1] möge das Bild eines Mannes vervollständigen, der in der That mit antiker Seelengröße zu sorgen und zu schaffen, zu leiden, zu dulden und zu sterben wußte. Es war auf seinem Sterbebette, wo er, mit Bleistift, das Folgende niederschrieb:

„Nie empfand ich die Wahrheit des Wortes ‚Unbedingte Thätigkeit macht bankrott‘ so hart, als in diesem Herbste. Es war vielleicht vermessen, in meiner Krankheit, die jeden Augenblick eine Katastrophe befürchten ließ, einen dreibändigen Roman zu unternehmen. Aber wer kann dem innern Drange befehlen? Und ich sah nun einmal in der Arbeit: ‚Erlebnisse und Erfahrungen eines Lehrers‘ eine Lebensaufgabe. So begann ich das Wagniß. Leider wuchs mir die Arbeit unter den Händen; der Sommer ging hin, und als der böse Herbst kam, ein Anfall (Bluthusten) nach dem andern mich niederwarf, war ich noch lange nicht zur Schürzung des Knotens gelangt. Diese Noth ist unbeschreiblich! Wenn jeder Nerv, jede Muskel nach Ruhe schreit, sich an den Schreibtisch setzen und poetisch produciren, - das sind Folterqualen. Wenn man auf dem Stuhle zusammenbrechen möchte, die zitternde Hand den Dienst versagt, das fiebernde Gehirn keinen Gedanken zum andern bringt, – und doch die Angst nur die Zukunft von Weib und Kind, die ganz nahe drohenden Gespenster der Noth und des Hungers ihr fürchterliches ‚Du mußt!‘ fort und fort wiederholen – o, solch ein Schaffen ist Höllenqual! Und so habe ich mich Monate hindurch abgekämpft. – Zum Glück ist der Roman vollendet; wenn auch ängstliche Sorgen und Zweifel mich oft niederdrücken, ich will hoffen, daß die umfängliche Arbeit wenigstens nicht ganz ihren Zweck verfehlt und Weib und Kind noch einige Hülfe nach meinem voraussichtlich sehr bald eintretenden Hinscheiden bereiten möge.“

Wem unter unseren Lesern und besonders unter unseren Leserinnen wird es nicht eine erhebende Genugthuung sein, daß diesem Helden unter den Duldern und Dichtern der bittere Leidenskelch versüßt wurde durch die „Schiller-Stiftung“, daß dieselbe nicht nur die „Gespenster der Noth und des Hungers“ vom martervollen Sterbebette Schaumberger’s vertrieb, sondern den Sterbenden noch mit dem Trost erquickte, daß seine Lieben nicht verlassen seien, daß der Lohn für sein Dichterstreben ihnen zu Gute kommen solle! Und mit und nach Schaumberger war es bisher noch eine ganze Reihe von Anderen, denen solcher Trost gewährt, denen auch die Hand zu noch möglicher Rettung für weiteres Schaffen gereicht werden konnte. Gewiß, der Segen solcher Unglücklichen ehrt die Stiftung alle Zeit und verpflichtet uns, das Gedeihen derselben uns eine heilige Sorge sein zu lassen, da sie unbedingt ein vorhandener tüchtiger Kern ist, an welche eine umfassendere Thätigkeit der Nation in großer Organisation sich schließen kann.

Diese Sorge aber muß jetzt laut reden, sehr laut, um diese Schöpfung zu Schiller’s Ehre kräftiger zu beleben, die Gleichgültigkeit, mit der sie von der großen gebildeten Masse unseres Volkes behandelt wird, zu bannen und für die hohe Bedeutung derselben Augen, Herzen und Hände zu öffnen.

Ist es nöthig, Ursprung, Zweck und Wirksamkeit der „Schiller-Stiftung“ unserem Volke wieder in’s Gedächtniß zu bringen, so kann das mit wenigen Worten geschehen. – Wie das Schiller-Haus in Gohlis und der Wunsch der Erhaltung desselben die Gründung des Leipziger Schiller-Vereins mit veranlaßte, so war für die

[749]

Friedrich Schiller’s Todtenmaske.[2]
Originalzeichnung von O. Weinberg in Weimar.

[750] Dresdener Schiller-Verehrer das nach dem Dichter benannte Häuschen in Löschwitz der Wallfahrtsort, wo schon 1855 Dichter Julius Hammer den Gedanken einer Stiftung zu Schiller’s Ehren aussprach. Da der Steinmetzmeister Uhlmann die Summe, die er für die marmorne Gedenktafel am Schiller-Häuschen erhalten sollte, nicht annahm, so bildete dieses Geschenk des wackern Bürgers den Geldstock der neuen Stiftung. Vier Jahre später, „zu Schiller’s Jubelfeier“, erging der (in der „Gartenlaube“ von 1859, S. 692 abgedruckte) Aufruf der „constituirenden Versammlung der deutschen Schiller-Stiftung“ an die Nation. Als Zweck der Stiftung bestimmte der zweite Paragraph des Statuts:

„Deutsche Schriftsteller und Schriftstellerinnen, welche für die Nationalliteratur (mit Ausschluß der strengen Fachwissenschaften) verdienstlich gewirkt, vorzugsweise solche, die sich dichterischer Formen bedient haben, dadurch zu ehren, daß sie ihnen und ihren nächstangehörigen Hinterlassenen in Fällen über sie verhängter schwerer Lebenssorge Hülfe und Beistand darbietet. – Sollten es die Mittel der Satzung erlauben und Schriftsteller und Schriftstellerinnen, auf welche obige Merkmale nicht sämmtlich zutreffen, zu Hülfe und Beistand empfohlen werden, so bleibt deren Berücksichtigung dem Ermessen des Verwaltungsraths überlassen.“ –

Das Capital, welches der Aufruf eingebracht, betrug 70,000 Thaler. Zur raschen Vermehrung desselben unternahm Major Serre, mit Hülfe von Bürgermeister Härtel und Alexander Ziegler, die Schiller-Lotterie, von deren reinem Ertrag von 451,248 Thalern ein Drittel an die von Serre schon früher in’s Leben gerufene Tiedge-Stiftung abging. Der Rest erhob das Capital der „Dresdner Zweigstiftung“ zur Höhe von 318,250 Thalern, von welchem jährlich vier Fünftel des Zinsertrags an den Verwaltungsrath der „Deutschen Schiller-Stiftung“ (die „Centralcasse“) abzuliefern sind. Zur Einahme der Letzteren kommen noch zwei Drittel von den Zinsen der übrigen Zweigstiftungscapitale. Nach der Vermögenstabelle der Zweigstiftungen beträgt für das Jahr 1878 der Jahresbeitrag: Dresden 33,360 Mark; der der Zweigstiftungen Oesterreichs (das in dieser nationalen Sache noch mit Deutschland Eins ist) 3000 Gulden ö. W., und zwar von Brünn 216 Gulden, von Gratz 72 Gulden, von Linz 54 Gulden, von Salzburg 58 Gulden und von Wien 2600 Gulden ö. W. Der Beitrag der übrigen achtzehn Zweigstiftungen Deutschlands: Berlin, Breslau, Danzig, Darmstadt, Frankfurt a. M., Hannover (Nienburg), Hamburg, Köln, Königsberg i. Pr., Leipzig, Lübeck, Mainz, München, Nürnberg, Offenbach, Stuttgart, Weimar und die badische Zweigstiftung der Städte Mannheim, Karlsruhe und Heidelberg, beträgt für 1878 die Summe von 6070 Mark. Im vorigen Jahre kamen der Centralcasse noch die Ehrengaben der Kaiser von Deutschland (1000 Mark), von Oesterreich (500 Gulden ö. W.), der deutschen Kaiserin (150 Mark), des Königs von Sachsen (500 Mark) und der Großherzoge von Weimar und Baden, zwei Legate in Wien, die Tantiemen der dramatischen Werke Rosenthal’s und ein Gastspielhonorar von Friedrich Haase zu Gute.

Was nun die Thätigkeit der Stiftuung betrifft, so giebt der Ueberblick eines Jahresberichts uns das deutlichste Bild derselben. Wir wählen den letzten, von 1877.

In diesem Jahre hat die Centralcasse die Gesammtsumme von 43,432 Mark 86 Pfennig verausgabt. Davon entfielen 15,192 Mark 86 Pfennig an lebenslänglichen Pensionen für 25 Personen, darunter 12 Wittwen und 4 Kinder und Enkelinnen von Dichtern; – ferner 18,385 Mark an mehrjährigen Bewilligungen für 46 Personen, darunter 21 Wittwen und andere Angehörige; endlich 9,855 Mark einmalige Zuwendung für 38 Personen, darunter 9 Wittwen und 3 andere Anverwandte von Dichtern. Außerdem sind von 9 Zweigstiftungen (Baden, Berlin, Breslau, Danzig, Darmstadt, Dresden, Stuttgart, Weimar und Wien) noch 74 Personen, darunter 10 Wittwen, mit Pensionen im Gesamtbetrag von 5970 Mark und 1315 Gulden ö. W. bedacht worden.

Wie erfreulich und tröstlich nun auch diese Zahlen uns anmuthen mögen, so ist die Kehrseite der Medaille desto betrübender. Muß der Verwaltungsrath in diesem Bericht „angesichts der sich von Jahr zu Jahr mehrenden Eingaben junger, noch erst im Werden begriffener Schriftsteller darauf aufmerksam machen, daß, den Satzungen nach, nur wirklich schon erworbene Verdienste um die deutsche Literatur die Grundlage bilden, welche, unter dem Hinzutreten bedrängter Umstände, zu Ansprüchen an die Stiftung berechtigen“ – so spricht noch deutlicher ein anderer Bericht, nach welchem seit dem Bestehen der Stiftung bis Ende 1874 im Ganzen 227 Schriftsteller oder deren Hinterbliebene unterstützt worden, daß dagegen nicht weniger als 233, also mehr als die Hälfte, mit ihren Gesuchen zurückgewiesen werden mußten. Man schreibt uns klar und offen: „Die Noth ist allenthalben groß, und die Mittel der Stiftung müssen immer mehr eingetheilt werden.“ Auch dieses Eintheilen hat seine Grenze, wenn die Ehrengaben wirklich Ehrengaben bleiben und nicht zum bloßen Almosen herabsinken sollen.

Wie dieses Mißverhältniß zwischen Ansprüchen und Mitteln über die „Schiller-Stiftung“ gekommen, liegt klar am Tage. Die Einnahmen derselben sind seit den Tagen des glücklichen Lotteriewagnisses des edlen Serre nur unbedeutend gewachsen, während in diesen neunzehn Jahren die Preise aller Lebensbedürfnisse in einer Weise gestiegen sind, daß ein Einkommen, das vor Jahren noch zufriedenstellend war, heute die bittersten Entbehrungen auferlegt.

Es ist wahrhaft empörend, von herzlosen Gegnern der „Schiller-Stiftung“ den Einwurf hören zu müssen, daß die Schriftsteller-Honorare jetzt so anständig seien, daß Jeder auch ohne die Stiftung für sich und die Seinen müssen sorgen können. Diese günstige Zeit kommt meist nur nur einem Theile der jüngeren Generation zu Gute. Man werfe einen Blick auf die Listen der Pensions-Empfänger! Das Herz blutet Einem, Namen zu lesen, die zu den Ehren unserer Literatur gehören. Wie wohl auch die ehrende Hülfe thun mag, immer bleibt es ein drückendes Gefühl, auf Männer blicken zu müssen, die selber oder deren Wittwen in ihren alten Tagen auf Hülfe angewiesen sind. Noch trauriger wird aber das Bild, wenn die bescheiden zugemessenen Gaben aus Mangel an Mitteln noch beschränkt werden müssen, abgesehen von jenen Armen, denen selbst diese bescheidene Hülfe ganz versagt werden muß.

Es ist keine Frage, daß es energischen Vorgehens bedarf, wenn die Schillerstiftung, die eine Ehrenpflicht der Nation übernommen hat, diese auch ehrenvoll erfüllen soll. Nur ungern spreche ich es aus, aber es ist leider wahr: die Nation hat auch in Bezug auf die Schillerstiftung ihre Pflicht nicht erfüllt und derselben nicht dauernd gewährt, was sie den hohen und großen Zwecken derselben mit geringen Opfern zu gewähren vermochte. Die Schule kann hier viel für den Wandel des Sinns thun, aber der rechte Anstoß für das Werk muß auch aus den Familien kommen. Wenn am Abendtisch den Kindern schon die Achtung vor den veredelnden Geistern der Nation und die Theilnahme für ihr Schicksal in die junge Seele gelegt wird, so werden Mutter und Vater auch zu öffentlicher Thätigkeit für eine Stiftung sich bewogen fühlen, die ihrem Herzen wohlthun muß. Wenn in der Familie nur erst die Schiller-Verehrung sich Bahn bricht, so ist der zweite Schritt schon halb gethan, der uns zum Ziele führt.

Wir haben gesehen, daß beiden großen Reiche Deutschland und Oesterreich zusammen für die „Schiller-Stiftung“ nur vierundzwanzig Zweigvereine aufzubringen vermochten. Hier ist der Hebel einzusetzen. Keine deutsche Stadt wird sich von der Theilnahme an diesem Nationalunternehmen ausschließen, wenn ein rechter Mann und eine rechte Frau sich der Sache annimmt. Vor Allem hüte man sich aber, ein Werk, das einen Dichter ehren soll, mit der bloßen Rechentabelle anzufangen! Die Poesie, die Kunst müssen Führer sein – dann folgt Alt und Jung. Man gründe vor Allem Schiller-Vereine, die sich, noch dem Muster des Leipziger, zur Aufgabe stellen, den Geburtstag des Dichters jährlich mit einem Schillerfest zu begehen! Rede, Musik und Gesang leben in Deutschland überall; selbst in der kleinsten Stadt, ja in zahlreichen Ortschaften sind sie im Stande, ein Fest zu verherrlichen. Wo aber ein Schiller-Verein und ein Schillerfest die Menschen zusammengeführt haben, da wird die Gründung eines Zweigvereins zur „Schiller-Stiftung“ sich den beiden von selbst anfügen.

Soll ich noch einen stillen Wunsch aussprechen, so geschieht es im Hinblick auf den Dichter, der „die Ehre der Frauen“ so herrlich feierte. Die Schiller-Vereine stellen keine politische Rednerbühne auf; wo aber Gemüth und Geschmack die Bahn zu einer edlen That bereiten sollen, da würde ich in der Versammlung [751] Sitz und Stimme auch den Frauen und Jungfrauen als ein Recht geben.

Das ist der dringende Mahnruf an die deutsche Nation. Ich habe in keinem Auftrage gesprochen und darum mich von Allem fern gehalten, was Geschäft und Statut der „Schiller-Stiftung“ bedingen. Zeigt sich der gute Wille zur That bereit, so wird der Ordnung auch ihr Recht werden. Nur Eines sei noch bemerkt: Nicht um eine Bettelei, um eine Mitleidsgabe, ein Almosen handelt es sich, sondern um die Befriedigung vollberechtigter Ansprüche, um die Hinwegwischung eines unsere Cultur beschämenden Makels, um eine freudig und aus ganzem Herzen zu erfüllende Pflicht gegen uns selber als nationale Gesammtheit. Seit Jahren hat die „Schiller-Stiftung“ diese Fahne entfaltet. Mögen ihr endlich alle Diejenigen folgen, die bisher aus Trägheit, Gleichgültigkeit oder falscher Auffassung sich fern gehalten haben![3]

Dr. Friedrich Hofmann.
  1. Vergl. „Gesammelte Werke von Heinrich Schaumberger (Wolfenbüttel, bei Jul. Zwißler), Bd. 9, S. 178 ff.: Briefe an Dr. Fr. Hofmann in Leipzig“.
  2. Am Tage nach Schiller’s Tode erhielt der weimarische Bildhauer Klauer von Frau von Schiller die Erlaubniß, eine Gypsabguß von dem Antlitze des großen Todten zu nehmen. Es wurden zwei Abformungen des Gesichts und der vorderen Kopfhälfte bis in die Gegend der Ohröffnungen vorgenommen, die beide sehr gut gelangen. Die hintere Hälfte des Kopfes ergänzte Klauer aus freier Hand, sodaß die Gypsabformung den ganzen Kopf Schiller’s mit der obersten Partie des Halses darstellt. – Beide Abgüsse kamen in den Besitz des Kaufmanns Friedrich Martin, dessen Gattin Klauer’s Tochter war, und dieser verehret einen der Abgüsse dem Bürgermeister Schwabe in Anerkennung seiner Verdienste, die dieser sich als junger Mann bei Schiller’s Bestattung und 1826 bei Aufsuchung von Schiller’s Gebeinen erworben hatte. Der Sohn desselben wurde als Erbe dieses Kleinods, und ihm, dem Herrn Medicinalrath Dr.Schwabe zu Blankenburg in Thüringen, verdanken wir obige Nachrichten sammt der Abbildung der Maske, nachdem er schon 1859 der „Gartenlaube“ (S. 668 ff.) über beide Gegenstände ausführlich berichtet hatte. Der wichtigste Dienst, den diese Maske leistete, als [[Goethe den Schädel Schiller’s suchte, ist Gegenstand eines Bildes in eben diesem Jahrg. (S. 197.)
  3. Die Redaction der „Gartenlaube“ hat beschlossen, dieser sehr ernsten und wichtigen nationalen Sache ihre volle Theilnahme und Thätigkeit zu widmen. Wie der Verfasser obigen Artikels, unser Redactions-College, sich erbietet, briefliche Anfragen in dieser Angelegenheit jeder Zeit zu beantworten, so ist die Redaction bereit, nicht nur nothwendigen Belehrungen und Erklärungen in Beziehung auf dieselbe gern die Spalten ihres Blattes zu öffnen, sondern auch die Namen der Städte und Ortschaften Deutschlands und Oesterreichs, welche sich durch Gründung von Schiller-Vereinen mit Schiller-Stiftungs-Zweigvereinen auszeichnen, in einer fortlaufenden Liste zu veröffentlichen.
    Die Redaction der Gartenlaube.