Von einem blinden Knaben, welcher zur Musik eine vorzügliche Anlage hat

Textdaten
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Autor: Samuel Wilhelm Oetter
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Titel: Von einem blinden Knaben, welcher zur Musik eine vorzügliche Anlage hat
Untertitel:
aus: Journal von und für Franken, Band 3, S. 99–103
Herausgeber: Johann Caspar Bundschuh, Johann Christian Siebenkees
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1791
Verlag: Raw
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Erscheinungsort: Nürnberg
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: UB Bielefeld, Commons
Kurzbeschreibung:
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IX.
Von einem blinden Knaben, welcher zur Musik eine vorzügliche Anlage hat.
Vor einiger Zeit wurde in den Bayreuter Zeitungen bekannt gemacht, daß zu Wien ein blindes Frauenzimmer sich habe auf der| Harmonika hören lassen, worüber Jedermann entzücket worden sey. Es wurde dabey die Bemerkung gemacht: daß alle blinde Personen große Anlage zur Musik haben. Sollte der Grund nicht darin liegen, weil diese Kunst lediglich für das Herz gehöret; alle übrige Wissenschaften aber meistentheils Zeitvertreib für die äussern Sinnen sind. Herr Doctor Kautsch hat in der psychologischen Abhandlung über den Einfluß der Töne, insbesondere der Musik auf die Seele, welche im J. 1782 in Breslau zum Vorschein gekommen ist, diese Wahrheit umständlich erläutert. Solche kann auch durch ein Exempel in der Nähe in dem Pfarrdorfe zu Trautskirchen bestättiget werden. Hier befindet sich ein blinder Knabe, welcher eine grosse Anlage zur Musik hat. Ich wurde durch eigene Erfahrung davon überzeugt und ersuchte deswegen den dasigen Hrn. Pastor Pümler, meinen gelehrten Freund, bey welchem ich den blinden Knaben auf der Flöte spielen hörte, er möchte von ihm eine kurze Beschreibung aufsetzen, damit sie dem Publico könne bekannt gemacht werden. Er that es und sandte mir vor einigen Tagen folgendes: „In dem Reichsfreyherrlich| Falkenhausischen Dorfe Trautskirchen an der Zenn lebt gegenwärtig ein achtjähriger Knabe, Namens Johann Paulus Ruff, welcher das Unglück hatte, als ein Kind von 6 Wochen auf beyden Augen blind zu werden. So bald er ein wenig laufen konnte, bemerkte man schon an ihm viele Neigung zur Musik und ein gutes musikalisches Gehör; denn oft drehete er sich zu halben Stunden nach dem Tact herum, wie ein Tänzer, und zur andern Zeit hörte man ihn auf dem Tisch oder einem Kasten mit beyden Händen sehr abgemessen trommeln und auf mancherley Stecken abwechselnd schlagen, um verschiedene Töne hervor zu bringen. In seinem siebenten Jahre bekam er eine kleine Flöte, die nur ein paar Kreuzer kostete, zum Geschenk, und nun war er ganz wonnetrunken und bekümmerte sich um alles andere nichts mehr. Was er in der Kirche hatte singen und spielen hören, als die Lieder: Warum sollt ich mich denn grämen etc. O Gott du frommer Gott etc. Ach bleib mit deiner Gnade etc. spielte er nach der Predigt so gut, als wenn er sie nach den Noten gelernet hätte: und nachher ließ er auch Märsche und Tänze ohne alle Anweisung hören.
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|  Doch, weil die Flöte so klein war, so kam erst seine rechte Freudenzeit, als ihm eine große Dennerische Flöte verschafft wurde. Auf dieser machte er nun in kurzer Zeit große Fortschritte, und der neueste Beweis seiner Kunst ist, daß er ein Trompeter Stück bläst, wozu er durch eigene Erfindung die zweyte Stimme so flötenmäßig singt, daß Jedermann getäuscht wird, der ihn hört und nicht zuvor weiß, wie es zugeht, und glaubt, zwey Flöten auf einmahl zu hören.

 Überhaupt ist er sehr glücklich im Behalten eines Stücks, das ihm vorgespielt wird. Das neueste Stück lernt er das erstemahl, wenn es ihm nur zwey bis drey Mahle vorgespielt wird, und kann es nach 6 Wochen noch eben so gut, wenn sich ein Erwachsener nicht mehr daran erinnern kann.“

 So weit gehet die gewiß sehr merkwürdige Nachricht meines Freunds, welche die Wahrheit aufs neue vollkommen bestättiget, daß die Blinden eine große Anlage zur Musik haben. Möchte doch eine begüterte Person, welche diese Nachricht liest, dadurch bewogen werden, diesen merkwürdigen Knaben zu sich zu nehmen, ihn zu unterhalten und ihm weitere Anweisung zur| Musik geben zu lassen, da seine unbemittelte Eltern dieß nicht thun können. Wie weit würde er es alsdann nicht bringen! Was für eine merkwürdige Person würde er nicht zu seiner Zeit vorstellen! Was für große Freude würde nicht alsdann eine solche Person über diesen Knaben empfinden! Eben die Freude, ja noch größere, als wenn er ihr eigenes Kind wäre.
Mt. Erlebach am 29. May 1791. 
Samuel Willhelm Oetter.