Vom Weihnachtsbüchertisch (Die Gartenlaube 1891/51)
Vom Weihnachtsbüchertisch.
Wenn man die Erscheinungen der Jugendliteratur übersieht, welche der Büchermarkt zu Weihnachten gebracht hat, so berührt wohlthuend das Bestreben, der Jugend Gutes auch in guter Ausstattung zu geben. „Für die Kleinsten“ bietet der Verlag von W. Effenberger (Stuttgart und Leipzig) 8 lose Bildertafeln, die eine Fülle von Gegenständen wiedergeben und, da sie natürlich gezeichnet sind, zur ersten Uebnng des Anschauungsvermögens bei den Kindern sich als sehr geeignet erweisen dürften. In demselben Verlag sind in neuer und – was nicht unwesentlich ist – „unzerreißbarer“ Ausgabe die „Goldenen Reime für die Kinderstube“ herausgekommen; sie wurden schon voriges Jahr an dieser Stelle besprochen: der kindliche Ton der Verschen, die außerordentliche Frische der Farbendruckbilder zeichnen sie aus. – „Erzählungen von Chr. Löhr“ hat Cornelie Lechler in neuer Auswahl herausgegeben. Ein reicher Bilderschmuck nach E. Klimsch und Oskar Pletsch macht für die kindliche Phantasie diese einfachen ansprechenden Geschichtchen lebendig. – Aehnliche Vorzüge wie die erwähnten Schriften für die Kleinen und Kleinsten zeigt „Gustav Weises Bilderwelt“, die „aus Haus und Hof, aus Wald und Feld“ 400 getreue Abbildungen in Farben enthält; ferner „Unsrem kleinen Guck-in-die-Welt“ und „Struwwelpeter der Jüngere“ von J. Trojan, illustriert von F. Flinzer (Stuttgart, Weise). – Ein etwas höheres Alter der Kleinen setzen zwei Bücher voraus, welche der Verlag von Wiskott in Breslau ausgegeben hat: „Die Welt vom Fenster aus“, mit Gedichten von Johannes Trojan und Illustrationen von J. Kleinmichel, und „Eine Thierschule in Bildern von Fedor Flinzer und Versen von Victor Blüthgen“; namentlich die letztere, ein hübsches Seitenstück zum „Struwwelpeter“, wird durch ihren drolligen Inhalt Anklang finden. – In schönstem Gewande schließt sich die poetische Gabe an, welche Daniel Sanders „für die fröhliche Jugend“ bestimmt hat (Berlin, Lüstenöder). Hauptsächlich sind bekannte Märchen in flüssigen Reimen behandelt, ein Abschnitt aus der Thierfabel des Reineke Fuchs sogar in dramatischer Form. Die Bilder von Hans Looschen begleiten den Text aufs beste. – Von tüchtigem Sinn für das, was von gesunder Unterhaltungslektüre für die Heranwachsenden gefordert werden muß, zeugen die neuesten Veröffentlichungen der „Universalbibliothek für die Jugend“. Der Inhalt der einzelnen Bändchen ist mit Verständniß ausgewählt, die Bilder, die überall beigegeben sind – nach Zeichnungen von Lefler, Kleinmichel, Bergen, Herger – sind ansprechend. Wir heben hervor die beiden Sammlungen von Liedern, Spiel- und Neckreimen, die O. M. Seidel in „Mutter und Kind“ und „Spiel und Scherz“ zusammengetragen hat; ferner G. H. v. Schuberts „Neuen Robinson“ und eine Auswahl von Erzählungen desselben Verfassers in der Bearbeitung durch B. Schlegel; weiter die „Kindermärchen“ und „Jugendmärchen“ von Aurelie, die „Skalpjäger“ nach Mayne Reid von A. H. Fogowitz. Besonderen Werth hat die nunmehr erschienene zweite Folge von Andersens Märchen in der Auswahl und Uebersetzung von Poestioni.
Für die reifere Jugend fließt eine reiche Quelle von Unterhaltung und Belehrung in Spemanns illustrierten Zeitungen für Mädchen und Knaben, im „Kränzchen“ und im „Guten Kameraden“. Der letzte Jahrgang der beiden Jugendzeitschriften, der sich den früheren durch Mannigfaltigkeit des Stoffs und Sorgfalt der Illustrationen ebenbürtig an die Seite stellt, liegt als eine willkommene Weihnachtsgabe in zwei stattlichen Bänden vor. Anzureihen ist das „Deutsche Jugend-Album“ von Julius Lohmeyer (Hamburger Verlagsanstalt), das gute Beiträge aufweist und namentlich auf bunte Gestaltung der Bilder zu halten scheint, darin aber gelegentlich über das Ziel hinausschießt. – Diejenigen unserer jungen Freunde, welche sich gern mit der Welt der Erfinder und Entdecker beschäftigen, finden vielseitige Anregung in dem „Neuen Universum“, das sich heuer mit seinem 12. Jahrgang eingestellt hat. – Ins Reich bunter Phantasie führen die „Reisen und Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen“, bearbeitet von E. D. Mund, der ewig zauberkräftige „Lederstrumpf“, nach Coopers Erzählung frei bearbeitet von Oskar Höcker, und „Im wilden Westen“, 4 Erzählungen aus Nord- und Südamerika von Friedrich J. Pajeken, die sich durch besondere Anschaulichkeit auszeichnen. Diese Schriften sind im Verlag von Effenberger in Stuttgart erschienen und mit schönen Farbendruckbildern nach Franz, Offterdinger und Bergen geschmückt. – Eine Geschichte, die im Hinblick auf die Erwerbung Helgolands durch Deutschland besonderes Interesse erwecken wird, ist „Der Seekadett [874] von Helgoland“ von Oskar Höcker, mit vielen Abbildungen von A. von Rößler (Leipzig, Hirt und Sohn). – Im nächsten Jahre werden vier Jahrhunderte vergangen sein, seit Christoph Kolumbus Amerika entdeckte, und überall rüstet man sich, eine würdige Feier dieses in seinen Folgen unabsehbaren Ereignisses zu veranstalten. Es ist daher dankenswerth, daß jene große Zeit der Entdeckungen auch in der neuerschienenen Jugendliteratur eingehende Schilderung erfahren hat.
C. Falkenhorst hat in seinem Buche „Aus der Zeit der Entdeckung Amerikas“ eine Reihe von Erzählungen geboten, die schon durch ihre Ueberschriften – „Mit Christoph Kolumbus“, „Unter Cortez’ Fahnen“, „Im Goldlande Peru“ – ihren Schauplatz verrathen. Diese Geschichten, flüssig und mit reichem Wissen geschrieben, sind ganz dazu angethan, in Form anziehender Lebensschicksale zu belehren. Ernsteren Charakter trägt „Das Jahrhundert der Entdeckungen in Biographien für die gebildete Jugend“ von Prof. Dr. Theodor Schott. Hier werden in trefflicher Weise jene kühnen Entdecker des 15. und 16. Jahrhunderts geschildert, die der alten Welt eine neue erschlossen haben; ein Schlußkapitel giebt eine Uebersicht über die weitverzweigten Einwirkungen jener Ereignisse auf Leben und Anschauung der alten Kulturvölker; die Zeittafel, die dem Buche angehängt ist, erleichtert die Lektüre. Beide Werke, sowohl das von Falkenhorst als das von Schott, sind mit guten Illustrationen versehen und in jedem Betracht empfehlenswerth. – Wohl nicht ausschließlich für die Jugend bestimmt, aber doch auch für sie geeignet ist ein anderes Werk von C. Falkenhorst, „Schwarze Fürsten“ (Leipzig, Ferd. Hirt und Sohn). In Anlehnung an die Geschichte einzelner hervorragender Herrscher im Sudan, in Ost- und Westafrika entwirft Falkenhorst eine Art Geschichte des dunkeln Erdtheils, soweit man von einer solchen sprechen kann. Das auf Grund der besten Quellen gearbeitete, auch mit Illustrationen versehene Buch führt von einer ganz neuen Seite in das Verständniß der gegenwärtigen Bewegungen auf dem afrikanischen Kolonialgebiet ein.
An junge Mädchen wenden sich zwei gemüthvoll geschriebene Sammlungen von Erzählungen, die „Blumen am Wege“ von Julie Ludwig und „Auf Irrwegen“ von Clementine Helm, ferner „Die Cousinen“ (Stuttgart, Gustav Weise), in denen die Verfasserin, T. von Heinz, Gestalten von ansprechender Lebenswahrheit geschaffen hat. Für denselben Leserkreis ist bestimmt „Maienzeit, Album der Mädchenwelt“ (Stuttgart, Union, Deutsche Verlagsgesellschaft), ein auch in der Illustration äußerst elegant ausgestattetes Buch mit Beiträgen namhafter Autoren wie Bodenstedt, Blüthgen, Greif, Lingg, Seidl u. a. Schon diese Namen bürgen für den geistigen Gehalt des Werkes und empfehlen es überall da, wo man dem Worte folgt: „Der Jugend das Beste!“
Auf dem Felde der erzählenden Litteratur haben wir unsern Lesern zunächst mit einigen Bekannten aufzuwarten. Wir haben ihnen die Mittheilung zu machen, daß die beiden großen und mit so lebhaftem Beifall aufgenommenen Romane, mit welchen die „Gartenlaube“ ihren Jahrgang 1890 schloß und den folgenden eröffnete: „Sonnenwende“ von Marie Bernhard und „Eine unbedeutende Frau“ von W. Heimburg nunmehr auch in Buchform erschienen sind. Die illustrierte Ausgabe von W. Heimburgs Gesammelten Schriften nimmt daneben ihren rüstigen Fortgang, und bereits liegen 4 Bände, „Aus dem Leben meiner alten Freundin“, „Lumpenmüllers Lieschen“, „Kloster Wendhusen“, „Ursula“, „Ein armes Mädchen“ und „Das Fräulein Pathe“ enthaltend, fertig vor. Ferner möchten wir nicht unterlassen, die illustrierte Ausgabe von Marlitts Romanen und Novellen, welche vollständig erschienen ist und deren 10 stattliche Bände in elegantem Leinwandkasten dargeboten werden, in Erinnerung zu bringen. – Mit einem wohlvertrauten Namen, aber lauter neuen Gaben tritt ein anderes Bändchen hervor: „Gewagt und gewonnen“, Erzählungen und Novellen von E. Werner. Es sind zwei größere und vier kleinere Arbeiten, die gewiß alle im Kreise der Familie ihre angenehmen Stunden bereiten werden. – Ebenfalls den Gartenlaubelesern wohl bekannt ist Hans Arnold mit seinem frischen Humor. Das „Große Reinmachen“, welches wir im vorigen Jahrgang veröffentlichten, hat sich mit vier andern niedlichen Geschichtchen vergesellschaftet und bildet mit ihnen ein hübsches Bändchen, das unter dem Titel „Einst im Mai und andere Novellen“ bei A. Bonz u. Co. in Stuttgart erschienen ist. Als einen Beweis für die unverwüstliche Anziehungskraft, welche Hans Arnolds schriftstellerische Art ausübt, darf man es betrachten, daß eben jetzt auch zwei frühere Sammlungen Arnoldscher Erzählungen, „Fünf neue Novellen“ und „Der Umzug und andere Novellen“, eine zweite Auflage erlebt haben. – Hugo Rosenthal-Bonin hat „Erzählungen des Schiffsarztes“ geschrieben. Sie sind ein neues Zeugniß für den gewandten Plauderton des Verfassers, der viel gesehen hat und das Gesehene gut zu verwerthen weiß. – Ihre gemüthvolle Art, Schicksale zu schildern, hat Marie von Ebner-Eschenbach von neuem in ihrer Novelle „Margarete“ (Stuttgart, Cotta) bewiesen. – Von eigenartigem Reiz ist die poetische Erzählung „Aniligka“ von dem bekannten, vor ein paar Jahren verstorbenen Nordpolfahrer Emil Bessels. Ein unfreiwilliger neunmonatiger Aufenthalt bei dem gänzlich von aller Kultur abgeschnittenen Eskimovölkchen von Jta auf Grönland hat in dem Gelehrten den Dichter geweckt und ihn angetrieben, ein Bild aus dem Leben und Treiben, Fühlen und Denken dieser weltabgeschiedenen Menschenkinder poetisch zu gestalten. Das Werkchen ist nach dem Tode des Verfassers von Otto Baisch herausgegeben worden.
Nicht selbst als Neuigkeit, aber in einem neuen Gewande bieten sich Hackländers „Namenlose Geschichten“. Mit hübschen Illustrationen von Fritz Bergen ist der immer noch anziehende Roman des fruchtbaren Erzählers von Carl Krabbe in Stuttgart neu aufgelegt worden. – Ein bewegliches Bild aus den nationalen Kämpfen in Böhmen entwirft uns Anton Ohorn in seiner Erzählung „Das deutsche Lied“ (Berlin, Hans Lüstenöder). Schon um seiner vaterländischen Tendenz willen verdient diese warmherzige Dichtung bei allen Deutschen in und außer dem Reiche Beachtung. –
Albert Trägers Gedichte haben sich längst einen Platz nicht bloß in der Litteratur, sondern auch im Herzen unseres Volkes erobert. So darf es uns nicht überraschen, daß die Sammlung seiner Poesien bereits in 17. Auflage erscheint, ein Anzeichen von Volksthümlichkeit, das in unserer heutigen, der Lyrik abgeneigten Zeit doppelt schwer wiegt. – Daniel Sanders
„– bietet zur Auswahl dar
Soviele Sprüche wie Tag im Jahr.“
Proben dieser Sprüche, die sich durch gesunde Lebensmoral und oft schlagende prägnante Form auszeichnen, haben unsere Leser im Laufe dieses und des letzten Jahres kennengelernt. Ihrer 366 sind nun in einem Bändchen vereinigt und geben einen trefflichen Mentor auf dem Lebenswege, sofern nur die eine Bedingung erfüllt wird, die der Verfasser im Sinne hat, wenn er schreibt:
„Weisheitssprüche? Wohl! Doch seht,
Alle bleiben eitel Schwätzen,
Wenn ihr nicht die Kunst versteht,
Sie in Thaten umzusetzen.“
Eine Nachlese von Dichtungen Friedrich Theodor Vischers bietet uns der Sohn des Verstorbenen gesammelt unter dem Titel „Allotria“ dar. Poetisches und Prosaisches ist hier vereinigt; das meiste ist schon gedruckt, aber oft an verborgener, wenig zugänglicher Stelle. Am dankbarsten wird man dem Herausgeber für die Ausgrabung der reizenden Erzählungen „Freuden und Leiden des Skribenten Felix Wagner“ und „Cordelia“ sein, welche Vischer einst als dreiundzwanzig bis vierundzwanzigjähriger Jüngling schrieb. Aber auch die „Epigramme aus Baden-Baden“ und manche andere Blüthe Vischerschen Humors und Vischerscher Satire treffen wir in dem Buche beisammen, das von allen Verehrern dieser markigen Dichter- und Denkernatur freudig begrüßt werden wird.
Welch hoher Bildungswerth der eingehenden Beschäftigung mit der Geschichte – im weitesten Sinne dieses Wortes – innewohnt, das braucht an dieser Stelle nicht hervorgehoben zu werden. Wir möchten hier nur auf ein Werk hinweisen, das uns besonders geeignet erscheint, in den Familien als Grundlage für diese eschäftigung zu dienen. Es ist dies K. F. Beckers Weltgeschichte, welche in einer dritten durch Professor Wilhelm Müller neu bearbeiteten und bis auf die Gegenwart fortgeführten Auflage zu erscheinen begonnen hat. Was das Werk für den angedeuteten Zweck vorzugsweise empfiehlt, das ist die volksthümliche, knappe Darstellungsweise, die geschickte übersichtliche Gruppierung und die Beförderung einer klaren Anschauung durch zahlreiche Abbildungen und Karten.
[875] Daß man immer mehr bestrebt ist, das Verständniß für Leben und Werke unserer klassischen Dichter in die weitesten Kreise zu tragen, ist eine erfreuliche Erscheinung. Als ein neuer Schritt in dieser Richtung ist mit Dank eine Schrift von Dr. Karl Heinemann zu begrüßen, die den Titel führt: „Goethes Mutter, ein Lebensbild nach den Quellen“ (Leipzig, Artur Seemann). Nachdem durch die Veröffentlichungen der Goethe-Gesellschaft in Weimar die köstlichen Briefe der Frau Rath bekannt geworden waren, mußte es sich als eine verlockende Aufgabe darstellen, nun im Anschluß besonders an diese neugewonnenen Quellen ein Lebensbild der Mutter Goethes zu entwerfen. Dr. Heinemann hat diese Aufgabe in anziehender Weise gelöst, er hat es verstanden, die anmuthige Gestalt der Frau Rath mit ihrem echten Herzen und ihrem klugen Geiste, mit der Regsamkeit ihrer froh bewegten Phantasie in liebenswürdiger Frische vor uns hinzustellen. Ein guter Bilderschmuck, der zum Theil bisher Unbekanntes bietet, verleiht dem Buche einen Reiz mehr. – Diesem neuen Werke schließen wir zwei andere an, die, längst eingebürgert im deutschen Volke, in neuer Auflage erschienen sind, nämlich „Goethes Leben und Werke“ von Lewes, autorisierte Übersetzung von Dr. Julius Frese, 16. Auflage, durchgesehen von Ludwig Geiger; und „Schillers Leben und Werke“ von Emil Palleske, 13. Auflage. Es ist nicht nöthig, die bekannten Vorzüge dieser beiden Biographien noch einmal hervorzuheben. Nur das sei erwähnt, daß das Buch von Lewes durch einzelne Veränderungen, die es erfahren hat, wesentlich gewonnen haben dürfte. Ludwig Geiger hat mit sachkundiger Hand Ueberflüssiges gestrichen, Uebertreibungen gemildert, zahlreiche Irrthümer verbessert, und dabei ist doch der ursprüngliche Charakter der Darstellung nicht verwischt worden.
Auf den Tisch der Hausfrau gehört ein Buch, das zwar einen sehr nüchternen Titel führt, das aber nichts desto weniger für ein sehr ideales Gut ficht, für unsere Gesundheit als die Grundlage jedes ersprießlichen Menschendaseins. Es ist „das Buch von der gesunden und praktischen Wohnung“ von C. Falkenhorst (Leipzig, Ernst Keil’s Nachfolger). Von Plan und Anlage des Buches haben wir unseren Lesern schon früher Kenntniß gegeben (Nr. 20 d. J.). Wir empfehlen hier wiederholt diesen nützlichen Berather auf einem weiten und wichtigen Gebiete der Gesundheitspflege. – Ebenfalls ein nützlicher Berather, aber ein erheblich vielseitigerer, ist Spemanns „Schatzkästlein des guten Raths“. Für die Kenner früherer Auflagen sei bemerkt, daß die neueste (6.) Auflage in einem Kapitel über die Erziehung und in einer reichen Fülle von Illustrationen vollständig neue Zuthaten erhalten hat.
Die Zahl der Erscheinungen auf dem Gebiete der illustrierten Prachtwerke ist dieses Jahr eine nicht unbedeutende. Im pietätvollen Gedächtniß an den verstorbenen großen österreichischen Dichter sei hier zunächst die vortrefflich ausgestattete Prachtausgabe von Hamerlings „König von Sion“ erwähnt, welche nunmehr vollständig vorliegt (Hamburg, Verlagsanstalt). Zwei namhafte Künstler, Adalbert von Roeßler und Hermann Dietrichs, begleiten die großartige Dichtung mit ihren malerischen Schöpfungen, welche sich des bedeutenden Vorwurfs, den sie sich genommen, vollkommen würdig erweisen.
Jenem wichtigen Gedenktag, welchen die Welt im nächsten Jahre begehen wird, ist Rudolf Cronaus „Amerika“ gewidmet (Leipzig, Abel und Müller). Diese Festschrift auf die vierhundertjährige Jubelfeier der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus schildert, wie die seit den ältesten Zeiten geahnte und prophezeite Neue Welt endlich aufgefunden und durch unermüdliches, rastloses Vorwärtsstreben, unter furchtbaren und blutigen Kämpfen Schritt für Schritt errungen wurde. Die bildliche Ausstattung, welche nicht nur sehr reichhaltig, sondern auch in hohem Grade interessant ist, stammt zu einem großen Theile ebenfalls von Rudolf Cronau, welcher ja bekanntlich mehrjährige große Reisen in Amerika gemacht und sich den Lesern der „Gartenlaube“ wiederholt als ein genauer Kenner der Neuen Welt erwiesen hat. Von dem Werke ist der erste Band erschienen, welcher bis zu der Eroberung Mexikos durch Ferdinand Cortes herabreicht. – Eine hervorragende Erscheinung aus dem Gebiet der Geschichte ist ferner die „Geschichte des preußischen Staates“ von Dr. Ernst Berner (München, Verlagsanstalt für Kunst und Wissenschaft, vormals Friedr. Bruckmann). Der Text ist hier nicht, wie manchmal bei derartigen Unternehmungen, bloß erläuternde Zugabe zu den Bildern, sondern hat selbständige Bedeutung; die Illustrationen sind nach Auswahl und Ausführung zum weit überwiegenden Theil vorzüglich und unterstützen durch ihre Fülle wesentlich das Bemühen des Autors, von dem Entwicklungsgang des preußischen Staates uns eine eigene Anschauung zu geben.
Die reizenden Vignetten und Vignettchen, welche in diese Weihnachtsbücherschau eingestreut sind, stammen von der Hand des unseren Lesern gewiß wohlbekannten A. Hendschel. Der Born seiner Skizzenmappen ist noch immer nicht erschöpft, obwohl der Maler bereits seit acht Jahren tot ist. Für diese Weihnachten stellte sich der zweite Band von „Allerlei aus A. Hendschels Skizzenmappen“ ein (Frankfurt a. M., M. Hendschel) und die mitgeteilten Proben aus dem Werke zeigen mehr als alle Worte, welch köstliche Ueberraschungen darin verborgen sind.
Lose Kunstblätter, in schön ausgestatteten Mappen vereinigt, erscheinen verhältnißmäßig zahlreich auf dem Weihnachtsmarkte. Voran nennen wir hier die „Bildermappe für Kunstfreunde“, welche nicht weniger als fünfzig der vorzüglichsten Holzschnitte aus der „Gartenlaube“ in sich begreift. Man erkennt aus dieser stattlichen Sammlung erst recht, welchen Schatz von Kunstwerken man allmählich in seinen Gartenlaubebänden sich aufstapelt. – Ein sinniger Gedanke, in ein stattliches, nur für seinen zarten Charakter allzu pomphaftes Gewand gekleidet, tritt uns entgegen in den „Blumenmonden“. Es sind dies zwölf Blumenbilder, welche Carl Graf Brandis nach der Natur photographiert und welche Felix Dahn im Verein mit seiner Gattin und seiner Schwester mit dichterischen Begleitsprüchen versehen hat. Das schöne Werk (Wien, R. Lechner) wird nicht bloß eine stolze Zier für den Gabentisch bilden, es wird auch manche kunstgeübte Hand zur Nacheiferung reizen. – Eine andere Prachtmappe vereinigt eine Reihe neuerer Schöpfungen von Münchener Künstlern, Lichtdrucke nach Originalen, welche dem Prinzregenten Luitpold von Bayern als Ehrengaben zu seinem siebzigsten Geburtsfeste überreicht wurden. „Aus Münchener Ateliers“ heißt der Titel des Werkes (München, Verlagsanstalt für Kunst und Wissenschaft, vormals Friedrich Bruckmann), und es umfaßt Beiträge der hervorragendsten Meister aus der Isarstadt, wie Beyschlag, Defregger, Diez, Grützner, H. Kauffmann, F. A. Kaulbach, Lenbach, Max, Oberländer, Uhde u. a. Vorzüglich ist auch das äußere Mappenbild von Bruno Piglhein, welches das „Münchener Kindl“, einen köstlichen braunen, schwarzgelockten Jungen, in zärtlicher Gemeinschaft mit dem mächtigen bayerischen Löwen darstellt. – Emanuel Spitzer ist unsern Lesern ein alter Bekannter. Erst kürzlich haben wir ja ein prächtiges Bild, „Damenkapelle“, gebracht. Diese und eine ganze Anzahl weiterer ähnlich humorvoller Kompositionen finden wir beisammen in dem reizenden Emanuel Spitzer-Album (München, Photographische Union), einer wirklich herzerquickenden Sammlung. – C. W. Allers, der Humorist mit dem Zeichenstift, hat sich diesmal „Unsere Marine“ zum Gegenstand erkoren. In fünfzig Blättern (Verlag von C. T. Wiskott, Breslau) führt er uns durch alle Höhen und Tiefen des Lebens unserer Blaujacken und schildert sie unter Bevorzugung der komischen Seiten mit jener verblüffenden Realistik, die diesem Künstler eigen ist. Auch manches wohlgelungene charakteristische Porträt läuft mit unter. – Eine besonders glänzende Erscheinung auf dem Kunstmarkte ist aber ein anderes Werk desselben Künstlers, sein „Capri“ (München, Franz Hanfstängl Kunstverlag A.-G.). Nicht nur hat Allers selbst darin sein Bestes gegeben, auch die Art der Vervielfältigung und die Ausstattung stehen hier auf einer Höhe, wie sie wohl noch selten erreicht worden ist. Der ganze Zauber jenes zwanglosen Künstlerlebens auf der wunderbaren Insel liegt über dieser Schöpfung ausgebreitet – ein Hauch köstlicher unverkümmerter Naturfrische weht uns aus den prächtigen Blättern entgegen.
Mit den Wonnen des Frühlings umspielt uns das schöne Buch „Im Mai“, Frühlingslieder und Bilder von deutschen Dichtern und Künstlern (München, Bruckmann). Eine Auswahl des Schönsten, was Lenzeszauber in den Herzen deutscher Dichter geweckt und gestaltet hat, Gedichte von Goethe, Eichendorff, Geibel, Uhland, Hoffmann von Fallersleben, Leuau, Roquette, Heine, Arndt u. a. verbindet sich mit stimmungsvollen Schöpfungen moderner Künstler zu einem harmonischen Accord, der erquickend durch die Seele des Lesers und Beschauers klingt. Eine Festgabe ersten Ranges ist ferner eine neue illustrierte Prachtausgabe von Shakespeares „Sommernachtstraum“ (Leipzig, C. F. Amelang). Professor Edm. Kanoldt und W. Volz haben in ihren Kompositionen zu dem altvertrauten Dichtwerke wirklich Meisterhaftes geleistet.
Zum Schluß nach so viel Kunst und Schönheit sei noch eines Werkes gedacht, welches das Seinige dazu beitragen will, den Sinn für Kunst und Schönheit an der Hand der Geschichte zu bilden. Wir meinen die „Denkmäler der Kunst“, jenes altberühmte Sammelwerk, das schon vor einem Menschenalter entstanden, neuerdings aber durch Lübke und Lützow durchgesehen und bis auf die Gegenwart fortgeführt worden ist (6. Auflage, Stuttgart, Paul Neff). Kunstgeschichtliches Anschauungsmaterial pflegt sonst eine theure Sache zu sein; es ist deshalb ein im Interesse der allgemeinen Volksbildung freudig zu begrüßender Schritt der Verlagshandlung, daß sie den Preis der neuen Auflage wesentlich herabgesetzt hat; mancher Private und manche kleine Bibliothek wird sich jetzt dieses Werk erwerben können, welches sie bisher entbehren mußten.