Textdaten
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Autor: Professor Dr. E. Heinrich Kisch
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Titel: Die Gicht
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aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 871–873
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Gicht.

Von Professor Dr. E. Heinrich Kisch.

„Das Reißen in den Füßen –
Es kömmt vom Lebengenießen!“

So reimt ein altdeutscher Spruch dem vom Zipperlein Geplagten vor, und er hat mit seiner Behauptung zum Theile recht; aber nur zum Theile, wie auch der landläufige Satz, daß die Gicht eine Krankheit der Reichen sei, nur in beschränktem Maße zutrifft. Allerdings ist es eine schon seit alten Zeiten bekannte und feststehende Thatsache, daß Unmaß im Essen und Trinken, Trägheit in der Bewegung und üppige Lebensweise die Entstehung und Ausbildung jener Veränderung des normalen Stoffwechsels im Körper fördert, welche als Gicht bezeichnet wird. Das alte sittenstrenge, ernste Rom unter der zuchthaltenden Republik kannte die Gicht nur wenig; als aber mit dem Verfalle der römischen Sitten der Luxus, die Schlemmerei, der Sinnentaumel ihre Orgien feierten, da gehörte die Gicht zu den häufig beobachteten Krankheiten, und zur Zeit des Kaiserreiches war das damalige Modebad Bajae ebenso stark von gichtbrüchigen Feldherren wie von leichtlebigen Stutzern besucht.

Daß die Gicht nicht bloß die Reichen mehr als die Armen, sondern daß sie auch das männliche Geschlecht weitaus mehr als das weibliche trifft, mag ja gleichfalls darin seinen Grund haben, daß Trinken vorzugsweise eine männliche – Tugend ist. Und wenn darauf hingewiesen wird, daß ganz besonders häufig Männer der hohen Politik und der Wissenschaft die Opfer gichtischer Erkrankung werden, ja wenn ein berühmter Arzt des vorigen Jahrhunderts den Ausspruch thut, daß die Gicht mehr bei Weisen als bei Dummköpfen vorkommt, so läßt sich wohl die Erklärung darin finden, daß Männer von hervorragender gesellschaftlicher Stellung wie solche von wissenschaftlicher Bedeutung oft Gelegenheit zu diätetischen Sünden finden, die Staatsmänner in Gesellschaften bei reichbesetzter Tafel, die Gelehrten am Schreibtisch in der Studierstube, insofern sie nämlich viel zu viel daran sitzen.

Aber nicht bloß die „oberen Zehntausend“ der Gesellschaft werden von der Gicht befallen, sondern auch einfache Handarbeiter: fleißige, nüchtern lebende, körperlich thätige Menschen werden nicht selten gichtbrüchig. Ueppige Lebensweise, allzu reichlicher Genuß von Fleischkost, Uebermaß von geistigen Getränken sind Einflüsse, welche der Entwicklung von Gicht Vorschub leisten, aber diese Krankheit wird auch oft in den Familien durch Vererbung übertragen, oder sie gelangt durch äußere Veranlassungen wie Erkältung, jähen Temperaturwechsel, feuchtes Klima, gewisse Beschäftigungen (namentlich solche, die viel mit Blei in Berührung bringen) zur Entstehung. Wenn die Gicht in England bekanntermaßen außerordentlich verbreitet ist, so kann hierfür nicht allein der dort so häufige Genuß schwerer alkoholreicher Weine wie Madeira, Portwein, Xeres und schwerer Biere wie Ale und Porter verantwortlich gemacht werden, sondern die klimatischen Verhältnisse tragen gewiß auch ihren Theil an der Schuld. Wie wäre es sonst verständlich, daß in Polen, Rußland, Schweden und Dänemark, in Ländern, wo doch gewiß viel Schnaps und Alkohol verbraucht wird, die Gicht selten auftritt?

Die Gicht ist eine Stoffwechselerkrankung, deren Wesen noch nicht vollkommen aufgeklärt ist, die man aber in ihrem Grunde wohl darauf zurückführen muß, daß die Harnsäure, welche im Körper entsteht, sich in diesem anhäuft und zu Ablagerungen an den Gelenken und andern Organen Anlaß giebt. Ob es dabei eine vermehrte Bildung von Harnsäure im Blute oder eine verminderte Ausscheidung derselben durch die Nieren ist, was die Entstehung der Gichtanfälle veranlaßt, ist noch nicht entschieden. Selbst der Thierversuch, welcher an den durch reichliche Harnsäureerzeugung ausgezeichneten Vögeln und Schlangen angestellt wurde, hat keine endgültige Lösung der Frage gebracht. Wir wissen nur, daß die Gicht eine schwere allgemeine Erkrankung ist, bei welcher der normale Stoffwechsel bedeutende Veränderungen erleidet und die Ansammlung von Stoffen, welche Auswürflinge des Körpers sind, begünstigt wird.

Bei diesem Leiden werden fast alle Theile des Körpers ergriffen, jedoch nicht mit einem Schlage, sondern in mannigfacher Reihenfolge, mit wechselnder Abstufung, zu verschiedenen Zeiten. So spricht man von einer akuten, chronischen, inneren Gicht, von örtlicher, versteckter, zurückgetretener gichtischer Erkrankung, von Gelenkgicht, Nierengicht, Herzgicht etc.

Das Charakteristische, auch dem Laien Auffallende ist das Bild der Gichtanfälle, welches sich jedem, der es einmal gesehen oder gar an sich selbst beobachtet hat, tief einprägt. Aber schon bevor es zu diesen Anfällen kommt, bieten die meisten Gichtischen, nämlich alle diejenigen, bei denen die Gichtanlage auf üppiger Lebensweise beruht, in ihrer äußeren Erscheinung und in ihrem Befinden gewisse eigenthümliche Züge. Sie sind gewöhnlich auf der Höhe der Lebensjahre fettleibig geworden; sie haben ein blühendes, scheinbar von Gesundheit strotzendes Aussehen; das Gesicht ist auffallend geröthet, und zuweilen verräth die rothe, mit bläulichen Gefäßen durchzogene Nase, daß sie zu tief und zu oft ins Weinglas gesenkt worden ist. Der Herzstoß ist kräftig, der Puls voll, oft gespannt, die Venen sind strotzend. Im Unterleibe geben sich Erscheinungen von Blutstockung kund (sogenanntes Hämorrhoidalleiden, goldene Ader). Bei stärkeren Muskelanstrengungen, längerem Gehen, Treppensteigen tritt leicht Kurzathmigkeit und Brustbeklemmung ein. Die Verdauung ist oft gestört, nach dem Essen tritt ein Gefühl von Unbehagen ein, zuweilen Sodbrennen, saures Aufstoßen, Gasentwicklung im Magen und in den Gedärmen, Trägheit in der Darmthätigkeit. Unruhiger, von schweren, beängstigenden Träumen gestörter Schlaf, Angstgefühl und Beengung, Herzklopfen und starke Schweiße sind schließlich einige weitere unangenehme Erscheinungen, welche dem Gichtkandidaten die Mahnung geben, daß eine Aenderung der Lebensweise dringend geboten ist, wenn nicht die Katastrophe plötzlich hereinbrechen soll.

Denn plötzlich, ganz unerwartet tritt gewöhnlich der eigentliche Gichtanfall ein, wenn seine Vorboten keine Beachtung, seine Vorzeichen keine Würdigung gefunden haben. Arglos, ohne eine Ahnung von den bevorstehenden stürmischen Scenen, legt sich der scheinbar „blühend Gesunde“ zu Bett – und im Schlafe wird er räuberisch von dem im Dunkel der Nacht heranschleichenden Unhold überrumpelt. Mit einem Schmerzensschrei fährt er vom Lager empor. Ein heftiger brennender oder bohrender [872] Schmerz, zumeist im Gelenke der großen Fußzehe oder in einem andern Fuß- oder Zehengelenke, weckt ihn aus dem Schlafe und steigert sich rasch. Wie mit einer glühenden Zange gepackt, windet sich der Kranke unter dem oft geradezu unerträglichen Schmerze, schreit und jammert, wirft sich im Bette herum, zittert und bebt vor Weh am ganzen Körper. Das betroffene Gelenk ist geschwollen, die Haut darüber geröthet, gespannt und glänzend, die leiseste Berührung desselben, der geringste Druck, schon die leichte Last der Bettdecke steigert die Qual, welche so bedeutend ist, daß selbst ruhige phlegmatische Menschen ganz außer sich gerathen. Starkes Fieber, heftiger Durst, aufgeregter Puls geben dem Krankheitsbilde eine ernste Färbung, und erst in den Morgenstunden tritt einigermaßen Erleichterung ein. Die Schmerzen verschwinden nicht, aber sie werden erträglicher, und der folgende Tag verläuft ruhiger; nur der bedeutend geschwollene, rothe Ballen der kranken Zehe, die Schwellung des ganzen Beines mahnen daran, daß noch nicht alles überstanden ist. In der That – mit Anbruch der Nacht wiederholt sich die Schreckensscene, bis wiederum das Morgengrauen Linderung bringt. Noch mehrere solche böse Nächte folgen einander, geschieden durch ziemlich leidliche Tage, dann fühlt sich der Kranke besser, vielleicht zeitweise ganz wohl. Das Fieber hört auf, der Schmerz nimmt ab, die geschwollene und geröthete Haut schuppt sich. Der so schwer Heimgesuchte athmet wieder frei auf und – vergißt.

Indessen, der erste Anfall bleibt höchst selten der letzte. Dafür sorgt nicht nur die gichtische Anlage, sondern der Gichtkranke selbst. Hat er die Vorläufer der Krankheit nicht beachtet, so gedenkt er des „Zipperleins“ selbst auch nicht mehr, sobald das „Zippern“, das Zucken in dem Fuße aufgehört hat. Die alte schädliche, aber liebgewordene Lebensführung wird wieder aufgenommen und die vom Arzte vorgeschriebene Diät beiseite gesetzt. Allein pünktlich nach einem Jahre stellt sich der vergessene, unliebsame Gast wieder ein, und dem neuen Anfalle folgen in kürzeren oder längeren Zwischenräumen andere, welche zuweilen mehrere Gelenke ergreifen, sodaß der Kranke vollständig überwältigt wird und, jeder Bewegung unfähig, ans Bett gefesselt bleibt. Das beginnende Frühjahr und der endende Herbst sind die bevorzugten Jahreszeiten, in denen zumeist die Gichtrückfälle eintreten, in immer kürzeren Pausen; nur der Sommer bringt einige Zeit der Erholung und Befreiung.

Hat die Gicht den chronischen oder dauernden Charakter angenommen, dann sind die schmerzhaften Erscheinungen weder so heftig noch so regelmäßig mehr wie früher; die Anfälle verlieren an Schärfe, die Geschwulst und die Röthe an den betroffenen Gelenken entwickeln sich langsamer – aber damit ist nichts besser geworden. Im Gegentheile, das Allgemeinbefinden und das örtliche Leiden verschlimmern sich. Die Geschwulst in den Gelenken verschwindet nicht mehr nach dem Anfalle, sondern sie bleibt zurück und nimmt eine andere Gestaltung an. In der weichen, teigigen Anschwellung tauchen verschiedene feste Körperchen auf, und es kommt zur Bildung der harten Gichtknoten, welche die Gelenke schmerzhaft, schwer beweglich machen und ihre Gestalt verkrüppeln. So werden außer den Fußgelenken die Handgelenke, die Kniee, die Hüft-, Ellbogen-, Schulter- und Wirbelgelenke betroffen, und das Ende ist eine allgemeine Steifigkeit, welche nicht nur die Arbeitsfähigkeit und das Bewegungsvermögen des unglücklichen Opfers beeinträchtigt oder gänzlich aufhebt, sondern dieses auch äußerlich in einen Krüppel verwandelt. Welch elender Anblick, wenn aus dem aufrecht und stolz einherschreitenden Lebemann von ehemals ein auf Stöcke sich stützender, gebückten Ganges mühsam einherschleichender Siecher geworden ist!

Mit diesen äußeren Veränderungen verbindet sich eine Verschlechterung der Ernährung und des Gesammtbefindens. Die Körperfülle, welche durch das Wohlleben entstanden war, ist geschwunden, das reichliche Fettpolster verloren gegangen; die blühende Farbe des Gesichtes hat einer fahlen Blässe Platz gemacht; die Muskelkraft ist rasch erschlafft; eine allgemeine Schwäche giebt sich kund und statt froher übermüthiger Laune, wie sie der Wein und der Lebensgenuß erzeugte. herrscht Mißstimmung, Unmuth, Reizbarkeit und Ueberdruß. Störungen des Blutkreislaufes, Beeinträchtigung der Verdauung, ein schleichendes Fieber tragen weiter dazu bei, die Kräfte des Organismus zu mindern, seine Widerstandsfähigkeit zu untergraben. Er ist ein recht unglücklicher, bemitleidenswerther Mensch, der Gichtbrüchige mit seinen mannigfachen Qualen, und es ist ein herzlich schlechter Trost für ihn, wenn man ihm sagt, daß er mit all seinen Leiden ein hohes Lebensalter erreichen kann.

Weitaus tröstlicher ist der Gedanke, daß es wenige Krankheiten giebt, bei denen eine planmäßig geregelte, zielbewußt dem Einzelfalle angepaßte Diät so günstige Ergebnisse zeitigt, wie dies beim Beginne des gichtischen Leidens möglich ist, und daß hier die Willenskraft des Kranken lohnende Erfolge zu erreichen vermag. Mehr als alle Heilmittel aus der Apotheke bewirkt hier die genaue Vorschrift und das haarscharfe Einhalten vernunftgemäßer Lebensweise, mehr als die lateinische Küche bringt der streng angeordnete Speisezettel zu Wege.

Da der weitaus größte Theil der Gichtischen sein Uebel sich dadurch zugezogen hat, daß er, um mich gelinde auszudrücken, ein Mißverhältniß zwischen Nahrungszufuhr und Stoffverbrauch bestehen ließ, sei es, indem er zu viel, zu üppig, zu reichlich sich nährte, oder daß er zu wenig Bewegung und Muskelthätigkeit entfaltete – so ist es vornehmstes und wichtigstes Gebot kluger Vorsicht, bei den ersten Anzeichen des Zipperleins auf einen Ausgleich jenes Mißverhältnisses hinzuwirken, die Zufuhr möglichst einzuschränken, den Verbrauch angemessen zu steigern. Nicht nur der Gichtkranke, sondern jeder zur Gicht Geneigte, erblich mit Gichtanlage Behaftete, muß Mäßigkeit als Losung auf die Fahne seiner Lebensführung schreiben.

Jener englische Arzt, welcher seinen durch Wohlleben gichtkrank gewordenen Patienten den Rath gab, sie möchten, wenn sie sich wohl befinden wollten, für ihren täglichen Lebensbedarf nur einen Schilling (eine Mark) ausgeben und zwar einen solchen, den sie sich selbst durch körperliche Arbeit verdient hätten, hat so ziemlich das Richtige getroffen. Indeß ist es weder nöthig, noch auch nützlich, daß der Gichtkranke von einem Extrem ins andere springt, von einer alle Genüsse in vollen Zügen schlürfenden Lebensweise plötzlich zu den härtesten Entbehrungen übergeht. Man muß nicht zu herbe und zu schwer durchführbare Prüfungen auferlegen.

Die Ernährung muß nach solchen Grundsätzen geregelt werden, daß die Säurebildung in den Körpersäften möglichst gemindert, die Ausscheidung der Harnsäure dagegen thunlichst gefördert und beschleunigt werde. Es ist aber durch physiologische Beobachtungen festgestellt, daß reichliche stickstoffhaltige Nahrung, träge Lebensweise und Mangel an körperlicher Bewegung die Harnsäureanhäufung im Körper steigert.

Jedes Uebermaß der Nahrungsmittel ist darum zu meiden und nur so viel zu gestatten, als der einzelne nach seiner Körperbeschaffenheit, seiner Größe, seinem Alter und seiner Beschäftigung für die Erhaltung des Stoffbestandes bedarf. Der Arzt soll, unter Berücksichtigung der Einzelverhältnisse, dem Gichtischen genau vorschreiben, wie viel er essen darf. Aber auch genau, was. Die Kost soll eine gemischte sein, aus thierischen und pflanzlichen Speisen zusammengesetzt, jedoch mit Vorwiegen der letzteren. Der Genuß von Fleisch, Eiern, Milch und Fetten braucht nicht, wie manche Aerzte dies verlangen, gänzlich vermieden, er soll nur eingeschränkt werden. Wenn freilich die Ernährung bei Gichtischen gelitten hat und Siechthum sich kund zu geben beginnt, dann ist gerade eine ausgiebige Zufuhr von Eiweißstoffen, besonders von Fleisch nothwendig. Grüne Gemüse, besonders Spinat, Spargel, Wurzelgemüse, Salat, sowie frische Früchte, welche an pflanzensauren Alkalien reich sind, wie z. B. Kirschen und Erdbeeren, sind sehr empfehlenswerth, da diese pflanzlichen Nahrungsmittel, wie die Erfahrungen an den Pflanzenfressern erweisen, die Säfte alkalisch machen und dadurch die Harnsäure in das günstigste Lösungsverhältniß bringen. Hingegen sind Kohlenhydrate, stärkemehl- und zuckerhaltige Stoffe, also besonders Mehlspeisen, Kartoffeln, Süßigkeiten, vom Speisezettel der Gichtischen zu verbannen, weil dieselben eine starke Säurebildung im Magen und im Darme befördern.

Von Wichtigkeit ist die strenge Enthaltsamkeit gegenüber alkoholhaltigen Getränken. So schwer es den meisten Gichtkranken fallen mag, sie dürfen durchaus keinen Wein und kein Bier trinken. Diejenigen, welche außerordentlich viel von diesen Getränken zu sich zu nehmen pflegten, müssen sich durch allmähliche Verminderung der Menge davon entwöhnen – aber dann muß das Verbot strenge durchgeführt und unbeugsam aufrecht erhalten werden. Da wir alle schwache Menschen sind, welche der Versuchung nur zu leicht unterliegen, so ist es besser, dieser aus dem Wege zu gehen, und darum soll jeder Gichtische das Gasthaus und die [873] Kneipe meiden, den Festschmäusen und Tafelfeiern sorgfältig ausweichen. Eine einzige Abirrung von dem Pfade der Mäßigkeit, welche hier die größte Tugend ist, hat leicht die bittersten Folgen. Es mag als Aufmunterung für schwankende Naturen hier noch die Thatsache hervorgehoben werden, daß das Auftreten von Gicht bei Personen, welche weder Wein noch Bier trinken, zu den größten Seltenheiten zählt.

Aehnlich wie der Genuß von Wein und Bier wirkt auch der von Kaffee und Thee auf den Stoffwechsel insofern ungünstig ein, als diese Getränke den Stoffverbrauch verlangsamen. Der Gichtkranke soll darum nur wenig Kaffee und Thee und dann nur in recht verdünntem Zustande trinken. Nur wo Schwächeerscheinungen auftreten, Reizmittel geboten erscheinen, wird man auch bei Gichtkranken starken Kaffee anwenden, aber nur als Arzneimittel, ebenso unter solchen Verhältnissen einen schweren Wein wie Portwein, Champagner, oder ein starkes Alkoholgetränk wie Cognak, Arrak, Rum. Doch ist es Sache des Arztes, dies zu verordnen.

Ein Getränk, vor welchem die meisten an Gicht leidenden Genußmenschen eine gewisse Scheu haben, ist ihnen besonders zuträglich, nämlich ein gutes, reines Trinkwasser. Durch vermehrtes Wassertrinken wird der Stoffumsatz im Körper beschleunigt, der Harnstoff in größeren Mengen ausgeschieden, der Verbrauch der Körperbestandtheile vermehrt und so die Bekämpfung der Gichtanlage wesentlich unterstützt. Noch bedeutsamer ist die Wirkung jener Mineralwässer, welche reich an Alkalien, besonders an kohlensaurem Natron, sind, Bestandtheilen, von denen wir wissen, daß sie die Ausscheidung der Harnsäure bedeutend fördern. Solche alkalische Säuerlinge wie das Wasser von Bilin, Fachingen, Gießhübel, Krondorf sollte der Gichtkranke jahraus jahrein trinken, um stetig und allmählich auf beschleunigte Ausscheidung der Harnsäuremassen zu wirken. Leider haben diese Tafelwässer noch immer den einen Uebelstand, daß sie zu theuer sind, als daß sich auch der minder Bemittelte ihren dauernden Gebrauch gestatten könnte.

Wem es die Verhältnisse erlauben, der wird am besten daran thun, einige Wochen des Sommers der Durchführung einer systematischen Brunnen- und Badekur an jenen Quellen zu widmen, welche sich seit langer Zeit eines berechtigten Ansehens als Heilmittel gegen Gicht, und zwar selbst gegen die schwersten Formen derselben, erfreuen, so Karlsbad, Marienbad, Kissingen, Homburg, Wiesbaden. Unter den Mineralbädern habe ich auch die Moorbäder sehr wirksam gegen die örtlichen Beschwerden und Folgezustände der Gicht gefunden. Die Kuren an den Heilquellen selbst haben den Vortheil, daß sie außer zur Verwerthung des Mineralwassers auch zu vielfacher Körperbewegung in frischer guter Luft Gelegenheit und Antrieb geben, ein Umstand, welcher für Hebung des Stoffwechsels von einschneidender Wichtigkeit ist. Denn wie träge, bequeme Lebensweise die Entwicklung der Gichtanlage fördert, so spielt fleißige Muskelübung und regelmäßige Körperbewegung eine hervorragende Rolle bei der Bekämpfung dieses Uebels, indem dadurch die Säftebewegung befördert und so verhütet wird, daß sich ein Uebermaß von Harnsäure im Körper anhäuft. Fleißiges Spazierengehen oder, wo dieses nicht möglich ist, entsprechende Muskelbewegung durch Gymnastik und Turnen sind für den Gichtkranken auch deshalb von Werth, weil dadurch bedeutende Fettleibigkeit verhindert, die Verdauungsthätigkeit gefördert und der Trägheit der Darmfunktion entgegengearbeitet wird.

Ob und wann die Massage, das jetzt so häufig gebrauchte und ebenso häufig mißbrauchte Modemittel, bei Gicht angezeigt ist, kann nur der Arzt durch die Beobachtung des jeweiligen Falles entscheiden. Dem Arzte allein steht auch die Anwendung der Mittel zu, welche im Gichtanfalle zur Linderung der Schmerzen nothwendig erscheinen. Die marktschreierisch in den Zeitungen angepriesenen „unfehlbaren“ Geheimmittel gegen Gicht aber rühre man nicht an! Denn von der Wirksamkeit dieser Mittel, wie z. B. der bekannten Gichtketten, steht nur eines fest: daß ihr Nutzen ein entschieden großer für ihre – Erfinder ist.