Textdaten
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Autor: Hans Arnold
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Titel: Junge Gäste
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aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 868–871
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Junge Gäste.

Skizze von Hans Arnold. Mit einem Bild von G. Buchner.

Die Hausfrau saß in der beschaulichen Ruhestimmung der ersten Stunde nach dem Essen in ihrer Fensterecke und strickte. Da wurde die Thür eilig aufgerissen und ihr ältester Sohn, der Untersekundaner Fritz, stürzte, mit dem unverkennbarsten Ausdruck einer großen und reinen Freude in seinen edlen Zügen, in das Zimmer.

„Mutter,“ rief er ihr voll Entzücken entgegen, „der Doktor Schneider hat ein gastrisches Fieber – ist das nicht famos?“

Empört über diese augenscheinliche Herzlosigkeit blickte die Mutter auf.

„Was fällt Dir denn ein?“ fragte sie scharf, „wie kannst Du denn das famos finden?“

Fritz sah etwas beschämt aus.

„Nun,“ meinte er zögernd, „es wird ja wieder besser werden – aber wir haben heut nachmittag frei!“

„Ach so!“ sagte die Hausfrau besänftigt, „na, und was weiter? Da wollt Ihr doch entschieden etwas!“

„Ja!“ gestand Fritz, in dessen Augen es sehr unternehmend blitzte, „Müller und Reimann machen einen Waldspaziergang –“

„Bis wann?“ unterbrach die Mutter kurz.

Ach – ein paar Stunden!“ wich ihr Sohn aus, „und sie wollen mich mitnehmen!“

Die Mutter legte das Strickzeug zusammen.

„Eigentlich ist mir an dem Verkehr mit Reimann nicht viel gelegen,“ sagte sie mit der ihrer Würde zukommenden Zurückhaltung, „er ist mir viel zu erwachsen für Dich!“

Fritz wippte vor Ungeduld mit dem Fuß.

„Was schadet denn das, Mutter? In zwei Jahren bin ich ja ebenso alt!“ vertheidigte er sich mit mehr Wärme als Logik.

„Vorausgesetzt, daß Reimann so lange mit dem Aelterwerden auf Dich wartet!“ bemerkte der eben eingetretene Vater; „um was handelt es sich denn?“

Die Mutter, die in der ganzen Welt eine große Falle zu sehen geneigt war, in welcher man ihren Fritz zu fangen oder zu beschädigen beabsichtigte, theilte die Pläne des Sohnes mit offenkundigem Widerwillen gegen ihre Ausführung dem Vater mit – sie hatte sogar noch die Gefühllosigkeit, an einen Aufsatz zu erinnern, welcher seit Tagen drohend am Familienhimmel schwebte, und die Hauptcharakterzüge des Torquato Tasso „im Unreinen“ zu behandeln hatte. Der Vater aber legte sich ins Mittel, er vermochte sich besser in das Gefühl der freiheitdürstenden, jungen Seele seines Sohnes zu versetzen.

„Laß ihn nur gehen, Mathilde,“ sagte er, „Du kannst ihn doch nicht ewig am Schürzenbändchen hängen haben! Warum sollen die Jungen nicht bei dem himmlischen Frühjahrswetter einen Spaziergang machen?“

Die Mutter fügte sich, wenn auch etwas unwillig, nachdem sie sich erst noch von Fritz „in die rechte Hand“ hatte versprechen lassen, daß er unter keinen Umständen Kahn fahren würde – ein Eid, der um so leichter zu halten war, als das Bächlein, welches den Wald als einziger Wasserreichthum durchrieselte, höchstens eine mäßig breite Zündholzschachtel hätte tragen können.

Selig, die Schülermütze auf dem lockigen Haare, den dargebotenen Ueberzieher mit Entrüstung und Hohnlachen zurückweisend, stand Fritz bald darauf vor der Hausthür, die Freunde erwartend.

Reimann war Primaner – ein in alle Tücken und Gefahren des Lebens eingeweihter, sehr weltmüder Mann von siebzehn Jahren, der geneigt war, bitter über Einbildungen und jugendliche Aufwallungen zu lächeln, und mit den meisten Freuden dieser Erde schon endgültig abgeschlossen hatte, „da der ganze Rummel, in der Nähe betrachtet, doch nur Blech sei!“

Diese Weltanschauung, sowie ein Scheitel über den ganzen Kopf, eine in mehrjährigen Tanzstundenkursen erlangte tiefe Kenntniß des weiblichen Herzens, die ebendaselbst erworbene Fähigkeit, links herum zu walzen und den Hut beim Grüßen nach der Tagesmode mit tiefem, feierlichem Ernst und so langsam abzunehmen, als wenn ein Begräbniß vorbeikäme, sicherten Reimann die unbedingteste, widerspruchloseste Achtung seiner Gefährten.

Müller und Fritz fühlten sich demgemäß durch die Aufforderung dieses jungen Weltweisen, mit ihm spazieren zu gehen, auch namenlos geschmeichelt. Beide waren trotz ihrer fünfzehn Jahre überraschenderweise kindlicher Auffassung noch nicht so ganz fern und wären nicht abgeneigt gewesen, nachdem man das Menschengewühl verlassen hatte, sich zu fangen oder zu prügeln – aber wer hätte davon vor Reimann anfangen mögen! So schritten denn die drei, rauchend und die tiefsten Fragen der Menschheit mit einer wahrhaft erquickenden Leichtigkeit behandelnd und lösend, durch den frühlingsgrünen Wald.

Uebrigens rauchten nur Fritz und Müller – Reimann that es „nicht mehr“, wie er sagte, als wenn ihm dergleichen durch jahrelanges, gewohnheitsmäßiges Betreiben schon überdrüssig geworden wäre – in Wirklichkeit, weil ein einmaliger Versuch mit einer entsetzlichen Krankheitskatastrophe für ihn geendet, die der Vater Reimann durch eine wohlgezielte Ohrfeige noch gefährlich verschärft hatte.

Daß übrigens der freie Schultag, der köstlich blaue Himmel und die fröhliche Frühlingsluft die erstorbene Lebenslust bei Reimann soweit wieder anzufachen vermochte, daß er, auf einer Waldlichtung angelangt, sich ohne vorherige Herausforderung auf Müller stürzte und mit ihm einen jauchzenden, quiekenden und von beiderseitigem höchsten Genusse begleiteten Ringkampf begann, verdient erwähnt zu werden! Fritz betheiligte sich nach Kräften durch Hiebe auf den jeweilig siegreich scheinenden Kämpfer und durch die anspruchslose flehentliche Bitte: „Haut mich doch auch!“ Ich theile übrigens diesen ganzen Zwischenfall nur im geheimen mit, da Reimann es doch nur den jüngeren Kameraden „zuliebe“ gethan hatte! Selbstverständlich!

Die Unterhaltung kam auf diesem Wege in ein lebhafteres Tempo und der Spaziergang wurde durch freundschaftliches Schubsen und Puffen nach rechts und links und durch gegenseitiges Rollen in zum Glück rücksichtsvoll ausgetrocknete Gräben gewürzt, während einige zoologische Bezeichnungen deutlich bekundeten, daß man aus den Regionen der höchsten philosophischen Probleme wieder in die Gymnasialluft niederzusteigen begann.

Man gelangte bei all diesen Erheiterungen ziemlich tief in den Wald hinein, und allmählich begann trotz aller Freude an der schönen Natur doch auch die materielle Seite des Lebens ihr Anrecht an die jungen Männer geltend zu machen. Nachdem Fritz als der jüngste und unbesonnenste sich zu einem „infamen Hunger“ bekannt hatte, erklärten auch Müller und Reimann, daß man sich wohl jetzt nach einer „Kneipe“ umsehen dürfte.

„Soviel ich weiß,“ sagte der Senior unserer Gesellschaft, „giebt’s hier irgendwo ein Forsthaus mit Wirthschaft – da wird man uns für Geld und gute Worte schon etwas vorsetzen!“

Fritzens Gesicht wurde bei diesem Vorschag merklich lang! Seine Barschaft war infolge eines verlorenen und auf väterlichen Befehl „vom Eignen“ wiedergekauften Zirkels zu sehr betrübender Kleinheit zusammengeschmolzen, und sich von den Gefährten freihalten zu lassen, wäre ihm doch äußerst „peinlich“ gewesen! Er beherrschte sich aber wacker und hörte mit dem Gesicht eines vollendeten Feinschmeckers den Berathungen über das zu, was man im gegebenen Fall „futtern“ würde.

Das Forsthaus war bald erreicht. Es lag idyllisch mitten im tiefen Walde und bot mit seinem schrägen, moosbewachsenen Dach einen hübschen Anblick. Sehr erhöht wurde dieser Eindruck noch dadurch, daß in der halbgeöffneten Thür, vom Sonnenschein umflimmert, ein bildhübsches, blondes Mädchen von vielleicht achtzehn Jahren saß, das den Gruß der drei Jünglinge mit einem freundlichen Nicken erwiderte und durch einen einzigen Blick ihrer blauen Augen Reimanns im ganzen gegen Damen sehr unempfindliches Herz in die hellsten Flammen setzte. Auch die beiden andern fühlten sich angenehm berührt durch den Anblick der allerliebsten Waldnymphe, drückten aber ihre Empfindungen nur durch ein paar stumme Püffe aus, die sie sich gegenseitig verabfolgten, während Reimann mit der ihm eigenen Sicherheit auf das Försterstöchterlein lossteuerte.

„Mein Fräulein, würden Sie drei ermüdeten Wanderern vielleicht eine Stärkung angedeihen lassen?“ frug er in musterhaft gewählter Ausdrucksweise. „Was könnten wir hier wohl haben?“

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Junge Gäste.
Nach einem Gemälde von G. Buchner.

[870] Fritz und Müller sahen sich mit wortloser Bewunderung an – dieser Reimann! Wie er sich wieder zu benehmen wußte! Großartig!

Die keine Waldfee erhob sich und öffnete die Thür.

„Kommen Sie nur herein!“ sagte sie, und als die drei zögerten, fügte sie mit einem sehr niedlichen Anstrich von mütterlicher Fürsorge hinzu: „Nein, nein, drinnen setze ich Ihnen etwas vor, hier zieht es zu sehr!“

Sie führte unsere drei über diese Wendung der Sache höchst erfreuten Freunde in die von Alter und Rauch geschwärzte und trotz der Frühjahrsluft draußen noch schön geheizte Wirthsstube. Bald hatte das flinke Mädchen ein blüthenweißes Tuch über den Tisch gedeckt und vor jeden ihrer Gäste eine Tasse hingestellt, Fritz bat allerdings um Bier – er trank zu Hause noch Milch und fühlte sich infolgedessen moralisch verpflichtet, auf Ausflügen möglichst nur Dinge zu genießen, die diesem kindlichen Getränk gerade entgegengesetzt waren! Ein herrlicher, brauner Napfkuchen wurde auch hereingetragen, der eben frisch gebacken zu sein schien, und unsere drei Helden ließen sich, ihrem Alter und Stand als ewig hungrige Schüler gemäß, nicht zweimal nöthigen und hieben tüchtig ein. Doch nein – Reimann nicht! Reimann war so plötzlich, so gänzlich und so rettungslos in sein reizendes Gegenüber verliebt, wie man dergleichen eben nur mit siebzehn Jahren fertig bekommt!

Während die kleine Schönheit eifrig an einer Näharbeit stichelte und in munterster Weise mit ihren jungen Gästen scherzte, schmolz der Primaner wie ein Schneeball an der Sonne! Seine sonst sehr kühl und verächtlich dreinblickenden Augen nahmen einen so sentimentalen Aufschlag an, daß sie beinah in Gefahr gerathen wären, nie wieder in ihre normale Lage zu kommen, und er erröthete ohne irgend welche ersichtliche Veranlassung wiederholt bis zur dringendsten Gefahr des Nasenblutens. Und als Fritz und Müller, entschlossen, den Becher dieses aufsichtslosen Nachmittags bis auf die Hefe auszukosten, abermals nach ihrem Rauchzeug griffen und das Försterstöchterlein Reimann fragte, ob sie ihm vielleicht auch eine Cigarre bringen dürfe, da war Reimann, wie wir wissen, in der glücklichen Lage, ohne besondere Seelenkämpfe sich die großartige Bemerkung zu gestatten: „Meinen besten Dank, mein Fräulein – ich rauche nicht in Damengesellschaft!“ Diese Feinheit stellte allerdings seine beiden Gefährten auf einen recht tiefen Standpunkt der gesellschaftlichen Bildung, aber vorläufig überwog die Freude am Rauchen noch dieses Bedenken, und sie pafften mühsam und erfreut weiter, während sie die Kurmacherei ihres weltgewandten Freundes mit gespitzten Ohren und dem innerlichen festen Vorsatz anhörten, bei erster passender Gelegenheit eine der aufgeschnappten vornehmen Redensarten auch an den Mann – oder besser an die Dame zu bringen!

Ob der sehr gute und starke Kaffee dem biederen Reimann in den Kopf gestiegen war – oder ob Amor allein die Sache zu verantworten hatte – das wird ewig unaufgeklärt bleiben! Jedenfalls begann er plötzlich in einen sehr ernsten Ton zu verfallen, seine Studien – er ließ es mit großer Schlauheit unsicher, ob er Schul- oder Universitätsstudien betrieb – als nahezu beendet anzudeuten, und schließlich richtete er ziemlich unverblümt die Frage an sein reizendes, blondes Gegenüber, ob sie nicht geneigt sein würde, auf einen so wohlsituierten jungen Mann wie ihn ein paar Jahre in Treue zu warten.

Die kleine Schönheit sah ihn zunächst mit großen Augen an und hob dann ihre Näherei einen Augenblick so hoch, daß sie ihr schelmisches Lächeln und die dabei zu Tage kommenden allerliebsten Grübchen erfolgreich vor den Anwesenden verstecken konnte. Dann legte sie ihre Arbeit zusammen, sah mit einer sittsamen, ernsten Miene, die sie sehr niedlich kleidete, ihren jugendlichen Verehrer an, stand auf und sagte: „Wenn Sie einen Augenblick warten wollen, junger Herr, dann will ich meinen Vater rufen – wenn der nichts dagegen hat!“ –

Und damit ging sie aus dem Zimmer und ließ unsere drei Freunde in einer höchst unangenehmen Verfassung am Kaffeetisch zurück.

Die beiden Jüngeren, die ihr Vorbild bei seiner dreisten Liebeserklärung mit offenem Munde angestarrt hatten, bemerkten zu ihrer Bestürzung, daß die erwartete frohe Aussicht auf den väterlichen Segen den armen Reimann in einen wahrhaft entsetzlichen Zustand angstvoller Bestürzung versetzte.

Er versuchte zwar noch den Schein seiner früheren Sicherheit zu retten, indem er mit einem etwas verkümmerten Lachversuch vor sich hinbrummte: „Das ist nicht übel!“ Aber er täuschte weder sich noch seine Freunde.

Endlich brach Fritz das unbehagliche Schweigen. „Kinder!“ begann er leise und sich vorsichtig nach der Thür umsehend, „wollen wir nicht lieber – ?“

„Ja!“ fiel Müller hastig ein, „wollen wir nicht nach Hause gehen? Denke einmal, Reimann, wenn der Alte jetzt kommt!“

„Wenn er grob wird!“ stimmte der zitternde Reimann bei, dessen Kühnheit, sonstigen Liebeserfahrungen entgegengesetzt, vor dem unerwarteten Erfolg in nichts zusammensank.

„Das Schlauste ist, wir gehen!“ setzte er mit etwas erzwungener Gleichgültigkeit hinzu, „es scheint ja ohnehin niemand zu kommen – einerlei wäre mir’s übrigens auch, wenn jemand käme!“

In diesem Augenblick klappte im obern Stockwerk eine Thür, und in groteskem Widerspruch mit seiner soeben geäußerten Ansicht war Reimann blitzschnell mit einem Satz, der seine Befähigung zum Vorturner ewig außer Frage stellte, durch das Fenster hinaus ins Freie gesprungen, wo er so eilfertig die Flucht ergriff, als wenn der Förster mit einem handgreiflichen Glückwunsch ihm schon auf den Fersen wäre!

Die beiden andern folgten ihm stumm und ebenso eilig, – ohne zurück zu sehen, raste das Kleeblatt den holperigen Waldweg entlang und hielt erst in seinem athemlosen Laufe an, als man auch nicht mehr die entfernteste Spur von dem Forsthaus oder auch nur von dem Rauch sah, der über seinem gastfreundlichen Dach sich gegen den Frühlingshimmel kräuselte.

Da standen nun unsere drei Helden, und keiner wagte den andern anzusehen. Fritz und Müller rangen mit den widerstreitendsten Empfindungen und kauten in ihrer Verlegenheit so eifrig junges Laub, als wenn sie keine Sekundaner, sondern – etwas anderes wären!

Reimann fühlte die ganze Schwere des Augenblicks. Er konnte jetzt und hier alle Autorität, allen weltmännischen Ruf in den Augen seiner Genossen einbüßen – hier hieß es einen raschen Entschluß fassen – und er faßte ihn!

„Kinder!“ begann er mit großer Gelassenheit und strich sich das vom Laufe verwirrte Haar aus der Stirn, „das war ja eine tolle Geschichte!“

„Du hattest schöne Angst vor dem Alten!“ bemerke Müller als erstes Zeichen erwachender Rebellion.

„Donnerwetter ja!“ bekräftigte Fritz, „ich dachte aber auch, er würde Dich durchhauen!“

Reimann zuckte höhnisch die Achseln.

„Davor dachtet Ihr, hätte ich Angst gehabt? Blech! Ich merkte nur, daß das Mädel mehr wie gerne ja gesagt hätte – na, und der Alte hätte wohl auch zugegriffen – und so hatte ich es nicht gemeint!“

„Aber –“ begann Müller unüberzeugt.

„Glaubt mir!“ fuhr Reimann nachdrücklich fort, „so wird man geangelt! Und ich hätte dann meine ganze Carriere verdorben – hätte womöglich von der Schule abgehen müssen!“

„Ob Du ihr wirklich so gut gefallen hast?“ erkundigte sich Müller noch immer mit einigen ruchlosen Zweifeln.

Reimann lächelte siegesgewiß.

„Wenn Du das nicht gemerkt hast, Müller – weg war sie – einfach weg! Ihr hörtet doch, sie wollte bloß den Alten um Erlaubniß fragen!“

Diese letztere Thatsache war ja so unleugbar, daß keiner der Genossen sie anzweifeln konnte, und Reimanns Stellung den andern gegenüber schien durch das Abenteuer eher noch an Festigkeit gewonnen zu haben.

Er gratulierte sich innerlich aufs lebhafteste zu seinem klugen Schachzug und fing bereits an, selbst fest überzeugt zu sein, daß er im Forsthaus ein gebrochenes Herz zurückgelassen hätte – für seine siebzehn Jahr doch eine ganz gehörige Leistung!

Mit hochgehobenem Haupt ging er in diesem Gefühl vor den Gefährten her – seinem Selbstbewußtsein war die heutige Krisis anscheinend sehr gut bekommen.

Da theilten sich hinter ihnen die Büsche, und ein hübscher, junger Forstmann mit einem dichten, blonden Schnurrbart, der wühtenden Neid in der Brust der drei Schüler erregte, kam pfeifend, von seinen Hunden begleitet, des Weges.

Er begrüßte die drei Jünglinge sehr freundlich, aber mit einem gewissen überlegenen Lächeln, welches Reimann schon dazu veranlaßte, innerlich zu erwägen, ob er den Kerl nicht „verhauen“ sollte!

[871] „Haben Sie denn auch ordentlich satt bekommen in der Försterei?“ fragte der neue Ankömmling, Reimann mit einem durchbohrenden, aber dabei sehr gutmüthigen, humoristischen Blick betrachtend. „Meine Braut hatte heute Kuchen gebacken – da haben Sie ’s gut getroffen! Sie hätten nur nicht so eilig sein sollen! Na – auf ein ander Mal, junger Herr,“ fuhr er fort, immer noch zu Reimann gewendet, „und wenn Sie wieder einmal vorsprechen, kriegen Sie wieder Kuchen! Ich bin nicht eifersüchtig – nicht mal auf einen so hübschen Schwarzkopf, wie Sie einer sind! Also – Glück auf den Weg!“

Und mit einem wahrhaft satanischen Gelächter, welches ihn als den Eingeweihtesten der Eingeweihten kennzeichnete, nickte der schmucke, junge Mann dem vernichteten Reimann zu und verschwand, wie er gekommen war.

Reimann aber brauchte wenigstens zwanzig Minuten, um sich so weit zu erholen, daß er in tiefster Demuth und unter heiliger Zusicherung seiner sämmtlichen alten Jahrgänge von „Jugendfreund“ und „Guter Kamerad“ seine beiden vormaligen Anbeter auf Stillschweigen vereidigen konnte. Ich muß übrigens hier zu ihrer Ehre bekennen, daß sowohl Fritz wie Müller das tiefste Stillschweigen beobachtet haben – mir ist die Geschichte ganz zufällig bekannt geworden!

Daß Reimanns Ansehen und seine Weltanschauung bei den beiden anderen aber etwas in Mißkredit gekommen sind, das kann ich nicht leugnen – es war auch nicht anders zu erwarten!

Er selbst – Reimann – hat übrigens an seinem ersten Versuch als Don Juan so wenig Geschmack gefunden, daß er vor dem Abiturientenexamen gewiß keinen zweiten machen wird, und bis dahin hat er noch lange Zeit! Eigentlich ist das auch recht gut!