Venedig: – Die Piazetta und der Dogenpallast

CLVII. Der Johannisberg Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band (1837) von Joseph Meyer
CLVIII. Venedig: – Die Piazetta und der Dogenpallast
CLIX. Die Virginia-Universität in den vereinigten Staaten von Nordamerika
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DER DOGENPALLAST
in Venedig

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CLVIII. Venedig: – Die Piazetta und der Dogenpallast.




Siehe, im Arme Neptun’s, die bleiche, herrliche Meerbraut,
     Die mit der Römer Gewalt paarte der Tyrier Glück;
Siehe die Herrscherin einst auf allen Meeren und Küsten
     Dreier Theile der Welt, die um ihr Gold sie berückt;
Siehe Venetia’s Leu, der wider die Heere der Moslims
     (Candia bezeugt’s und Lepant’!) unser Europa geschirmt.
Zwar ist gestorben der Leu, es horstet im Rachen der Adler;
     Doch ist sie Königin noch, wenn auch als Sklavin sie dient.


Die vorliegende Ansicht ist einzig in ihrer Art. Diese den Fluthen entsteigenden Palläste, diese Monumente sind das offene Buch von Venedig’s ereignißvoller Geschichte. Sie machen Alles glaublich, was die Historiker des Mittelalters von seiner Pracht gesagt haben, was sie von seiner Macht, seinem Reichthume und der Größe seines Handels erzählen.

Jene lange, dem Meere zugekehrte Fronte, im arabischen Prachtstyl, ist der Pallast des Dogen, der ehemalige Sitz der ausübenden Gewalten der einst so mächtigen Republik. Von da gingen die Beschlüsse des Senats aus, welche im Mittelalter oft die Schicksale der Reiche lenkten. Neben an ist die Piazetta, gleichsam die Staatspforte Venedig’s, auf deren breiten, in die Fluthen hinabführenden Marmorstufen die fremden Fürsten und Gesandten landeten, wenn sie kamen, die Freundschaft der Republik zu suchen. Hier hatte diese auch die Zeugnisse ihrer Herrlichkeit aufgestellt. Jene 2 Säulen am Eingang, 40 Fuß hoch und 8 Fuß dick, jede aus einem Stück orientalischen Porphyrs, zierten einst die Einfahrt der Dardanellen, von wo sie die Venetianer weg- und als Trophäen mitnahmen, als sie im 12ten Jahrhundert das griechische Reich gedemüthigt hatten, und Constantinopel selbst ihnen als Eroberer gehuldigt. Auf der einen war die colossale Bronzbildsäule des heiligen Antonius, des ältesten Schuhpatrons Venedig’s. Der geflügelte Löwe, Attribut des Evangelisten Markus, des neuen Schutzheiligen der Republik, schmückte die andere. Als die Franzosen, 1797, dem Staate ein Ende machten, nahmen [48] sie den Löwen herab, und er wanderte als Siegeszeichen nach Paris. Die Verbündeten schickten ihn wieder heim, und seit 1816 überschaut er, wie vordem, das adriatische Meer. Aus dem fürstlichen Gefangenen in der Fremde aber ist nur ein demüthiger Diener in der Heimath geworden. Der Wechsel ist nicht zu beneiden. –

Venedig rühmt sich keines so hohen Alters, als die meisten der italischen Städte; aber der Volksname der Venetianer geht in die ältesten Zeiten zurück. Damals hießen sie Heneter. Sie stammten von Trojanischen Flüchtlingen her, welche Antenor in diese Gegend führte.

Als Attila im Jahre 452 das große Aquileja zerstörte, suchte, was von den unglücklichen Einwohnern dem Schwerte entronnen, in den Sümpfen, welche das Nordende des adriatischen Meers umgürten, ein Asyl. Viele Tausende kamen um durch Noth und Elend. Der Ueberrest baute sich auf den Inselchen an der Mündung des Po an. Dieß war die erste Gründung Venedig’s. In den ersten Jahrhunderten trieben die Bewohner desselben die Fischerei als ausschließlichen Erwerb. Aus Fischern wurden allmählich Schiffer, die sich den benachbarten Orten des Festlandes als Frachtfahrer verdingten, – aus diesen Kaufleute. Der kleine Staat, von seiner Gründung an Republik, nahm zu an Macht und an Ansehen, je nachdem sich der Reichthum und die Volksmenge mehrten, welche beide der Handel herführte. Vom neunten Jahrhundert an tritt Venedig in der Weltgeschichte handelnd auf. Seine Geschwader bekämpften die Seeräuber, welche die Gestade Italiens verwüsteten; einzelne Städte und ganze Küstenstrecken begaben sich unter seinen Schutz; es schloß Bündniß mit Genua zum Kriege gegen die Sarazenen.

Als die Kreuzzüge anfingen, besorgten Genua und Venedig gemeinschaftlich die Verproviantirung und Ueberfahrt der christlichen Heere, und ihre Kriegsflotten gaben das Geleit. Mit Hülfe dieser wurden die syrischen Häfen erobert, und bei jeder Eroberung bedangen sie sich besondere Handelsvortheile aus, und eigneten sie sich die für ihre Zwecke passenden Gebäude zu. Mit den Erzeugnissen und den Bedürfnissen des Orients waren sie seit lange vertraut, und sie benutzten die günstigen Verhältnisse zur Ausbreitung ihrer Geschäfte durch ganz Asien und Afrika. Schon zu Ende des 12ten Jahrhunderts traf man venetianische Faktoreien in allen Städten des mittelländischen und schwarzen Meers an, am arabischen Meerbusen und im Golfe von Persien. Im Jahre 1202 führten sie ein Kreuzfahrerheer auf drei hundert Schiffen vor Constantinopel, und unter Anführung ihres Dogen Dandolo griff ihre Kriegsflotte von 50 großen Galeeren, mit dem französischen Geschwader vereinigt, die Hauptstadt des griechischen Kaiserreichs an und eroberte sie. Klug überließen sie die glänzende, aber gefährliche und unsichere Beute ihren Verbündeten, erwarben sich aber Candia, und behielten von Küstenländern und griechischen Inseln Alles, was ihnen für ihre Zwecke am vortheilhaftesten schien.

Eifersüchtig auf Venedig’s fortwachsende Handelsgröße hatte sich bald darauf Genua von dem geschlossenen Bunde gegen die Türken ausgeschieden und mit diesen einen Separatfrieden geschlossen, durch welchen sie sich [49] den Alleinhandel mit den sarazenischen Staaten zu bewahren gedachten. So treulose Politik trug schlechte Frucht. Venedig verfolgte seine Handelsunternehmungen mit den Waffen in der Hand viel glücklicher, als Genua durch Traktate, welche es in der öffentlichen Meinung Europa’s brandmarkten. Jenes machte sich zum Herrn der Küsten des schwarzen Meers, und venetianische Niederlassungen und Comtoire blüheten am kaspischen See, und wurden vorgeschoben bis in das Herz von Persien.

Die schlechtverhaltene Eifersucht der Genueser und Venetianer brach endlich in Krieg aus, in einen Krieg auf Leben und Tod, welchen zwar äußere Verhältnisse, oder Erschöpfung, von Zeit zu Zeit unterbrochen, der aber nicht eher endigte, als bis die veränderte Weltlage den Haderern gebieterisch Ruhe gebot. Venedig, kühn gemacht durch seine Erfolge im schwarzen Meere, gedachte seine Nebenbuhlerin aus ganz Syrien zu vertreiben. Der Streit um den Besitz von Ptolomais (ST. JEAN D’ACRE) lieh den Vorwand. Venedig behielt das Feld, und um die Rivalin zu höhnen, hing es die Thore von Ptolomais an den Säulen des Markusplatzes in Ketten auf. Die Genueser hingegen vertrieben die Venetianer von der Küste des euxinischen Pontus, dessen Handel sie eine Zeitlang monopolisirten. Das mittelländische Meer wurde nun für die Flotten der eifersüchtigen Republiken häufig ein Schlachtfeld. Lange wechselte das Kriegsglück. Zuletzt aber triumphirten die Venetianer bei Chiozzo über die Genueser in einem Haupttreffen, und von diesem Ereigniß an zogen sich letztere aus den griechischen und levantischen Gewässern zurück. Genua verlor seine Besitzungen am schwarzen Meere. – Um diese Zeit begann der Norden sich der Kultur und ihren Bedürfnissen und Genüssen zu öffnen. Er führte neue und unermeßliche Geschäfte herbei, als deren Vermittlerin sich die Hansa hergab. Nürnberg, Straßburg, Augsburg, Braunschweig, Lübeck, Brügge, Cöln, wurden zu Hauptstapelplätzen des venetianischen Handels, wo der Norden um seine Erzeugnisse die Produkte des Südens tauschte. Durch Verträge mit den Sultanen von Aegypten gelang es Venedig, sich in den Alleinbesitz des einzigen damals praktikabeln Handelswegs nach Indien zu setzen. Von der Spitze des adriatischen Meeres an leitete es eine Kette bewaffneter Niederlassungen bis in’s schwarze Meer und von Suez aus dem arabischen Meerbusen entlang bis zum Indus. Venedig hatte den Gipfel seiner Größe erreicht. Der Doge Mocenigo gab die venetianische Flotte im Jahre 1420 auf 3000 große Handelsschiffe an, die 30,000 Matrosen beschäftigten. Die Kriegsmacht zählte 300 Schiffe, mit 10,800 Seeleuten, und 45 große Galeeren, mit 12,000 Mann Besatzung. In den Arsenälen und auf den Werften arbeiteten 17,000 Schiffszimmerleute unausgesetzt am Neubau und an der Ausbesserung der Fahrzeuge. Damals war die Seemacht Venedig’s für sich allein größer, als die aller andern Staaten Europa’s zusammen genommen. Unglaublich wäre es, was gleichzeitige Schriftsteller über den Reichthum und den Luxus dieser Stadt, in welche der Handel Jahrhunderte lang die Schätze der Welt zusammenführte, berichten, stellte nicht das heutige Venedig durch seine Palläste und Denkmäler noch unwiderlegbare Zeugen dafür auf. Wohl konnte man [50] hier mit dem Propheten wie über Tyrus ausrufen: „Ihre Kaufleute sind Fürsten!“ Daß die Ausbeute des hiesigen Handels enorm gewesen seyn müsse, geht aus dem Umstande hervor, daß, ungeachtet des Zusammenflusses aller Reichthümer der Welt, dennoch der laufende Jahreszins bei Vorschüssen auf Handelsunternehmungen, nie unter 30 Prozent, oft über 50 war. Welcher Gewinn mußte also bei Spekulationen locken, für welche das Geld nicht wohlfeiler erlangt werden konnte!

Vom Gipfel des Glücks und der Größe war der nächste Schritt der erste zum Verderben. Als Genua schwach geworden und Venedig keinen Nebenbuhler mehr zu fürchten hatte, folglich die Nothwendigkeit aufhörte, für die Erhaltung seiner Macht mit Anstrengung zu kämpfen, wendete sich die Ehr- und Herrschsucht der reichen Geschlechter nach innen, und die Regierung, mithin auch die Sorge und das Interesse für das Staatswohl, wurde zum ausschließlichen Monopol der ältesten und vermögendsten Familien. Diese traten, um sich den Besitz der Alleinherrschaft zu sichern, in einen enggeschlossenen Verein zusammen, und die demokratische Regierungsform ging in eine streng aristokratische über. Für Verstand und Einsicht war nur noch in so fern Belohnung vorhanden, als zugleich Geburtsrang damit verknüpft war. Spätere Ausartung stellte auch diesen letzten dem Golde zu Kauf. Für 100,000 Ducaten konnte jeder Tropf sich den Rang eines Nobili erwerben, und seinen Namen in’s goldene Buch eintragen lassen. Titel wurden, wie jede andere Waare, nach dem Preiscourant des Senats erworben, die Verbrecher erkauften sich die Freiheit nach dem Tarif, Alles war feil; das persönliche Verdienst, als bloßes Verdienst, war dagegen außer Cours. An seine Stelle trat die Würde, und Geburt, Titel und Amt gaben diese allein. Die Aufrechterhaltung alter Formen ist für solche Verwalter des Gemeinwesens am leichtesten zu begreifen und mit der wenigsten Mühe auszuführen; das Neue zu prüfen und das Gute davon zu behalten, paßt nie für solche Wesen; das Erhabene zu ergründen und zu erkennen, war niemals für die Anbeter des goldenen Kalbes. So war es möglich, daß, als ein armer, aber tiefdenkender Mann Pläne und Wahrheiten offenbarte, die Venedig mehr, als die ganze übrige Welt interessirten, man sie dort als Tollheiten verlachte. Man ahnete nicht, daß durch deren Erfolg die ganze Herrlichkeit Venedig’s in den Staub sinken würde.

Jener Mann war Columbus; – dieser Erfolg die Entdeckung Amerika’s. Die Umschiffung Afrika’s durch Vasco di Gama, ein paar Jahre später, welche dem Handel mit Indien neue Wege wieß, vollendete, was jene Entdeckung der andern Erdhälfte für Venedig’s Ruin vorbereitet hatte.

Die weitere Geschichte der Republik ist blos die ihres Verfalls. Aber drei Jahrhunderte gehörten dazu, ehe der von der Kraft dreier Welttheile vollgesogene Staatskörper sich so abzehrte, daß ihn der Stoß eines starken Arms niederwerfen konnte.

Venedig empfing die Nachrichten jener Entdeckungen, welche über seine Zukunft den Stab brachen, mit Schrecken und Entsetzen, um so mehr, da es nun zu spät war, etwas zu thun, um das Uebel abzuwenden. Möglich [51] ist’s, daß es, im Besitz der mächtigsten Flotte, auf dem Wege des Kriegs und der Eroberung das Rad des Schicksals noch gewendet hätte; aber neben der Ueppigkeit waren die Trägheit und die Liebe zur Ruhe groß gewachsen, und statt die Wege offener Gewalt schlug man die Schlangenpfade einer ruhmlosen Politik ein, welche das Unglück nur beschleunigte. 24 Jahre nach der Reiſe des Vasco blühete schon der portugiesische Handel in unzähligen Häfen, in Afrika und Indien, vom Cap des grünen Vorgebirges an bis nach Canton, auf einer unermeßlichen Küste von 2500 geographischen Meilen. Das eroberte Malacca war der große Stapel dieses ungeheuern Handels. Da trafen die Produkte der ostwärts liegenden Reiche, Japan’s, China’s, der Molukken, Siam’s, des indischen Archipels zusammen, mit denen aus dem Westen, aus Malabar, Ceylon, Coromandel und Bengalen. In Bezug auf den indischen Handel wurde Lissabon binnen kurzen 30 Jahren das, was Venedig gewesen, welches mit dem indischen Verkehr die Nahrungsquelle seines Reichthums verlor. Vergeblich schloß es Bündnisse mit dem ägyptischen Sultan und verschwendete Schätze und Flotten, um diesen in der verabredeten Vertreibung der Portugiesen aus Indien zu unterstützen. Die Flotten wurden durch Sturm und portugiesische Tapferkeit vernichtet. Venedig, das sich noch vor Kurzem in seinem Uebermuth vermessen hatte, sich die Schiedsrichterin der Welt zu nennen, wurde verhöhnt. Vollkommen erniedrigte es sich, als es nach so großer Schmach Unterhändler nach Lissabon schickte, den Portugiesen anzubieten: ihnen alle indischen Produkte für einen gewissen Preis, der Portugal einen großen Gewinn übrig ließe, abzukaufen gegen Bewilligung des ausschließlichen Rechts des Wiederverkaufs an andere Völker! Schnöde, wie sie es verdienten, wurden die Venetianer abgewiesen, und die Welt lachte sie aus.

Alle spätern Versuche, unwiederbringlich Verlorenes wieder zu gewinnen, konnten um so weniger fruchten, da sie mit sinkender Kraft unternommen wurden. Denn an den Verlust des Welthandels knüpfte sich allmählich der der positiven Herrschaft über ein ausgedehntes Reich. Venedig büßte im langwierigen Kampfe gegen seine Erbfeinde, die Türken, – in einem Kampfe, an Großthaten reich und eines bessern Erfolges werth! – zuerst die Küste des schwarzen Meeres und der Levante ein, dann die griechischen Inseln, dann Albanien und Morea, und zuletzt auch Candia und Cypern. Als es 1797 durch Bonaparte den Todesstreich empfing, besaß es nichts mehr, als die dalmatische Küste, Verona und das Gebiet des eigentlichen Herzogthums Venedig. Als Staat hatte es schon lange vorher das Sterbebett gehütet, und die in den Tagen der Macht so bedeutungsvolle Ceremonie am Himmelfahrtstage, die Vermählung der Republik mit dem Meere, war längst zur Posse herabgesunken[1]





  1. Nach einem uralten Gebrauche, der bis zum Ende der Republik dauerte, fuhr der Doge auf einem prächtigen Schiffe, welches der Bucentaurus hies, begleitet von den Herren des Raths und den fremden Gesandten, auf das hohe Meer, welches mit zahllosen Gondeln bedeckt war. Er warf dort einen goldnen Ring in die Fluth, mit den Worten: Desponsemus te mare in signum veri perpetuique dominii. (Ich verlobe mich mit dir, o Meer, zum Zeichen wahrer und ewiger Herrschaft.) Jetzt liegt der Bucentaur im Arsenal und verfault.