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ist’s, daß es, im Besitz der mächtigsten Flotte, auf dem Wege des Kriegs und der Eroberung das Rad des Schicksals noch gewendet hätte; aber neben der Ueppigkeit waren die Trägheit und die Liebe zur Ruhe groß gewachsen, und statt die Wege offener Gewalt schlug man die Schlangenpfade einer ruhmlosen Politik ein, welche das Unglück nur beschleunigte. 24 Jahre nach der Reiſe des Vasco blühete schon der portugiesische Handel in unzähligen Häfen, in Afrika und Indien, vom Cap des grünen Vorgebirges an bis nach Canton, auf einer unermeßlichen Küste von 2500 geographischen Meilen. Das eroberte Malacca war der große Stapel dieses ungeheuern Handels. Da trafen die Produkte der ostwärts liegenden Reiche, Japan’s, China’s, der Molukken, Siam’s, des indischen Archipels zusammen, mit denen aus dem Westen, aus Malabar, Ceylon, Coromandel und Bengalen. In Bezug auf den indischen Handel wurde Lissabon binnen kurzen 30 Jahren das, was Venedig gewesen, welches mit dem indischen Verkehr die Nahrungsquelle seines Reichthums verlor. Vergeblich schloß es Bündnisse mit dem ägyptischen Sultan und verschwendete Schätze und Flotten, um diesen in der verabredeten Vertreibung der Portugiesen aus Indien zu unterstützen. Die Flotten wurden durch Sturm und portugiesische Tapferkeit vernichtet. Venedig, das sich noch vor Kurzem in seinem Uebermuth vermessen hatte, sich die Schiedsrichterin der Welt zu nennen, wurde verhöhnt. Vollkommen erniedrigte es sich, als es nach so großer Schmach Unterhändler nach Lissabon schickte, den Portugiesen anzubieten: ihnen alle indischen Produkte für einen gewissen Preis, der Portugal einen großen Gewinn übrig ließe, abzukaufen gegen Bewilligung des ausschließlichen Rechts des Wiederverkaufs an andere Völker! Schnöde, wie sie es verdienten, wurden die Venetianer abgewiesen, und die Welt lachte sie aus.

Alle spätern Versuche, unwiederbringlich Verlorenes wieder zu gewinnen, konnten um so weniger fruchten, da sie mit sinkender Kraft unternommen wurden. Denn an den Verlust des Welthandels knüpfte sich allmählich der der positiven Herrschaft über ein ausgedehntes Reich. Venedig büßte im langwierigen Kampfe gegen seine Erbfeinde, die Türken, – in einem Kampfe, an Großthaten reich und eines bessern Erfolges werth! – zuerst die Küste des schwarzen Meeres und der Levante ein, dann die griechischen Inseln, dann Albanien und Morea, und zuletzt auch Candia und Cypern. Als es 1797 durch Bonaparte den Todesstreich empfing, besaß es nichts mehr, als die dalmatische Küste, Verona und das Gebiet des eigentlichen Herzogthums Venedig. Als Staat hatte es schon lange vorher das Sterbebett gehütet, und die in den Tagen der Macht so bedeutungsvolle Ceremonie am Himmelfahrtstage, die Vermählung der Republik mit dem Meere, war längst zur Posse herabgesunken[1]




  1. Nach einem uralten Gebrauche, der bis zum Ende der Republik dauerte, fuhr der Doge auf einem prächtigen Schiffe, welches der Bucentaurus hies, begleitet von den Herren des Raths und den fremden Gesandten, auf das hohe Meer, welches mit zahllosen Gondeln bedeckt war. Er warf dort einen goldnen Ring in die Fluth, mit den Worten: Desponsemus te mare in signum veri perpetuique dominii. (Ich verlobe mich mit dir, o Meer, zum Zeichen wahrer und ewiger Herrschaft.) Jetzt liegt der Bucentaur im Arsenal und verfault.