Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band | |
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den Alleinhandel mit den sarazenischen Staaten zu bewahren gedachten. So treulose Politik trug schlechte Frucht. Venedig verfolgte seine Handelsunternehmungen mit den Waffen in der Hand viel glücklicher, als Genua durch Traktate, welche es in der öffentlichen Meinung Europa’s brandmarkten. Jenes machte sich zum Herrn der Küsten des schwarzen Meers, und venetianische Niederlassungen und Comtoire blüheten am kaspischen See, und wurden vorgeschoben bis in das Herz von Persien.
Die schlechtverhaltene Eifersucht der Genueser und Venetianer brach endlich in Krieg aus, in einen Krieg auf Leben und Tod, welchen zwar äußere Verhältnisse, oder Erschöpfung, von Zeit zu Zeit unterbrochen, der aber nicht eher endigte, als bis die veränderte Weltlage den Haderern gebieterisch Ruhe gebot. Venedig, kühn gemacht durch seine Erfolge im schwarzen Meere, gedachte seine Nebenbuhlerin aus ganz Syrien zu vertreiben. Der Streit um den Besitz von Ptolomais (ST. JEAN D’ACRE) lieh den Vorwand. Venedig behielt das Feld, und um die Rivalin zu höhnen, hing es die Thore von Ptolomais an den Säulen des Markusplatzes in Ketten auf. Die Genueser hingegen vertrieben die Venetianer von der Küste des euxinischen Pontus, dessen Handel sie eine Zeitlang monopolisirten. Das mittelländische Meer wurde nun für die Flotten der eifersüchtigen Republiken häufig ein Schlachtfeld. Lange wechselte das Kriegsglück. Zuletzt aber triumphirten die Venetianer bei Chiozzo über die Genueser in einem Haupttreffen, und von diesem Ereigniß an zogen sich letztere aus den griechischen und levantischen Gewässern zurück. Genua verlor seine Besitzungen am schwarzen Meere. – Um diese Zeit begann der Norden sich der Kultur und ihren Bedürfnissen und Genüssen zu öffnen. Er führte neue und unermeßliche Geschäfte herbei, als deren Vermittlerin sich die Hansa hergab. Nürnberg, Straßburg, Augsburg, Braunschweig, Lübeck, Brügge, Cöln, wurden zu Hauptstapelplätzen des venetianischen Handels, wo der Norden um seine Erzeugnisse die Produkte des Südens tauschte. Durch Verträge mit den Sultanen von Aegypten gelang es Venedig, sich in den Alleinbesitz des einzigen damals praktikabeln Handelswegs nach Indien zu setzen. Von der Spitze des adriatischen Meeres an leitete es eine Kette bewaffneter Niederlassungen bis in’s schwarze Meer und von Suez aus dem arabischen Meerbusen entlang bis zum Indus. Venedig hatte den Gipfel seiner Größe erreicht. Der Doge Mocenigo gab die venetianische Flotte im Jahre 1420 auf 3000 große Handelsschiffe an, die 30,000 Matrosen beschäftigten. Die Kriegsmacht zählte 300 Schiffe, mit 10,800 Seeleuten, und 45 große Galeeren, mit 12,000 Mann Besatzung. In den Arsenälen und auf den Werften arbeiteten 17,000 Schiffszimmerleute unausgesetzt am Neubau und an der Ausbesserung der Fahrzeuge. Damals war die Seemacht Venedig’s für sich allein größer, als die aller andern Staaten Europa’s zusammen genommen. Unglaublich wäre es, was gleichzeitige Schriftsteller über den Reichthum und den Luxus dieser Stadt, in welche der Handel Jahrhunderte lang die Schätze der Welt zusammenführte, berichten, stellte nicht das heutige Venedig durch seine Palläste und Denkmäler noch unwiderlegbare Zeugen dafür auf. Wohl konnte man
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam und New York 1837, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_4._Band_1837.djvu/87&oldid=- (Version vom 18.9.2024)