CLVI. Boston, das Rathhaus Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band (1837) von Joseph Meyer
CLVII. Der Johannisberg
CLVIII. Venedig: – Die Piazetta und der Dogenpallast
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DAS SCHLOSS JOHANNISBERG

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CLVII. Der Johannisberg.




Der Rheingau bleibt doch immer der schönste Fleck Erde in unserm Deutschland, und immer kehren wir zu demselben mit neuem Wohlgefallen zurück. Kein Pinsel, kein Grabstichel, keine Feder gibt ein ganz würdiges Bild von seiner großen und reichen Natur.

Die köstlichste Perle in diesem Schmuck ist der Johannisberg. Schon vor der Pforte des Rheingaus, in der Nähe von Mainz, wird er sichtbar. Bei Winkel fährt man an ihm vorüber. Aus einem weiten Gürtel von Reben, den köstlichsten der Welt, glänzen auf der Höhe Schloß und Kirche.

Ohne Aufenthalt rauscht das Dampfschiff vorüber. Der glücklichere Fußwanderer aber, welchem die Muße Genuß und Freude würzt, steigt hinan, wo, auf dem Balkon des Schlosses, eine der schönsten und reichsten Aussichten im ganzen Rheingau seiner wartet.

Vor Dir, in lachender Tiefe, rauscht der königliche Rhein, der seine hundert grünen und dunkeln Auen schwimmend auf dem schimmernden Rücken trägt. Links siehst Du das liebliche Bieberich, mit seinem zierlichen Pallaste und herrlichem Parke, den Sitz des Nassauer Herzogs; weiter Hochheim; rechts den Niederwald mit seinem Tempel und seinen Ruinen; Du übersiehst das reizende Nahethal; und jenseits schweift der Blick über die fruchtbaren Gefilde der ehemaligen Pfalz bis zum Donnersberge hin.

Das Schloß ist von großem Umfange. Die Gemächer des Fürsten, welche geschmackvoll eingerichtet sind, haben eine entzückende Aussicht nach Süd und nach Ost. Nicht ohne tiefe Bewegung tritt man in das Privat-Kabinet des hochgestellten Staatsmannes, unter dessen, von unerschütterlicher Consequenz geleiteter Hand das Schicksal eines Erdtheils sich gestaltete. Nichts kann einfacher seyn, als dieses Arbeitszimmer. Der schöne, historische Kupferstich Godeffroy’s, der Wiener Congreß, ist der einzige, bedeutungsvolle Wandschmuck. Die Gemächer der Fürstin sind auf der andern Seite, und haben die Aussicht nach Abend.

Dieß beneidenswerthe Besitzthum hat mit der Zeit gleichen Schritt gehalten, und seine Besitzer so oft, als viele Figuranten der Gegenwart ihre Grundsätze, und viele Herren ihre Länder gewechselt. In alter Zeit war’s ein Kloster, eins von den vielen des Gaues, der auch Mönchen ein Paradies war; denn auf einem Raume von 5 Stunden zählte man nicht weniger als 12 dieser SANS SOUCI’s der guten, alten Zeit, und manche Abteien besaßen [45] mehr, als zur Erhaltung eines Fürstenhauses gehört. Als nächste Veranlassung zur Erbauung des Johannisberges erwähnt die Geschichte einer grausamen Judenverfolgung in Mainz durch Erzbischof Ruthard, gegen Ende des 11ten Jahrhunderts. Zur Sühne für die dabei begangenen Frevelthaten gelobte der Erzbischof, ein Kloster zu bauen auf dem Bischofsberge im Rheingau, dem heil. Johannes geweiht, weil am Johannistage die Unthaten geschehen waren. – Im Jahr 1130 wurde das Kloster, nachdem es von den letzten Sprößlingen des Rheingrafengeschlechts, die als Mönche daselbst ihr Leben beschlossen, mit Gütern und Zinsen reichlich beschenkt worden war, zur Abtei erhoben, die ihre Besitzung fortwährend zu erweitern verstand. Aber die Reformation kam und warf blendende Lichtstrahlen in das finstere Reich der weltlichen Unterdrückung und der hierarchischen Tyrannei. Da standen, wie fast überall in Deutschland, so auch am Rheine, die Bauern zum blutigen Werke der Selbstbefreiung auf; und über die frommen Väter auf dem Johannisberge kam viel Drangsal. Sie mußten sich anheischig machen, Abgaben zu entrichten von ihren Gütern, wie andere Leute, und geloben, keine Novizen mehr anzunehmen, damit, wenn sie stürben, „des Müssiggangs Hab und Gut an das fleißige Land als Erbe zurückfalle.“ Als indeß der Bauernbund durch rohe Verwüstungslust, durch Ungeschick und Hader seiner Führer schwach geworden war gegenüber den zum siegreichen Phalanx vereinigten Heeren geistlicher und weltlicher Herrscher, löste er sich wieder auf, und die entfesselten Massen kehrten, halb gezwungen, halb freiwillig, in’s altgewohnte Joch zurück. Nach Johannisberg aber kam die alte Herrlichkeit nicht wieder. Viele der Mönche waren geflüchtet, und während der Herrschaft der Bauern waren Schätze und Vorräthe verschwunden. Der Erzbischof von Mainz hob deshalb die Abtei auf, ließ die Güter anfänglich verwalten, und gab sie später (1620) dem Rothschild der damaligen Zeit, dem Reichspfennigmeister Bleymann, für 30,000 Gulden in Erbpfand. Bleymann’s Erben verstanden es nicht, wie einst die Fugger, den Reichthum an ihr Geschlecht zu fesseln. Geldbedürftig kündigten sie (1710) Mainz den Pfandschilling auf und an ihre Stelle trat das Erzstift Fulda, welches die Summe zahlte, und dafür Kloster und Güter als freies Eigenthum erhielt. So blieb es lange, und nur auf den gastfreien Tafeln der lebensfrohen Fuldaer Domherren war noch edler Johannisberger zu kosten. – Es brach die französische Revolution los. Ihre begeisternden Freiheitsideen flogen über den Rhein, und die zügellosen, aber siegreichen Schaaren ihrer Vertheidiger zogen ihnen nach. Die Umwälzung, deren eiserner Tritt mit mancher guten Frucht unsägliches Unkraut vernichtete, warf auch am Rheine das alte, legitime, morsche Gebäude ein und schuf eine Totalveränderung aller Verhältnisse. Die andächtige Stimmung des Volkes, durch nichts mehr genährt und unterhalten, wich, im Vermengen mit andern Völkern, dem Gefallen an fremden Sitten, Gebräuchen und Glaubensmeinungen, und was die Rheingauer unter’m Gewissenszwang früher gehaßt hatten, lernten sie ertragen und lieben. Bald fand man die von den Neufranken bewirkte Metamorphose der Klöster und Abteien in Magazine, Spitäler und Werkstätten für angemessen, und selbst unter den Mönchen blieb die Saat der neuen Ideen nicht ohne [46] Frucht. Viele kehrten zur Arbeit zurück. – Die Umwandlung, welche der Krieg begonnen hatte, vollendete der Frieden. Die geistlichen Stiftungen wurden für immer aufgehoben, die drei christlichen Confessionen für gleiche Schwestern einer Mutter erklärt, und Völker, Verfassungen, Sprache und Gebräuche an beiden Rheinufern so bunt gemischt, daß man kaum mehr eine Grenze erkennen mochte. Katholische Länder erhielten protestantische Fürsten, und protestantische Völker fanden in katholischen Herrschern die Beschirmer des gereinigten Glaubens.

In dieser Periode, auch bekannt als die Säkularisations- und Entschädigungsepoche, fiel Fulda dem Hause Oranien zu, das jetzt Hollands Thron einnimmt, und der Johannisberg theilte des Stifts Schicksal. – Napoleon kam; da ward’s wieder anders. Unter dem Titel eines Beschützers von Deutschland schaltete er in demselben wie ein Eroberer. Er, der seine Feldherren und Verwandte kaiserlich zu belohnen pflegte, verschenkte den Johannisberg an den Marschall Kellermann, welchen er zum Herzog von Valmy erhoben hatte. Dieser ließ ihn verwalten bis zu dem Untergange des Kriegsfürsten, welcher auch seinen Obersten ihre Beute nahm. Der Johannisberg fiel hierauf dem Kaiser von Oesterreich zu, und der machte aus ihm ein Präsent an den Fürsten Metternich.

In den zum Gute gehörigen, das Schloß umgebenden Rebenpflanzungen wächst ein berühmter Rheinwein, der als der beste Deutschlands überall bekannt ist. Der Flächengehalt der Weinberge ist etwa 48 Morgen. Ihre Lage und ihr Boden sind gleich vortrefflich, und diese natürlichen Vorzüge werden durch eine kunstvolle Behandlung und Pflege der Stöcke mit Erfolg unterstützt. Die Gutseigenthümer in den umliegenden Ortschaften, Geisenheim, Rüdesheim, Hattenheim etc., gleichfalls im Besitz köstlicher Lagen, thun sich nicht minder in der Kultur und Pflege des Weinstockes hervor, und diesem Wetteifer haben die edlen Gewächse des Rheingaus hauptsächlich ihren großen und dauernden Ruf zu verdanken.