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mehr, als zur Erhaltung eines Fürstenhauses gehört. Als nächste Veranlassung zur Erbauung des Johannisberges erwähnt die Geschichte einer grausamen Judenverfolgung in Mainz durch Erzbischof Ruthard, gegen Ende des 11ten Jahrhunderts. Zur Sühne für die dabei begangenen Frevelthaten gelobte der Erzbischof, ein Kloster zu bauen auf dem Bischofsberge im Rheingau, dem heil. Johannes geweiht, weil am Johannistage die Unthaten geschehen waren. – Im Jahr 1130 wurde das Kloster, nachdem es von den letzten Sprößlingen des Rheingrafengeschlechts, die als Mönche daselbst ihr Leben beschlossen, mit Gütern und Zinsen reichlich beschenkt worden war, zur Abtei erhoben, die ihre Besitzung fortwährend zu erweitern verstand. Aber die Reformation kam und warf blendende Lichtstrahlen in das finstere Reich der weltlichen Unterdrückung und der hierarchischen Tyrannei. Da standen, wie fast überall in Deutschland, so auch am Rheine, die Bauern zum blutigen Werke der Selbstbefreiung auf; und über die frommen Väter auf dem Johannisberge kam viel Drangsal. Sie mußten sich anheischig machen, Abgaben zu entrichten von ihren Gütern, wie andere Leute, und geloben, keine Novizen mehr anzunehmen, damit, wenn sie stürben, „des Müssiggangs Hab und Gut an das fleißige Land als Erbe zurückfalle.“ Als indeß der Bauernbund durch rohe Verwüstungslust, durch Ungeschick und Hader seiner Führer schwach geworden war gegenüber den zum siegreichen Phalanx vereinigten Heeren geistlicher und weltlicher Herrscher, löste er sich wieder auf, und die entfesselten Massen kehrten, halb gezwungen, halb freiwillig, in’s altgewohnte Joch zurück. Nach Johannisberg aber kam die alte Herrlichkeit nicht wieder. Viele der Mönche waren geflüchtet, und während der Herrschaft der Bauern waren Schätze und Vorräthe verschwunden. Der Erzbischof von Mainz hob deshalb die Abtei auf, ließ die Güter anfänglich verwalten, und gab sie später (1620) dem Rothschild der damaligen Zeit, dem Reichspfennigmeister Bleymann, für 30,000 Gulden in Erbpfand. Bleymann’s Erben verstanden es nicht, wie einst die Fugger, den Reichthum an ihr Geschlecht zu fesseln. Geldbedürftig kündigten sie (1710) Mainz den Pfandschilling auf und an ihre Stelle trat das Erzstift Fulda, welches die Summe zahlte, und dafür Kloster und Güter als freies Eigenthum erhielt. So blieb es lange, und nur auf den gastfreien Tafeln der lebensfrohen Fuldaer Domherren war noch edler Johannisberger zu kosten. – Es brach die französische Revolution los. Ihre begeisternden Freiheitsideen flogen über den Rhein, und die zügellosen, aber siegreichen Schaaren ihrer Vertheidiger zogen ihnen nach. Die Umwälzung, deren eiserner Tritt mit mancher guten Frucht unsägliches Unkraut vernichtete, warf auch am Rheine das alte, legitime, morsche Gebäude ein und schuf eine Totalveränderung aller Verhältnisse. Die andächtige Stimmung des Volkes, durch nichts mehr genährt und unterhalten, wich, im Vermengen mit andern Völkern, dem Gefallen an fremden Sitten, Gebräuchen und Glaubensmeinungen, und was die Rheingauer unter’m Gewissenszwang früher gehaßt hatten, lernten sie ertragen und lieben. Bald fand man die von den Neufranken bewirkte Metamorphose der Klöster und Abteien in Magazine, Spitäler und Werkstätten für angemessen, und selbst unter den Mönchen blieb die Saat der neuen Ideen nicht ohne